40 Jahre HS Niederrhein

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In seinem Buch über die Geschichte der Hochschule Niederrhein greift der Autor und ehemalige Rektor Prof. Dr. Hermann Ostendorf diese spannende Vorgeschichte der Jahre 1855 bis 1971 auf und verbindet sie mit den Jahren nach der Gründung bis ins Jahr 2010. Ihm gelingt dabei der Nachweis, dass sich die Hochschule Niederrhein bis zum heutigen Tag immer an den Bedürfnissen der regionalen Wirtschaft orientiert hat. Sie ist also tatsächlich „Aus der Region gewachsen“.

ISBN 978-3-9814563-0-1

Aus der Region gewachsen 40 Jahre Hochschule Niederrhein

Die Hochschule Niederrhein ist am 1. August 1971 gegründet worden. Ihre Wurzeln reichen jedoch bis ins Jahr 1855 zurück, als in Krefeld die Höhere Webeschule gegründet wurde. Es folgten die Werkkunstschule, die Textilingenieurschule Mönchengladbach und zahlreiche weitere renommierte Lehr- und Forschungseinrichtungen. Sie alle wurden 1971 zur Fachhochschule Niederrhein zusammengeführt.

Aus der Region gewachsen 40 Jahre Hochschule Niederrhein

von Prof. Dr. Hermann Ostendorf



Aus der Region gewachsen 40 Jahre Hochschule Niederrhein


Impressum Aus der Region gewachsen – 40 Jahre Hochschule Niederrhein Prof. Dr. Hermann Ostendorf © Krefeld, 2011 Herausgeber Das Präsidium der Hochschule Niederrhein Redaktion Dr. Christian Sonntag Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Reinarzstr. 49, 47805 Krefeld Layout und Gestaltung Dipl. Des. Fritjof Wild, serviervorschlag.de Druck Joh. van Acken GmbH & Co. KG Druckerei und Verlag Magdeburger Str. 5, 47800 Krefeld Auflage 1.000 Exemplare Titelbild Baumwolle mit Seide gefacht, Entworfen von Fred Abele, Meisterschule für Textilkunst, um 1955. Aus: 100 Jahre Textilingenieurschule, S. 118. Das Bild schlägt die Brücke von der Textilkunst und der Textiltechnik früherer Jahre bis zur Funktionalität von Oberflächen, einem wesentlichen aktuellen Forschungsschwerpunkt der Hochschule Niederrhein.


Aus der Region gewachsen 40 Jahre Hochschule Niederrhein

von Prof. Dr. Hermann Ostendorf


Inhalt Teil 1  1855 bis 1945 Aus der Region gewachsen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Das Land zwischen Maas und Rhein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Bildungsanspruch durch Umbruch im Textilbereich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Interdisziplinarität gegen Strukturkrise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Die „Chemische Revolution“ fordert Bildungsreformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Das „Rheinische Manchester“ nutzt seine Chancen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Kreativität als Marketingfaktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Nationalsozialismus und Zerstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Nationalsozialistischer Studentenbund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Krieg und Zerstörung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

Teil 2  1946 bis 1971 Wiederaufbau, Umbruch, Neugründungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .84 Die Werkkunstschule auf den Trümmern der Meisterschule des Deutschen Handwerks. . . . 84 Die Textilingenieurschule Mönchengladbach kehrt aus dem Exil zurück . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Die Textilingenieurschule Krefeld baut ein neues Haus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Die neue Ingenieurschule für Maschinenwesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Die neue Höhere Wirtschaftsfachschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

Gründung der Fachhochschule Niederrhein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Unruhige Jahre und Wandel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Standortfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Das Hochschulpotential am Niederrhein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Der Planungsausschuss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 Die Gründung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157


Teil 3  1971 bis 1999 Die ersten Jahre der Fachhochschule Niederrhein (FHN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Das Finden der eigenen Identität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Mit „einem Bein“ in der Gesamthochschule Düsseldorf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Abschluss der Gründungsphase FHN. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173

Pillenknick und Studentenzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Wachstum trotz Pillenknick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Statusfragen beeinflussen die Wettbewerbsfähigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Der Status der FH Absolventen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Der Status der Dozenten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .180 Praxis in die Hochschule. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Modellstudiengänge Sozialarbeit/Sozialpädagogik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

Grenzen überwinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Europäische Studiengänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Wirtschaftsingenieurwesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

Erweiterung des Fächerspektrums. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Gesundheitswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

Teil 4  2000 bis 2010 Die Hochschule Niederrhein im 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Der Weg zu mehr Verantwortung und Eigenständigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Zukunftspakt und Hochschulkonzept 2010 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Überlast und Finanzspritzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

Die räumliche Entwicklung der Standorte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Der Campus KR-West. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Der Campus KR-Süd. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233

Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242



Teil 1  1855 bis 1945


1855 Gründung der „Crefelder Höheren Gewerbeschule“. Der preußische Minister für Handel,

Gewerbe und öffentliche Arbeit genehmigt die Errichtung der „Webeschule“. Die Initiative geht von der „Crefelder Handelskammer“ aus. Wegen mangelnder Mittel und ungeklärten Zuständigkeiten gerät die Schule bald in Schwierigkeiten. Die „Handelskammer Crefeld“ setzt sich 1878 für eine grundlegen­de Umgestaltung und Erweiterung der Schule ein. Der Präsident der Handelskammer, Geheimer Kommer­zienrat von Heimendahl stellt an die Stadt Crefeld und an die königliche Staatsregierung in Düsseldorf den Antrag, die „Crefelder Höhere Webeschule“ in eine Staatsanstalt um­zuwandeln. Ein Reglement der königlichen Staatsregierung vom 18.7.1881 trägt den eingebrachten Anträgen auf „staatliche Obhut“ der Schule Rechnung. Es wird verfügt: ,,Die Höhere Webeschule“ ist eine Staatsanstalt. Am 1.10.1883 wird der Neubau auf freiem Feld in der Oberstraße 136 (später Malmedystraße, heute Lewerentz­straße) eröffnet. 1883 Gründung der Abteilung für „Färberei und Appretur“ Aus dieser Abteilung wird 1895 eine selbständige Schule: die „Königliche Färbe­rei und Appreturschule zu Crefeld“. Zuerst zum Leiter der Abteilung und dann zum Direktor der Schule wird Dr. Heinrich Lange, bisher Chemiker in der Badischen Anilin & Soda-Fabrik, ernannt. 1895 wird der Neubau Adlerstraße 32 bezogen. 1901 erhalten Alle preußischen Textilfachschulen einheitliche Bezeichnungen. In Krefeld gibt es die „Preußische Höhere Fachschule für Textilindustrie (Webeschule) zu Crefeld“ und die „Preußische Höhere Fachschule für Textilindustrie (Färberei- und Appreturschule) zu Crefeld“. 1907 Direktor Dr. Lange und die Lehrer Schnell und Dr. Massot werden zu Professoren ernannt. 1901 Gründung der „Preußische höhere Fachschule für die Textilindustrie MG/RY“. In der Region Mönchengladbach besteht seit einigen Jahren der Wunsch nach einer eigenen Ausbildungsstätte für das Textilwesen. Eine Kommission unter der Mitwirkung der Handelskammer erzielt grundlegende Einigkeit insbesondere über die Kostendeckung. Die Webeschule in Köln/Mühlheim wird geschlossen und in MG/RY fortgeführt. Der bisherige Direktor der Mühlheimer Webeschule, Herr Schaab, wird mit der Leitung der neuen Schule beauftragt. 1910 wird die „Öffentliche Prüfstelle für Spinnstoffwirtschaft“ gegründet und 1912 folgt das „Warenprüfungsamt für die Bekleidungsindustrie“. 1912 wird eine Konfektionsabteilung gegründet, aus der sich die ,,Höhere Bekleidungsfachschule“ entwickelt. 1904 Gründung der „Handwerker- und Kunstgewerbe-

schule“. Durch einen Vertrag zwischen der königlichen Staatsregierung und der Stadt Krefeld wird die Schule gegründet. Die Stadt bringt eine Gewerbliche Schule und das neue Gebäude Peterstraße 123 (Baujahr 1903) ein. 1907 sind viele Lehrende in Krefeld Mitbegründer des „Deutschen Werkbunds“. 1911 veranstaltet der „Deutsche Werkbund“ die Ausstellung „Gewerbe-, Indus­trie- und Kunstausstellung zu Crefeld“ im Kaiser Wilhelm Museum unter der Federführung der Krefelder Lehrenden. Entwicklung der „Färberei und Appreturschule“ in Krefeld. 1907 wird die Gesamtdauer des Unterrichtskursus von vier auf sechs Semester erweitert, ,,wegen großer Ansprüche der Industrie an Färbereitechnikern und außerordentlicher Vermehrung der Farbstoffe und Färbe- und Appreturmethoden“ 1 1908 besuchen Fachleute aus Glasgow, Kyoto, Reichenbach, Wien, New York und Professoren der Ecole de Chimie Lyon die Schule. 1922 wird die „Textilforschungsanstalt e. V.“ (heute DTNW) in den Räumen der „Färberei- und Appreturschule“ gegründet. Wis­senschaftlicher Leiter wird ein Lehrer der Schule, Privatdozent Dr. A. Oppe. 1923 Gründung der„Abteilung Farben und Lacke“ auf Betreiben der Niederrheinischen Vereinigung im Reichsverband des Lack- und Farbenfachs. Dies ist die erste Einrichtung ihrer Art in Deutschland. Erster Leiter dieser Abteilung wird Erich Stock. Jahresbericht 1924 der Färberei und Appreturschule: Die exzellente Entwicklung der Schule veranlasst den Direktor

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zu der Aussage: ,,Die Schule kann auf eine glänzende Entwicklung zurückblicken und hat sich in den 41 Jahren ihres Bestehens einen Weltruf erworben. Sie ist die einzige selbständige Fach­ schule für die Textilveredlungsindustrie in Deutschland und läßt die Abteilungen für Färberei an den übrigen Textilfachschulen an Größe und Bedeutung weit hinter sich.“2 1933 Jubiläum unter starker Beachtung in der Tagespresse: „50Jahre –Preußische Höhere Fachschule für TextilIndustrie- Färberei- und Appreturschule Krefeld, 1883–1933“. 1932 Gründung der ,,Höhere Preußische Fachschule für Textile Flächenkunst“ . Am 12. Januar wird diese neue Abteilung der Webeschule in Krefeld angegliedert. Der Lehrplan der Schule wird durch das Fach Farbenlehre er­weitert. Als Lehrer wird Johannes Itten gewonnen. 1932 Gründung der „Höhere Bekleidungsfachschule“ in Mönchengladbach. Die Umwandlung der Konfektionsabteilung der Webeschule führt zu dieser Gründung. Die Besucherzahl steigt in den folgenden Jahren ständig. Die Besucher kommen nicht mehr nur aus dem niederrheinischen Wirt­schaftsgebiet, sondern in zunehmendem Maße aus allen Bekleidungszentren Deutschlands, insbesondere aus Ber­lin, Stettin, Königsberg, Aschaffenburg, Bielefeld und Herford. Entwicklung der Kunstgewerbeschule in Krefeld. 1933 beginnt eine reichsweite Diskussion über die Aufgaben der Kunstgewer­beschulen: Nicht mehr Gestalter, sondern tüchtige Handwerker sollen ausgebildet werden. 1934 werden die Abteilungen Architektur, Bildhauerei und Keramik geschlossen. Es erfolgt eine konsequente Strangulierung der Schule. Nur Handwerks-Abteilungen dürfen bestehen bleiben. Fünf von sieben „Künstler-­Lehrern“ werden entlassen. 1943 Starke Beschä­digung des Gebäudes Petersstraße 123 durch Bomben. Der Unterricht wird im Herrenhaus von Burg Linn weitergeführt. Umbenennung der Schule in: „Meisterschule für das gestaltende Handwerk“. 1944 Ab 1. August kein Unterricht mehr möglich. Die Entwicklung der Textilingenieurschule Mönchengladbach. 1936 wird die „Höhere Fachschule“ in eine „Textilingenieurschule“ umgewandelt und erhält die Berechtigung Textilingenieure auszubilden. 1944 wird in Mönchengladbach das Lehrgebäude zu ca. 90 % zerstört. Ebenso werden die für den Unterricht benötigten Lehr- und Unterrichtsmittel zerstört, so dass die Fortführung der Ausbildung nicht mehr stattfinden kann und eine Verlagerung des Schulbetriebes angeordnet wird. Ende des Jahres 1944 wird die Ausbildung nach Münchberg (Oberfranken) an die dort existierende Staatliche höhere Textilfachschule verlegt und kann dort behelfsmäßig bis Kriegsende weitergeführt werden. 1935 Vereinigung der „Webeschule“ und der „Färberei- und Appreturschule“. Der offizielle Name d ­ er vereinigten Schulen lautet nunmehr „Höhere Fachschule für Textil-Industrie“. Die Gewebesammlung repräsentiert einen Wert von ca. sechs Millionen Reichsmark und geht in den Besitz der Stadt Krefeld über. 1942 wird eine Fachschule für chemische Fasererzeugung angegliedert. Die Abhängigkeit von Importen von Faserrohstoffen (Baumwolle) soll verringert werden. 1943 Das Gebäude der Webeschule (Lewerentzstraße) wird in der Nacht vom 21. zum 22. 6. 1943 durch Brandbomben fast vollständig zerstört. 1944 Durch ministeriellen Erlass vom 15.11.1944 soll die Höhe­re Fachschule für Textilindustrie wegen Kriegseinwirkung nach Chemnitz verlagert werden. Die Schulleitung und die Studierenden lehnen den Erlass ab. Der Minister gibt darauf­hin der Schule Handlungsfreiheit. 1945 Die Höhere Fachschule für Textilindustrie wird in „Textilingenieurschule“ umbenannt. Die Textilingenieurschule gliedert sich in zwei Abteilun­gen: die „Textiltechnische Abteilung“ und die „Textilchemische Abeilung“. Der Textiltechnischen Abteilung ist die „Textile Flächenkunst“ zugeordnet, der Textilchemischen Abteilung der Bereich „Farben und Lacke“. Bei einem Tagesangriff im Januar 1945 entstehen schwere Zerstörungen in den Gebäuden der Färberei- und Appretur­schule an der Adlerstraße.

2 100 Jahre textilchemische Ausbildung in Krefeld, S. 40 10  11



Aus der Region gewachsen Das Land zwischen Maas und Rhein Nach der Eroberung durch Frankreich im Jahre 1794 wird das Land zwischen Maas und Rhein militärisch besetzt.3 Wie unter Napoleon üblich, soll sich die Armee aus dem besetzten Land versorgen. Vier Jahre später wird das Rurdepartement gegründet und die vollständige Eingliederung in die Französische Republik vollzogen. Diese Annexion wird 1801 durch den Frieden von Luneville völkerrechtlich legalisiert. 4 Auch wenn die eingeführten Reformen anfangs durch Umstellungsprobleme bei der Bevölkerung eher unbeliebt sind, wird damit die Grundlage für eine erfolgreiche Zukunft gelegt. Die Vielzahl der Herrschaften und Rechtsgebiete werden beseitigt. Es entsteht ein einheitlicher Raum mit dem Franc als einzig gültigem Zahlungsmittel. Bei Maßen und Gewichten wird das Dezimalsystem eingeführt. Die Unternehmer im Rheinland haben nun den freien Zugang zum gesamten französischen Markt und darüber hinaus Anbindung an südeuropäische Verbraucher. Kaufleute und Manufakturbesitzer profitieren von der relativ stabilen französischen Wirtschaftspolitik, der Rechtssicherheit und von der Möglichkeit, durch den Kauf von säkularisiertem Kirchengut Grundeigentum zu bilden. Manches Klostergebäude wird zu einer Fabrik umfunktioniert. Die Kontinentalsperre schließt die auf vielen Gebieten überlegene Konkurrenz aus England aus. Die Hauptstadt des Departements ist Aachen, welches sich in die vier Arrondissements Aachen, Kleve, Köln und Krefeld gliedert. Die Arrondissements bestehen aus Kantonen. Zum Arrondissement Krefeld (Creveld) gehören die Kantone Bracht, Erkelenz (Erkelens), Kempen, Krefeld (Creveld), Moers (Meurs), Neersen, Neuss, Odenkirchen, Rheinberg, Uerdingen (Urdingen) und Viersen. Viele Stadtgebiete des heutigen Mönchengladbach sind Bestandteil der Kantone Neersen (Gladbach, Neersen, Schiefbahn, Liedberg, Kleinenbroich, Korschenbroich, Pesch, Unterniedergeburth) und Odenkirchen (Odenkirchen, Dahlen, Rheydt, Wickrath, Jüchen, Neukirchen, Giesenkirchen, Schelsen). Jean Charles Francois le Baron de Ladoucette, der Präfekt des Departements Rur in Aachen, bereist 1813/1814 das Land zwischen Maas und Rhein. Sehr eindrucksvoll beschreibt er in seinen Briefen und Noten die Leistungen seines Departements:

3 Ladoucette/ Wolfsberger, Die Franzosenzeit am Niederrhein, Eine kurze Einführung, S. X-XIV 4 Jansen-Winkeln , S. 57 12  13


Abb. 1 Das Departement Rur um 1800


„In den letzten fünf Jahren sind dreihundert Fabrikanten vom rechtsrheinischen Ufer des Rheins gekommen um sich im Departement Rur niederzulassen; ihre Industrie gründet sich auf bemalte Tuche, Schnürsenkel und Bändern aus Zwirn, Schneidezeugwaren und Eisenwaren und Spinnereien für Wolle und Baumwolle, deren Zahl schnell angewachsen ist. In diesem Landstrich hat man vierzehn Erfinderpatente erhalten, man nutzt für die Spinnereinen Mechaniken, die englisch genannt werden, und das fliegende Weberschiffchen, die Schermaschinen, die von Hand oder Wasser bewegt werden, schließlich die Dampfmaschinen für die Färberei.“ 5 In den höchsten Tönen lobt der Baron voller Begeisterung die textilen Produkte sei-

nes Departements und scheut nicht den Vergleich mit Lyon, dem damaligen Mekka der französischen Textilfertigung. „Die Krefelder Herren Cornelius und Johannes Floh, Friedrich und Heinrich von der Leyen haben Seidenstoffe vorgelegt, einfarbige Samte, mit Nadeln gemustert, einfarbige Samtbänder mit Figuren, Bänder aus doppelter Seide, und getüpfelt, Seidenschals, usw.“ Sehr wohl weiß Ladoucette, die Leistungen seines Landes zwischen Maas und Rhein auch gegenüber der Zentrale in Paris ins rechte Licht zu rücken und den Fabrikanten den Rücken zu stärken. „Diese für das Departement so interessanten Manufakturen, die in ganz Europa und in den Ländern Amerikas eine so wohl erworbene Reputation genießen, heben sich weiterhin durch ihre Erzeugnisse hervor, deren Vorzüglichkeit, Schönheit und Preise alle Geschmacksrichtungen und alle Bedürfnisse befriedigen können. Das Departement kann sich nur beglückwünschen, diesen Herstellungszweig in seinem Schoße zu haben, den die geschätzten Manufakturenbetreiber aus Krefeld auf den höchsten Grad der Vollkommenheit gebracht haben.“ Diese herausragenden Unternehmerpersönlichkeiten werden die ersten Präsidenten der „Chambre consultative de Crefeld“, F. H. von der Leyen von 1804 bis 1805 und Gottschalk Floh von 1805 bis 1814. Schon damals werden von der Kammer „Innovations­ preise“ zur Stimulation und Demonstration der Wirtschaftskraft ausgelobt und vergeben. Als Mitglieder der Jury kann den Krefelder Fabrikanten keine Medaille zuerkannt werden, so sollen sie aber mit „diesem feierlichen Lob eine Ermutigung und eine würdige Entschädigung für ihre Arbeiten und ihre Industrien finden.“ Den Herren Dilthey und Co, Leinenhersteller aus Rheydt, wird dagegen eine Goldmedaille zugesprochen: „Was den einzigartigen Verdienst dieser Manufactur bescheinigt, die in diesem Land erst seit fünf oder sechs Jahren existiert, ist das rasche Wachstum, das sie seit wenigen Jahren erfährt und das derartig ist, dass die Fabrikanten Mühe haben, die Zahl der Arbeiter zusammen zu suchen, die für die Herstellung der bei ihnen bestellten Artikel notwendig sind. Ein anderer Umstand macht diese Manufaktur noch kostbarer, nämlich, dass sie nur einheimische Rohmaterialien verarbeitet.“ 6

5 Ladoucette, S. 329, S. 60, S. 64 6 ebenda 14  15


Abb. 2 Goldmedaille f端r die Firma Dilthey & Co


Die Textilindustrie ist der Ursprung und Motor für die Industrialisierung. Die meisten anderen Industrie- und Wirtschaftszweige ergeben sich daraus. Flachs dient als Rohstoff für die Leinenproduktion. Der Anbau von Flachs und dessen Verarbeitung sind wichtige Einnahmequellen der Bevölkerung in Mönchengladbach.7 In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist das „Verlegersystem“ die Basis für die lohnintensive Textilindustrie. Die Verleger treten an die selbstständigen Weber heran, geben ihnen Leinengarn zum weben und bezahlen für das fertige Produkt, welches der Verleger weiter verkauft. Der Verleger hat sein Ohr am Markt, erkennt den Wandel in der Mode und bei den Ansprüchen und nimmt Einfluss auf die Produkte, indem er zum Beispiel statt Leinengarn Seidengarn an die Weber übergibt und sie mit Webstühlen ausstattet, die für diese feineren Produkte geeignet sind. Das Verlagssystem – auch Hausindustrie genannt – ist eine Betriebsform, bei der Arbeiter in den eigenen Wohnungen und Werkstätten beschäftigt werden. Anfang des 19. Jahrhunderts benötigte eine Seidenweberei keine großen Werksäle. Der Fabrikant wickelte die Geschäfte in seinem Haus ab. Wichtig war, dass er kaufmännisch agierte, technisches Verständnis besaß und den Geschmack der Menschen traf. Und seine Arbeiter mussten vor allem geschickt sein.8 Der Handwebstuhl steht im Hause des „Baas“ (Meisters), der Knechte und Gesellen beschäftigen kann. Baas kann jeder Knecht werden, der sechs Jahre ununterbrochen in seinem Fach gearbeitet hat. Der Verleger muss jedoch damit einverstanden sein, heute würde man von einer Akkreditierung sprechen. Für die handwerkliche und gewerbliche Ausbildung entstehen in Gewerbeordnungen Regeln, die zu neuen Berufsbildern führten. Im 19. Jahrhundert verändert sich die Welt. Das Gebiet zwischen Rhein und Maas fällt durch den Wiener Kongress (1814) an Preußen. Allerdings wird östlich der Maas ein Sicherheits­ abstand von der „ Breite eines Kanonenschusses“ eingerichtet, der noch heute als Grenze zu den Niederlanden erkennbar ist. Eine neue Wettbewerbssituation entsteht, der durch Mechanisierung und Neuordnung der Arbeitswelt begegnet werden kann. Das System Knecht – Geselle – Baas – Verleger hat ausgedient und wird durch Fabrikhallen mit automatisierten Jacquardstühlen ersetzt, die dem Fabrikanten gehören, der auch das notwendige Kapital aufbringen muss.

7 Informationen dazu im Flachsmuseum „Flaasbeek“ in Wegberg-Beek im Zentrum des ehemals großen Flachsanbaugebietes; http://www.Flachsmuseum.de 8 Rouette, S. 83; Bauert-Keetmann, I.: 150 Jahre Schlieper, Wülfing & Söhne, Seidenweberei Hochdahl bei Düsseldorf 16  17


Abb. 3 Der Seidenweber Meister Ponzelar


Bildungsanspruch durch Umbruch im Textilbereich Der entscheidende Faktor für die Industrialisierung bleibt die Textiltechnologie. Zur Lebensfrage wird dabei der „Rohstoff Wissen“. Die Fabriken brauchen qualifiziertes Personal, das fachlich tiefer in die immer komplexer werdenden Technologien eindringt und einen größeren Bereich der textilen Fertigungskette überblickt. Die Zeit ist reif für anspruchsvollere Ausbildungsformen. In der Mitte und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstehen höhere Bildungseinrichtungen für die Textilindustrie in Wuppertal, Köln, Krefeld und Aachen.9 Den Anfang macht 1844 die Webschule im Verein für Kunst und Gewerbe in Barmen / Elberfeld, die jedoch 1868 bereits wieder geschlossen wird, 1851 wird die Höhere Webeschule Köln Mühlheim gegründet, 1855 folgt die Höhere Webeschule Krefeld. Dr. Walter Wagner, Direktor der Textilingenieurschule Krefeld im Jubiläumsjahr 1955, beschreibt in seinem Rückblick die Situation der Gründer in Krefeld. „Schulen unserer Art wird man nur fordern, wenn die Not­wendigkeit dazu zwingt, wenn also bei einer erstarkenden, sich mächtig ausdehnenden Industrie die Frage nach dem Nachwuchs leitender Persönlichkeiten sich zu einer Lebens­frage für den Betrieb auswächst, wenn es ihr in Auswir­kung neuer technischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfindungen und der daraus zwangsläufig resultieren­den Spezialisierung nicht mehr möglich ist, aus eignem Mit­ gliederstab und in eigner Werkschulung die erforderlichen Kräfte zu gewinnen. Diese Zwangslage war in Krefeld gegeben, als die textilen Betriebe um die Mitte des vorigen Jahrhun­derts innerhalb weniger Jahre zahlenmäßig und vor allem dem Umfang nach mehr und mehr zunahmen und die Produktion für den Inlandsbedarf um die ständig wachsende Exportproduktion gesteigert werden musste“. 10

Dennoch muss Überzeugungsarbeit geleistet werden. Die Handelskammer startet eine Initiative und richtet am 17.August 1849 einen Brief an den Krefelder Oberbürger­meister: „Das Bedürfnis nach einer solchen gewerblichen Lehranstalt ist immer fühlbarer geworden, sodaß es zu einer unabweisbaren Pflicht wird, jedem Industriellen und Handwerker die Gelegenheit zu bieten, sich ohne zu große Kosten eine Ausbildung verschaffen zu können, welche es ihm möglich macht, mit den Anforderungen der Zeit gleichen Schritt zu halten“ 11

Noch im gleichen Monat wird die Errichtung der Provinzial-Gewerbeschule zu Krefeld beschlossen. 1853 soll die Gewerbeschule textile Aufgabengebiete auf den Lehrplan setzen. Weil aber dafür die nötigen Ausbildungseinrichtungen und qualifizierte Lehrer fehlen, erfolgt schnell der nächste Schritt der Handelskammer: Die Herren von Brock, Sohmann, Schneider und von Heimendahl (Präsident Handelskammer Krefeld 1827–1890) fordern am 30. Januar 1854 vom Krefelder Oberbürgermeister Heinrich Onderdeyck, eine Textilschule ins Leben zu rufen. Die Stadt beauftragt den Vorstand der Provinzial-Gewerbeschule, den Antrag zu stellen.

