Copenhagen Islands Garten + Landschaft

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Das Projekt führt einen neuen Archetyp im städtischen Raum ein: einen sogenannten „Parkipelago“ (abgeleitet vom Englischen „archipelago“, zu Deutsch: Archipel) aus schwimmenden Inseln, der von Bootsfahrern, Fischern, Kajakfahrern, Sternenguckern und Schwimmern genutzt werden kann.

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WASSER COPENHAGEN ISLANDS, KOPENHAGEN: MARSHALL BLECHER UND FOKSTROT

COPENHAGEN ISLANDS Mit ihrem Projekt der Copenhagen Islands reagieren die Architekten Marshall Blecher und Magnus Maarbjerg auf die zunehmende Gentrifizierung des Kopenhagener Hafens. Es ist ein Bottom-up-Projekt, das sowohl die verschiedenen Hafengebiete neu beleben als auch mehr Grün im Stadtraum schaffen soll. Der erste Prototyp steht schon. Anna Aslaug Lund stellt uns hier das dänische Projekt vor. ANNA ASLAUG LUND

AUTORIN Anna Aslaug Lund ist Landschaftsarchitektin und lebt in

Fotos: Airflix (airflix.com); Visualisierungen: MIR (www.mir.no)

Kopenhagen.

Die Geschichte einer Stadt kann oftmals anhand ihrer Beziehung zum Wasser erzählt werden. Unabhängig davon, ob sich das zentrale Thema der Geschichte um Transport, Fischerei, Verteidigung, Brunnen, Kanalisation oder Bewässerung dreht, spiegelt diese Beziehung immer die einer Gesellschaft zugrunde liegenden Werte, Machtverhältnisse und technologischen Entwicklungen wider. Die sich derzeit wandelnde Beziehung von Wasser und Stadt liefert wiederum den Schlüssel zum Verständnis der Werte, Ideen und Träume, die sich in unseren heutigen Städten offenbaren. Ein Beispiel für den Wandel in eine neue Richtung sind die Copenhagen Islands des australischen Architekten Marshall Blecher und des dänischen Architekturbüros Fokstrot. Mit ihrem der Öffentlichkeit frei zugänglichen „Parkipelago“ aus schwimmenden Inseln präsentierten die Architekten eine neue Typologie urbaner öffentlicher Hafenräume. Im Jahr 2018 wurde ein Prototyp errichtet, dem bald weitere Inseln folgen. Das Projekt erlangte internationale Anerkennung und wurde mit dem Taipei International Design Award für den öffentlichen Raum sowie dem Preis für soziales Design ausgezeichnet. WANDEL DER HAFENKANTE

Die Stadt Kopenhagen ging aus einer kleinen Siedlung auf Salzwiesen hervor, die an einem natürlichen Hafen lagen. An diesen Salzwiesen konnten kleine Fischerboote ohne Kiel leicht an Land gezogen werden. Man kann also von einer unmittelbar körperlichen

Wahrnehmung der spezifischen Eigenschaften dieser Küstenlandschaft sprechen, aus der sich die kleine Siedlung herausbildete. Das Wachstum der Stadt im Laufe der Jahre und die damit einhergehende technologische Weiterentwicklung der Schiffe erforderte neue und zunehmend konstruierte Schnittstellen von Wasser und Land. Während des 19. und 20. Jahrhunderts wurde der Hafen allmählich industrialisiert und entfernte sich immer weiter vom Stadtzentrum, wodurch sich wiederum die innerstädtischen historischen Hafengebiete neuen Nutzungen öffneten. Im späten 20. Jahrhundert wandelte sich das Verhältnis der Bürger Kopenhagens zur Uferpromenade der Stadt drastisch. In den 1990er-Jahren gewann die Qualität des öffentlichen Raums an Bedeutung, was sich auch auf die nun so gut wie unbenutzten Hafenräume im Zentrum der Stadt auswirkte. Die Stadt Kopenhagen unternahm große Anstrengungen, um die Wasserqualität des Hafens zu verbessern. So wurde der Weg für die Entstehung neuer Typologien des öffentlichen Raums entlang der Kais von Kopenhagen geebnet. Ein Beispiel dafür ist das sogenannte „Hafenbad“ von Islands Brygge in Kopenhagen, wo man direkt in den Hafen springen kann. Diese urbanen Transformationen trugen dazu bei, dass sich das öffentliche Leben entlang der Hafenkante wandelte. Es sind nun nicht mehr die frühere Produktionstätigkeit, sondern die Freizeitaktivitäten, die diese Räume definieren. In den letzten Jahren beeinflussten vor allem Themen wie der Klimawandel und der Anstieg des Meeresspiegels die neuen 35 GARTEN+ L ANDSCHAFT


