Siegessäule 11 2017

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Wünsche respektieren Wer ein Leben abseits des Heteromainstreams geführt hat, möchte oft auch im Tod andere Wege gehen. Dr. Julian Heigel will mit seinem Unternehmen Thanatos Bestattung queeren Menschen einen würdigen Abschied ermöglichen > Wie kommt jemand dazu, Bestatter zu werden? Julian Heigel, seit kurzer Zeit selbstständiger Bestatter, musste nicht lange überlegen. Nach einem Promotionsstudium in Musikwissenschaft brauchte er eine Veränderung: „Ich wollte was Sinnvolles machen, was mit Substanz und gesellschaftlicher Relevanz“, meint er im Gespräch mit SIEGESSÄULE. „Vielleicht geht es auch darum, meine eigene Todesangst in Schach zu halten.“ Seiner Meinung nach wird der Tod zu sehr aus dem alltäglichen Leben ausgeschlossen. „Es ist so eine Art Parallelwelt. An vielen Orten in der Stadt liegen Tote in den Kühlungen. Das sieht man aber nicht. Es gibt höchstens ein kleines Schild, schwarze Autos fahren in die Toreinfahrt, alles ist so abgespalten. Bei den Krankenhäusern wird mög-

lichst schnell das Zimmer geräumt, man sieht die Pathologie nicht.“ Die Reaktionen auf seine Berufswahl sind fast durchweg positiv. Es gibt aber auch immer wieder Entgegnungen wie: „Bitte gib mir nicht die Hand, wenn du gerade bei einem Toten warst.“ Ja, Leute ekeln sich vor dem Tod. Und vor Toten. Im Gegensatz zu Julian, er hat begonnen die Zeit mit „seinen“ Toten, wie er sie liebevoll nennt, zu genießen. „Sie strahlen so eine Ruhe aus.“ Das war nicht immer so, auch er musste erst die Angst vor dem Tod verlieren und den angelernten Ekel. Es geht nicht darum, den Tod zu glorifizieren, sondern den Schrecken vor dem Tod zu verlieren, meint Julian. „Death positive“ wird dieser lockere Umgang mit dem Tod in der Berufsgruppe genannt. Julian möchte, dass besonders LGBTIs sich bei ihm gut aufgehoben fühlen. „Ich mache diese Bestattungen für queere Leute, die schlechten oder wenig Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie haben.“ Damit reiht sich Julian in eine circa 25-jährige Tradition alternativer Bestattungen ein. Angefangen hatte es zu Beginn der 90er-Jahre, zur Hochzeit der Aids-Krise, mit Claudia Marschner. Die Berlinerin bietet seitdem unkonventionelle und besonders auf schwul-lesbische Lebensumstände angepasste Bestattungen an. Sie hatte den Mief in den Bestattungsunternehmen satt. Und so geht es Julian heute noch: „Es gibt immer noch strenge Regeln auf vielen Friedhöfen.“ Und selbst im Tod ist vieles in zwei Geschlechter aufgeteilt. Das will Julian gerne anders machen. Natürlich bestattet er Leute im richtigen Geschlecht. „Viele alternative BestatterInnen haben den Anspruch, queere Leute gut zu betreuen, aber es ist natürlich noch mal anders, wenn man es aus einer Betroffenenperspektive macht.“ Julian ist spezialisiert darauf, im Kontakt zwischen Herkunftsfamilie und Wahlfamilie, also Freundinnen und Freunden, die zu Familie erklärt werden, zu vermitteln. Es ist gerade für queere Menschen wichtig, dass ihre Wünsche auch nach ihrem Tod noch respektiert werden – und da kennen sich oft die FreundInnen besser aus als die Verwandten. < Hannah Geiger


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