9 W. Schmidt/J. Schram, 150 Jahre Fachbereich Chemie und Hochschule Niederrhein, in: 1855–2005: Von der Höheren Webeschule zu Crefeld zur Hochschule Niederrhein, S. 10. 10 Wagner, 100 Jahre Textilingenieurschule Krefeld, in: 100 Jahre Textilingenieurschule Krefeld, S. 17–18. 11 W. Schmidt/J. Schram, 150 Jahre Fachbereich Chemie und Hochschule Niederrhein, S. 8. 18  19


Abb. 4 Aufruf zur Gr端ndung einer privaten Webeschule nach Lyoner Art (1847)


Am 14. Mai 1855 genehmigt der preußische Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeit in Berlin die neue Schule, und am 1. Oktober 1855 nimmt die „Crevelder Höhere Webschule“ offiziell den Lehrbetrieb mit den Abteilungen Weberei und Musterzeichnen auf. Es ist, von heute aus gesehen, die Geburtsstunde der Hochschule Niederrhein. Vorangetrieben hatten die Gründung der Webeschule vor allem drei Herren, deren Namen heute noch auf Straßenschildern in unmittelbarer Nähe zum Campus Krefeld Süd prangen. Ludwig Friedrich Seyffardt (1827–1901) war Seidenfabrikant und Beigeordneter der Stadt Krefeld. Oberbürgermeister Onderdeyck war Vorsitzender des Vorstandes der ProvinzialGewerbeschule zu Crefeld, die den formellen Antrag bei der königlichen Regierung in Düsseldorf und beim Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten in Berlin stellte, eine eigenständige Seidenwebeschule zu errichten. Emil vom Bruck (Präsident der IHK Krefeld von 1848–1851 und 1855–1862) war Vorstandsmitglied des Antrag stellenden Gremiums. 12 Aber zurück ins Jahr 1855. Der Start der neuen Schule ist holprig. Es fehlt ein eigenes Gebäude und vor allem eine unabhängige handlungsfähige Struktur. Die neue „Höhere Webschule“ ist im Gebäude der „Provinzial-Gewerbeschule“ untergekommen. Starke personelle Verknüpfungen führen zu Kompetenzproblemen. 1858 meldet sich nur noch ein Schüler an. Ist der Unterrichtsstoff zu eng auf das Thema Seide beschränkt? Ist die Aufnahme neuer Schüler nur einmal im Jahr zu wenig? Ist die Disziplin zu streng? Die Studienbeiträge in Form von Schulgeld betragen 40 Taler im Jahr. Für Fabrikantenkinder ist es kein Problem die Summe aufzubringen, schwieriger jedoch für die mittellosen, aufstrebenden jungen Leute. Allerdings gibt es die Möglichkeit der Schulgeldbefreiung und eines Stipendiums. Die Alternative für finanzkräftige Fabrikantenkinder sind leistungsstarke ausländische Bildungseinrichtungen, wie in Lyon. 1858 ist das Projekt „Seidenwebeschule“ eigentlich am Ende, aber einige rührige Lehrer kämpfen um ihre Existenz. Eine private Fortbildungsanstalt in Form einer Abendschule ist die vorläufige Rettung. Auch andere Webeschulen in der preußischen Rheinprovinz haben keinen Erfolg. 1868 wird die königliche Webschule Elberfeld geschlossen, weil sich kaum noch Schüler anmelden. Einrichtungen und Maschinen erhält die Krefelder Webschule. Köln/Mühlheim wird 1901 nach Mönchengladbach/Rheydt verlegt. Die Crefelder Höhere Webschule lebt weiter. Sie wird 1873 selbstständig und zieht in das neu hergerichtete Leihamt der Stadt Krefeld.

12 Porschen/IHK, S. 15 20  21


Abb. 5 Architekturzeichnung der„Webe-, Färbereiund Appreturschule”


Interdisziplinarität gegen Strukturkrise Am 13. Mai 1878 beschließt die Krefelder Handelskammer, beim königlichen Handels­ ministerium den Antrag zu stellen, „die städtische Webeschule zu reorganisieren und zwar zu einer Staatsanstalt als kunstgewerbliche Fachschule für die Textilindustrie nach dem Muster der im Ausland befindlichen Anstalten zu erweitern“. Die Handelskammer weist darauf hin, dass es der deutschen Seidenindustrie gelungen sei, sich bei den „glatten Artikeln“ gegenüber der Konkurrenz aus Frankreich durchzusetzen. Bei den „gemusterten Geweben“ sei dies jedoch schwieriger. Hier zeige sich die Schwäche der Krefelder, die vor allem in ihrer Einseitigkeit liege. „Es fehlte jedoch überall an geschulten Kräften, Werkmeistern, Zeichnern und an all dem Material, wodurch Frankreich zu so ausgezeichneten Leistungen befähigt sei“, schreibt Wagner im Jahr 1955. Dieser Einseitigkeit, eine gefährliche Strukturschwäche der Krefelder Seidenindustrie, kann nur durch breite interdisziplinäre Qualifizierung des Fach- und Führungspersonals beseitigt werden. Dazu ist die „Seidenwebeschule“ in über zwei Jahrzehnten mit ihren nie ausgeräumten Defiziten durch die teilweise unhaltbaren Zustände bei der Sach-, Raum-, und Personalausstattung nicht in der Lage. Deshalb wird 1878 auf Betreiben der Kammer eine Enquete-Kommission unter Beteiligung der Stadt Krefeld, der königlichen Staatsregierung in Düsseldorf und des Handelsministerium in Berlin eingerichtet. Der Antrag und die Bemühungen der Handelskammer sind erfolgreich: 1881 wird aus der städtischen „Seidenwebeschule“ eine „Staatsanstalt“. 1883 wird endlich ein Neubau an der heutigen Lewerentzstraße erstellt, eine Entschädigung für die vielen räumlichen Notlösungen der vergangenen Jahre. In das Gebäude zieht eine neue Schule, die Königliche Webe-, Färberei und Appreturschule. „Dem früheren Vorschlag der Handelskammer entsprechend wurden nunmehr alle Zweige der Textilindustrie in den Rahmen der Bearbeitungsgebiete einbezogen. Wie die Neubezeichnung der Schule besagte, beschränkten sich die Arbeitsgebiete also nicht mehr auf die webtechnischen und damit verbundenen Gebiete, wie Musterzeichnen etc.; in klarer Erkenntnis der Notwendigkeit wurde auch eine Ab­teilung für Färberei und Appretur angegliedert. Eine solche Gründung bedeutete etwas absolut Neues. Nirgendwo existierte eine ähnliche Institution, und es gab daher auch keinerlei Erfahrungen, auf die man sich hätte stützen können. Die für diese Gründung Verantwortlichen bewiesen damit außergewöhnlich vorausschauendes Gefühl für das Notwendige wie auch wagenden Mut. Das Erscheinen der Anilin-Farbstoffe in der Färberei, die zahllosen Erfindungen auf dem Gebiete der Chemie und der damit verbundene ständige Wechsel der Veredlungsverfahren, die neuartige Methode der Seidenerschwerung setzten für die Vered­lungsprozesse nunmehr umfangreiche Kenntnisse in der Chemie voraus gegenüber der mehr handwerksmäßigen Arbeit der bisherigen Arbeitsmethoden. Eine Ausbildung in diesem Sinne fehlte gänzlich. Die Neugründung sollte diesem Mangel abhelfen“, schreibt Wagner.13 Leiter der neuen Abteilung wird am 1. Oktober 1883 Dr. Heinrich Lange. Ab 1895 wird er Direktor der selbstständigen Schule.

Die Gründung im Jahr 1883 ist ein vorausschauender „großer Wurf“. Die „Königliche Webe-, Färberei und Appreturschule“ ist die fachliche Vorläuferin der heutigen Fachbereiche „Chemie“ und „Textil- und Bekleidungstechnik“, die noch heute die beteiligten Firmen mit Absolventen und Wissenstransfer versorgen.

13 Wagner, 100 Jahre Textilingenieurschule Krefeld, S. 17-18. 22  23


Die „Chemische Revolution“ fordert Bildungsreformen „Wer webt, muss auch färben, er bemüht sich, den Stoff haltbar zu machen, und sorgt sich, dass er auch gereinigt und gewaschen werden kann und dabei möglichst lange hält und farbecht bleibt“ 14

Diese Erkenntnisse haben der Kaufmann Friedrich Bayer und der Färber Johann Friedrich Weskott verinnerlicht, als sie im August 1863 die offene Handelsgesellschaft „Friedrich Bayer et comp“ ins Handelsregister beim Amtsgericht Elberfeld eintragen lassen. Zweck der Gesellschaft: die Produktion von Anilinfarbstoffen.15 Es ist die Geburtsstunde eines ChemieWeltkonzerns. Friedrich Bayer entstammt einer Seidenwirkerfamilie in Barmen. Dort lässt er sich in einer Chemiekalienhandlung zum Kaufmann ausbilden, bis er 1948 einen eigenen Handel mit Naturfarbstoffen und Hilfsprodukten für die Färberei beginnt. Frierich Weskott geht aus einer Bauernfamilie hervor, die im Nebenerwerb das Gewerbe des Bleichens betreibt. Friedrich Weskott macht sich nach einer Färberlehre mit einer Baumwollstrangfäberei selbständig. 1865 wird in Mannheim die Badische Anilin und Sodafabrik (BASF) von Friedrich Engelhorn gegründet. Diese Gründung geht nicht aus der Textilindustrie, sondern der „Badischen Gesellschaft für Gasbeleuchtung“ hervor. Allerdings hat man erkannt, dass bei der Leuchtgasgewinnung durch Verkokung auch Steinkohlenteer anfällt, welches zur Herstellung von wertvollen Teerfarbstoffen genutzt werden kann. So werden die Bedürfnisse der Textilindustrie aufgegriffen und damit der Grundstock für einen weiteren Chemie-Weltkonzern gelegt. Auch in Krefeld beginnt man mit der Herstellung künstlicher Farbstoffe. Edmund ter Meer gründet 1877 in Uerdingen am Rheinufer eine Teerfarbenfabrik.16 Der Gründer stammt aus der Textilbranche. Sein Vater Hermann ter Meer ist Seidenfabrikant in Krefeld. Es ist der Textilindustrie und der Initiative von Edmund ter Meer zu verdanken, dass Krefeld mit dem späteren Bayerwerk in Uerdingen ein bedeutendes wirtschaftliches Standbein erhält. Die Zeit ist reif für die Entwicklung der Farbenindustrie, für die Textilveredlung und für die Entwicklung der Chemischen Industrie überhaupt. Allerdings stellen die damaligen etablierten Bildungseinrichtungen im tertiären Bereich, die traditionellen Universitäten, ihr naturwissenschaftliches Grundlagenwissen nicht in den Dienst der technischen Anwendung. Für diese Aufgaben werden Polytechnische Schulen gegründet. Die Anerkennung der Polytechnischen Schulen/ Technischen Hochschulen/Technische Universitäten wird teils sachlich, teils polemisch diskutiert. So preisen Vertreter von Universitäten und Polytechnischen Schulen die Vorzüge und Leistungen der jeweiligen Einrichtungen. Die Universitäten berufen sich auf die Idee der zweckfreien Bildung und der reinen Wissenschaft, während die Technischen Hochschulen die Konzeption der praxisbezogenen Bildung verfolgen. Unwissenschaftlichkeit beziehungsweise Lebensfremdheit sind die gegenseitigen Vorwürfe. In einer Eingabe aus Hannover heißt es über die Polytechnischen Schulen: „Sie führen die Wissenschaften dem praktischen Leben zu, welches die Universitäten zu verschmähen gewohnt sind.“ 17

14 Schmidt/Schram, 150 Jahre Fachbereich Chemie und Hochschule Niederrhein, S. 13. 15 Bayer, Meilensteine, S. 24 16 Porschen/IHK, S. 98 17 König, S. 2 , (dort wird zitiert nach Universität Hannover 1981,Festschrift zum 150 jährigen Bestehen, S. 58)


Erst 1870 gründet der preußische Staat eine Polytechnische Schule im Rheinland, aus der zehn Jahre später die Rheinisch Westfälische Technische Hochschule (RWTH) in Aachen hervorgeht.18 Am Anfang stehen die drei technischen Fakultäten für Bergbau und Hüttenwesen, für Maschinenwesen und für Architektur und Bauingenieurwesen, sowie die Fakultät für die allgemeinen Wissenschaften (Mathematik und Naturwissenschaften). Die fachliche Ausrichtung der Fakultäten berücksichtigt eher die industrielle Entwicklung des Ruhrgebietes und des Aachener Kohlereviers als die des Gebietes mit überwiegend textiler Ausrichtung zwischen Maas und Rhein. Auch ist der Preußische Staat mit der Gründung in Aachen recht spät dran. In Paris (1794), Prag (1806), Wien (1815), Berlin (1821), Karlsruhe (1825), München (1827), Dresden (1828), Hannover (1831) Braunschweig (1835), Darmstadt (1836) und Chemnitz (1836) werden Polytechnische Schulen schon viel früher gegründet. 19 In Krefeld erkennt man derweil die Zeichen der Zeit: Seit Gründung der Webschule steht Chemie auf dem Lehrplan, natürlich mit der gezielten Anwendung auf Färben und Veredeln von Textilien, besonders von Seide, wie die Industrie es fordert und braucht. Schließlich geht die Initiative zur Gründung von der IHK Krefeld aus, und dort haben zu jener Zeit die Seidenfabrikanten das Sagen. Das öffentliche Interesse an der neuen Webeschule ist groß. Schließlich hatte man im Sinne der Wirtschaftsförderung ein hohes Ziel, eine „eigene Webeschule“. 1855 wurde dieses Ziel zumindest formal erreicht. Der entscheidende inhaltliche Durchbruch gelingt jedoch erst 1883, als man das Unternehmen „Seidenwebeschule“ umwandelt in eine „Staatsanstalt“ mit einem breiten interdisziplinären Angebot in Lehre und Technologietransfer und diese „Königliche Webe-, Färberei und Appreturschule“ nennt. Prof. Dr. Heinrich Lange, Leiter der Färbereischule 1883–1920, schrieb für die Jubiläumsschrift „ 75 Jahre Färbereischule Krefeld“: „… Die Schüler waren zum Teil Söhne von Industriellen, die später in das elterliche Geschäft eintraten. Der andere Teil fand durchweg gute Anstellung als Meister, Färbereitechniker und Kolorist in Bleichereien, Färbereien, Druckereien, Appre­turanstalten und Farbenfabriken. Es waren unter den Schü­lern auch solche, die sich für spezielle Gebiete auszubilden wünschten, z. B. für die Strohfärberei, für die Lederfärberei, für das Färben von Papier, Holz, Pelzen, Federn usw. Die Beziehungen der früheren Schüler zur Schule sind stets recht innige und angenehme gewesen; vielen hat die Schule auch später noch mit Rat und Tat in mannigfacher Weise zur Seite stehen können.“

Drittmitteleinnahmen, also eigene Einnahmen der Schule, spielen bei der Kostendeckung eine wichtige Rolle. Die „Staatsanstalt“ kann natürlich auf staatliche Zuschüsse zurück­ greifen. Im Sinne der Wirtschaftsförderung beteiligen sich aber auch die Stadt und die Handelskammer. Schulgeld wird ebenfalls erhoben. Man hat begriffen, dass es Technologietransfer, Bildung und Ausbildung von Fach und Führungskräften nicht zum Nulltarif gibt. „ Bezüglich Deckung der Kosten sei erwähnt, daß die nicht durch die eigenen Einnahmen der Schule aufgebrachten Mittel bis zum Jahre 1889 zur Hälfte vom Staat, zu einem Viertel von der Stadt getragen wurden; das letzte Viertel trug die Handelskammer zu Crefeld. Von diesem Jahre an bis 1901 übernahm der Staat 3/4, die Stadt 1/4 und seit 1901 trägt der Staat 2/3 und die Stadt 1/3 des erforderlichen Zu­schusses.“ 20

18 Walter, R / Rauhut B. , S. 4 19 Schmid/Schram, 150 Jahre Fachbereich Chemie und Hochschule NIederrhein, S. 7. 20 Lange, Entwicklung der Färberei- und Appreturschule in Krefeld, in: 75 Jahre Färbereischule Krefeld, S. 13-15. 24  25


Trotz Studienbeiträgen – Preußen zahlen 200 Mark im Jahr, andere Deutsche 300 und Ausländer 600 – ist die Nachfrage nach Studienplätzen größer als die vorhandene Kapazität. „Die von der Färberei- und Appreturschule benutzten Räume hatten sich schon lange als unzulänglich erwiesen; es mußten sogar vielfach die zum allgemeinen Gebrauch be­nutzten Abzüge den Schülern als persönliche Arbeitsplätze zugewiesen werden. Die Färberei und Appretur war zu klein, um noch Maschinen und Apparate aufstellen zu können, und wenn auch im Laufe der Zeit ein kleiner Raum für die Druckerei hinzukam, so war doch eine weitere Ausdehnung der Schule nicht mehr möglich. Es mußten in jedem Schul­halbjahr sich meldende Schüler zurückgewiesen werden. Diese Übelstände bildeten die Veranlassung, den Bau einer neuen Schule zu erwägen und Pläne hierfür auszuarbeiten.“ 21 Der Oberbürgermeister der Stadt Krefeld schreibt deshalb 1889 an Reichskanzler Fürst Bismarck. Der Krefelder Fabrikant Bongardts stellt das Grundstück Adlerstraße 32 kostenlos für einen Neubau der Abteilung „Färberei und Appretur“ zur Verfügung. Der Staat lässt sich überzeugen und bezahlt den Bau und die Erweiterung der inneren Einrichtung. Der Neubau Adlerstraße 32 wird gebaut und 1895 bezogen. Aus der Abteilung wird eine selbständige Schule: die „Königliche Färbe­rei und Appreturschule zu Crefeld.“ Zum Direktor dieser Schule wird der bisherige Leiter Dr. Heinrich Lange ernannt. Lange schrieb: „Ebenso ist für die Appretur eine eingehendere Kenntnis der Appretur­mittel und der vielen sonstigen hier benutzten Chemikalien notwendig, als sie durch die Praxis allein erworben werden kann. Kurz, die TextilVeredlungs-lndustrie kann jetzt che­misch-technische und maschinen-technische Kenntnisse nicht mehr entbehren. Es kann nur dann eine Industrie sich sicher und selbständig weiterentwickeln, wenn Theorie und Praxis Hand in Hand arbeiten und eine innige Vereinigung zwischen beiden besteht.“ Mit diesem Plädoyer für die Berufsqualifizierung für mittelständische Betriebe und die Verknüpfung von Theorie und Praxis, Anfang des 20. Jahrhunderts formuliert, könnte Prof. Dr. Lange noch heute in die Debatte über die Ausgestaltung von Bachelor-Studien­ gängen eingreifen.

Das „Rheinische Manchester“ nutzt seine Chancen Die Region am linken Niederrhein hat von der „Franzosenzeit“ kräftig profitiert. Das Rurdepartement wurde zu einem der industriestärksten Gebiete Frankreichs.22 Aber der Wettbewerb wird nach der Übernahme durch Preußen und der Aufhebung der Kontinentalsperre gegen England stärker. Die Strukturprobleme werden gelöst, indem man im Gebiet rund um Mönchengladbach von der Flachs- auf die Baumwoll­verarbeitung umstellt. Oberstudiendirektor Dr. Eigenbertz, gibt im „Programm der Textilingenieurschule Mönchengladbach“ zum WS 1959/60 einen „Geschichtlichen Überblick“ über „Die Lehranstalt und ihre Einrichtungen“:

21 ebenda 22 Jansen-Winkeln, S. 58–60


Abb. 6 Prof. Dr. Heinrich Lange

26  27


 

Abb. 7 Färberei und Appreturschule


„… So entwickelte sich beispielsweise im niederrheinischen Gladbach-Rheydter Gebiet seit Ende des 18. Jahrhunderts das heute sehr vielseitige Textilgewerbe ursprünglich aus dem dort schon frühzeitig blühenden bodenständigen Leinengewerbe. Nach den napoleonischen Kriegen gelangte das Leinengewerbe des preußisch gewordenen linken Niederrheins immer mehr unter den Konkurrenzdruck des bes­seren und billigeren englischen Maschinengarnes und wurde gleichzeitig auch dem Wettbewerb des wohlfeile­ren schlesischen Leinengewebes ausgesetzt. Das Leinengewerbe ging am linken Niederrhein immer mehr zurück. Um dem gelernten Textilarbeiter seine Existenzgrundlage zu erhalten, wurde hier seinerzeit die Verarbeitung der Baumwollfaser in größerem Umfange aufgenommen. Neben der Baumwolle gelangte seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts auch die Reißwolle im hiesigen Bezirk als industriell verwertbares Fasergut zur Verarbeitung. Nach dem ersten Weltkrieg räumte die Reißwolle der reinen Wollverarbeitung einen immer größeren Umfang ein. Das Gladbach-Rheydter Industriegebiet gehört heute 23 zu den bedeutendsten Faserstoffverarbeitern der Bundesrepublik. In der Hauptsache werden hier Baumwolle und Wolle verarbeitet.“ 24 „Der Aufstieg Mönchengladbachs zur modernen Industriegroßstadt beginnt im Jahre 1855 mit der Eröffnung der „Gladbacher Aktienspinnerei und Weberei“. … Die Baumwollweberei war auch schon vor der Franzosenzeit in Gladbach heimisch gewesen. Begünstigt durch die französische Planwirtschaft und ihren Protektionismus hatte sie sich vor allem durch die Manufakturgründungen rechtsrheinischer Unternehmen aus dem Bergischen kräftig entwickelt.“ 25

Im 1972 restaurierten Gebäude am Platz der Republik ist heute ein Berufskolleg untergebracht. Nach einer Denkschrift des Preußischen Ministers für Handel und Gewerbe von 1896 wollte der Preußische Staat mit Gründung und Ausbau von Schulen die Qua­lität der Führungskräfte verbessern und das Schulwesen neu ordnen. Er baute einen Teil bereits vorhandener Webeschulen aus, andere wurden geschlossen oder verlagert. Die Region Mönchengladbach hat ihre Chance zur Errichtung einer eigenen „höheren Webeschule“ gesehen und genutzt. Es wird unterschieden zwischen einer gewerblichen Aus- und Weiterbildung und einer höheren, praxisnahen Ausbildung für Fach- und Führungskräfte. Nach Verhandlungen zwischen der Handels­kammer, den Stadtverordnetenversammlungen von Mönchengladbach, Rheydt, Odenkirchen und den Gemeindevertretungen von Gladbach Land, Wickrath und Hochneukirch sowie dem Regierungspräsidenten­und dem Kommissar des Handelsministers wird 1897 grundlegende Einigkeit insbesondere über die Kostendeckung erzielt.Durch Übersiedlung der höheren Webschule Köln–Mühlheim nach Mönchengladbach/Rheydt entsteht im Jahre 1901 die „Preußische Höhere Fachschule für Textilindustrie in München-Gladbach“.

23 Text aus dem Jahre 1959 24 Eigenbertz, Textilingenieurschule M. Gladbach-Rheydt, S. 5–7 25 Jansen-Winkeln, S. 60 28  29


Abb. 8 Flachskuhlen in der Bockerter Heide bei Viersen


Die neue „Preußische Höhere Fachschule für Textilindustrie“ hat bereits im Namen zwei Attribute, die für Chancen und Verpflichtung bei der weiteren Entwicklung stehen. Es ist eine „höhere Bildungsanstalt“ hinter der „der Staat“ steht. In Krefeld hat man die Wichtigkeit dieser Attribute bereits erfahren.

Die neue „staatliche Einrichtung“ entspricht den hohen Erwartungen und entwickelt sich zur Drehscheibe für den Technologie- und Wissenstransfer im Raum Mönchengladbach. Ergänzend zum bereits stark entwickelten Textilbereich der Faden- und Flächenerzeugung spielt die neue „Höhere Fachschule“ eine herausragende Rolle beim Aufbau und der Etablierung der Bekleidungsindustrie. 26

Angeschlossene Institute und Abteilungen Im Jahre 1910 wird die „Öffentliche Prüfstelle für Spinnstoffe“ und 1912 das „Warenprüfungsamt für die Bekleidungsindustrie“ gegründet. Man braucht Qualitäts-Standards und Qualitätskontrollen anhand von reproduzierbaren Kriterien. Das Warenprüfungsamt nimmt Einfluss auf die Grö­ßenbestimmungen für die Bekleidungsindustrie und arbeitet eng mit dem „Bekleidungstechnischen Institut“ zusammen, welches noch heute vom Förderverein des Fachbereichs Textil- und Bekleidungstechnik betrieben wird. Die „Öffentliche Prüfstelle für das Textilwesen (ÖP)“ im Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik der Hochschule Niederrhein ist heute eines der wenigen öffentlichen Prüfinstitute für das Textilwesen in Deutschland. Die ÖP ist Qualitätspartner der Textil- und Bekleidungsindustrie, sowie von Handel, Behörden und Verbänden. Daneben entwickeln sich noch weitere angeschlossene Institute und Abteilungen. Die Lohnberechnungsstelle für die Bekleidungsindustrie ermittelt für öffentliche und private Auftraggeber die Löhne für Herrenoberbekleidung, Burschen- und Knabenbekleidung, Berufs- und Sportbekleidung, Wäsche und Uniformen. Die Schnittmusterabteilung fertigt Serien- und Einzelschnittmuster für Herren-, Burschen- und Knabenoberbekleidung, Damen­oberbekleidung, Berufsbekleidung, Uniformen und Wäsche an. Das Betriebswirtschaftliche Institut für die Textilindustrie und das Bekleidungstechnische Institut werden 1948 gegründet; sie sollen arbeitswissenschaftliche und maschinentechnische Arbeiten entwickeln und Refa-Arbeiten fördern.27 1950 schließlich entsteht das Forschungsinstitut der Hutindustrie; dort sollen praktische Forschungen auf dem Gebiet der Herstellung von Filzen unter Verwendung von tierischen Haaren und synthetischen Fasern geleistet werden.28 Diese Einrichtungen sind organisatorisch oder durch Personalunion mit der „Höheren Fachschule für Textilindustrie“ verbunden. Initiiert werden sie durch die Wirtschaft, die als Gegenleistung Impulse und Dienstleistungen erhält.