Leitbilder für den Hafen. Der Bau von Schutzkonstruktionen wurde mit der Schaffung von Erholungsräumen kombiniert. Im Jahr 2018 legte die dänische Regierung einen Plan für eine große künstliche Insel im Hafen vor. Die Insel Lynetteholmen soll 35 000 Bewohner aufnehmen und Schutz vor dem Anstieg des Meeresspiegels bieten. SYMBOLISCHER AUSDRUCK

Der Prototyp der Copenhagen Islands mit einer Linde in der Mitte befindet sich seit 2018 im Kopenhagener Stadtgebiet Nordhavn. Drei weitere Prototypen sollen 2020 folgen.

Die Copenhagen Islands wiederum sind das neueste Kapitel in der Geschichte des Hafens. Im Gegensatz zu Projekten wie Lynetteholmen basiert die Idee der Copenhagen Islands auf einem Bottom-up-Ansatz für die Hafennutzung. Das Projekt entstand als Reaktion auf die zunehmende Gentrifizierung der Hafengebiete. Man könnte es als eine Art von neuer Landschaft interpretieren, deren Charakteristika dem ursprünglichen Hafengebiet Kopenhagens vor tausend Jahren sehr ähnlich sind. Diese Landschaft ist nicht programmiert und ermöglicht eine direkte Begegnung zwischen Mensch und Wasser. Das Projekt repräsentiert Werte, die auf Offenheit, der selbstorganisierten Gestaltung öffentlicher Räume und dem Recht auf Stadt beruhen. Darüber hinaus sind die robust gebauten, schwimmenden Inseln äußerst widerstandsfähig gegenüber den Folgen eines steigenden Meeresspiegels. Auch wenn die Inseln eine vorwiegend gestalterische Lösung darstellen, so werfen sie aufgrund ihres symbolischen Ausdrucks auch offene Fragen hinsichtlich der Zukunft unserer Städte auf. Wer soll den öffentlichen Raum kontrollieren? Wie bringen wir Natur in städtische Gebiete? Wie sollten Städte dem Klimawandel entgegentreten? INSPIRATION: DIE SCHWIMMENDEN TIGRIS-INSELN IM IRAK

Die Architekten Marshall Blecher und Magnus Maarbjerg vom Architekturbüro Fokstrot lernten sich an der Architekturfakultät der Königlich Dänischen Kunstakademie in Kopenhagen kennen und stellten fest, dass sie ein gemeinsames Interesse an Schiffen und dem Hafen hatten. Beide waren besorgt über die schrittweise Gentrifizierung der Hafenfront und beschlossen daher, ein gemeinsames Projekt zu entwickeln, um dieser Tendenz entgegenzuwirken. „Wir erkannten die Notwendigkeit, einen Hauch von Skurrilität und einer Klondike-ähnlichen 36 GARTEN+ L ANDSCHAFT

Eigenheit in den Hafen zurückzubringen und den Menschen Raum zum Erkunden zu geben“, erklärt Marshall. Etwa zur gleichen Zeit stieß Marshall im Internet auf ein Foto der schwimmenden Inseln auf dem Fluss Tigris im Irak, wo Menschen seit 7 000 Jahren auf schwimmenden, künstlichen Inseln leben. „Ich war total begeistert von diesem Bild und bin letztendlich dorthin gereist, um den Ort zu sehen. So entstand mein Forschungsprojekt über die schwimmenden Inseln im Irak. Dies war eine der Inspirationen für die Copenhagen Islands.“ BÄUME MIT HOHER SALZTOLERANZ