26 Rouette, Seide und Samt, S. 53 27 Prof. Dr. Klinke, langjähriger Dekan des Fachbereichs Textil- und Bekleidungstechnik, steht noch heute dem entsprechenden REFA Verband vor. 28 Eigenbertz, Textilingenieurschule M. Gladbach-Rheydt, WS 1959/60. S. 5-7. 30  31


Abb. 9 Typischer Hausweber im Viersener Flachsland


Abb. 10 Restauriertes Gebäude der Gladbacher Aktienspinnerei und Weberei

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Abb. 11 Preuร . Hรถhere Fachschule f. Textilindustrie Mรถnchengladbach/Rheydt vor 1912


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Abb. 12 Textilingenieurschule MG – Ringspinnerei


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Abb. 13 Textilingenieurschule MG – Schlichterei


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Abb. 14 Textilingenieurschule MG – Websaal


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Bekleidungstechnik Die „Preußische höhere Fachschule für Textil-Industrie in München-Gladbach“ begleitet die Entwicklung, indem sie 1912 eine Konfektionsabteilung gründet, zunächst nur für die HakaIndustrie (Herren- und Knabenoberbekleidung) und später auch für die Damenoberbekleidung, Wäsche sowie Berufs- und Sportbekleidung. Höhere Fachschulen für die Bekleidungsindustrie entstehen später auch in Köln (1946) und Bielefeld (1952), die 1971 bei der Gründung der„Fachhochschule Niederrhein“ in den Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik in Mönchengladbach integriert werden. Dr. Eugen Eigenbertz beschreibt die Entwicklung der angegliederten „Höheren Bekleidungsfachschule“ in Mönchengladbach: „Der im Jahre 1912 zur Nachwuchsschulung des ortsan­ sässigen Bekleidungsgewerbes ins Leben gerufene zu­nächst 3 monatige und später 1 semestrige Ausbildungskurs für Konfektionäre, Zuschneider, Bügler und Nähe­rinnen wurde im Jahre 1932 einem Erfordernis der Zeit entsprechend unter gleichzeitiger Reorganisation des Lehrplanes auf 2 Semester verlängert. Die Besucherzahl stieg in den folgenden Jahren ständig; die Besucher kamen nicht mehr nur aus dem niederrheinischen Wirt­schaftsgebiet, sondern in zunehmendem Maße aus allen Bekleidungszentren Deutschlands, insbesondere aus Ber­lin, Stettin, Königsberg, Aschaffenburg, Bielefeld und Herford.29 Im Laufe der Zeit entwickelte sich aus der ,,Konfektionsabteilung“, die die einzige Ausbildungs­stätte ihrer Art an den deutschen Fachschulen blieb, die heute 30 zu einer ganz besonderen Bedeutung gelangte ,,Höhere Bekleidungsfachschule“. In ihr werden neben dem Fabrikantennachwuchs heute außer Bekleidungsinge­nieuren und -technikern auch Zuschneider, Werkmeister, Betriebs- und Werkstattleiter sowie Direktricen ausge­bildet. Im Jahre 1940 wurde die 2 semestrige Ausbildung auf 4 Studiensemester verlängert.“

Bei der Gründung der Fachhochschule Niederrhein im Jahre 1971 wird die inzwischen zur „Staatliche Ingenieurschulen für Textilwesen“ aufgestiegene Einrichtung in Mönchengladbach mit der „Abteilung für textile Kunst“ und dem „Textil-Technologischen Bereich“ der „Staatlichen Textilingenieurschule“ in Krefeld vereint. Hinzu kommen die Höheren Fachschulen für die Bekleidungsindustrie in Köln und Bielefeld. In den Jahren 1971/72 werden im Rahmen von Konzentrationsmaßnahmen die Einrichtungen in Aachen und Wuppertal ebenfalls nach Mönchengladbach übersiedelt. So entsteht aus der Region heraus der Fachbereich „Textil- und Bekleidungstechnik“ der heutigen Hochschule Niederrhein mit seiner überregionalen und internationalen Ausstrahlung, einzigartig in NRW und in Deutschland mit seiner Kompetenz von den Faserrohstoffen bis zu den fertigen Produkten für modische Bekleidung und textile Werkstoffe für technische Anwendungen.

29 Eigenbertz, Textilingenieurschule M.Gladbach-Rheydt, S. 5-7. 30 Text aus dem Jahre 1959


Abb. 15 Textilingenieurschule MG – Schnittkonstruktion und Modellentwurf

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Abb. 16 Textilingenieurschule MG – Schnittkonstruktion und Modellentwurf


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Abb. 17 Textilingenieurschule MG – Fließband für Dob


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Abb. 18 Dienstleistungen f端r die Region: Textilingenieurschule MG, B端gelei


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Kreativität als Marketingfaktor Die Werkkunstschule „Krefeld hatte im Jahr 1887 eine Einwohnerzahl von 100.000 erreicht und war somit Großstadt geworden. Seine rührige und wache Bürgerschaft, die sich in unzähligen Vereinen politisch, wirtschaftlich, sozial und vor allem kulturell engagierte, hatte schon 1860 einen »Handwerker- und Bildungsverein« gegründet. Das Kaiser Wilhelm Museum, das 1897 eröffnet wurde, war der Bürgerschaft zu verdanken. Die Notwendigkeit eines Museums hatte sich im Zusammenhang mit Ausstellungen des Krefelder Kunsthandwerks erwiesen….“

Roswitha Hirner beschreibt aus Anlass des 100 Jährigen Jubiläums (2004) die Ausgangs­ situation für die Gründung der Werkkunstschule, der Vorläufereinrichtung des heutigen Fachbereichs Design. „ …Kunsthandwerk und Kunstgewerbe – beides sind Begriffe, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden waren, nachdem vor allem englische Kritiker wie John Ruskin die Stillosigkeit der Industrieprodukte der Öffentlichkeit bewusst gemacht hatten. So wurde das oberste Ziel der Kultur- und Wirtschaftsreformer, »das kunstlos gewordene Gewerbe durch Kunst zu reformieren«, so Hermann Muthesius (1907), als er zum Referenten für die preußischen Kunstgewerbeschulen ernannt worden war.“ 31 Der „Jugendstil“ gibt mit der Forderung nach der großen Verschmelzung von „Kunst und Leben“ um die Jahrhundertwende die Richtung vor. Zur Programmatik gehörte die „Wiedereinbeziehung der Kunst in das Alltägliche, im Sinne einer umfassenden künstlerischen Neugestaltung aller alltäglichen Dinge.“ Zu den alltäglichen Dingen am Niederrhein gehört es, Textilien zu produzieren. Hier ist man es gewohnt das äußere Erscheinungsbild einzu­ beziehen. Der Druck des Wettbewerbs mahnt beständig Erneuerung und Erziehung zur Geschmacksbildung an. Die „Färberei und Appreturschule“ im Verbund mit der „Königlichen Webschule“ ist auf dem richtigen Weg im Sinne der Gestaltung der „alltäglichen“ textilen Dinge. Längst ist Textil nicht mehr das einzige Standbein der Industrie und der Wirtschaft. „Außer Samt und Seide auch Stahl und Eisen“ betitelte Wilhelm Ernst sein Buch über die Entwicklung der Maschinen-, Eisen- und Stahlindustrie Krefelds 1835–1930. Die Notwendigkeit, außer den Textilien auch den anderen technischen Produkten eine Gestalt zu geben, die „Stillosigkeit der Industrieprodukte“ zu beenden, ist nicht mehr zu übersehen. Und so lautet der Leitsatz der 1904 gegründeten Krefelder Kunstgewerbeschule: „Design bedeutet der Umgebung Gestalt geben“.

31 Hirner, Vorgeschichte, in: Staffellauf, S. 26.


Abb. 19   Werkkunstschule, Peterstraße, Krefeld

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Roswitha Hirner schreibt zum Hundertjährigen im Jahr 2004: „Die damals reiche Samt- und Seidenstadt Krefeld leistete sich in den neunziger Jahren bis in den Ersten Weltkrieg hinein viele öffentliche Bauten, zu denen für die neue Schule im Jahre 1903 das Gebäude Ecke Petersstraße/Neue Linner Straße hinzukam. Es war in historisierenden Architekturformen mit Renais­sancegiebel und -erker errichtet, und unter einem schwungvollen spätgotischen Kielbogen betrat man das Haus. Aus der »Paritätischen gewerbl­ichen Schule« ging auf Betreiben, vor allem des Krefelder Innungs­ausschusses im Jahre 1902 schließlich die Handwerker und Kunstgewerbeschule zu Crefeld hervor, an deren Kosten sich nach einem im April 1904 zwischen Stadt und Staat ausgehandelten Vertrag seit dem 1. Oktober 1904 auch der Staat beteiligte. Die Aufsicht über die Schule lag beim Ministerium für Handel und Gewerbe. 32

Gründungsdatum ist der 1. Oktober 1904. Der erste Direktor des Kaiser Wilhelm Museums, Friedrich Deneken, ist einer der Betreiber einer Kunstgewerbeschule-Gründung. Er lädt um die Jahrhundertw­ende den berühmten belgischen Architekt und Designer Henry van de Velde ein (ab 1906 Direktor der Weimarer Kunstgewerbeschule), wohl auch, um dessen Rat für eine solche Schule einzuholen. Die erste Ausstellung der neuen Schule befasst sich mit „Linie und Form“ und findet im gleichen Gebäude statt wie die spätere Ausstellung „Staffellauf“ zum 100 jährigen Bestehen im Jahre 2004, nämlich im Kaiser Wilhelm Museum. Mit der Kunstgewerbeschule erhält Krefeld eine zweite staatliche höhere Bildungseinrichtung. Man kann es sich leisten, als Anreiz ein repräsentatives Gebäude in die Verhandlungen einzubringen und sich damit das staatliche Engagement zu sichern. Das Gebäude ist nicht nur eine Hülle sondern auch Inhalt, denn Architekten bestimmten die Entwicklungslinie wie Rudolf Haupt beschreibt: „Carl Wolbrandt, der schon seit 1899 die Vorgängerreinrichtung geleitet hatte, wurde der erste Direktor des neuen Instituts. Die Tatsache, dass er als Architekt die Handwerker- und Kunstgewerbe­schule leitete, liegt in der Tradition der Reformen auf dem Gebiet der angewandten Künste begründet. Diese waren seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, von England ausgehend, in erster Linie von Architekten vorangetrieben worden (auch Muthesius und später Gropius als erster Bau­haus-Direktor waren Architekten von Beruf). Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass seit der romantischen Hinwen­dung zum Mittelalter, in dem der Kirchenbau die vornehmste gestalterische Aufgabe war, der Architektur als »Mutter der Künste« die integrierende Rolle für die übrigen gestalterischen Bereiche zugedacht war. Auch die auf Wolbrandt folgenden Direktoren, Caspar Lennartz (1926–1943), Stephan Hirzel (1948) und Fritz G. Winter (1949–1971), waren Architekten…“ 33 Oberstes Ausbildungsziel war die ganzheitliche Erziehung. Wolbrandt nahm im Geiste des Jugendstils nach und nach fast die gesamten Fächer der angewandten Künste ins Unterrichtsprogramm auf. Er selbst schrieb 1906: »Die Kunstgewerbeschule setzt sich als Ziel, die Erziehung im Sinne der kommenden Zeit zu bewirken; dementsprechend ist das Kopieren nach Vorlagen ausgeschlossen, historische Stilarten werden nur in geringem Umfang geübt.« 34

32 Staffellauf, S. 27 33 Haupt, Vom Ornament zur Funktion, in: Staffellauf, S. 30-35 34 Preußischer Verwaltungsbericht von 1906


Der häufige Namenswechsel kennzeichnet die unruhige Entwicklung der Bildungseinrichtung mit hohen Ansprüchen: Aus den „Gewerblichen Schulen“ der Stadt Krefeld wird 1903 die „Handwerker und Kunstgewerbeschule“. 1933 wird nach einer reichsweiten Diskussion durch ministeriellen Erlass der Name „Handwerkerschule für bau- und kunsthandwerkliche Berufe“ diktiert. Später erhält sie den Namen „Werkkunstschule“, bevor sie 1971 zum „Fachbereich Design“ der Fachhochschule Niederrhein wird. Die Ausgangssituation der Werkkunstschule Krefeld ist eine andere als die für die kreativen Bereiche der Textilingenieurschulen. Die Textilwirtschaft steht vor einer existentiellen Bedrohung. Weil sie mit ihren glatten Produkten dem Wettbewerb des Weltmarktes nicht mehr gewachsen ist, müssen Farbe und Muster kreativ und branchengebunden in Textilien eingebracht werden. Der wirtschaftliche Erfolg ist wichtiger als die Durchsetzung einer überragenden Idee. Solange sie dem wirtschaftlichen Ziel nützlich sind, werden diese Ideen jedoch durchaus konsequent umgesetzt und sind erfolgreich. Architektur Der bekannteste Architekt der ersten Epoche, August Biebricher, unterrichtet von 1905 bis 1932 in Krefeld. Für die Errichtung der Pauluskirche wird ihm die Bauleitung übertragen. Zahlreiche Villen, öffentliche Bauten, Land- und Geschäftshäuser in Krefeld stammen von Biebricher. Von 1924–1929 ist er Stadtverordneter in Krefeld. Innenarchitektur Johannes Harder absolviert eine Tischlerlehre, bevor er an der Kunstgewerbeschule Hamburg und an der königlichen Kunstschule im Bodemuseum Berlin studiert und dann als Architekt für Raumkunst arbeitet. Von 1902 bis 1934 leitet er die Entwurfsklasse für Möbel und Hausrat an der Handwerker- und Kunstgewerbeschule Krefeld. Die Meisterprüfung im Tischlerhandwerk legt Harder im Jahre 1903 ab. Schmuckdesign Julius Svenson arbeitet 1901 als Zeichner und Goldschmied bei „Gebrüder Hamm“ in Viersen und gleichzeitig als Fachlehrer an den Gewerblichen Schulen der Stadt Krefeld. Von 1902 an ist er der Leiter der ersten Goldschmiedeklasse, bis er 1912 Direktor der Gewerbe- und der Handelsschule und schließlich Leiter der Fachschule für Goldschmiede und Graveure in Oberstein wird. 35 Bildhauer Richard Kieser ist von 1891 bis 1896 Leiter der Steinbildhauerei Lindenlauf, Krefeld, dann Leiter der Modellierklasse an der Gewerblichen Fortbildungsschule und von 1902 bis 1912 Leiter der Bildhauerklasse, bis er Direktor der Kunstgewerbeschule in Dessau wird.36

35 Staffellauf, S. 51 36 Staffellauf S. 54 52  53


Abb. 20 Sonderdrucke aus Dekorativer Kunst 1908


Zweidimensionale Kunst „Auch die zweidimensionalen Bereiche der angewandten Gestaltung, allen voran die Druckgrafik, das Buchgewerbe und die Wandmalerei, standen seit 1904 in Verbindung mit vielen Unternehmen der Region. Als berühmtester Lehrer der ersten Jahre gilt Johan Thorn-Prikker, der von Friedrich Deneken nach Krefeld geholt worden war. Er war von 1904 bis 1910 an der Schule tätig und wirkte – im Sinne des ganzheitlichen Arbeitens – in viele Bereiche hinein befruchtend (z.B. Mosaik, Fresko, Tafelmalerei, Gebrauchsgerät oder Textilien). Viele seiner Schüler sind uns bis heute als namhafte Künstler bekannt, so Heinrich Campendonck, Heinrich Kamps, Helmut Macke oder Josef Strater. Auch Peter Bertlings und Ludwig Zaiser, beide Maler und seit 1910 bis in die Werkkunstschulzeit unterrichtend, sind im Rheinland bis heute bekannte Persönlichkeiten.“ 37 „Mit der Weltwirtschaftskrise 1930 war der experimentelle Impetus der modernen Gestaltung verflogen – es musste Geld verdient werden, und viele sahen gute Berufsaussichten für die Studierenden in der Rückkehr zum Handwerklichen. So wurden schon vor 1933 aus manchen deutschen Kunstgewerbeschulen wieder Handwerkerschulen, und Krefeld vollzog diesen Schritt im Jahre 1934. Die Probleme der Schule waren damit nicht vom Tisch: Das preußische Unterrichtsministerium ließ prüfen, ob die Dichte der grafischen Lehranstalten mit fünf Instituten allein im Rheinland nicht allzu hoch sei – und in Krefeld fürchtete man zu Recht, dass die eigene Abteilung aufgelöst werden könnte. Obendrein gab es mit den beiden technisch ausgerichteten Textilschulen große und sehr moderne Konkurrenz vor Ort, vor allem auch durch das Wirken des ehemaligen Bauhäuslers Johannes Itten an der Höheren Fachschule der Textilindustrie bis zu seiner Emigration 1938 und durch seinen ebenfalls vom Bauhaus stammenden Nachfolger Georg Muche. Kein Wunder also, dass die Schul­leitung sich den neuen politischen Verhältnissen besonders gut anzupassen versuchte. Einige Lehrer wurden entlassen, und die neu berufenen Dozenten erhielten keine Professorentitel mehr, sondern blieben „haupt­amtliche Lehrpersonen“, denen eine größere Anzahl »neben­beruflich und nebenamtlich tätiger Lehrpersonen« zugestellt waren. In der grafischen Abtei­lung wurde 1934 der Ehren­bürgerbrief der Stadt Krefeld für Adolf Hitler entworfen, was die politische Lage und den voraus­eilenden Gehorsam der Lehrenden wohl zur Genüge beschreibt.“ 38

Textilkunst und Textilkultur in Krefeld Die ,,Höhere Preußische Fachschule für Textile Flächenkunst“ wird 1932 als neue Abteilung der Webeschule gegründet. 1928 hat die Webeschule und die Färberei- und Appreturschule jeweils eigene Schulvorstände erhalten. Der Lehrplan der Färberei und Appreturschule wird, den Wünschen der Industrie Rechnung tragend, im Jahre 1928 durch die Fächer „Betriebswirtschaftslehre“ und „Betriebs­organisation“ sowie im Jahre 1932 durch das Fach „Farbenlehre“ erweitert. 39 Johannes Itten wird Leiter der neu gegründeten Schule für textile Flächenkunst (Abteilung der Webeschule) und als Lehrer für das Fach Farbenlehre an der zu dieser Zeit selbständigen Färberei und Appreturschule gewonnen. Er gehört zu den Gründern des berühmten Bauhauses. Er entwickelt den nach ihm benannten Farbkreis, der wegweisend für Musterzeichner, Patroneure und Kartenschläger zur Gestaltung von Textilien wurde.

37 R. Haupt, Vom Ornament zur Funktion, in: Staffellauf, S. 30–35 38 Sachsse, Anpassung an unselige Zeitgeister, in: Stafellauf, S. 82–88 39 50 Jahre Färberei und Appreturschule, S. 8 54  55


Abb. 21 August Biebricher, Trib체nengeb채ude der Rennbahn Krefeld


Abb. 22 Johannes Harder, MĂśbeldesign

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Abb. 23 Die Marke Maggi


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Unter dem Titel „Die Bedeutung der geschmacklichen Ausbildung für Drucker und Färber“ legt er seine Ansprüche an deren Ausbildung 1933 überzeugend dar. „Die heutigen Modeschöpfer stellen so außerordentlich exakte und unterschiedliche Ansprüche an die industriellen Erzeuger, daß nur diejenigen erfolgreich produzieren können, die auch geschmacklich sicher und klug zu disponieren verstehen. Unter Geschmack in modischer Hinsicht verstehen wir ein räumlich, zeitlich und individuell begrenztes und beständig sich änderndes Beur­teilen von Form-, Farbeund Materialkompositionen als Gegenstände der Mode. Aus dieser Definition ist ein Teil veränderlich und scheinbar von keinen erkennbaren Gesetzen begrenzt, während ein zweiter Teil (Form, Farbe, Material) bestimmten Gestaltungsgesetzen unterworfen ist. Hauptgegenstand eines modisch geschmack­lichen Unterrichts müssen die allgemeinen Gestaltungsgesetze sein; örtliche und zeitlich sich zeigende charakteristische Merkmale dürfen nur einen geringen Grad an Aufmerksamkeit be­anspruchen und diese erst in dem Augenblick, in dem die allgemeinen Gestaltungsgesetze durchge­arbeitet sind. Ein industrieller Betrieb muß sich allen Ver­ änderungen des modischen Geschmackes rasch anpassen lassen; da jeder einzelne Betrieb außerdem für die verschiedensten geographischen Ge­genden, für Stadt- und Landmenschen, alte und junge Menschen Textilien herstellt, so müssen der Produzent und seine Mitarbeiter den allergrößten Anforderungen in Bezug auf scharfes Beobach­ten, rasches Einfühlen, bewegliches Denken und schöpferisches Arbeiten genügen. Schematische. Anwendungen geschmacklicher Regeln, die nur auf Grund subjektiver Geschmacksmeinungen aufgestellt sind, bringen einem Textil-Betrieb ein rasches Ende.“ 40

Kunst, Gestaltung und Wirtschaftlichkeit eines Textilbetriebes sind für Johannes Itten keine Gegensätze, sondern gehören zusammen. „Die drei Stadien einer farbigen Schöpfung sind die gleichen wie sie Rodin für das Gebiet der Plastik definierte: ,,Zuerst fühle ich die Komposition – dann beginne ich zu konstruieren (zu überdenken) – dann fühle ich wieder bis ans Ende.“ Das Gefühl, das farbige Leben zu erwecken und zu steigern, ist schließlich die schwierigste aber schönste Aufgabe für den Unterricht in far­biger Komposition. Die Ausbildung des Schülers in Bezug auf seinen Geschmack ist deshalb außerordentlich schwierig, weil Herkunft und Umgebung in der Jugend sehr oft in entscheidender Weise ge­schmacklich bestimmend sind. Die Möglichkeiten, nicht nur intellektuell sondern auch dem Gefühl nach das Geschmacksurteil zu verbessern, sind geringer und bedürfen eines viel eingehenderen und längeren Studiums als gemeinhin angenom­men wird. Die ganze Substanz, das Fühlen, Den­ken und die Lebensweise im vollen Umfange sind in so hohem Maße bestimmend für das zu bil­dende Geschmacksurteil, daß nur eine Gesamterziehung des Charakters und der künstlerisch schöpferischen Persönlichkeit zu einem Erfolge führen kann.“ 41

40 Itten, Die Bedeutung der geschmacklichen Ausbildung für Drucker und Färber, in: 50 Jahre Färberei- und Appreturschule, S. 94/95 41 ebenda


Das Wirken von Johannes Itten (1932 bis 1938 in Krefeld) wird von Dirk Tölke ausführlich beschrieben.42 Auch an Georg Muche (1939 bis 1958 in Krefeld) erinnern Texte von Schülern und Zeitzeugen. Beide bilden die Bauhaus-Enklave und machen mit anderen zusammen etwas ganz besonderes aus der Textilingenieurschule in Krefeld. Als Lehrer des Bauhauses haben sie das dort praktizierte pädagogische Konzept mitentwickelt und nach Krefeld getragen. Sogar von Berlin aus werden begabte Schüler angeworben, auch mit der Aussicht auf ein Stipendium der „Wirtschaftsgruppe Textilindustrie“. 43 Die Zusammenarbeit von Staat, Stadt Krefeld und der Wirtschaftsgruppe Textilindustrie ermöglichte das Studieren in der Krefelder Meisterklasse. Als Anreiz wird ein „arbeitsreiches Studium“ in dem „knappen Zeitraum von einem Jahr“ versprochen. Das Studium soll dazu befähigen „die erreichte Leistungshöhe auch später in der Berufsarbeit durchzuhalten.“ „Grundsätzlich werden bei der Aufnahme in die Meisterklasse textil-technisch Vorkenntnisse vorausgesetzt.“ Allerdings kann man sich diese auch durch zusätzlichen Einsatz während des ohnehin schon arbeitsreichen Studiums aneignen. Wer das Schulgeld von 1.000 RM nicht aufbringen kann, dem wird von der „Wirtschaftsgruppe Textilindustrie“ ein Stipendium in Aussicht gestellt, aus dem zuerst das Schulgeld zu bedienen ist. Angesprochen werden Leistungsbereitschaft, kurze Studienzeiten, kooperative Ausbildung, Berufsbefähigung, Studienbeiträge mit sozialer Komponente, Stipendiensystem in Kooperation mit der Wirtschaft, alles Themen mit denen Prof. Muche auch heute in jede hochschulpolitische Diskussion einsteigen könnte. Prof. Georg Muche, Leiter der Meisterklasse für Textilkunst, beschreibt 1955 die Situation der Textilentwerfer in der inzwischen zur „Textilingenieurschule“ avancierten Webeschule: „Mit der Berufung von Johannes Itten im Jahre 1931 nahm die Textilingenieurschule in die Ausbildung der Entwerfer die Tradition des Bauhauses auf. Itten, einer der Gründer des seitdem weit und breit berühmt gewor­denen Bauhauses, hatte für jene Hochschule der Gestaltung den pädagogischen Grund gelegt, und er belebte und er­neuerte in Krefeld durch seine Unterrichtsweise die Klasse für Textilentwurf. Er löste sie aus der engen Begrenzung der fachlichen Ausbildung. Er befreite die Talente aus kon­ventioneller Gebundenheit an feste Begriffe und Vorstel­lungen. Er machte sie selbstgestaltend, ursprünglich und eigenartig. Gerhard Kardow, der am Bauhaus in Dessau ein Schüler von Kandinsky und Klee war und in der Bauhausweberei seine Ausbildung erhalten hatte, setzte auf seine Weise die Tradition des Bauhauses fort. Schule und Industrie waren sich jedoch darin einig, dass die von Johannes Itten begonnene, und von den bildenden Künsten bestimmte Gestaltungsweise nicht ohne Fortsetzung bleiben durfte. Sie glaubten, dem Verfasser dieser Zeilen, der wie Itten zu den Gründern des Bauhauses gehört und der dort die Weberei geleitet hatte, diese Aufgabe übertragen zu können. 44

42 Textilkultur in Krefeld, S. 22 43 Textilkultur in Krefeld, S. 208 44 Muche, Leiter der Meisterklasse für Textilkunst, in: 100 Jahre Textilingenieurschule Krefeld, S. 97 60  61


Abb. 24 Johannes Itten, Besprechung von Sch端lerarbeiten, 1932 Abb. 25 Farbkreis nach Itten


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Georg Muche schreibt: „Die Textilingenieurschule ist in ihrer Ganzheit ein Modell der Textilindustrie im pädagogischen Raum. Sie führt die mit gestaltenden Fähigkeiten Begabten näher an die Produktionsstätten her­an, als es vor dreißig Jahren am Bauhaus möglich war. Hier an der Textilingenieurschule sind Chemie, Technik und Kunst unter einem Dach. Gäbe es heute wieder ein Bauhaus als Hochschule für Ge­staltung, so würden seine Ausbildungsstätten nicht mehr an einem Ort, sondern in den Zentren der verschiedenen Industrien liegen müssen. Die Textilingenieurschule Krefeld ist ein Beispiel für die neue Form der industriegestaltenden Schulen, an denen das Verständnis für technisch bedingte und für künstlerisch bedingte Formgebung geweckt und entwickelt wird zur Wiedergewinnung und Erhaltung der Ganzheit im schöpferischen Menschen und zum Nutzen von Wirtschaft und Industrie, die dadurch die besten, wirksam­sten und anregendsten Begabungen zu Mitarbeitern erhält.“ 45

45 100 Jahre Textilingenieurschule, S. 114


Abb. 26 Prospekt der Meisterklasse fĂźr Textilkunst

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Abb. 27 Form und Rhythmus gewebter Stoffe


Abb. 28 Kleines Abendkleid

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Abb. 29 Strandkleid aus Perlon, 1951


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Nationalsozialismus und Zerstörung 1933 feiert die „ Färberei und Appreturschule in Krefeld ihr 50-jähriges Jubiläum. Ihre ältere Schwester, die Webeschule in Krefeld (1855) wird 78 und die Webeschule in Mönchengladbach (1901) 32 Jahre alt. Das jüngste Mitglied der Familie, die „Kunstgewerbeschule in Krefeld“ (1904) geht im Jahre der nationalsozialistischen Machtergreifung auf die dreißig zu. Diese höheren Fachschulen haben gemeinsam, dass jede auf ihre Art sehr erfolgreich und außerordentlich anerkannt ist. Die Erfolge fußen auf eigene Leistungen, die aber erst durch staatliche Anerkennung und staatliche Finanzierung zum Erfolg führen. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung werden die Institute im Sinne der neuen Machthaber gleichgeschaltet. „50 Jahre Färberei- und Appreturschule in Krefeld“, das ist die Schlagzeile des doppelseitigen Zeitungsberichtes in Krefeld am Donnerstag, den 26. Oktober 1933: „Wer seinen Rock oder sein Kleid anzieht, macht sich gewöhnlich keine Gedanken darüber, welch Aufwand an Arbeit, Intelligenz und Organisation dazu nötig war, um solch ein Bekleidungsstück herzustellen. Da bietet das fünfzigjährige Jubiläum der Färberei- und Appreturschule Krefeld willkommenen Anlaß, einmal den Blick auf die Stille und zähe Aufbauarbeit hinzulenken, die zum Wohle der deutschen Textilindustrie und damit zum Nutzen der Gesamtwirtschaft in treuer Pflichterfüllung unbemerkt im Lärm des Tages verrichtet wird. Denn es ist deutsches Organisationstalent, deutscher Fleiß und deutsche Arbeit, die hier etwas Hervorragendes geschaffen haben. Etwas, das selbst die übrige Welt anerkennt, nicht etwa durch laute Worte sondern durch die Tat. Nämlich dadurch, dass sie alljährlich Scharen von wißbegierigen Schülern entsendet, von denen aus naheliegenden Gründen nur ein geringer Teil zum Unterricht zugelassen werden kann. Daß diese Färbereischule, die größte und einzig selbständige ihrer Art in ganz Deutschland, ihren Sitz in Krefeld hat, ist besonderer Anlaß, ihrer am Tage ihres fünfzigjährigen Bestehens rühmend zu gedenken….“ 46

Nicht nur der Ton und die Sprache verändern sich. Alle Behörden und staatliche Einrichtungen werden gleichgeschaltet und unterliegen damit auch einem inhaltlichen Diktat. Besonders die Bildungseinrichtungen können sich dem Zugriff und der Kontrolle durch die Regierungs- und Parteistellen nicht entziehen. So gib es 1933 eine reichsweite Diskussion über die Aufgaben der Kunstgewerbeschulen, die auch an Krefeld nicht vorbeigeht.

46 Auszug aus „General“ Anzeiger für den Niederrhein – „Niederrheinisches Echo“ Nr.295, Donnerstag, 26.Oktober 1933


Mit ihrem vorauseilenden Gehorsam in der problematischen politischen Situation stehen die Lehrenden der grafischen Abteilung nicht allein. Immerhin war es die Entscheidung der Repräsentanten der Stadt Krefeld, Adolf Hitler die Ehrenbürgerschaft anzutragen. Das Ergebnis der Diskussion über die Zukunft der Kunstgewerbeschule konnte der vorauseilende Gehorsam offensichtlich nicht günstig beeinflussen: Es wird entschieden, dass man keine Gestalter sondern nur noch tüchtige Handwerker ausbilden will. Die Abteilungen Architektur, Bildhauerei und Keramik werden 1934 geschlossen. Nur noch Handwerks-Abteilungen bleiben bestehen. Fünf von sieben Künstler-­Lehrern werden entlassen. Durch ministeriellen Erlass wird der Name geändert in: »Meisterschule des Deutschen Hand­werks, staatlich unterstützte städtische Fachschule für Tisch­lerei, Malen, Grafik, Flächenkunst und Metall«. Entsprechend werden die Lehrer-Plan­stellen reduziert. 47 Die Flächenkunst ist in Form der textilen Flächenkunst auch in der höheren Textilfachschule in Krefeld vertreten. Die ,,Höhere Preußische Fachschule für Textile Flächenkunst“ wird am 12. Januar 1932 als neue Abteilung der Webeschule angegliedert. Der Lehrplan wird durch das Fach Farbenlehre er­weitert. Als Lehrer wird Johannes Itten gewonnen. Das Leben und Überleben von Künstlern wird immer schwieriger. Dirk Tölke schildert eine Strategie am Krefelder Beispiel: „Mit dem Zeitpunkt der Gründung der Flächenkunstschule 1932 erwuchs in Deutschland auch die beispiellose diktatorische Knebelung und Diskreditierung der freien Kunst. Dadurch wurde die Textilausbildung in der Folge auch zu einer Zuflucht freiheitlich empfindender Maler, die ihre abstrakten Tendenzen teils hinter dem Textilen versteckten, teils dafür nutzbar machen konnten. Gänzlich dem Gegenständlichen entsagten sie als Künstler alle nicht.“ 48 Johannes Itten wird bald Leiter der Höheren Fachschule für Flächenkunst und ist als solcher verantwortlich für die künstlerisch-modische und technische Ausbildung für das gesamte Textilfach. 1938 verlässt Johannes Itten Krefeld, um in der Schweiz zu arbeiten. Sein Resümee aus der Krefelder Zeit: „An der Krefelder Schule glaube ich das Problem „ Kunst und Technik“ als Erziehungsproblem in einer brauchbaren Weise gelöst zu haben, denn sämtliche an der Schule ausgebildeten Schüler sind von der Industrie aufgenommen worden, zum Teil in bevorzugten Stellungen als Entwerfer, Stoffkonstrukteure und Abteilungsleiter für die Neumusterung.“ 49

Man kann hinzufügen, dass Itten auch versucht, das Problem „Kunst und Nationalsozialismus“ zumindest durch eine sprachliche Anpassung in den Griff zu kriegen. Letztlich zieht er aber das Exil in der Schweiz als bessere Lösung vor. Er weigert sich, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen und wird entlassen. 50 Prof. Muche führt diese Arbeit im Sinne des Bauhauses fort, bis er 1944 wegen der Kriegsverhältnisse mit seiner Meisterklasse nach Xanten und später nach Gundhelm in der Rhön übersiedelt. Es ist schon eine herausragende Leistung, die Ideen des Bauhauses über die Zeit des Nationalsozialismus hinweg in Krefeld lebendig zu halten. Die Textile Fläche bietet sowohl ein Potential für Anwendungen wie auch einen Schutz für freie künstlerische Ambitionen. Die Nationalsozialisten brauchen die Arbeit von Itten, Muche und der anderen engagierten Bauhaus-Kollegen, um die ehrgeizigen Wirt-

47 Staffellauf, S. 288 48 Dirk Tölke in Kunst in Krefeld e.V., Textilkultur in Krefeld , S. 10 49 ebenda 50 Textilkultur in Krefeld, S. 245–246 70  71


schaftspläne51 im Textilbereich umzusetzen. Hitlers Vierjahresplan will der Textil- und Bekleidungswirtschaft die „Rohstoff-Freiheit“ mit einheimischen Spinnrohstoffen wie Flachs, Kunstseide und Zellwolle bringen. Die damit verbundene massive Einengung bei der Auswahl der verfügbaren Materialien muss man zumindest mit anspruchsvoller geschmacklicher Orientierung entgegentreten. Die Nationalsozialisten erkennen, dass Textil auch in Hinblick auf die Ausrüstung des Militärs eine Schlüsselindustrie ist. Bereits 1936 werden die in Mönchengladbach/Rheydt bestehenden „Höhere Fachschule für das Textilwesen“ und die „Höhere Bekleidungsfachschule“ zu einer „Ingenieurschule“ erhoben. Die klassischen Spinnrohstoffe – Seide und Baumwolle – müssen importiert werden. Nicht nur für die Bekleidung der Armee braucht man Rohstoffe. Für die Herstellung von Fallschirmen wird Seide oder zumindest Kunstseide benötigt. Außerdem fehlen Fachleute, die in der Lage sind, die bisher importierten Spinnrohstoffe durch einheimische Produkte zu ersetzen. Schließlich war im Mönchengladbacher Raum der Flachs durch die überlegene Baumwolle ersetzt worden, entsprechend ist ein Know-how-Wandel vollzogen worden, der jetzt wieder umgekehrt werden muss. An der Krefelder Textilschule wird sogar mit der Züchtung eigener Seidenraupen experimentiert. 52 Die Rohstoff -Versorgung bleibt trotzdem ein Problem, welches aber durch Kunstseide und Zellwolle gelöst werden soll. Krawattenhersteller – 80 bis 85 Prozent der Krawattenstoffe kamen aus dem Krefelder Raum – müssen sich nach neuen Produkten umsehen: (Fall-)Schirmstoffe und Fahnen liegen mehr im Trend. „Der Vormarsch zur Rohstoff-Freiheit hat begonnen“ heißt es 1937 im „Amtlichen Führer der Reichsausstellung der deutschen Textil- und Bekleidungswirtschaft in Berlin“.53 „Bis zu dem Augenblick, da der Nationalsozialismus Deutschlands Schicksal in die Hand nahm, war die Textil- und Bekleidungswirtschaft zu 95 Prozent vom Ausland abhängig. Damit war aber das ganze deutsche Volk den klimatischen Zufälligkeiten, den Ernteschwankungen und ebenso den häufigen Spekulations­manövern in fremden Ländern unterwor­fen; zugleich – und das war am Ende das Schlimmste – war Deutschlands Textilversorgung im Falle kriegerischer Ver­ wicklungen aufs ernsteste gefährdet. Kam noch hinzu, daß die Rohstoffbe­schaffung alljährlich gewaltige Devisenbeträge erforderte – allein von 1930 bis 1935 erreichten sie die Summe von 3,8 Milliarden Reichsmark. Mit zunehmender Devisenknappheit wurde also die Um­stellung der deutschen Spinnstoffversor­gung auf heimische Rohstoffquellen doppelt und dreifach dringend.“  54

Die Textiltechniker bieten weniger ideologische Angriffsflächen als die Kunstschaffenden. Die Machthaber haben ein wirtschaftliches und politisches Interesse am Erfolg dieser Branche und an der Rekrutierung von entsprechenden Fach- und Führungskräften. Aber die Studienangebote müssen doch angepasst werden an die Ziele der Nationalsozialisten. So darf in Mönchengladbach das Fach „Baumwollspinnerei“ nicht in Kombination mit „Baumwollweberei“ gewählt werden.55 Im Rahmen von angeschlossenen Instituten kümmerte man sich in Mönchengladbach auch um Uniformen, zum Beispiel in der Lohnberechnungsstelle und in der Schnittmusterabteilung für die Bekleidungsindustrie.56

51 Reichsausstellung der deutschen Textil- und Bekleidungswirtschaft, Berlin 1937, Rouette, S.391 52 Dr. Walter Wagner, Leiter der Krefelder „Seidenwebschule“, züchtet Seidenraupen für Forschungszwecke, Rouette, S. 48 53 Entnommen aus Rouette, S. 391 54 Amtlicher Führer der Reichsausstellung der dt. Textil- und Bekleidungswirtschaft in Berlin, in: Rouette, S. 39 55 Eigenbertz, S. 6 56 Eigenbertz, S. 7


Nationalsozialistischer Studentenbund In Krefeld und Mönchengladbach waren rege studentische Selbstverwaltungen und StudentenVerbindungen entstanden, die wichtige soziale Funktionen wahrnehmen. 1895 schlossen sich Färbereischüler zusammen zur Verbindung „Tinktoria“ (Vereinigung von Färbereischülern an der Färberei- und Appreturschule zu Krefeld). Es folgten „Textilia“ an der 1901 neu gegründeten „Höheren Fachschule für die Textilindustrie“ in Mönchengladbach, der Verein der Webeschüler Krefeld (V.d.W. K., 1911) und die zugehörigen oder später entstandenen Altherren- Verbände. Alle studentischen Verbindungen wurden 1936 aufgelöst.57 Als Ersatz steht der 1933 gegründete Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund – Fachschulgruppe Krefeld zur Verfügung. Alle „eifrig lernenden jungen Menschen“ sollten angesprochen werden. „Es entsprach dem Willen viele Studierender, als am 24. Mai 1933 eine Fachschulgruppe im NSDStB an den Textilfachschulen Krefelds auf Anregung des Färbereischülers Pg. Neumann gegründet wurde. Der Aufforderung zum Beitritt leistete sofort eine große Anzahl Schüler Folge. Der alte Gegensatz zwischen Hochschüler und Fachschüler hatte endlich durch den NSDStB sein Ende gefunden. Der Deutung des Wortes ,,Studiosus“ entsprechend, das unser Führer für jeden eifrig lernenden jungen Menschen gebraucht, kämpfen Hochschüler und Fachschüler nun in einem Gliede, Der Studentenbund ist also keine Standesorganisation, sondern eine politische Kampf- und Zweckorganisation. Er will zur besseren Schulung der Studenten im Sinne unseres Volkskanzlers beitragen. Treue, Disziplin und Opferfreudigkeit sind unsere obersten Gesetze.(…) Die größten Leistungen, die das deut­sche Volk im Laufe der Geschichte vollbracht hat, sind im Geiste militärischer Disziplin durchgeführt worden. Wenn uns auch durch den Ver­sailler Vertrag jede Wehrpflicht genommen ist, so kann uns doch niemand daran hindern, unsere Jugend in dem alten militärischen Geiste zu er­ziehen. Aus diesem Grunde wurde jeder Ange­hörige des Studentenbundes zum S.A Dienst ver­pflichte. Der Sturm 8 ist der Krefelder Standarte 40 unterstellt und ist kein reiner Studentensturm, sondern vereinigt in sich Arbeiter der Stirn und der Faust, um so in dem kleinen Kreise das Wort der Volksgemeinschaft wahr zu machen.“(R.N.) 58 Man kann sich leicht vorstellen, dass die aktive Mitgliedschaft im Nationalsozialistischen Studentenbund für die „eifrig lernenden jungen Menschen“ zunächst sehr nützliche Randbedingungen für das Studium schafft. Die Beschreibung des „Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes“ wird schon 1933 in der Jubiläumsschrift zum 50-jährigen Bestehen der „Färberei und Appreturschule Krefeld“ den Berichten über Studentische Verbindungen vorangestellt. Unverhohlen wird herausgestellt, dass es nicht nur um das Wohl und die Interessen der Studierenden geht, sondern wesentlich auch um die Erziehung „in dem alten militärischen Geiste.“ Der nachfolgende Krieg verändert alles. Lehrer und Schüler werden eingezogen, Bildung und Ausbildung werden zweitrangig. Viele ehrgeizige junge Menschen verlieren durch Nationalsozialismus und Krieg alles, sogar das Leben.

57 150 J. Fachbereich Chemie, S. 48 58 50 Jahre Färberei und Appreturschule, S. 40 72  73


Trotz der Kündigung und Entfernung von unliebsamen Lehrenden aus dem Dienst,59 den Kriegsvorbereitungen und des Kriegsbeginns, gab es Fortentwicklungen bei den Höheren Fachschulen. 1936 entsteht die Textilingenieurschule in Mönchengladbach. Die Absolventen nennen sich Textilingenieure. In Krefeld wird dieser Schritt 1945 vollzogen. Vorher wird 1935 die „Färberei- und Appreturschule“ und die „Webeschule“ organisatorisch (erneut) vereinigt. Die „Höhere Preußische Fachschule für Textile Flächenkunst“ wird bereits 1932 Teil der Webeschule. In Krefeld wird 1942 eine Abteilung für chemische Fasererzeugung angegliedert. 1942 entsteht die „Textilingenieurschule Aachen“, die später bei der Gründung der Fachhochschulen Teil der Fachhochschule Niederrhein wird.

59 Z. B. schied Prof. Max Lehmann – Direktor der Webeschule Krefeld – am 31. März 1934 nicht freiwillig augrund § 4 des Beamtengesetzes aus. „Beamte, die nach ihrer bisheriger politischer Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten, können aus dem Dienst entlassen werden.


Krieg und Zerstörung Ab 1943 bestimmen Krieg und Bomben das Schicksal der Höheren Fachschulen und Ingenieurschulen. Das Gebäude der Webeschule an der Lewerentzstraße in Krefeld wird in der Nacht von 21. zum 22. Juni 1943 fast vollständig zerstört. Die „Färberei und Appreturschule“ an der Adlerstraße wird am 28. August 1943 bei einem Tagesangriff in Krefeld schwer getroffen. Ein ministerieller Erlass verfügt 1944, dass die „Höhere Fachschule für Textilindustrie“ wegen der Kriegseinwirkungen nach Chemnitz verlagert wird. Die Schulleitung und die Studierenden lehnen den Erlass ab. Der Minister gibt darauf hin der Schule Handlungsfreiheit. Die Schule bleibt in Krefeld und ihr Gebäude wird im Januar 1945 weiter zerstört. Nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen am 3. März 1945 wird die Schule offiziell geschlossen. Trotz erheblicher Schäden wird im Gebäude an der Adlerstraße im Sommersemester 1945 aber weiterhin unterrichtet.60 Eine Nacht später als die Webeschule wird am 22./23. Juni 1943 das Gebäude der Kunstgewerbeschule (inzwischen „Meisterschule für das gestaltende Handwerk) zerstört. Der Unterricht wird im Herrenhaus der Burg Linn in Krefeld weitergeführt. Ab dem 1. August 1944 ist kriegsbedingt kein Unterricht mehr möglich. In Mönchengladbach werden im Wintersemester 1944/45 das Gebäude der Textilingenieurschule und die Lehr- und Unterrichtsmittel fast vollständig zerstört. Die Ausbildung wird Ende 1944 nach Münchberg (Oberfranken) an die dort vorhandene Staatliche höhere Textilfachschule verlegt und bis Kriegsende weitergeführt.

60 150 J. Fachbereich Chemie, S.49 74  75


Abb. 30 Zerstรถrte Webeschule in Krefeld


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Abb. 31 Zerstรถrte Kunstgewerbeschule in Krefeld


Abb. 32 Zerstörte Textilingenieurschule in Mönchengladbach

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Teil 2  1946 bis 1971


1949 Wiederaufbau und Gründung der Werkkunstschule. Fritz G. Winter (Architekt)

übernimmt die Leitung der Schule, die sich künftig „Werkkunstschule“ nennt. Prof. Winter schafft durch eine gezielte Berufungspolitik auch den notwendigen inhaltlichen Wieder­aufbau und Wandel. Ausstellungen (1952,1954, 1959, 1961), besonders die Ausstellung 1952 „50 Jahre WKS in Krefeld“ im Kaiser Wilhelm Museum tragen zur Verankerung in der Krefelder Bevölkerung bei. Das Gebäude an der Peterstraße wird nach dem Krieg rasch und zweckmäßig wieder aufgebaut, wobei die ursprünglichen Fassaden größtenteils verloren gehen. 1946 Wiederaufbau der Textilingenieurschule Mönchengladbach (TIS-MG) Nach der Rückkehr des Lehrerkollegiums aus der Verlagerung nach Münchberg im Herbst 1945 werden zunächst die vordringlichsten Aufräumungsarbeiten in Angriff genom­men. Nach der provisorischen Aufnahme des Lehrbe­triebes im WS 1946/ 47 werden die Aufbauarbeiten auch durch den Einsatz der Studierenden gefördert. 1946 in Köln und 1952 in Bielefeld werden höhere Fachschulen für die Bekleidungsindustrie gegründet, die später in den Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik der Fachhochschule Niederrhein eingegliedert werden. Erst nach der Geldreform (1948) kann mit Unterstützung der Städte Mönchengladbach und Rheydt sowie der Industrie der eigentliche Wiederaufbau großzügig in Gang gesetzt werden.

1945 Wiederaufbau der Textilingenieurschule Krefeld (TIS-KR). Die vorgeschlagene kriegs-

bedingte Verlagerung nach Chemnitz findet nicht statt. Bereits im November 1945 genehmigen die Besatzungsbehörden die (Wieder-) Eröffnung der Ingenieurschule mit den Abteilungen „Weberei“, „Textilkunst“ und „Textilchemische Abteilung“ mit der Unterabteilung „Farben und Lacke“, die aber fast die Selbstständigkeit einer Abteilung hat. Das Gebäude der „Webeschule“ muss wegen völliger Zerstörung aufgegeben werden. Der Unterricht aller Abteilungen wird im Gebäude der „Färberei und Appreturschule“ an der Adlerstraße und in Provisorien weitergeführt. Ein Neubau der TIS am Frankenring ist 1951 Gegenstand von Finanzierungsverhandlungen zwischen Vertretern der Schule, der Stadt, der Industrie und der Landesregierung NRW. Zum 100-jährigen Jubiläum der Textilingenieurschule Krefeld kann

1955 auch der dritte Bauab­schnitt des vom Düsseldorfer Architekten Bernhard Pfau entworfenen Gebäudes am Frankenring fertig gestellt worden. Einzelne Bauabschnitte des Komplexes können seit 1952 bezogen werden.

1958 Gründung der „Staatlich Ingenieurschule (SIS) Krefeld“. Weil 40.000 Ingenieure in

NRW fehlen, sollen drei neue Ingenieurschulen gegründet werden sollen, und zwar in Ostwestfalen (Bielefeld), Südwestfalen (Siegen) und an eine dritte Stelle im Westen des Landes. Die Städte Düsseldorf, Mönchengladbach und Krefeld bewerben sich. Am 12. 2. 1958 entscheidet sich das Kabinett für Krefeld. Krefeld hat ein Baugrundstück (28.000 m2) und ein Erweiterungsgelände (14.000 m2, heutiges Kleingartengelände) bereitgestellt. Über eine Sonderbeitragsordnung der IHK Krefeld hat die Krefelder Industrie 1 Million DM für den Neubau in die Wagschale der Landesregierung gelegt. 1965 kann der Neubau an der Reinarzstraße bezogen werden. Bis dahin helfen Provisorien der Stadt, der Wirtschaft und die Gastfreundschaft der Textilingenieurschule.


1962 Gründung der „Staatlichen Höheren Wirtschaftsfachschule (HWF)“. Die Landes­

regierung unter dem aus Mönchengladbach stammenden Ministerpräsidenten Dr. Franz Meyers unterstützt die Gründung. Die IHK hilft durch administrative Maßnahmen beim Start der Schule. Erst 1970 kann sie in den Neubau an der Webschulstraße 41–43 einziehen. Bis dahin ist die HWF provisorisch in den Räumen der Katholischen Volksschule in der Kabelstraße untergebracht. 1968/69 Mit Studentenprotesten und Streiksemestern in den Vorgängereinrichtungen fordern Studenten einen Hochschulstatus, demokratische Strukturen und Anerkennung der Abschlüsse. 1971 Gründung der Fachhochschule Niederrhein. Zur Gründungsvorbereitung wird ein Planungsausschuss durch Wissen­ schaftsminister Johannes Rau berufen, zunächst unter dem Vorsitz von Baudirektor Laufs, später Dr. Klinke. Dr. Karlheinz Brocks wird Gründungsrektor, Dr. Klinke sein Stellvertreter und Wilhelm J. Thelen Gründungskanzler. Aus den Vorgängereinrichtungen entstehen folgende Fachbereiche; FB Design aus der WKS; FB Chemie aus einer Abteilung der TIS-KR (Färberei und Appreturschule); FB Elektrotechnik aus Abteilungen der SIS; FB Maschinebau aus Abteilungen der SIS; FB Wirtschaft aus der HWF. FB Textil und Bekleidungstechnik aus der TIS-MG, Abteilungen der TIS-KR und aus den Höheren Fachschulen für die Bekleidungsindustrie in Köln und Bielefeld. Neugegründet werden die Fachbereiche FB Sozialwesen und FB Oecotrophologie;

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Wiederaufbau, Umbruch, Neugründungen Die Werkkunstschule auf den Trümmern der Meisterschule des Deutschen Handwerks Am meisten hat die „Werkkunstschule“ unter der Diktatur der Nationalsozialisten und ihren Ideologien gelitten. Hinzu kommt die weitgehende Zerstörung des Gebäudes an der Peterstraße. 1948 leitet Prof. Stephan Hirzel für einige Monate die Schule bis 1949 Fritz G. Winter die dringend notwendige Führung übernimmt. Im gleichen Jahr erhält sie ihren neuen Namen „Werkkunstschule“, über den man geteilter Meinung ist. Aber besser als die Bezeichnung „Meisterschule des deutschen Handwerks“ während der NS-Diktatur ist er allemal. Auch wird der neue Name nicht für Krefeld allein erfunden, sondern für alle „Werkkunstschulen“ in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland. Es gibt auch keine Vorbilder bei der Namensgebung. Am Anfang des 20. Jahrhunderts standen „Nationale Werte“ im Vordergrund, mit denen man nach dem zweiten Weltkrieg nicht mehr umzugehen wusste. Die Traditionsund Entwicklungslücke während des Dritten Reichs zwingt dazu, auf die Zeit vor 1933 zurückzugreifen. Hier findet man den Begriff „Kunstgewerbeschule“, der den neuen Ansprüchen und Zielen – die man so genau noch gar nicht vor Augen hat – nicht genügt. Auch an die Bauhaustradition kann man nicht einfach anschließen, weil dafür die Voraussetzungen nicht gegeben sind. Walter Gropius hat 1928 abgedankt und damit das Ende der Bauhauszeit eingeläutet. So bleibt schließlich der Arbeitstitel „Werkkunstschule“. Aber die Krefelder lieben ihre „Werkkunstschule“ und das dazugehörige Kürzel „WKS“, egal ob die Namensgebung gelungen ist oder nicht. Dafür sorgt Prof. Winter mit seinem Geschick für Öffentlichkeitsarbeit. Prominente Referenten werden für Vortragsveranstaltungen gewonnen, zu denen die Bevölkerung ebenso eingeladen wird wie zu den jährlichen Ausstellungen in der Peterstraße oder im Kaiser-Wilhelm-Museum mit Themen wie „Raum und Geräte“ (1952), „50 Jahre WKS Krefeld“ (1954), „Arbeitsschau aller Abteilungen der WKS“ (1959) und „Unsere Wohnung formt den Menschen“ (1961). Nach der Zerstörung durch den Krieg geht es beim Wiederaufbau darum, möglichst bald ein Dach über den Kopf und möglichst schnell einigermaßen ausreichende und funktionale Räume zu bekommen. Denkmalschutz und Stil bleiben dabei auf der Strecke, gerade unter dem Dach und hinter der Fassade wo die meisten einschlägigen Fachkräfte arbeiten, denn Architektur und Innenarchitektur bleiben wichtige Betätigungsfelder. Nur an der Neuen Linner Straße sind Teile der alten Fassade erhalten geblieben.