Die Copenhagen Islands bestehen aus einer Stahlkonstruktion mit Holzverkleidung und bieten ausreichend Platz für einen Baum in ihrer Mitte. „Unserer Meinung nach herrscht im Zentrum von Kopenhagen und in vielen anderen Städten ein Mangel an Landschaft. Es wäre doch toll, diesen schwimmenden Mikrokosmos, der einen Miniaturlebensraum für Vögel und Tiere beherbergen könnte, in unsere Städte zu bringen“, erläutert Marshall. „Wir wollten, dass die Inseln den Effekt eines Park haben. Wenn man ein Stück Gras und einen Baum sieht, dann wirkt dies einladend, offen und freundlich. All dies wollten wir erreichen. Wir sprachen auch darüber, bestimmte Funktionen hinzuzufügen und auf eine der Inseln ein Café zu stellen. Doch am Ende erschien es uns besser, das Konzept so schlicht wie möglich zu halten, alle Funktionen zu entfernen und einfach einen schwimmenden öffentlichen Raum zu schaffen. Wir haben mit vielen Leuten gesprochen, die uns allerhand witzige Ideen für die Nutzung der Inseln für Hochzeiten und Musikvideos schilderten. Das ist meiner Meinung nach das Schöne an der funktionslosen Gestaltung. Es ist lediglich ein schwimmender öffentlicher Raum, auf dem ein Baum steht und der den Menschen zur freien Nutzung zur Verfügung steht.“ Auf der ersten Prototypinsel stand eine kleine Linde, da dieser Baum eine hohe Salztoleranz aufweist. Auf den weiteren Inseln erwägen die Architekten, Bergkiefer und Trauerweiden zu pflanzen. Nach Vorstellung der Architekten soll das Erscheinungsbild der Inseln eher einem romantischen Garten ähneln, als dass es vorgibt, eine natürliche Landschaft zu sein. In der Regel werden die Inseln zumindest teilweise befestigt sein. Doch es besteht die Möglichkeit, sie für öffentliche Veranstaltungen zu versetzen und neu zu konfigurieren.


WASSER COPENHAGEN ISLANDS, KOPENHAGEN: MARSHALL BLECHER UND FOKSTROT

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Hinter dem Projekt steckt der Gedanke, es als Katalysator für die Belebung und Aktivierung der verschiedenen Hafengebiete einzusetzen. Der Prototyp wurde in Kopenhagens neuem Stadtgebiet Nordhavn aufgestellt. Die Architekten besuchten den Ort regelmäßig und dokumentierten, wie die Leute ihn nutzten: Manche picknickten, viele kamen in Kajaks vorbei. Sie sahen Leute fischen und einen Mann, der sich mit seinem Hund auf der Insel ausruhte. "Das Gefühl, allein auf einer winzigen Insel mit einem Baum zu sein, hat etwas Essenzielles", sagt Marshall. „Bei einem Hafenbad nimmt man einen kleinen Teil des Hafens, zieht einen Zaun darum und bestimmt, dass man nur in diesem speziellen Bereich schwimmen darf. Wir kehren diese Idee um, indem wir den Raum nach allen Seiten öffnen und sagen, der Hafen gehört euch. Wir geben den Menschen die Möglichkeit, sich den Hafenraum zurückzuerobern und neu zu definieren. Mit diesem Projekt bezwecken wir auch zu verdeutlichen, was ein Hafen eigentlich alles sein kann. “ Die Architekten würden, falls möglich, gerne

ähnliche Projekte an Orten wie Sydney oder zum Beispiel auf der Themse entwickeln. „Uns ist es wichtig, neu zu überdenken, wie wir unsere Städte nutzen“, erklärt Marshall, „und wie wir die Verbindung zwischen Wasser und Stadt nutzen. Das ist es, was uns interessiert. Meiner Meinung nach ist dies ein großes und wichtiges Thema, das viele verschiedene Städte auf der ganzen Welt betrifft. “

Das Projekt wurde mit dem Taipei International Design Award für den öffentlichen Raum sowie dem Preis für soziales Design ausgezeichnet.

Übersetzung von Sigrid Ehrmann

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BAAKENPARK HAMBURG | ATELIER LOIDL GMBH BERLIN

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© LEONARD GROSCH

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