Abb. 33   Wiederaufgebautes Gebäude der Werkkunstschule an der Peterstraße

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Abb. 34 Fritz G. Winter


„ … Ein Dachauf- und –ausbau haben zudem die Proportionen des gesamten Baues nicht zu seinen Gunsten verändert. Im Innern lassen sich, beispielsweise im Eingangsbereich und im Treppenhaus, noch Formen des Ursprungsbaues aufspüren, doch herrscht inzwischen das ästhetische Chaos dauernder Umbauten und Ergänzungen vor, wobei die einzelnen Räume erstaunlich hell und angenehm zum Arbeiten sind.“ 61 Es ist ein Glücksfall für die Werkkunstschule, dass sie mit ihrem Direktor Fritz G. Winter von 1949 bis in die Zeit der Fachhochschule hinein eine stabile berechenbare Führung hat. Er versteht es, die Schule in der Stadt Krefeld fest zu verankern, wie das nur mit wenigen Einrichtungen in Krefeld gelingt. Fritz G. Winter wird Vorsitzender des„Vereins der Werkkunstschulen in der Bundesrepublik Deutschland“, in welchem 25 ehemalige Meisterschulen zusammengeschlossen sind. Hier werden noch ungeklärte Ziele diskutiert und konkrete Schritte für die Zukunft abgesprochen. Winter nimmt die Trends nicht nur wahr, sondern gestaltet sie aktiv und bringt sie nach Krefeld, um sie im Kreis der Kollegen zu diskutieren. Einige wollen die Bauhausidee weiter pflegen und die verschiedenen Sparten des Gestaltens zusammenführen. Eine geplante Ausstellung „Integral“ (1965) stößt aber auf Widerstand. Die Bauhauszeit ist zu Ende. Bisherige wissenschaftliche Randgebiete geraten Mitte der 60er Jahre mehr in den Focus. Winter bleibt davon nicht unberührt und stellt zunehmend Kollegen mit diesem Gedankengut ein. Mit der Einstellung von neuen Lehrenden – das liegt zur damaliger Zeit allein in der Hand des Direktors – betritt er neue Wege. Begriffe wie „Objektdesign“, „industrielle Gestaltung“ und „Visuelle Kommunikation“ werden durch den Einfluss dieser neuen Kollegen mit Leben erfüllt.

Die unruhigen 60er Jahre gehen auch an Krefeld nicht vorbei. Fritz G. Winter lässt sich vom Zeitgeist anstecken, will mehr Demokratie in der Werkkunstschule umsetzen und entwickelt dafür das „Krefelder Modell“, welches aber noch keine Vorbilder hat und noch nicht erprobt ist. Auch gibt es keine gesetzlichen Grundlagen für eine so weitreichende demokratische Ordnung. Diese Vorschläge erhöhen das Durcheinander im Rahmen der inhaltlichen Diskussionen in der Schule, die begleitet werden von allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Verunsicherungen. Es kommt zu einem „Misstrauensvotum gegen den Direktor“, welches allerdings keine rechtlichen Grundlagen hat und ohne direkte Folgen bleibt. Fritz G. Winter bleibt Direktor und führt die Werkkunstschule in die Zukunft.

61 Sachsse, „Die Architektur“ , S.10–11 86  87


Porzellan und Keramik Ernst-August Sundermann ist Berater der Keramik- und Porzellan-Industrie, künstlerischer Leiter und Design-Berater für die Porzellanmanufaktur Fürstenfeld und seit 1965 Dozent für Keramik- und Porzellan-Design an der Werkkunstschule Krefeld und der Gesamthochschule Paderborn. Porzellandesign ist bis heute eine Besonderheit des Fachbereichs Design geblieben. Identitätssiftendes Design und Wiedererkennung von Einrichtungen und Marken erhalten in der Sozialen Marktwirschaft einen neuen Stellenwert in den Marketingkonzepten. Wolfgang Slansky, seit 1951 Dozent für Satz und Druck, Gebrauchsgrafik, Schrift und Typographie an der Werkunstschule Krefeld, entwirft das Logo der Werkkunstschule und später das der Fachhochschule Niederrhein. Auch heute ist die Verbindung zur Stadt Krefeld lebendig und bezieht die Bevölkerung mit ein. Eine Studentin verpasst Krefeld in ihrer Abschlussarbeit einen frischen Look. Das ganze wird im Lokalteil der „WZ“ abgedruckt mit der Aufforderung zur Diskussion und zu einem Voting über den Logo-Vorschlag. Die „Identitätsstiftung“ in einer Stadt braucht die Beteiligung der Bevölkerung und gute Designer. Nicht nur das Erscheinungsbild von Organisationen und Firmen, auch das Design von Industrieprodukten entscheidet über den wirtschaftlichen Erfolg. 1968 wird Friedbert Obitz als Dozent für Industriedesign an der Werkkunstschule Krefeld gewonnen. Mit seinen Erfahrungen aus den USA und seinen Arbeiten für Siemens und andere namhafte Firmen bringt er das richtige Rüstzeug für den Aufbau des Studienschwerpunktes Industriedesign mit. Die Amts-Kette des Oberbürgermeisters in Krefeld wird in der Werkkunstschule (1964/65) entworfen.62

62 Staffellauf S. 140


Abb. 35 Porzellandesign

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Abb. 36 Dr. Eugen Eigenbertz


Die Textilingenieurschule Mönchengladbach kehrt aus dem Exil zurück Bis 1945 ist Prof. Dr.-Ing. Mecheels Leiter der Textilingenieurschule. Ihm folgt Dr. E. Eigenbertz, der von 1947 bis 1960 die Ingenieurschule durch schwierige Zeiten führt. „Nach Kriegsschluß bzw. der Rückkehr des Lehrerkollegiums aus der Verlagerung nach Münchberg im Herbst 1945 wurden zunächst die vordringlichsten Aufräumungs- und Entschuttungsarbeiten durch die wieder anwesenden Lehrer in Angriff genommen. Nach der provisorischen Aufnahme des Lehrbetriebs im WS 1946/47 wurden die Aufbauarbeiten auch durch den Einsatz der Studierenden gefördert. Nach der Geldreform im Sommer 1948 konnte mit Unterstützung der Städte M.Gladbach und Rheydt und der Industrie der eigentliche Aufbau großzügig in Gang gesetzt werden.“ 63

Man spürt den Optimismus, der auch getragen wird von der großen Nachfrage. Nach einer grundlegenden Überarbeitung der Lehrpläne besuchen 750 Studierende die Tageskurse und 400 die Abendkurse. Berufsbegleitende Angebote gehören zum selbstverständlichen Regelangebot. Die Nutzung der Abendstunden wird jedoch auch wegen des permanenten Raummangels erzwungen. „Um diesem Raummangel abzuhelfen, hat der Schulvorstand vor zwei Jahren ( also 1957 ) bereits auf Vorschlag der Schulleitung einen Erweiterungsbau beschlossen, wofür die Stadtverwaltung der Stadt M.Gladbach die entsprechenden Grundstücke bereitstellen wird.“ Der Antrag auf den Erweiterungs- bzw. Neubau wird auf Beschluss des Schulvorstandes von der Wirtschaftsvereinigung Be­kleidungsindustrie Nordrhein im April 1959 beim Kultusministerium der Landes Nordrhein-Westfalen gestellt. „Dem Vernehmen nach hat der Herr Kultusminister dem Antrag zugestimmt, so dass im Jahre 1960 mit der schon lange erforderlichen baulichen Erweiterung der Schule gerechnet werden kann.“ Die Landesregierung hatte zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits andere Projekte im Blick. Der damalige Kultusminister Professor Luchtenberg verkündet 1957 die Gründung von drei Ingenieurschulen, wovon eine im Westen des Landes NRW entstehen soll. Mönchengladbach, Düsseldorf und Krefeld bewerben sich als Standort für eine ganz neue Ingenieurschule, deren Aufgabe es ist, die neuen Industriezweige zu bedienen, die in Mönchengladbach/ Rheydt und der Region entstanden sind. Die Mutter Textilindustrie hat Kinder bekommen, unter anderem den Textilmaschinenbau und die Chemische Industrie. Die 1884 gegründete Mönchengladbacher Maschinenfabrik Schlafhorst wird nach 1945 wiederaufgebaut. 1951 werden bereits Neukonstruktionen vorgestellt, die später einen immer größeren Automatisierungsgrad erreichen. Die Firma Scheidt & Bachmann, ebenfalls aus dem Textilmaschinenbau gewachsen, entwickelt Bahnübergangs-, Stellwerks- und Signalanlagen. 1932 kommen Kraftstoffzapfanlagen hinzu. Das „Systemhaus“ Scheidt & Bachmann“ kennen wir heute als Weltmarktführer für Parkausweis- und Kassenautomaten. Der Elektromaschinenbauer Max Schorch AG und die Kabelwerke Rheydt sind andere Firmen, die Maschinenbauer, Elektrotechniker, Elektroniker und Nachrichtentechniker brauchen. Die neuen Ingenieurschulen für diese Fächer haben in NRW jetzt Vorrang. Die Textilingenieurschule Mönchengladbach muss dagegen auf eine spätere Chance warten, die sich ausgerechnet mit dem Rückbau der textilen Ausbildung und der Konzentration auf einen Standort in NRW ergibt.

63 Eigenbertz, S. 6 90  91


Abb. 37 Textilmaschine der Firma Schlafhorst


Die Textilingenieurschule in Krefeld hat Glück im Unglück. Das bisherige Gebäude der Webeschule wird als „Totalschaden“ eingestuft. Die Neubauplanungen beginnen direkt nach dem Krieg, und zum 100-jährigen Jubiläum im Jahre 1955 ist der Neubau der ersten Bau­abschnitte bezugsfertig. Die Krefelder Stadtplaner waren der Landesregierung zuvor gekommen, die zunehmend das Schrumpfen der Textilindustrie und das Anwachsen anderer Industriezweige im Blick hat. In Mönchengladbach werden die bisherigen Gebäude wieder hergerichtet. Ganz so prächtig wie die „Preußische Höhere Fachschule für Textilindustrie“ vor 1912 wird die Fassade der Textilingenieurschule in Mönchengladbach nach dem Wiederaufbau nicht, aber es hat sich in mehrfacher Weise gelohnt, dass Lehrende und Studenten den Schutt beseitigt und aufgeräumt haben. Entstanden ist eine leistungsfähige Einrichtung für Lehre, Forschung und Dienstleistungen und ein imposantes Haus, welches gemeinsam mit der angrenzenden Direktorenvilla wie kein anderes Gebäudeensemble die eindrucksvolle Tradition der Hochschule Niederrhein widerspiegelt. „Ein Unikum ist die Rektorenvilla am südlichen Ende des Gebäudes, Sie schließt an die alte Fachschule für Textilindustrie nahtlos an, ist in den gleichen Farben und Formen gehalten und unterscheidet sich als Wohnhaus vom Unterrichtsbau nur durch den Fachwerkgiebel und den Turmerker auf der abgekanteten Straßenecke.“64 „… Ansonsten ist das gestalterische Programm nach innen gespiegelt. Auch hier steht das Detail für das Ganze: Die Bandschmiedearbeiten des Treppenlaufs imitieren mittelalterliche Ornamentik und verweisen auf den individuellen Charakter ihrer Herstellung.“ 65

Neubauten gibt es erst im Jahr 1986 in Folge der Konzentration aller Aktivitäten im Bereich Textil- und Bekleidungstechnik in Mönchengladbach. Aber die fachlichen Voraussetzungen und die dafür nützlichen vielfältigen Verknüpfungen mit der einschlägigen Industrie werden in den 50er Jahren weiterentwickelt und gefestigt. Der breitgefächerte Ausbildungsplan für das WS 1959/60 berücksichtigt die ganze textile Kette vom Spinnen bis zum fertigen Bekleidungsprodukt in der Ingenieurausbildung.66 Baumwoll- und Zellwollspinnerei werden gelehrt, Baumwoll- und Zellwollwarenfertigung, Woll- und Halbwollwarenfertigung, Textilveredlung wie Bleicherei, Färberei, Druckerei, Ausrüstung sowie Bekleidung mit den Unterthemen Herrenoberbekleidung, Burschen und Knabenbekleidung. Außerdem werden Technikerlehrgänge (Damenoberbekleidung, Wäscheanfertigung, Veredlung), Wirtschaftslehrgänge, Werkmeisterlehrgänge, Lehrgänge für Industriezuschneider und Sonderkurse angeboten.

64 Rolf Sachsse, „ Die Architektur“, S. 20 65 Eigenbertz, Textilingenieurschule MG von 1945 bis 1959. 66 Eigenbertz, S. 8 92  93


Abb. 38 Alte (vor 1912) und wieder aufgebaute Fassade (heute).


Ein breitgefächertes Dienstleistungsangebot wurde 1959 für die Industrie bereitgestellt. In der bereits 1910 gegründeten „Öffentliche Prüfstelle für die Spinnstoffwirtschaft“ und in dem 1912 ins Leben gerufenen „Warenprüfungsamt für die Bekleidungsindustrie“ werden mechanisch-technologische, mikroskopische und textilchemische Untersuchungen an Rohfasern, Garnen und Geweben durchgeführt. Gebrauchseigenschaften, Reinigungsmethoden und Abwasserprobleme gehören ebenfalls zum Prüfangebot. Das Warenprüfungsamt führt Größenbestimmungen für die Bekleidungsindustrie durch. Das Amt steht im engen Kontakt zum 1948 gegründeten Bekleidungstechnischen Institut, welches noch heute vom Förderverein des Fachbereichs Textil- und Bekleidungstechnik betrieben wird. Die Lohnberechnungsstelle ermittelt für öffentliche und private Anbieter die Löhne für die Fertigung von Bekleidung jeglicher Art. Serien- und Einzelschnittmuster sowie Pausschablonen werden gefertigt. Außerdem gibt es das 1950 gegründete Forschungsinstitut der Hutindustrie, welches das Filz- und Walkvermögen, sowie die färberischen Eigenschaften der Rohstoffe untersucht. Die Beschreibung der Textilrohstoff- und Gewebesammlung gibt eindrucksvoll das breite Betätigungsfeld der Textilingenieurschule in Mönchengladbach wieder. „In einem besonderen Ausstellungsgebäude an der Ecke Webschulstraße und Richard-Wagner-Straße (früheres Direktorenhaus) wurden in 6 Räumen umfangreiche Sammlungen textiler Rohstoffe untergebracht. Die Sammlungen umfassen sämtliche für die industrielle Verarbeitung wichtigen pflanzlichen und tierischen Rohstoffe sowie Garne und Gewebe. Zu Unterrichtszwecken werden die Sammlungen fortlaufend ergänzt. Die Sammlungen gliedern sich in die Rohstoffgruppen Baumwolle, Wolle, und Haare, Seide, Bastfasern, Chemiefasern und mineralische Textilrohstoffe. Außer den textilen Rohstoffen umfasst die Sammlung viele handelsübliche Web-, Näh-, Wirk- und Strickgarne.“ 67

Man kann sich leicht vorstellen, dass diese Vielfalt der Zusammenarbeit mit der regionalen und inzwischen auch überregionalen Textil- und Bekleidungswirtschaft 1971 enormes Gewicht bei der Entscheidung hat, alle textilen Belange später auf den Standort Mönchengladbach zu konzentrieren. Die dafür nötigen Neubauten erfolgen in den Jahren 1986 und 1992.

67 Eigenbertz, S. 13 94  95


Abb. 39 Ausschnitt aus dem technologischen Labor


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Abb. 40 Chemisches Laboratorium – Teilansicht


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Abb. 41 Neubauten Maschinenhalle (1986) und Laborgeb채ude (1992)


Die Textilingenieurschule Krefeld baut ein neues Haus Zum 1. November 1945 genehmigen die Besatzungsbehörden die (Wieder-) Eröffnung der Textilingenieurschule. Die Webeschule und die Färberei- und Appreturschule waren bereits 1935 zur Höheren Fachschule für Textilindustrie organisatorisch zusammengefasst worden. Die vom Ministerium vorgeschlagene kriegsbedingte Verlagerung nach Chemnitz konnte verhindert werden. Das Gebäude der Webeschule an der Lewerentzstraße ist so stark beschädigt, dass es endgültig aufgegeben werden muss. Die Textiltechnische Abteilung (früher Webeschule) kommt notdürftig bei ihrer Schwester, der Textilchemischen Abteilung (früher Färberei und Appreturschule) in der Adlerstraße unter, deren Gebäude zum großen Teil nicht mehr verglast ist. Der Brief des Schulleiters Dr. Wagner vom 22. Februar 1945 an die Stadtverwaltung gibt die Probleme dieser Zeit wieder: „An Glas wird benötigt: 360 Scheiben Drahtglas, 850 Scheiben Fensterglas. Sämtliche Fenster haben Pappdeckel- oder Holzverkleidungen, in die Bruchstücke von Glas- und Rollglas eingesetzt sind. Im großen Hörsaal wurden die Fensterrahmen und die Rahmen der Verdunklung mit herausgerissen. Ähnlich steht es mit dem kleinen Hörsaal. Beide können nur bei künstlichem Licht benutzt werden. In der Färberei ist der durch Bombentreffer zerstörte Vorbereitungsraum noch nicht gedeckt, da keine Zimmerleute zu bekommen sind. Für alle Betriebe werden größere Mengen Dachpappe benötigt. Durch das nicht gedeckte Hausdach läuft das Wasser durch die Decken. Die noch vorhandenen Ziegel wurden durch eigene Kräfte aufgelegt. Es fehlen ca. 20.000 Dachziegel …“ 68

Am 1. November 1945 übernimmt Dipl. Ing. Walter Morawek die Leitung der Schule. Dr. Walter Wagner (Leiter von 1937–1945 und von 1953–1956) wird als Leiter der neuen Ingenieurschule durch die britischen Besatzungsbehörden „im Rahmen einer allgemeinen Überprüfung des Lehrkörpers“ 69 nicht bestätigt und übernimmt erst nach Ausscheiden von Walter Morawek 1953 erneut die Leitung. Walter Morawek gliedert die Textilingenieurschule in einzelne Abteilungen, denen jeweils ein Abteilungsleiter vorsteht. Die Abteilungen Weberei, Textilkunst, Textilchemische Abteilung und Farben und Lacke haben eine gewisse Selbständigkeit, arbeiten aber dort wo es sinnvoll ist, zusammen. Die Abteilungen werden unterstützt durch Fachausschüsse, die vom Kuratorium und vom Förderverein ins Leben gerufen werden. 1955 feiert die Textilingenieurschule Krefeld gemeinsam mit allen Abteilungen ihr 100-jähriges Bestehen und gibt aus diesem Anlass eine Jubiläumsschrift „100 Jahre Textilingenieurschule Krefeld“ mit detaillierten Beschreibungen aller Abteilungen heraus. Drei Jahre später geschieht etwas entsprechendes, diesmal mit der Schrift „75 Jahre Färbereischule in Krefeld“. So ganz ist man wohl noch nicht in der gemeinsamen „Textilingenieurschule“ angekommen. Entsprechende Zweifel sind aus den einleitenden Worten von Dr. Karl Schmidt in dieser Jubiläumsschrift herauszulesen: „Ist es überhaupt angebracht, dass die Färbereischule, die ja aus dieser Schule hervorging und heute mit ihr den Kern der Textilingenieurschule bildet, schon wieder ein Erinnerungsfest veranstaltet? Wenn man weiß, dass es gelungen ist, sich schon früh infolge ihrer Eigenart Weltruf zu erwerben und ihn bis heute zu erhalten, so dass die Krefelder Färbereischule ein Begriff geworden ist, wenn man sich das alles vergegenwärtigt, dann kommt man zu dem

68 Wagner, 100 Jahre Textilingenieurschule, S. 25–27 69 Schmidt, 75 Jahre Färbereischule Krefeld, S. 19 100  101


Schluß, dass es ihr durchaus auch wohl ansteht, ihren fünfundsiebzigjährigen Geburtstag mit ihren gegenwärtigen und früheren Schülern, Lehrern und Freunden gebührend zu feiern.“ 70

Die Tochter war ihrer Mutter tatsächlich über den Kopf gewachsen. Die Abteilung „Weberei“ aus der alten Webeschule wird vom Bekanntheitsgrad und wohl auch von der überregionalen Reputation her von den Abteilungen „Textilkunst“, „Textilchemische Abteilung“ und „Farben und Lacke“ überflügelt. Textilchemie und Farben und Lacke expandieren in Lehre und Forschung. Die Zahl der Studierenden steigt von 140 im Jahre 1946 auf 288 im Jahre 1958. In einem Verlängerungsbau der Färbereischule an der Adlerstraße wird 1949 auf Betreiben und mit Unterstützung des „Fachschulausschusses Wäscherei“ eine Lehrwäscherei eingerichtet, die sowohl der Lehre wie auch der Forschung der im gleichen Gebäude untergebrachten „Wäschereiforschung“ dient. Dr. Schmidt berichtet 1958 über Forschungsinstitute, die sich in fachlicher und räumlicher Nähe zu diesen Fachgebieten entwickelt haben: „Unter den für uns unterrichtenden Gastdozenten befinden sich auch die Institutsleiter von drei auf ihrem Fachgebiet führenden und allgemein geachteten Forschungsanstalten und Beratungsstellen und ihre Mitarbeiter. Alle drei Institute haben einmal im Gebäude der Färbereischule ihre Tätigkeit begonnen, sind aber selbständig und haben sich inzwischen erfreulich gut entwickelt. Daß sie auch heute in unmittelbarer Nachbar­schaft der Schule gelegen sind, ist für die nach wie vor enge Zusammenarbeit zwischen ihnen und der Schule außerordent­lich günstig. Zu ihnen gehören die „Textilforschungsanstalt Krefeld“ und das ihr angeschlossene Warenprüfungsamt unter ihrem Leiter Direktor Prof. Dr. W. Weltzien. Früher aus der Schule selbst hervorgegangen, konnte das Institut in diesem Jahre seinen imposanten Neu­bau direkt neben dem neuen Webeschulgebäude einweihen und in Benutzung nehmen. Im Schulgebäude selbst, und zwar im Neubau des Wäschereigebäudes, befindet sich die ,,Wäschereiforschung e. V.“, welche unter Dr. W. Kind, aus der langjährigen Sorauer Erfahrung aufbauend, nach dem Krieg bei uns eine neue Wirkungsstätte gefunden hatte und damals wie heute unter der Leitung von Dr. Oswald Viertel unserer Wäschereiabteilung eine unentbehrliche und wichtige Stütze geworden ist. Als dritte im Bunde sei die von den Fachvereinigungen Wäscherei und Chemischreinigung nach dem Kriege ins Leben gerufene Chemischtechnische Beratungsstelle und die vor einigen Jahren dazugekommene Forschungsstelle für Chemischreinigung, beide unter der Leitung von Dr. Fr. Dehnert, genannt, deren Arbeiten nicht nur für die Wäscher und Chemisch­reiniger unserer Anstalt Bedeutung haben, sondern sich an­regend und nutzbringend auch für die gesamte Veredlungs­abteilung auswirken. Auch diese Stellen haben nach behelfsmäßiger Unterbringung in Räumen der Schule in diesem Jahre eine neue Arbeitsstätte in einem weiteren Verlänge­rungsbau anschließend an die Wäscherei gefunden.“ 71

Die lebhafte Entwicklung der Abteilungen „Textilchemische Abteilung“ und „Farben und Lacke“ bringt räumliche Probleme. Die zusätzliche dauerhafte Beherbergung der Abteilungen „Weberei“ und „Textilkunst“ an der Adlerstraße ist „völlig unmöglich“. Auch als diese schon längst in den Neubau am Frankenring umgezogen sind, beklagt sich 1958 Dr. Karl Schmidt in Richtung Leitung der Ingenieurschule und Land NRW: „Es ist aber völlig unmöglich, mit dieser Methode fortzufahren, denn es ist auf die Dauer untragbar, dass die Betriebe, anstatt vergrößert zu werden, verkleinert werden müssen.

70 Schmidt, 75 Jahre Färbereischule Krefeld, S. 18 71 a. a. O., S. 25


Abb. 42 Schülerzahlen der Färbereischule und Lackabteilung von 1883 bis 1958

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Abb. 43 F채rbereilabor im Jahre 1958


Für die Zukunft kann also auch für die Färbereischule und die Farben und Lackabteilung nur ein großzügig geplanter zusätzlicher Neubau eine befriedigende Lösung bringen.“ 72

Diese Forderung der ehemaligen Färbereischule im Jahre 1958 findet kein Gehör mehr, weil die Landesplanung inzwischen andere Ingenieurdisziplinen im Focus hat. Die Erweiterung von Textilingenieurschulen steht nicht mehr auf dem Plan. Der Wandel im Rahmen der Globalisierung lässt die Textilindustrie in NRW schrumpfen und ihre Töchter Chemie, Maschinenbau und Elektrotechnik expandieren. In der Krefelder Textilingenieurschule ist dieser Wandel deutlich erkennbar: Die chemisch orientierten Fachgebiete dominieren immer mehr bei der Anwendung auf Textilien und weiten sich auf andere Gebiete aus. Die „Chemische Revolution“ aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist über die Gründung und Weiterentwicklung der „Färberei- und Appreturschule“ voll in der Textilingenieurschule angekommen. So wenden die beschriebenen Institute ihre Kompetenzen schon lange nicht mehr nur auf traditionelle Textilien an, sondern das DTNW auf Hightech-Textilien wie schuss- und stichhemmende Westen und antibakterielle und stark strapazierfähige Kleidung für extreme Einsätze. Das WfK-Forschungsinstitut für Reinigungstechnologie wendet die Hygiene- und Reinigungskompetenz inzwischen auch auf harte Oberflächen im Operationssaal und bei medizinischen Geräten an. Aus der Färbereischule ist längst der breit aufgestellte Fachbereich Chemie der Hochschule Niederrhein geworden, in welchem Farben und Lacke ein wichtiges Lehr- und Forschungsgebiet geblieben sind, welches sich aber inzwischen mehr mit Anwendungen für Automobile, Maschinen und Elektronik befasst. In Krefeld ist die Idee einer modernen Schulstadt mit Forschungseinrichtungen (Textil­ forschungsanstalt, Wäschereiforschung), Textilmuseum sowie Lehre und Lebensraum für Studenten in den Köpfen.73 Man will die Kräfte in Forschung und Lehre im textilen Umfeld bündeln. Ähnliche Bestrebungen gibt es in Mönchengladbach, wo auch die bekleidungs­ technischen Belange miteinbezogen werden. Die direkten praxisnahen betrieblichen Anforderungen stehen hier bei der Kooperation mit der Textilindustrie im Vordergrund. Bei der späteren Konzentration der textilen Belange auf nur einen Standort bringt die Textilingenieurschule Mönchengladbach diese breiten Verknüpfungen in die Entscheidungsfindung ein.

72 75 Jahre Färbereischule Krefeld, S. 25 73 Rouette, S. 417 104  105


Abb. 44 Modell der TIS-Neubauten am Frankenring


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Abb. 45 Rotstift am Neubau Frankenring


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Aber zunächst ist Krefeld am Zuge. Lange bevor die Diskussionen über neue Ingenieurschulen oder gar Fachhochschulen beginnen, wird hier direkt nach dem Krieg der Neubau am Frankenring vorbereitet. Bereits 1946 gründet sich in Krefeld ein Kuratorium, welches mit namhaften Persönlichkeiten der Stadt und der Wirtschaft besetzt wird. Das Kuratorium gründet einen Verein zur Förderung der Textilingenieurschule, „der die Schule und ihre Besucher durch Bereitstellung von Mitteln neben Stadt und Regierung wesentlich unterstützen soll“. Es wird ein Bauausschuss gebildet, „der sich mit allen damit verbundenen Vorarbeiten und Fragen befaßte.“ 74 Der Verein ist an dem Wiederentstehen und Wiederaufbau der Textilingenieurschule durch Bereitstellung großer Mittel und durch sonstige Unterstützung maßgeblich beteiligt. Für die Unterstützung der einzelnen Abteilungen bildet er Fach­schulausschüsse. „Der Andrang zur Schule steigerte sich von Semester zu Semester. Der zur Verfügung stehende Schulraum reichte daher bei weitem nicht aus. In gemeinsamer, tatkräftiger und zielstrebiger Arbeit von Staat, Stadt, Industrie und Schule wurde das Bedeutendste Werk dieser Jahre geschaffen: die Errichtung der neuen Webeschule auf einem von der Stadt zur Verfügung gestellten Bauplatz am Frankenring. Mühselige Arbeit musste geleistet werden, ehe die Verwirklichung des Planes heranreifte, bis Sicherheit über das Aufkommen der erforderlichen Bausumme bestand.“ 75 Einige Gebäude und Gebäudeteile fallen dem Rotstift zum Opfer, weil die Landesregierung inzwischen die Errichtung andere Ingenieurschulen im Blick hat. Auch wenn nicht alle Gebäude oder Gebäudeteile realisiert worden sind, so sind auf dem heutigen Campus West der Hochschule Niederrhein in Krefeld wesentliche Elemente der Vision einer (Hoch)schulstadt erkennbar, wie sie damals noch während des zweiten Weltkrieges ersonnen worden sind. Die totale Zerstörung der Webeschule an der Lewerentzstraße machte einen Neubau notwendig. Die Stadt stellte das Gelände am Frankenring in unmittelbarer Nachbarschaft zur Färbereiund Appreturschule an der Adlerstraße zur Verfügung, so dass diese Campussituation entstehen konnte. Das Hochhaus im linken Teil des Modells ist nie gebaut worden. Der Querriegel mit der Glasfassade endet – anders als im abgebildeten Modell dargestellt – an der Außenseite des aufgeständerten Audimax. Einige Elemente einer Hochschulstadt finden sich auf dem heutigen Campus West wieder: Studenten leben im Wohnheim an der Adlerstraße, essen in der Mensa des Studentenwerkes am Frankenring und feiern im AStA-Keller des gleichen Gebäudes. Angelegenheiten der Studentischen Selbstverwaltung werden im AStAGebäudes am Frankenring erledigt. Außer in den Fachbereichen auf dem Campus wird in den selbständigen Ablegern der Textilingenieurschule geforscht. Das DTNW (deutsches Textilforschungsinstitut Nord-West), welches durch einen Kooperationsvertrag mit der Hochschule verbunden ist, baute 1958 ein eigenes Gebäude in direkter Nachbarschaft zum heutigen Campus West. Die „Wäschereiforschung„ wurde 1949 im Verlängerungsbau an der Adlerstraße untergebracht. 1991 wurde es ein An- In­sti­tut der Hoch­schu­le Nie­der­rhein und in „wfk- For­schungs­in­sti­tut für Rei­ni­gungs­ tech­no­lo­gie“ um­be­nannt. Dies ging einher mit einer Er­wei­te­rung des Auf­ga­ben­be­reichs auf die Rei­ni­gung har­ter Ober­flä­chen (z.B. me­di­zi­ni­sche Ein­rich­tun­gen, me­di­zi­ni­sche In­stru­men­

74 Wagner, Textilingenieurschule Krefeld, S. 25–26 75 100 Jahre Textilingenieurschule, S. 27


Abb. 46 Glasfassade Campus West am Frankenring

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Abb. 47 Audimax des Campus West am Frankenring


te und Im­plan­ta­te, Rein­räu­me, Industrieanwendungen) sowie Hy­gie­ne und Um­welt­fra­gen. Im Jahr 2000 wurde das „wfk-Forschungsinstitut“ von der Ad­ler­stra­ße in ein neues Ge­bäu­de im Cam­pus Fich­ten­hain in Kre­feld ver­la­gert. Die Gebäude am Frankenring sind die ersten Nachkriegsbauten und zugleich die ersten, die nicht vom Stil des 19. Jahrhunderts geprägt sind, sondern Stilmittel und technische Möglichkeiten des 20. Jahrhundert nutzen. 1955 kehrte Prof. Georg Muche aus seinem Exil in Xanten ins Zentrum des textilen Geschehens zurück und bezog die Atelier-Pavillons mit den Dachgartenfreiflächen im neuen Haus am Frankenring, wo er bis 1958 seine Meisterklasse betreute.76 Wend Fischer schreibt über den Neubau: „Stahl, Beton und Glas sind die charakteristischen Bauma­terialien unserer Zeit. Sie bildeten die materielle Voraussetzung für die Wandlung, die sich in der Architektur seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert vollzogen hat. Speziell für die Architektur bedeutet diese stilgeschichtliche Wandlung: Abkehr von einer vorzugsweise auf äußere Wirkung bedachten Gestaltung, Abkehr von der dekora­tiven Fassade, von körperhafter Wucht und Schwere, und stattdessen Hinwendung zu einem von innen heraus sinnvoll und zweckmäßig entwickelten Raum-Gefüge, das unter Verzicht auf jede zusätzliche ,,Verschönerung“ als klare, sachliche Raum-Gestalt in Erscheinung tritt. Denn der Architekt Bernhard Pfau, dem im Wettbewerb für die Gestaltung der neuen Schule der erste Preis zugesprochen wurde, hat die neuen gestalterischen Mittel so sinnvoll und konsequent eingesetzt, daß das von ihm entworfene Bau­werk nicht nur alle Forderungen der Bau-Aufgabe voll­kommen erfüllt, sondern darüber hinaus exemplarische Be­deutung für das Bauen unserer Zeit besitzt. … Auf Mauerwerk oder Stahlstützen konnte also an den Außenfronten ver­zichtet werden, benötigt wurde nur eine begrenzende und schirmende ,,Haut“. So sind die Fronten völlig in Glas auf­gelöst, in durchsichtiges oder undurchsichtiges Glas, wie es die Zweckbestimmung der Räume jeweils erforderte. … Hier befindet sich auch der Haupteingang, der von dem kühn vorspringenden Auditorium Maximum, das auf vier Stützen stehend 500 Personen Platz bietet, überdeckt ist. Das Dachgeschoß mit seinem reizvollen Wechsel von Atelier-Pavillons und Dachgarten-Freiflächen ist für die Aufnahme von Prof. Georg Muches „Meisterklasse für Textilkunst“ hervorragend ge­eignet. … Hier ist durch Intelligenz, Logik und gestalterische Kraft erreicht, was Bundespräsident Prof. Theodor Heuß kürzlich forderte, als er davon sprach, daß unsere Architekten ,,die neuen Materialien zum Klingen bringen“ sollten, daß die Archi­tektur unserer Zeit wieder der Musik benachbart sein möge. Wer vor das neue Haus der Textilingenieurschule tritt, es anschaut und hineinschaut, wer den Einklang der lichten, transparenten, spiegelnden Raum-Gestalt mit dem Grün der Umgebung, mit Himmel und Wolken, empfindet, wer die klaren, hellen Räume durchschreitet und sich in ihre freie offene Geborgenheit aufnehmen läßt, – der wird wahrnehmen, daß hier unwägbar, ungreifbar etwas ein- und hinzugetreten ist, das wie ein poetischer Zauber, wie eine belebende Seele dieses so strenge und sachliche Bauwerk durchwirkt.“ 77

76 Textilkultur, S. 67 u. 73 77 Fischer, Das neue Haus der Textilingenieurschule, in: 100 Jahre Textilingenieurschule Krefeld, S. 12–13 112  113


Die neue Ingenieurschule für Maschinenwesen Nicht nur in der Architektur, auch in Politik, Gesellschaft, Technik, und Wirtschaft beginnt eine neue Zeit. 1948 symbolisiert die Währungsreform den Neuanfang. 1949 wird Ludwig Erhard der erste Wirtschaftsminister der neuen Bundesrepublik Deutschland. Mit seiner sozialen Marktwirtschaft startet das Wirtschaftswunder, das dringend Fachkräfte braucht. Der Düsseldorfer Landtag mahnt in der zweiten Hälfte der 50er Jahre eine Stärkung des Ingenieurschulwesens an. 1957 verkündet Kultusminister Prof. Luchtenberg, dass in NRW drei neue Ingenieurschulen gegründet werden sollen, und zwar in Ostwestfalen (Bielefeld) und Südwestfalen (Siegen). Der dritte Standort bleibt zunächst unbekannt, aber er soll im Westen von NRW sein.78 Krefeld und Mönchengladbach sind bereits jeweils Sitz einer Textilingenieurschule. Was kann man hier noch zusätzlich erwarten? „In Krefeld, der Samt- und Seidenstadt, werden zwar 80 Prozent aller Krawatten konfektioniert – die Produktionsstätten der meisten Firmen mussten aber in Länder mit niedrigen Löhnen verlagert werden. Diese Entwicklung beschränkte sich nicht auf die Seidenherstellung. Die Textilindustrie am Niederrhein insgesamt war davon betroffen. Genossen die Produkte der Krefelder Seidenbarone und ihrer Nachfolger sowie der Mönchengladbacher Tuchweber bis in die 1960erJahre weltweit einen hervorragenden Ruf, so forderte die Globalisierung ihren Tribut.“ 79

Kann die Mutter der Industrialisierung am Niederrhein – die Textilindustrie – angesichts der aus der Globalisierung erwachsenden Probleme künftig der alleinige Motor für die wirtschaftliche Entwicklung am Niederrhein sein? „Nahezu anderthalb Jahrhunderte hing das Schicksal der Stadt Krefeld und das des größten Teils ihrer Bürger fast ausschließlich am seidenen Faden. So manche Krise, so mancher Konjunktureinbruch musste verkraftet werden bis zukunftsorientiert denkende Krefelder nicht nur die Gefahren dieser industriellen Monostruktur erkannten, sondern auch handelten und von der einseitigen Ausrichtung auf die Samt- und Seidenindustrie abwichen. Es waren zunächst nicht weitblickende Stadtväter und auch nicht durch die Textilindustrie wohlhabend gewordene Fabrikanten, die der Stadt und ihren Einwohnern ein zweites Standbein verschafften; es waren Handwerker, die aus kleinsten Anfängen heraus die Eisen- und Stahlindustrie Krefelds etablierten, und es war ein in anderen Kategorien als Samt und Seide denkender Bürger, der die Stahlindustrie nach Krefeld holte.“ 80

Die Firma Gebrüder Kleinewefers erwirbt 1906 ein Grundstück in der Nähe des Kapuzinerklosters im Krefelder Stadtteil Inrath, wo noch heute die Gießerei von der Firma Siempelkamp betrieben wird, die Transportbehälter (Castor) für nukleare Abfälle und große Gussstücke im „ Weltrekord-Maßstab“ herstellt. Die Stahl- und Eisenindustie hat sich bereits im 19. Jahrhundert parallel zur Textilindustrie entwickelt und bietet so eine weitere gute Grundlage für den Aufbau des Textilmaschinenbaues, der mit der Integration von maschinenbaulichen, elektrotechnischem, chemischen und textilem Know-how einen großen Erfahrungsschatz liefert, der auch in anderen Branchen verwertbar ist.

78 Prof. Dr. Karlheinz Brocks, Gründungsrektor der FHN,“ Von der Ingenieurschule zur Fachhochschule“ in „30 Jahre Ingenieurausbildung in Krefeld“, S. 11–21 79 Porschen/IHK, S. 87 80 Ernst, W. , S. 13


Abb. 48 Gussstück aus dem Stahlwerk Kleinewefers

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Abb. 49 Maschinen zur Papierveredlung


Abb. 50   Elektromaschinenbau Schorch

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Aus Mönchengladbach wird berichtet: „Von der anfänglichen bloßen Maschinenreparatur führte der Weg zu Reproduktion „original englischer“ Ersatzteile und dann zur Entwicklung eigener Modelle. Wie in England war der Maschinenbau Folgeindustrie, wobei im Maschinenbau die Impulse aus Belgien kamen, das als erstes Land auf dem Kontinent die englische Industrierevolution nachvollzogen hatte.“ 81 Um 1900 gibt es bereits 25 Maschinenfabriken in Mönchengladbach, die teilweise Weltgeltung erreichen und nach und nach mehr Umsatz generieren als die Textilerzeugung. Wie deren Erfahrungsschatz genutzt wird, um angrenzende Geschäftsfelder zu erobern und neue zukunftsträchtige Bereiche zu erschließen, sollen nachfolgende Beispiele belegen: Die Erfah-

rung bei der Verarbeitung von Warenbahnen wie im Textilbereich kommt den Herstellern von Papierveredlungsmaschinen zugute. Der Firma Kleinewefers, die als Werkstatt für Schlosserarbeiten für die Textilindustrie und als Hersteller des „Strumpfstuhls“ begonnen hat, gelingt damit der Vorstoß an die Weltspitze im Papierveredlungsbereich. Fachlich damit eng verbunden sind die Hersteller von Gavurwalzen, wie A. + E. Ungricht in Mönchengladbach und Dornbusch Gravuren GmbH in Krefeld ( seit 1990 in Kempen). „Beide stellen heute Walzen für den Tiefdruck von Tapeten, Dekopapier, Folien, Verpackungen und Holzfuniere, Prägewalzen für Kaschierungen aller Art her.“ Zulieferbertriebe entstehen. In Neuss werden von der Firma „Textron“ (früher Bauer & Schauerte) hochfeste Schrauben unter den bekannten Markennahmen „Inbus“ und „Verbus“ produziert. Für das Rheinische Braunkohlerevier stellt die Grevenbroicher Maschinenfabrik Buckau R. Wolf AG riesige Schaufelradbagger und Fördergeräte her. In Mönchengladbach entwickelt sich eine elektrotechnische Industrie.

81 Jansen-Winkeln, S.61–62


Abb. 51   Kabelwerk Rheydt

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Abb. 52 Lichtwellenleiter vom Niederrhein


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Abb. 53 GieĂ&#x;erei Siempelkamp (frĂźher Kleinewefers)


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Abb. 54 Drei St채dte wollen die Ingenieurschule; Skizze Brocks


Abb. 55   Sonderbeitragsordnung der IHK Krefeld

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Der Maschinen und Anlagenbauer Siempelkamp in Krefeld stellt seit 1883 Pressen für die Metall- und Holzindustrie her. „Conti-Rolls“ nennt die Firma ihre 60 Meter langen automatisierten Fertigungsstraßen für die Herstellung von Spanplatten, die rund um den Globus zum Einsatz kommen. Die „Guss- und Reaktortechnik“, eine andere Sparte des Krefelder Unternehmens, ist Weltmeister beim Herstellen von großen Maschinenteilen aus einem Stück (heute über 250 Tonnen/Stück). Wegweisende Technologien bei der Herstellung von Transportbehältern für den Transport von radioaktiven Brennelementen (Castor-Behälter) machten das Unternehmen zum Marktführer. Aus dem Textilmaschinenbau geht das Mönchengladbacher Unternehmen Scheidt & und Bachmann hervor. Frühzeitig nutzte man die daraus gewonnene Erfahrung für das Erschließen anderer Geschäftsfelder, Bahnüberganganlagen, Stellwerks- und Signalanlagen. Bereits 1932 entwickelt das Unternehmen angesichts des steigenden Straßenverkehrs Kraftstoff-Zapfanlagen sowie Kassen- und Schrankenautomaten von Parkhäusern. Die expandierenden Unternehmen in Krefeld und Mönchengladbach benötigen dringend Ingenieure. Eine Tatsache, an der die Landesregierung in Düsseldorf bei der Entscheidung über den dritten Standort einer Ingenieurschule nicht vorbeikommt. Bewerber sind die Städte Düsseldorf, Mönchengladbach und Krefeld. „Diese Konkurrenz-Situation nutzte das Land ziemlich brutal: Es verhieß die neue Schule jener Stadt, die für den Bau nicht nur das kostenlose Grundstück beisteuere, sondern dazu auch eine Baukostenbeteiligung von 2 Mio. DM leiste, bei geschätzten 10 Mio. DM Gesamt­ kosten waren dies 20 Prozent“. 82

Die Rheinische Post bringt am 9. Mai 1957 die Schlagzeile: „Land versucht die Gemeinden zu schröpfen“. Prof. Dr. Karlheinz Brocks, Stellvertreter des ersten Direktors der Ingenieurschule und später Gründungsrektor der Fachhochschule Niederrhein, beschreibt den Fortgang des Geschehens 1988 aus Anlass des 30-jährigen Jubiläums der neuen Ingenieurschule: „Die Stadtvä­ter unter Oberbürgermeister Hellenbrock beschlossen: 1. D ie Stadt Krefeld bietet ein Grundstück von 28 468 qm an der Reinarzstraße an, dazu weitere 14 000 qm als Reservefläche für spätere Erweiterungen (das Kleingar­tengelände auf der Rückseite der Hochschule). 2. D ie Stadt Krefeld bietet an, die neue Ingenieurschule während der Bau-Phase provisorisch unterzubringen (Sie ahnte damals nicht wie teuer dieses freundliche Angebot für sie werden würde. Denn das Provisorium dauerte dann sieben Jahre!). Die 2 Millionen DM Bau – Zuschuß vermochte die Stadt aber beim besten Willen nicht aufzubringen. So kam es Ende 1957 zu einem Gespräch zwischen den Spitzen der Stadt vertreten durch den Oberstadtdirektor Dr. Heun und Stadtdirektor Dr. Hölle, und dem Vorsitzen­den der Krefelder Metallindustrie, dem späteren Oberbürgermeister Herbert van Hüllen. Bei diesem Gespräch sagte van Hüllen der Stadt zu, daß die Industrie Krefelds einen Anteil in Höhe von 1 Million DM übernehmen werde.“ 83 Dieser Beitrag kommt 1958 tatsächlich zustande. In einer Sonderbeitragsordnung der IHK Krefeld wird festgelegt, dass ein Baukostenzuschuss in Höhe von einer Million DM übernommen wird. Die Verzinsung und Rückzahlung des dafür notwendigen Darlehens wird von allen

82 30 Jahre Ingenieurausbildung in Krefeld, S. 11–12 83 30 Jahre Ingenieurausbildung in Krefeld, S. 12–13 126  127


Krefelder Metall- und Elektrounternehmen über mehrere Jahre verteilt und gestaffelt entsprechend den Lohn- und Gehaltssummen aufgebracht. Die Inanspruchnahme der Reservefläche für Erweiterungen (das Kleingar­tengelände auf der Rückseite der Hochschule) führt zu öffentlichen Diskussionen. Die Verpachtung an die Kleingärtner erfolgt weiterhin durch die Stadt. Diese verlangen Ersatz für ihre Parzellen, von denen sie sich ohne Entschädigung vertrieben fühlten. Die Industrie braucht dringend Ingenieure. 1956 fehlen in NRW 40.000 Ingenieure.84 Das Engagement der Krefelder IHK und ihrer Mitgliedsfirmen lohnt sich: Am 12. Februar 1958 entscheidet sich das Kabinett Steinhoff für Krefeld. Minister Luchtenberg nennt drei Gründe: Krefeld hat eine sehr differenzierte Industrie; die Stadt verfügt über ein Hinterland, das in einer sehr starken industriellen Entwicklung begrif­fen ist. Und Krefeld bietet einen Bauplatz an, der bahnhofs­nah und doch ruhig gelegen ist. Zunächst sind zwei Abteilungen vorgesehen, Maschinenbau und Nachrichtentechnik. Eine dritte Abteilung soll hinzukommen, doch ist über deren fachliche Ausrichtung noch nicht entschieden. Und es finden sich weitere Förderer: Der

damalige Präsident der Oberpostdirektion Düssel­dorf, Wosnik, bekundet das große Interesse der Bun­despost an der geplanten Abteilung Nachrichtentechnik und bietet der Stadt an, mit einem günstigen Post-Kredit zu helfen. Wenig später leisten auch die Bayer-Werke in Uerdingen einen namhaften Beitrag zu den Baukosten und nehmen damit Einfluss auf die fachliche Ausrichtung der dritten Abteilung: Die Verfahrenstechnik konnte schon ein Jahr nach der Gründung starten, weil die Argumente der Chemischen Industrie am Niederrhein den Minister überzeugen. 1958 wird die Staatliche Ingenieurschule in Krefeld gegründet. Es beginnt die Zeit eines Provisoriums, denn erst zum Beginn des Sommersemesters 1965 kann der Neubau an der Reinarzstraße bezogen werden. Der Bau verzögert sich um mehr als ein Jahr, als das Ende 1960 vom Kultusminister genehmigte Raumprogramm über 13.000 qm durch den Einspruch des Wiederaufbauministers auf 11.000 qm gekürzt werden muss. Ein Stück Wehmut klingt mit beim Bericht von Dr. Brocks über den Abschied vom Provisorium: „Abschied und Neubeginn. Der Umzug zu Beginn des Sommersemesters 1965 bedeutete ein doppeltes Abschiednehmen – vom siebenjährigen Provisorium und von Dr. Wüstehube, dem Grün­dungsdirektor. Bezogen wurde nämlich der Neubau just an dem Tage, als der erste Direktor in den Ruhestand ging. Sein Traum, noch einige Semester in dem von ihm konzipierten Neubau regieren zu können, erfüllte sich leider nicht. Sein Nachfolger in der Direktion wurde Dr. Kocka. Er war Verfahrenstechniker und kam von der Ingenieurschule Essen. Der Lehrbetrieb im neuen weiträumigen Domizil lief dank der vorzüglichen Planung reibungslos an. Aber mit dem lockeren Klima des Provisoriums und der engen Gemeinschaft zwischen den Abteilungen war es leider end­gültig vorbei.“85 Das Provisorium funktioniert, auch wenn es länger dauert als ursprünglich geplant. Zwei Persönlichkeiten aus unterschiedlichen, getrennt organisierten Schulen mit der Gabe zur Verständigung und der Bereitschaft, Probleme gemeinsam zu lösen, haben große Verdienste um das Gelingen der Neugründung: der Direktor der Krefelder Textilingenieurschule (TIS) Prof. Dr. Paul-August Koch und der erste Direktor der neuen Staatlichen Ingenieurschule (SIS) Dr. Wüstehube.

84 Joachim Metzner, Fachhochschulen in Deutschland, S. 14 85 Brocks, Von der Ingenieurschule zur Fachhochschule, in: 30 Jahre Ingenieurausbildung in Krefeld, S. 11–21.


„Mit wachsender Studen­tenzahl wuchs auch der Raumbedarf. Schulamt und Hochbauamt der Heimatstadt Krefeld be­mühten sich immer wie­der um den Ausbau und die Anmietung neuer Räume – zunächst in den Resten der alten Web­schule am Deutschen Ring (zärtlich „Webstall“ genannt, sodann in den Shedräumen der TIS, die bislang von den Theater­malern als Werkstätten genutzt waren und in den oberen Etagen der Wä­schereiforschung an der Adlerstraße. In den Kellern unter der TIS fanden Werkstätten und Labora­torien Platz. Und das jüngste Kind der Ingenieurschule, die Verfahrenstechnik, erhielt ihr Domizil in den Keller­räumen der Firma Keppel am Deutschen Ring. Dort war auch die „Wiege“ der Bibliothek, die Herr Gdaniec umsichtig betreute. Zu diesem Provisorium zählte ferner die Nutzung des Chemie-Praktikums in der nahegelegenen „Albert-Schweitzer-Realschule“ und der „Laboratorien der Edelstahlwerke“. Per städtischen Bus fuhren die höheren Semester zum Praktikum in die nahegelegenen Ingenieurschulen Duisburg und Essen.“ 86

Der spätere Sitz der Fachhochschule Niederrhein ist in Krefeld an der Reinrzstr.49 als Domizil der „neuen Ingenieurschule“ gebaut worden. „Nach Plänen des Krefelder Architekten Kirchberg entstand Anfang bis Mitte der sechziger Jahre das Gebäude der damaligen Ingenieurschule für Maschinenwesen. Es präsentiert sich als gediegener, wenn auch etwas biederer Bau der Architektonischen Moderne. Mit seiner horizontalen Fassadengliederung nimmt der asymmetrisch mehrflügelige Bau den damaligen Zeitgeist und die räumliche Situation nahe der Kreuzung zweier Ausfallstraßen auf: Das Gebäude will umfahren, nicht umgangen werden. Kleinere Pavillonanbauten ergänzen die Anlage, die mit viel Grün räumlich großzügig gegliedert ist. Im Inneren überwiegt eine etwas schwere Materialästhetik aus verschiedenen Steinarten und Holz. Eine hoffentlich noch lange erhaltene Rarität findet sich am Ende des Foyers – ein funktionstüchtiger und vielseitig genutzter Paternoster.“ 87

86 ebenda 87 Sachsse, Anpassung an unselige Zeitgeister, S. 82,83 128  129


Abb. 56 Einzug in den Neubau an der ReinarzstraĂ&#x;e (Dr. Brocks)


Abb. 57 Prof. Dr.-Ing. P.-A. Koch

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Abb. 58 Das Haus der neuen Ingenieurschule Krefeld


Abb. 59 Baudirektor Dr.-Ing. Ernst Wüstehube

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Abb. 60 Die Gr端ndermannschaft der HWF


Die neue Höhere Wirtschaftsfachschule Am 2. Oktober 1962 wird im Balkonsaal der Kaiser-Friedrich-Halle in Mönchengladbach gefeiert: Die „Staatliche Höhere Wirtschaftsfachschule“ wird offiziell eröffnet. Es sprechen der Kammerpräsident Prof. Dr. Viktor Achter und der erste Direktor der neuen Höheren Wirtschaftsfachschule, Dr. Hans Joachim Quasdorff. Diese wiederum bilden den Rahmen für den Sohn der Stadt Mönchengladbach, den Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Dr. Franz Meyers. Dr. Quasdoff erinnert sich 1987 anlässlich des „Silberjubiläums“, warum die „Errichtung von Schulen neuen Typs“ notwendig war: „Eine moderne Kulturpolitik muß also davon ausgehen, daß die Wirtschaft einen eigenen Kulturbereich darstellt. Die Berufstätigen sollen nicht ein Rädchen im Triebwerk der Wirtschaft sein, sondern sollen diese geistig und sitt­lich beherrschen lernen. Je mehr die Wirtschaft ihre Be­triebe mechanisiert und rationalisiert, umso notwendi­ger wird es, die Urteilsund Handlungsfähigkeit der Men­schen in der Wirtschaft zu erhöhen, damit sie nicht Ob­jekt der Arbeitsteilung sind, sondern einen Überblick über ihre Wirkungsmöglichkeit erhalten, ohne den ihnen ihre Tätigkeit nicht Beruf im rechten Sinne des Wortes werden kann.“ 88 Diese Erkenntnisse spielen sicherlich eine Rolle, als die Landesregierung in Düsseldorf 1962 beschließt, Staatliche Höhere Wirtschaftsfach­schulen einzurichten. Wie bei der Gründung der „neuen Ingenieurschulen“ vor vier Jahren hat man eine ausgewogene Verteilung über das noch junge NRW im Sinn: Mit Bielefeld in Ostwestfalen und Siegen im Süden ist es klar, dass der dritte Standort im Westen liegen muss. Dr. Franz Meyers, von 1952 bis 1958 Innenminister und von 1958 bis 1966 Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, erinnert sich an seine Heimatstadt Mönchengladbach, „der er diese Schule als Geschenk übergibt“. Hätte die Stadt Mönchengladbach dieses Geschenk den Bürgern und der Wirtschaft übergeben müssen, wäre dieses sicher teurer geworden. Diese Erkenntnis macht gerade der Krefelder Ober­ bürgermeister, der noch mitten in der Phase eines kostspieligen Provisoriums steckt. Als man im Oktober 1962 in der Kaiser-Friedrich-Halle die Worte des wohl vertrauten Landesvaters hört, dass „er sich persönlich dafür einsetzen wird, daß die Schule durch entsprechende Baumaßnahmen schnell zu einem eigenen Gebäude kommen werde“, ahnen die Anwesenden nicht, dass es 1966 zu einem Regierungswechsel kommt und sich der neue Landesvater nicht an die Versprechungen seines Vorgängers hält. Zunächst geht aber alles sehr schnell. Bewerben können sich die jungen Leute bis zum 19. März 1962 bei der IHK oder der Stadt Mönchengladbach. Am 2. Mai begrüßt Oberstudiendirektor Quasdorff 45 junge Männer im Durchschnittsalter von 22 Jahren. Junge Frauen sind noch nicht dabei. Nur zwei Studienanfänger kommen aus Mönchengladbach, alle anderen aus anderen Städten in NRW und sogar aus Süddeutschland. Gemeinsam mit den Studienräten Horst Vogler und Hans Kaiser startet Dr. Quasdorff das erste Semester in einigen Räumen der katholischen Volksschule Kabelstraße.

88 Quasdorff: Die Aufbaujahre, in: 25 Jahre betriebswirtschaftliche Ausbildung, S. 14–15. 134  135


Abb. 61 Entwurf Neubau HWF


„Die Stadtverwaltung hatte Räume in einer Schule in der Kabelstraße zur Verfügung gestellt. Im Haushaltsplan des Landes waren DM 10.000,- für die Ersteinrichtung der Schule eingesetzt. Die drei Lehrer, die am 30. April 1962 zu einer ersten Kon­ferenz zusammenkamen, fragten sich, ob ihre wirt­schaftlichen Fähigkeiten erprobt werden sollten, mit die­sem Betrag zurechtzukommen. Dank der Hilfen der Stadt Mönchengladbach und einer späteren Aufstockung des Haushaltsbetrages gelang es: Man konnte bei der Einweihungsfeier der HWF, die zu Beginn des Wintersemesters 1962 in der Kaiser-Friedrich-Halle stattfand, dem Ministerpräsidenten, Dr. Meyers, verkünden, daß die Anfangsschwierigkeiten überwunden seien. Bald jedoch reichten die vorhandenen Räume nicht mehr aus, und es wurden auf dem Schulgelände mehre­re Pavillons errichtet, die, mit Nachtspeicheröfen ausge­rüstet, in den Nachmittagsstunden des Winters an vergangene Kriegszeiten erinnerten.“89 Im Juli 1964, pünktlich nach Absolvierung von fünf Semestern, konnten die ersten 35 Absolventen verabschiedet werden. „Sie glauben gar nicht“, hatte Dr. Hans-Joachim Quasdorff zwei Monate vorher dem RP-Redakteur anvertraut, „wie sehr sich die Wirtschaft heute schon um unsere Studierenden bemüht“. 90 250 Studierende sind zu diesem Zeitpunkt eingeschrieben, darunter sechs Frauen. Die Schule wird zweizügig mit einer Kapazität von 280 Studierenden geführt, ein dreizügiger Ausbau mit einer Kapazität von 420 Studierenden wird geplant, um dann möglichst allen Zulassungsanträgen entsprechen zu können. Eigentlich stimmen die Randbedingungen für eine florierende Entwicklung der Höheren Wirtschaftsfachschule in Mönchengladbach: Die Zahl der Studienbewerber ist größer als die Kapazität, die Wirtschaft braucht mehr Absolventen als die HWF liefern kann. Aber zwei „Kriegsschauplätze“ bieten ein Wechselbad zwischen Hoffen und Bangen: die Bauplanung und die Politik. Beide Themen gehören zusammen. Am 13. Juli 1964 besucht der Ministerpräsident in Begleitung seines Kultusministers Prof. Mikat die Staatlichen Höheren Schulen in Mönchengladbach (Textilingenieurschule und Höhere Wirtschaftsfachschule). Der Kultusminister erklärt, dass die vorhandenen Höheren Wirtschaftsfachschulen ausgebaut werden sollen. Dies ist das Dementi zu dem Gerücht, dass eine Höhere Wirtschaftsfachschule in Düsseldorf errichtet werden soll. Im nächsten oder übernächsten Etat des Landes sollen Mittel für den Bau eines Fachschulzentrums in Mönchengladbach unter Einbeziehung der Textilingenieurschule eingesetzt werden. „ Das Land will alle Wünsche erfüllen“, jubelt die Rheinische Post. Enttäuschung und Hochstimmung wechseln: Ende 1964 äußert Dr. Quasdorff entmutigt „Ich frage mich, wie lange es noch vertretbar ist, jungen aufstrebenden Menschen mit Behelfen zu kommen …“. Im Januar 1965 ein Silberstreif: „Nun weiß man endlich wo man baut, nämlich zwischen Richard-Wagner-Straße und Theodor-Heuß-Straße.“ Im Mai 1965 hofft Dr. Quasdorff „ … , dass die HWF allerspätestens im Frühjahr 1968 in ihr eigenes Gebäude einziehen kann“. 91 Einen großzügigen Entwurf legt der Architekt Ludwig Hinrichs für den Neubau an der Webschulstraße vor. Voller Begeisterung heftet sich Dr. Quasdorff die Bauentwürfe in seinem Dienstzimmer an die Wand, die der Architekt Ludwig Hinrichs ohne vorherige Ausschreibung – aus Zeitgründen – geschaffen hatte. Im Frühjahr 1967 sollen die Bauarbeiten beginnen, im

89 Quasdorff, Die Aufbaujahre, in: 25 Jahre Betriebswirschaftliche Ausbildung, S. 14–15 90 ebenda, S. 7–13 91 ebenda 136  137


Sommersemester 1969 soll das sechs Millionen Mark teure Gebäude bezogen werden. Das Hauptgebäude soll 25 Klassen- und Seminarräume aufnehmen, dahinter ist ein eingeschossiger Teil für die Dozenten und die Verwaltung geplant. Die drei Innenhöfe können nach Vorstellung Dr. Quasdorffs durch Springbrunnen zu Stätten der Erholung werden. Es kam aber anders: Nach dem Regierungswechsel in Düsseldorf waren im Entwurf des Landeshaushalts 1967 keine Mittel für den Neubau mehr vorgesehen. ,,Schaut man den Weg der Schule, die am 3.Oktober 1962 eröffnet wurde, einmal zurück, so muß man feststel­len, daß er mit Hoffnungen und Versprechungen gerade­zu gepflastert war“,schrieb die Rheinische Post am 2. März 1967. Und es kam noch dicker: Im Zusammenhang mit Düs­seldorfer Plänen, eine neue HWF zu gründen, kursierten Gerüchte über die Verlegung der Mönchengladbacher Schule. RP-Redakteur Rudolf Wildermann erfuhr am 5. April zwar direkt aus dem Mund des neuen Kultusmini­sters Fritz Holthoff, dass ,,weder in seinem Ministerium noch im Landeskabinett die Absicht vorhanden sei, die Höhere Wirtschaftsfachschule von Mönchengladbach zu verlegen“, doch schon am 8. Juni erklärte Holthoff in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Klose und Giesen (CDU): ,,Die Höhere Wirtschafts­fachschule in Mönchengladbach wird nur von 87 Studie­renden, die im unmittelbaren Einzugsbereich wohnen, besucht. Etwa zwei Drittel der Studierenden kommen je­doch aus dem Raum Düsseldorf-Duisburg-Essen. Diese Studierenden haben zum größten Teil unzumutbare Fahrwege zurückzulegen. Die Landesregierung wird die weitere Entwicklung der Zusammensetzung der Studie­renden dieser Fachschule beobachten, um zu prüfen, ob die Entscheidung über den Standort einer Berichtigung bedarf.“ Rudolf Haupt berichtet anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Wirtschaftsfachschule: „Man kann sich vorstellen – und Fotos zeigen es – mit welch großer Anspannung nur drei Wochen später, am 29. Juni, der ,,Auftritt“ des Fraktionsvorsitzenden der SPD im Düsseldorfer Landtag und Vorsitzenden des Kul­turausschusses in der Evangelischen Studentenge­meinde Mönchengladbach aufgenommen wurde. Sein Name: Johannes Rau. ,Neugründungen von Höheren Wirtschaftsfachschulen‘, so sagte Rau auf eine Frage von Oberstudiendirektor Dr. Quasdorff, ,werde es vor der Verwirklichung des Akademiegesetzes auf keinen Fall geben.92 Es werde auch nach diesem Zeitpunkt vorläufig nicht zu Neugründungen kommen‘. Das war quasi eine Bestandsgarantie für die Mönchengladbacher Schule -und ein Affront gegen den Kultusminister. Holthoff, das machte Dr. Quasdorff außerdem vor dem Förderverein am 7. Juli deutlich, hatte in seiner Stellung­nahme zwar richtige Zahlen, aber trotzdem nicht die volle Wahrheit verkündet. Weit über die Hälfte der Stu­denten erklärte nämlich, daß sie die HWF Mönchenglad­bach einer entsprechenden Einrichtung in Duisburg, Es­sen oder Düsseldorf vorziehen würden – und zwar auch Studierende aus den genannten Orten. Kann man sich einen überzeugenderen Beweis für den guten Ruf der Schule wünschen? Diesen Eindruck teilte gut zwei Mo­nate später endlich auch der Landtag, indem er als erste Rate zwei Millionen Mark für den Neubau bewilligte.“ 93

92 Ein Akademiegesetz lag dem Kulturausschuss des Landtages vor. Damit sollte die Akademisierung der Ausbildung betont werden. 93 Haupt, Studenten fordern Mitbestimmung, in: 25 Jahre betriebswirtschaftliche Ausbildung, S. 10–11.


Am 29. Juni 1969 wurde schließlich Richtfest gefeiert, der Umzug erfolgte im August 1970. Es war das erste eigene Gebäude für eine Schule dieser Art in NRW. Prof. Dr. Rolf Sachsse kommentiert das Gebäude Webschulstr. 41–43: „Mit seinen großzügigen Fensterflächen und der unprätentiösen Gestaltung seiner statischen Elemente zeigt sich der von Ludwig Hinrichs entworfene Bau der ehemaligen Höheren Wirtschaftsfachschule Mönchengladbach aus den Jahren 1968–70 als typischer Bau seiner Zeit. Strickt auf Funktionalität hin angelegt, dabei das Credo der Moderne – Licht und Luft für allen Unterricht – zum Ausgangspunkt des Entwurfes machend, ist das Gebäude ein durchschnittlich gutes Beispiel der Schulbauten des Internationalen Stils. Im Inneren sollte Bescheidenheit signalisiert werden, dabei ist der Maßstab etwas kleinteilig geraten und sorgt mit der Überbelegung des Gebäudes für allerlei Ungemach. Hier zeigt sich die Schwierigkeit der gesamten Moderne, allein durch Proportionen und ohne jeden Schmuck eine Balance aus Raumgefühl und Funktionalität zu erhalten die leiseste Störung kann sich Fatal auswirken“.94 Der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Hochschule Niederrhein ist heute noch viel zu eng untergebracht, aber die Pläne und die Finanzierung für die längst fällige Erweiterung liegen in den Schubladen.

94 Sachsse, Anpassung an unselige Zeitgeister. 138  139


Gründung der Fachhochschule Niederrhein „ Es war kein Bildungspolitischer Urknall, der die Fachhochschulen vor einem Vierteljahrhundert ins Leben gerufen hat. Die Gründungsgeschichte dieses neuen Hochschultyps stellt sich aus heutiger Sicht eher als ein fast zehn Jahre währender, zäh verlaufender und zunächst gar nicht besonders zielgerichteter politischer Entscheidungsprozeß dar, dessen Ergebnis selbst die Gründer und Initiatoren überraschte“, schreibt Joachim Metzner 1997 über die Gründerzeit in den 60er Jahren und über die eigentliche Gründung der Fachhochschulen 1971.95 Der „zäh verlaufende“ und „nicht besonders zielgerichtete“ politische Entscheidungsprozess wird getrieben von den Bedürfnissen einer immer mehr globalisierten Industrie und Wirtschaft, der wachsende Defizite im Bildungs- und Ausbildungsbereich gegenüberstehen. Hinzu kommt in den 60er Jahren ein gesellschaftlicher Wandel, der von den Universitäten ausgeht und zu einer Studentenschaft mit neuen Ansprüchen und Selbstbewusstsein führt. Die Studenten der Ingenieurschulen und Höheren Fachschulen haben aus den Studentenrevolten der 68er am meisten gelernt und profitiert. Sie adaptieren das gestiegene Selbstbewusstsein, überlassen aber die revolutionären Ideen und Illusionen zur Veränderung der Gesellschaft und der Welt anderen. Sie definieren klare Ziele und setzen diese durch. Möglicherweise haben sie zur Definition des neuen Hochschultyps „Fachhochschule“ mehr beigetragen als die wankelmütige unentschlossene Politik.

Der Begriff „Studierende“ wird geprägt, um aus der Verlegenheit zu kommen, weder die Bezeichnung „Schüler“ noch den Begriff „Student“ benutzen zu müssen. „Schüler“, das passt nicht mehr so richtig zum angehenden graduierten Ingenieur. Student kann nur jemand sein, der ein Diplom an der Universität anstrebt. So gewinnt die Politik mit „Studierenden“ noch etwas Zeit, bevor sie sich entscheiden muss. Der Bedarf der Wirtschaft nach Fachkräften mit wissenschaftlichen und praktischen Grundlagen und der Druck der „Studierenden“ mit dem Selbstbewusstsein aus den unruhigen Jahren erlaubt keinen Aufschub mehr und erzwingen den neuen Hochschultyp. Die Studenten und Dozenten der Ingenieurschulen und Wirtschaftsfachschulen wollen keine neue Gesellschafts- oder Weltordnung, sie vertreten aber bestimmt ihre Ziele, weil sie im gleichen Boot sitzen. Der Entwurf eines Akademiegesetzes wird in NRW wie in anderen Bundesländern in den Landtag eingebracht. 96. Danach sollen Ingenieurakademien und Wirtschaftsakademien nicht rechtsfähige Bildungsstätten eigener Art sei, die zu „Ingenieuren (grad)“ oder „Betriebswirten (grad)“ ausbilden. Sie unterstehen dem Kultusminister direkt,

95 Metzner, „ Die Gründerzeit ist schon Geschichte“ in Bode, CH./Becker,W. S. 14 96 Landtagsdrucksache Nr. 1126 vom 17.5.1966


Abb. 62 Unterschriften gegen das Akademiegesetz

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also nicht mehr der Mittelbehörde Regierungspräsident, gehören aber somit nicht zu den „einfachen Schulen“ aber auch nicht zu den Hochschulen. Die Europäische Anerkennung ist nicht gewährleistet. Dozentenschaft und Studentenschaft schreiben gemeinsam einen Appell an alle Landtagsabgeordnete, dass das Akademiegesetz abzulehnen ist.

Unruhige Jahre und Wandel Der Wandel geht von den Universitäten aus. Wer von 1965 bis 1970 durchgehend an einer Hochschule studiert, erlebt trotzdem zwei verschiedene Hochschulen: die eine vor 1968 und die andere danach. 1965 wird man zur Immatrikulationsfeier mit einer auf feinem Papier gedruckten vornehmen Einladung gebeten. Es wird auf einen dem besonderen Anlass entsprechenden „dress code“ hingewiesen. Die altehrwürdige, gediegene Aula flößt Respekt ein. Jeder Erstsemester wird namentlich auf die Bühne gerufen, wo Rektor, Prorektor und Dekan in schwarzen Talaren die Neuen per Handschlag in der akademischen Gemeinschaft begrüßen. So nahe kommen die Studierenden den Rektoren und Professoren oft nie wieder. Die Vorlesungen werden meistens im Audimax oder im „roten“ oder „grünen“ Hörsaal vor einigen hundert Studierenden gehalten. Aber die Zeiten ändern sich. Die hierarchischen Hochschulstrukturen werden zunehmend von selbstbewusster werdenden Studierenden als altmodisch, überholt und undemokratisch angesehen. Man wagt es, Lehrveranstaltungen und Prüfungen zu kritisieren. Dieses neue Selbstbewusstsein resultiert aus einer allgemeinen weltweiten Bewegung, die fachliche und gesellschaftliche Beschränkungen ablehnt und grundlegende Veränderungen verlangt. Die Protestbewegungen eskalieren mit dem gewaltsamen Tod des FU-Studenten Benno Ohnesorg anlässlich einer Demonstration gegen den Schah-Besuch in Berlin am 2. Juni 1967. Als der Schah vier Tage vorher die Kaiserstadt Aachen am 29. Mai 1967 besucht, über den Marktplatz an der Figur Karl des Großen vorbei zum historischen Rathaus gefahren wird und dort mit seiner Kaiserin Farah Diba aussteigt, herrscht eine seltsame, durch den hohen Sicherheitsaufwand bedrückende Atmosphäre. Nach dem Tod von Benno Ohnesorg sollen sich nicht alle Studenten mit Diskussionen begnügen, sie wollen mehr, wollen die Hochschulen und die Gesellschaft umkrempeln, gründen und benutzen dafür studentische Vereinigungen wie RCDS, SHB, MSB Spartakus. Diese beherrschen das Studentenparlament und den AStA, der längst nicht mehr nur Sprechergremien für studentische Belange innerhalb der Hochschule ist. Im Studentenparlament wird ein „allgemeines politischen Mandat“ als selbstverständlich angesehen. Rein studentische Interessen im engeren Sinne können kaum noch thematisiert werden. Zwar sind die Studenten von Fachhochschulen nicht das richtige Klientel für gesellschaftliche Umstürze oder internationale Revolutionen. Dennoch werden sie von den gesellschaftlichen Veränderungen in Richtung mehr Freiheit, mehr Mitbestimmung und Abbau von hierarchischen Strukturen und Formen mitgezogen. Und auch sie haben plötzlich Rechte, die sie wahrnehmen, wie zum Beispiel das Recht auf „Klausureinsicht“. Nachdem die festgelegten Noten ausgehängt sind, können Termine zur Einsichtnahme der korrigierten Prüfungsunterlagen vereinbart werden. Der Student kann nachvollziehen, welche Fehler er gemacht hat und wie viel Punkte ihm dafür abgezogen werden. Gänzlich unspektakulär dagegen fällt die Diplom-Feier aus, die es in der Form, wie wir sie heute kennen, gar nicht gibt. Der Absolvent erhält ein geschäftsmäßiges Schreiben mit der Angabe, in welchem Zimmer und zu welchen Öffnungszeiten er Urkunde und Zeugnis über


das hart erarbeitete Diplom abholen kann. Der freundliche Verwaltungsbeamte spricht bei der Überreichung der Dokumente seine Glückwünsche aus und wünscht alles Gute für die Zukunft. Eine Feier mit Dress-Code gibt es nicht mehr. Diese wird erst Ende der 80er Jahre wieder eingeführt. „Studierende“ mit Selbstbewusstsein und konkreten Zielen Erst spät, 1968/69, greifen die Unruhen auf die Ingenieurschulen und Höheren Wirtschaftsfachschule über und verstärken bereits vorhandenen Diskussionen über Gegenwarts- und Zukunftsprobleme. In der Werkkunstschule streitet man um den inhaltlichen Kurs. Von den Ideen des Bauhauses hat man sich verabschiedet, jedenfalls die meisten Lehrenden. Die Meisterschule des deutschen Handwerks ist Vergangenheit. Neue Kollegen und neue Ideen bestimmen die Entwicklung in Richtung heutiger Designbegriffe wie „Objektdesign“, „Industrielle Gestaltung“ und „Visuelle Kommunikation“. Die damit verbundenen ideologischen Auseinandersetzungen werden durch die allgemeinen Unruhen noch verstärkt. 1970 wird in der Peterstraße eine Tagung unter dem Titel „Design: Theorie – Lehre – und Praxis“ veranstaltet, die zwar keine konkreten Ergebnisse bringt, aber zeigt, dass konkretere Probleme als eine Revolution auf der Tagesordnung stehen. Mehr Demokratie will man auch, und Fritz G. Winter, Direktor der Werkkunstschule, bietet sie an, in einem höheren Maße als das vorhandene System vorsieht und verkraften kann. Er führt mehr Demokratie entsprechend des von ihm entwickelten „Krefelder Modells“ 97 ein. Prof. Winter möchte die WKS in eine Gesamthochschule am Niederrhein führen. Man wirft ihm Lokalpatriotismus vor. Die Mehrheit der WKS-Hauptversammlung sieht bessere Entwicklungschancen durch ein „Abwandern“ nach Düsseldorf. Eine Alternative wäre die Einbringung der Architekten in eine Einrichtung für Bauwesen. Das will man aber auf keinen Fall wegen der befürchteten stärker technischen als künstlerischen Ausrichtung. Die WKSHauptversammlung, die nach bestehenden Ordnungen wohl gar nicht existiert, beschließt ein Misstrauensvotum gegen Prof. Winter. Dieser zieht daraus Konsequenzen, indem er den Regierungspräsidenten um die Beurlaubung als Leiter der Werkkunstschule bittet, denn ein Misstrauensvotum oder eine Abwahl des Direktors ist in den geltenden Regelungen nicht vorgesehen. Die WKS betreibt ihre eigene Zerstückelung und erhält erst als „Fachbereich Design“ in der Fachhochschule Niederrhein innere Stabilität zurück. Der Bildhauer Hans Joachim Albrecht wird Gründungsdekan. Auch in den Ingenieurschulen gibt es andere Probleme als in den Universitäten. Die Ingenieurschule für Maschinenwesen ist 1965 froh, dass sie das siebenjährige Provisorium hinter sich lassen kann und an der Reinarzstraße endlich festen Boden unter die Füße bekommt. Die Höhere Wirtschaftsfachschule steckt noch mitten drin im Provisorium, denn der Umzug in den schon zu kleinen Neubau erfolgt erst im August 1970. Bis dahin ist die Existenz der HWF in Mönchengladbach immer wieder durch Umsiedlungsgerüchte in Frage gestellt worden. Die Ingenieurschulen und Höheren Fachschulen haben Fragen nach ihrem künftigen Status bereits fest in den Blick genommen. Für diese konkreten Ziele brauchen und nutzten die „Studierenden“ ihr erwachendes Selbstvertrauen. Die Unterstützung ihrer Lehrer und ihrer Schulen haben sie bereits. Man sitzt im gleichen Boot.

97 Fritz G. Winter hatte im Rahmen seiner Arbeit im „Verein der Werkkunstschulen in der Bundesrepublik Deutschland“ im „Krefelder Modell“ das Konzept der Demokratischen Selbstverwaltung entworfen und wollte es in Krefeld einführen. 142  143


Dr. Karlheinz Brocks schreibt: „Politische Studentengruppen hatten sich gebildet – RCDS, SHB und MSB Spartakus warben mit Flugblättern und Wandparolen für ihre Aktivitäten. Und der AStA erwies sich als eine Institution, die das studentische Reform-Anliegen in massive und wirksame Aktionen umsetzte. Die Studenten forderten Mitbestimmung, Abkehr vom SchulSystem, Reform der Lehrinhalte, den Hochschul­rang ihrer Ausbildung und die Anerkennung des Inge­nieur-Abschlusses in der EG, ein Problem, das seit Abschluss der Römischen Verträge 1958 ungelöst geblie­ben war. Zur Durchsetzung ihrer Forderungen schlossen sich die Studenten aller Ingenieurschulen in der Bundesrepublik zusammen in einem Zentralverband, dem SVI (Studieren­den-Verband deutscher Ingenieurschulen), der nun – gemeinsam mit dem Dozentenverband, dem VDDI – die Einbeziehung der Ingenieurschulen in den Hochschul­bereich forderte. Die Kommilitonen der Werkkunstschu­len und der Höheren Fachschulen schlossen sich ihnen an. Die Kultusminister-Kon­ferenz reagierte anfangs mit der vorsichtigen Emp­ fehlung, den Ingenieur­schulen einen Akademie-Status zu geben. Doch die Entwicklung überrollte diesen Versuch. Die Un­ruhe ergriff nun den Lehr­betrieb. Und im Sommer­semester 1969 eskalierte sie zum totalen Vorle­sungsboykott: Die Stu­denten ,,opferten“ ein ganzes Semester – ein beispielloser Einsatz für ihre Sache.“ 98

In der Höheren Wirtschaftsfachschule liefert Oberstudiendirektor Dr. Quasdorff den „Funken zum Überspringen“: Er ordnet am Feiertag ,,Mariä Empfängnis“ Unterricht an. Die Studenten reagieren mit Streik, denn demokratische Strukturen gehören zum Kern ihrer Forderungen. Sie fordern Mitbe­stimmung, wie es im Entwurf zum Akademiegesetz vorgesehen ist. Das Akademiegesetz, welches nie verabschiedet wird, soll den Höheren Fachschulen und Ingenieurschulen eine gewisse Akademische Anerkennung bringen, ohne sie den „richtigen Hochschulen“ gleichzustellen. Am 25. April 1968 beginnen sie gemeinsam mit den Kommi­litonen der Textilingenieurschule Mönchengladbach und den anderen Höhe­ren Fachschulen im Lande einen unbefristeten Vorle­sungsstreik. Rudolf Haupt beschreibt die Situation anlässlich des 25-jährigen Jubiläums: „Zielscheibe ihres Protestes, der von CDU-Abgeordneten unterstützt wurde, war das Akademiege­setz, das im Entwurf dem Kulturausschuß des Landtags vorlag.

Im Wesentlichen stellten die Studenten vier For­derungen: 1.      Erhebung der HWF in den Stand einer Hochschule. 2.      Die Zulassungsordnung müsse neu gere­gelt werden, die Eingangsvoraussetzungen müßten sich an die Bestimmungen im europäischen Ausland anpas­sen, um das freie Niederlassungsrecht sicherzustellen. 3.       Nach Abschluß der Ausbildung an der HWF müsse das Weiterstudieren an einer , ,klassischen“ Hochschule möglich sein. 4.       Die Akademien sollten demokrati­scher strukturiert, der Studentenvertretung eine ,,echte Mitgestaltung“ ermöglicht werden.99

98 Brocks, Die unruhigen Jahre, in: 30 Ingenieurausbildung in Krefeld, S. 19 99 Haupt, Studenten fordern Mitbestimmung, in: 25 Jahre betriebswirtschaftliche Ausbildung, S. 10


Die Dozenten solidarisierten sich mit den stu­dentischen Zielen. Zu Spenden für die Streikkasse, in die jeder Student zehn Mark im Monat einzahlte, war auch die Industrie aufgerufen. Auch Direktor Dr. Quasdorff drängte auf eine baldige Klärung ,,im Gesamtinteresse der Schule“. Vom Kultusministerium wurde den Studierenden das Semester aberkannt. Dr. Brocks beobachtet die Situation aus der Position des stellvertretenden Direktors der Ingenieurschule für Maschinenwesen: „Der Erfolg stellte sich prompt ein: Der damalige Kultusminister Fritz Holthoff reagierte noch während des Streiksemesters. Am 29.7.1969 wurde das von ihm vorgelegte Fachhochschul-Gesetz im Landtag von Nordrhein-Westfalen verabschiedet mit dem 1.8.1971 als Termin der Umwandlung. Für das Wintersemester 1969/70, das auf den Vorlesungsboykott folgte, gab er den Ingenieurschulen sogar schon eine Neuregelung, die auf die Fachhoch­schule vorbereiten sollte:

>> die Einführung der Selbstverwaltung auf Schul- und Abteilungsebene unter Beteiligung der Studenten und Mitarbeiter. Hauptversammlungen und Abteilungsversammlungen nahmen ihre Arbeit auf (der Direktor und die Abteilungsleiter blieben jedoch im Amt) >> eine Reduzierung der Stundenbelastung von 32 auf 25 Wochenstunden (zuzüglich 7 Stunden für freiwillige Gruppenarbeit). Und die bis dahin übliche„Doppelstunde“ (die Lehreinheit zu 90 Minuten) wurde durch die 45-Minuten-Stunde ersetzt >> eine Veränderung des Prüfungswesens. der Klausur­zwang entfiel und wurde ersetzt durch einen Katalog von 6 wählbaren Prüfungsformen (Referat, Kolloquium, Entwurf, Laboruntersuchung, Klausur und Ausarbeitung) >> Eine drastische Reform der Lehrinhalte und Lehrfor­men >> ein Abschied vom Schulzwang: die Teilnahme an den Lehrveranstaltungen sowie die Wahl von Prüfungsform und -termin lagen ausschließlich in der Verantwortung des Studenten. 100 Völlig unüblich war, dass der Minister die Gestaltung dieser Reform in die Eigen-Verantwortung jeder Ingenieurschule gab, jedoch mit der Auflage, dieses bis zum Beginn des neuen Semesters (1.Oktober 1969), also innerhalb kurzer Zeit zu leisten. Diese einmalige Chance wurde an der Ingenieurschule in Krefeld sofort mit wahrer Begeisterung genutzt: Innerhalb eines Monats, im September1969, entstand ein Studienkonzept, das die bewährte Tradition der Inge­nieurschule verband mit der fälligen Aktualisierung der Inhalte und fachlichen Schwerpunkte. Die Lehrgebiete wurden gestrafft und neu gegliedert, neue Praktika ein­gerichtet, Lehrinhalte zwischen den Fächern koordiniert und aktualisiert. Es war eine großartige Gemeinschafts­leistung von Dozenten, Mitarbeitern und Studenten.Wiederholt hat sich diese Situation leider nie mehr, wenige Monate später hatte das Ministerium die Aufsicht wieder ,,voll im Griff“.“

100 Brocks, Die unruhigen Jahre, 30 Jahre Ingenieurausbildung in Krefeld, S. 19 144  145


Arnulf Weuster ist während der wilden Jahre „Studierender“ der Höheren Wirtschaftsfachschule“ in Mönchengladbach. Seine Erinnerung notiert er 1987: Die Entwicklung der Staatlichen Höheren Fachschulen bzw. der Ingenieurschulen zu Fachbereichen der Fachhochschulen mußte von Dozenten und Studenten er­kämpft werden. Der Vorlesungsstreik des Sommerse­mesters 1969 hatte insbesondere folgende Ziele: Die Fachhochschulgesetzgebung mußte angeregt und for­ciert werden. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Kann-­ Regelung bezüglich der Umwandlung der Vorläufer in Fachhochschulen war in eine MußBestimmung zu ändern. Eine Differenzierung zwischen den Absolventen der Fachhochschulen und den Absolventen der Vorgän­gereinrichtungen sollte verhindert werden (Nachdiplo­ mierung). Die Fachhochschulen sollten nach dem Willen von Dozenten und Studenten als rechtsfähige Körper­schaften errichtet werden, die ihre Angelegenheiten im Rahmen des Gesetzes autonom regeln. Schließlich ging es um die Anerkennung der Studienabschlüsse inner­halb der EWG. Nach der Erinnerung des Verfassers haben seinerzeit am Fachbe­reich Wirtschaft mit drei Ausnahmen alle Studenten den Streik durchgehalten. Der notwendige Preis dafür war ei­ne Verlängerung der Studienzeit für die Streikenden um ein Semester.“ 101 Bereits am 31. Oktober 1968 fassen die Ministerpräsidenten in einem Abkommen „Zur Vereinheitlichung auf dem Gebiet des Fachhochschulwesens“ die zahlreichen Überlegungen zu Installierung eines neuen Hochschultyps zusammen und verabreden damit die Gründung von Fachhochschulen als „eigenständige Einrichtungen des Bildungswesens im Hochschulbereich“ 102 Am 29. Juli 1969 wird das Fachhochschulgesetz im Landtag verabschiedet. Der 1. August 1971 wird als Starttermin für die Fachhochschulen festgelegt. Damit wird jedoch keineswegs die dauerhafte Gründung der späteren Fachhochschulen endgültig beschlossen. In NRW sieht man die Fachhochschulen zunächst als Übergangseinrichtung bis zur Gründung der Gesamthochschulen an.

101 Weuster, Studenten im Aufbruch, in: 25 Jahre betriebswirtschaftliche Ausbildung, S. 16–17. 102 Metzner, „ Die Gründerzeit ist schon Geschichte“ in Bode, CH./Becker,W. S. 14


Standortfragen Zwischen Rhein und Maas gibt es zwei Städte, Krefeld und Mönchengladbach, die jeweils Hochschulstädte, möglichst Standorte für eigene Gesamthochschulen, werden wollen. Auf der anderen Rheinseite liegt die nicht unbedeutende und von einer starken Lobby vertretende Landeshauptstadt Düsseldorf, die standesgemäß bedient werden will. Aber auch die ehrgeizige Stadt Duisburg liegt in der Nähe und meldet ihre Ansprüche an. Am 18. März 1970 erscheint in NRW ein Regierungsentwurf für ein „Fachhochschul-Errichtungsgesetz (FHEG)“, der aber erst ein Jahr später am 8.Juni 1971 verabschiedet wird. Mönchengladbach nutzt diesen Beratungszeitraum für eigene Vorschläge: „Thesen für eine Neugründung – Gesamthochschule Mönchengladbach“ ist der Titel einer Hochglanzbroschüre, die vom Oberstadtdirektor der Stadt Mönchengladbach herausgegeben wird. Darin wird beklagt: „… in dem Entwurf der Landesregierung für das Fachhochschulgesetz ist Mönchengladbach dagegen nur als eine Abteilung der Fachhochschule Krefeld vorgesehen.“ Mönchengladbach macht in dieser Broschüre deutlich, dass bei der geplanten kommunalen Neugliederung 1975 durch die Vereinigung mit der Stadt Rheydt und der Angliederung weiterer künftiger Stadtteile ein Ballungskern entsteht, der Mönchengladbach nach Köln und Bonn (aber vor Aachen und Krefeld!) zur drittgrößten deutschen Stadt an der linken Rheinseite macht. Hingewiesen wird auf die günstige Verkehrsanbindung allgemein und speziell auf einen geplanten „hochschuleigenen“ S-Bahnhof zwischen den Hauptbahnhöfen Mönchengladbach und Rheydt. Ausgehend von den vorhandenen Standorten der TIS und der Höheren Wirtschaftsfachschule bietet die Stadt 350 ha Hochschulgelände mit Autobahnund Eisenbahnanschluss zwischen den beiden Innenstädten Rheydt und Mönchengladbach an. Tatsächlich sind S-Bahnhof und Autobahn in der Planung, werden aber dann doch nicht realisiert. Auf der letzten Seite der Hochglanzbroschüre steht eine eindeutige praktische Handlungsempfehlung, die als Übergangslösung eine eigenständige Fachhochschule toleriert, bis die in Denkschriften der „Bundesassistentenkonferenz“ und der „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“ geforderte „Gesamthochschule Mönchengladbach“ realisiert ist, die in der Endausbaustufe 20.000 Studierende haben soll. Als Fachbereiche für die Fachhochschule Mönchengladbach werden eingerichtet: Wirtschaft, Textil und Bekleidung, Hauswirtschaft, Sozialpädagogik. Im April 1972, also nach der Gründung der Fachhochschule, wird von den Städten Krefeld und Mönchengladbach eine Gemeinsame Denkschrift zum Gesetzentwurf der Landesregierung NRW über die Errichtung von Gesamthochschulen (Landtagsdrucksache 7 /1447) mit der Titel „Die notwendige Gesamthochschule für den Niederrhein in Mönchengladbach und Krefeld“ herausgegeben. Hingewiesen wird auf die gute Zusammenarbeit der beiden Städte: „Die Vertreter der Städte Mönchengladbach und Krefeld, die bereits in zahlreichen Fragen seit langem mit Erfolg zusammenarbeiten – das Gemeinschaftstheater Krefeld- Mönchengladbach zum Beispiel wird seit über 20 Jahren gemeinsam betrieben – , sind in mehreren Gesprächen übereingekommen, auch in Fragen der Fach- und Gesamthochschule eng zusammenzuarbeiten.“

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Abb. 63 Gesamthochschule Niederrhein


Das Hochschulpotential am Niederrhein Als am 1.April 1970 der Planungsausschuss für eine regionale und strukturelle Gliederung der zu bildenden Fachhochschulen in NRW seine Arbeit aufnimmt, gibt es fünf hochschulfähige Einrichtungen: >> Staatliche Ingenieurschule für Textilwesen in Krefeld >> Staatliche Ingenieurschulen für Textilwesen in Mönchengladbach >> Werkkunstschule in Krefeld >> Staatliche Ingenieurschule für Maschinenwesen in Krefeld >> Höhere Wirtschaftsfachschule in Mönchengladbach Diese fünf „Hochschulkandidaten“ bieten inzwischen alle ein Studium über 6 Semester an, vergleichbar mit den heutigen Bachelor Studiengängen. Ihre Absolventen sind seit 1965 graduierte Ingenieure, Designer und Betriebswirte.

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Der Planungsausschuss Zur Gründungsvorbereitung beruft der neue Wissenschaftsminister Johannes Rau Planungsausschüsse. Am Niederrhein nimmt dieser am 1. April 1971 seine Arbeit auf, dessen Vorsitz nach einigen Querelen Dr. Klinke von der TIS Mönchengladbach übernimmt. linke wird später Dekan des Fachbereich „Textil- und Bekleidungstechnik und Prorektor K der neuen Fachhochschule Niederrhein.103 Wilhelm J. Thelen, Lehrender der Höheren Wirtschaftsfachschule in Mönchengladbach, ist Mitglied im Planungsausschuss und wird später der erste Kanzler der Fachhochschule Niederrhein. Er berichtet 1996 anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der FHN von der Arbeit des Planungsausschusses: „Die Hauptaufgabe bestand für den Planungssausschuß zunächst darin, ein tragfähiges und möglichst mit den beiden Städten Krefeld und Mönchengladbach abgestimmtes Konzept über die regionale Struktur zu erarbeiten. (…) Diskutiert wurden drei Modelle: Errichtung von getrennten Fachhochschulen mit dem Sitz in Krefeld und Mönchengladbach; Anschluß der Mönchengladbacher Einrichtungen an Düsseldorf bzw. der Krefelder an Duisburg; Bildung einer gemeinsamen Fachhochschule für die gesamte linksrheinische Region. Abgesehen davon, daß das erste Modell auf der politischen Ebene kaum Aussicht auf Erfolg zu haben schien, bestand dessen Nachteil vor allem in einem für den jeweiligen Standort allzu stark reduzierten Angebot an Fächern und Ausbildungsrichtungen. Die voraussichtliche Größe solcher Hochschulen war für die Mehrheit der Mitglieder mehr als bedenklich, zumal als dann auch nicht auszuschließen war, daß zumindest auf absehbare Zeit trotz veränderter Statusbedingungen ein unmittelbares Nebeneinander in dem nicht unwesentlichen Bereich der textilen Ausbildung aufrechterhalten worden wäre. Noch bedenklicher aber war für viele Mitglieder das zweite Modell, weil dessen Realisierung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angesichts der Dominanz der beiden Partner weder Krefeld noch Mönchengladbach Sitz einer Hochschule werden konnte und zudem für beide Standorte die längerfristigen Entwicklungschancen mehr als zurückhaltend beurteilt wurden.“104 Der Planungsausschuss votiert für das dritte Modell, eine eigene Fachhochschule für den linken Niederrhein an zwei Standorten ohne Abhängigkeit von der rechten Rheinseite. Lieber hätte jede Stadt etwas Eigenes gehabt, aber Politik ist die Umsetzung des Machbaren und somit mit Kompromissen verbunden. Deshalb kommt der Frage nach der strukturellen Gliederung der Fachhoch­schule besondere Bedeutung zu, die natürlich auf die vorhandene „Hochschulsubstanz“ aufsetzen soll. Für den Standort Krefeld sind angesichts der Zahl und der Substanz vorhandener Vorgängereinrichtungen die Voraussetzungen wesentlich günstiger als für Mönchen­gladbach. Fangen wir mit dem Einfachsten an: Die seit 1958 aufgebaute neue Ingenieurschule bietet alles für die Fachbereiche Elektrotechnik (03) sowie Maschinenbau und Verfahrenstechnik (04). Die vorhandene Gliederung der Ingenieurschule lässt sich problemlos übertragen und ein moderner Neubau in Krefeld an der Reinarzstraße mit Erweiterungsgelände steht zur Verfügung. Ebenso unproblematisch ist die Überleitung der Werkkunstschule, die über ein außerordentliches Fächerspektrum verfügt, in den Fachbereich Design (02). Wegen der Konzentration einzelner Designbereiche (und der Versorgung der Landeshauptstadt) ziehen 1972 die Lehrgebiete Architektur und

103 Brocks, 30 Jahre Ingenieur-Ausbildung in Krefeld, S. 20 104 Thelen, Die Planung der Fachhochschule Niederrhein, in: Hochschule der Region, S. 4–7. Wilhelm J. Thelen ist von 1971 bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1995 Kanzler der Fachhochschule Niederrhein


Innenarchitektur von Krefeld nach Düsseldorf, wo sie einen eigenen Fachbereich in der dortigen neuen Fachhochschule bilden. Das„Industrial Design“ zieht 1979 ganz nach Essen in die dort inzwischen gegründete Gesamthochschule. In Krefeld verbleiben Grafik-Design, Keramik-/Porzellandesign und Objektdesign. Das ist nicht mehr die „breitgefächerte“ Werkkunstschule von früher. So soll die die Verlagerung von Industrial- Design nach Essen durch die Gründung von „Textil-Design“ kompensiert werden. Ein unglücklicher Versuch, die renommierte „Abteilung für textile Kunst“ der Textilingenieurschule im Nachhinein für Krefeld zu retten. Zum einen ist diese Abteilung der TIS immer eigenständig und ohne wesentliche Verflechtungen zur Werkkunstschule gewesen, zum anderen wird sie 1971 nach Mönchengladbach verlegt. So kann man in Krefeld weder an die Tradition noch an den Ruf dieser durch das Bauhaus geprägten angesehenen Einrichtung anschließen. Auch stellt sie eine Dublette zur Einrichtung im Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik im eigenen Hause „Fachhochschule Niederrhein“ dar. Einigkeit besteht im Planungsausschuss auch über die „Höhere Wirtschaftsfachschule Mönchengladbach“, die alle Voraussetzungen mitbringt, einen künftigen Fachbereich Wirtschaft (08) in der neuen Fachhochschule darzustellen. Allerdings geht die Ausgründung in Düsseldorf als „Startkapital“ in den Fachbereich Wirtschaft der dortigen neuen Fachhochschule über. Dies entspricht ja wohl auch der Intention der Verfügung des Ministeriums aus dem Jahre 1970 zur Errichtung einer Außenstelle in Düsseldorf. Spannend bleibt die Frage, was aus den beiden Textilingenieurschulen wird. Nur eine kann bleiben, möglicherweise braucht man nur eine Einrichtung dieser Art in ganz NRW. Entscheidet man sich in diesem Fall für Krefeld, sieht es düster für die Existenzfähigkeit eines Hochschulstandortes Mönchengladbach aus. Die Textilingenieurschule Mönchengladbach spielt ihren Trumpf aus: „Nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Tatsache, daß die Mönchengladbacher Textilingenieurschule über eine vollstufige, von der Spinnerei bis zur Bekleidungstechnik reichende Ausbildungspalette verfügte, votierte der Ausschuß für eine Konzentration in Mönchen­gladbach … Die Beratungen im Ausschuß wurden erst nach vielen Einzelgesprächen mit Ver­tretern der Kommunen, der Industrie sowie auch der Gewerk­schaft Textil und Bekleidung abge­schlossen“,  berichtet Wilhelm J. Thelen.105

Um diese Gespräche im Sinne der Mönchengladbacher zum Ziel zu führen, ist eine Menge „Überzeugungsarbeit“ im Vorfeld erforderlich, bemerkt ein anderes Mitglied des Planungsausschusses. Die engen Verflechtungen der Textilingenieurschule Mönchengladbach mit der Textil- und Bekleidungsindustrie, -wirtschaft und -verbänden zahlt sich aus. In Krefeld werden am 15.6. 71 in der Westdeutschen Zeitung erste Beratungsergebnisse aus dem Planungsausschuss veröffentlicht: „Textilbereich soll abwandern“, heißt es dort. Der Krefelder Landtagsabgeordnete Willi Sinnecker ist erbost und die WZ berichtet darüber: „Einstellen soll der Planungsausschuß der Fachhochschule Krefeld seine beratende Tätigkeit. Sinnecker erklärt den „verwirrenden Beschluß“ mit einer Gegnerschaft zu Krefeld. Der Planungsausschuß sei offenbar nicht im Stande, vernünftige Entscheidungshilfen für das Land zu treffen. … Am „Drücker“ scheinen Interessenvertreter von Mönchengladbach/Rheydt und „Neutrale“ von außerhalb des Hochschulbereichs.“

105 ebenda S. 4–7. 150  151


Abb. 64 Dr. Klinke, Vorsitzender des Planungsausschusses


Abb. 65 Wilhelm J. Thelen

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Abb. 66 Prof. Dr. Karlheinz Brocks


Eigentlich geht es schon nicht mehr um die Frage, ob eine Einrichtung für den Niederrhein ausreicht, sondern darum, wo in NRW die Ausbildung und Forschung für die rückläufigen Branchen Textil- und Bekleidung stattfindet. Im Raum stehen noch die Höheren Fachschulen für die Bekleidungsindustrie in Köln und Bielefeld. Hier ist wegen der großen Bandbreite vom Rohstoff bis zum fertigen Anzug oder Kleid die Affinität zu Mönchengladbach größer als zu Krefeld. Die Krefelder Textilingenieurschule besteht eigentlich aus zwei Schulen, der traditionellen „Seidenwebeschule“ von 1855 und der renommierten „Färberei- und Appreturschule“ von 1883. Im Wechsel sind sie in der Geschichte getrennte oder eigenständige Schulen gewesen, zuletzt eben vereint in der „Staatlichen Textilschule für Textilwesen“. Das 100 jährige Jubiläum der ganzen „Textilingenieurschule Krefeld“ im Jahre 1955 hielt die „Färbereischule Krefeld“ 1958 jedoch nicht davon ab, zusätzlich ihr 75-jähriges Bestehen zu feiern und ihre eigene Tradition zu demonstrieren. Die WZ berichtet am 19.6. 1971: „ … Doch auch die Studentenschaft ist gespalten. In einer offiziellen Stellungnahme fühlen sich die Studenten der Abteilung Textilerzeugung/Gestaltung von Dozenten und Studenten hintergangen. Seit langem sei daraufhingearbeitet worden, die Textilerzeugung nach Mönchengladbach abzuschieben. Jene hätten sich zum Ziel gesetzt, eine große Abteilung Chemie unter Eingliederung der Veredlung aufzubauen und dafür das Gebäude am Frankenring für sich zu beanspruchen.“

So kommt es zu einer erneuten Teilung: Die „Webeschule Krefeld“ und die „Abteilung für textile Kunst“ gehen nach Mönchengladbach. Die „Färbereischule“ mit Lacke und Farben sowie Reinigung und Wäscherei bleiben in Krefeld und werden zum Fachbereich Chemie (01). In Mönchengladbach entsteht im Gegenzug der Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik (07). Dieser vereint die bisherige Staatliche Ingenieurschule für Textilwesen in Mönchengladbach und die textiltechnologischen und künstlerischen Abteilungen der ehemaligen Staatlichen Ingenieurschule für Textilwesen in Krefeld. Hinzu kommen die Höheren Fachschulen für die Bekleidungsindustrie aus Köln und Bielefeld. Die textiltechnischen Ausbildungen in Aachen und Wuppertal werden 1978 ebenfalls nach Mönchengladbach verlegt, nachdem sie vorher in die Fachhochschule Wuppertal (1971) beziehungsweise Gesamthochschule Wuppertal (1972) und in die Fachhochschule Aachen integriert wurden. Die neue Fachhochschule an zwei Standorten braucht ein stabiles Gleichgewicht, darin sind sich die Mitglieder des Planungsausschusses einig. Dieses ist aber nach der aufgezeigten Überführung der vorhandenen und für würdig gefundenen Vorgängereinrichtungen nicht der Fall: Vier gestandene Fachbereiche kommen nach Krefeld und nur zwei – wenn auch gewichtige – nach Mönchengladbach. Aber eine Lösung ist in Sicht. Gesellschaftsrelevante Fächer wie Sozialpädagogik/Sozialarbeit sowie Ernährung und Hauswirtschaft (Oecotrophologie) sollen einen akademischen Status bekommen. Allerdings gibt es hier keine geeigneten Vorgängereinrichtungen, die einfach übernommen und als Fachbereiche installiert werden können. Neugründungen sind erforderlich, um den Fachbereich Sozialwesen (06) und den Fachbereich Ernährung und Hauswirtschaft (05, heute Oecotrophologie) entstehen zu lassen. Die notwendigen Räumlichkeiten wurden an der Richard-Wagner-Straße gefunden und in Form von Provisorien geschaffen.

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Damit hatte auch Mönchengladbach vier Fachbereiche und zumindest das zahlenmäßige Gleichgewicht war hergestellt. Gleichzeitig setzt sich – wie bei der Errichtung des Gebäudes für die Höhere Wirtschaftsfachschule – damit die Entwicklung des Campus Mönchengladbach fort, von der die Hochschule und die Stadt noch heute profitieren. Für das Land NRW war die Schaffung der neuen Fachbereiche „Sozialwesen“ und „Ernährung und Hauswirtschaft“ attraktiv, weil damit der Forderung nach einer Verbreiterung der akademischen Bildung entsprochen werden kann. Die bisherigen höheren Fachschulen können diesen Anforderungen nicht mehr gerecht werden. Das Land spart diese breitflächig ein, zum Beispiel die höhere Fachschule für Sozialpädagogik Rheydt und die höheren Fachschulen für Hauswirtschaft in Rheydt, Neuss, Köln, Wuppertal, Essen und Münster. Der Planungsausschuss hat damit seine Aufgabe erfüllt. Die Landesregierung trifft noch die Entscheidung, dass der juristische Sitz der Fachhochschule Niederrhein in Krefeld ist, wohl auch als Entschädigung für die Zerschlagung der geachteten Textilingenieurschule. Am 2. Juli 1971 berichtet die Mönchengladbacher Presse über eine am Vortag stattgefundene „Fachhochschul-Friedenskonferenz“: „Zu 90 Prozent stimmen die Städte Mönchengladbach und Krefeld der vom Planungsausschuß der Fachhochschule Krefeld vorgeschlagenen Ver­

teilung der Fachbereiche auf die Abteilungen Krefeld und Mönchenglad­bach zu. Meinungsverschiedenheiten gibt es lediglich für den textilen Bereich. Hier wird sich manches jedoch nicht am grünen Tisch sondern erst durch die Praxis befriedigend erledigen lassen. Das ist das Resümee einer Fachhochschul – Friedenskonferenz, zu der sich die Oberbürgermeister und Kulturdezernenten beider Städte und der Krefelder Oberstadtdirektor getroffen haben“. Und Wilhelm J. Thelen schreibt: „Noch wesentlicher aber war die Tatsache, daß das Konzept legislativ durch das Fachhochschul-Errichtungsgesetz vom 8. Juni 1971 und administrativ durch den Errichtungserlaß des Ministeriums für Wissen­schaft und Forschung vom 21. Juli 1971 auch vollinhaltlich umgesetzt wurde. Am 1. August 1971 schlug die Geburtsstunde für die linksrheinische Fachhochschule. Die tägliche Praxis musste nun zeigen, ob die Weichen für ihre Zukunft richtig gestellt waren.“ 106

106 Thelen: Die Planung der Fachhochschule Niederrhein.


Die Gründung Der erste Gründungsrektor wird Prof. Dr. Karlheinz Brocks. Seine Aufgabe, das zusammenzuführen, was früher eigenständig war oder neu gegründet wird, bewältigt er mit großem Einfühlungsvermögen. Die Sprache der Ingenieure versteht und spricht er, weil er selber Nachrichtentechniker ist und dieses Fach in der Ingenieurschule lehrt. Durch sein Amt als Stellvertreter des Direktors versteht er die bildungspolitischen Zusammenhänge und beeinflusste diese. Die musisch-künstlerische Begabung verschafft ihm Zutritt zu anderen Disziplinen. Wo die Sprache bei der Beschreibung komplexer Zusammenhänge nicht mehr ausreicht, setzte er diese Seite seiner Persönlichkeit gezielt ein, um seine Absichten zu beschreiben und durchzusetzen. Manche Bitte an das Ministerium und manche Antwort auf einen Erlass werden mit humorvollen Anmerkungen und/oder satirischen Skizzen versehen, so dass die Bearbeitung durch Ministerialräte und -dirigenten sicher oft mit einem lächelnden Gesicht vorgenommen wird. So entstand die Skizze „ In guter Gesellschaft“ über die Gründung der Fachhochschule Niederrhein. Nach einem Jahr schreiben die Oberbürgermeister der Städte Krefeld und Mönchengladbach, Hansheinz Hauser und Wilhelm Wachtendonk in ihrem Grußwort des ersten Berichts: „Dank der gemeinsamen Bemühungen der Städte Krefeld und Mönchengladbach kam es zur Errichtung der Fachhochschule Niederrhein. Ihre Leistungs- und Lebensfähigkeit hat sie bereits in dem ersten Jahr ihres Bestehens bewiesen. Wenn auch unsere gemeinsamen Anstrengungen bis heute noch nicht zu der zwingend notwendigen Errichtung einer Gesamthochschule für das Gebiet zwischen Rhein und Maas geführt haben, so glauben wir dennoch, dass deren Gründung in der nächsten Phase der Gesamthochschulerrichtungen anstehen wird. Die voll funktionsfähige Fachhochschule Niederrhein bildet dafür die beste Basis.“ Auf einen längeren und verbindlicheren Text kann man sich nicht einigen. Die Fachhochschule Niederrhein hat noch lange Zeit damit zu kämpfen, dass man nach Meinung der Städte eigentlich etwas Besseres verdient hat. 1972 werden die NRW-Gesamthochschulen in Duisburg, Essen, Paderborn, Siegen und Wuppertal gegründet. Ein Jahr vorher ist die Gesamthochschule in Kassel entstanden. Nachfolgende Gesamthochschulgründungen gibt es nicht. Damit wird das Thema auch am linken Niederrhein zu den Akten gelegt.

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Abb. 67 WeiĂ&#x;- und Rotkohl bei Leuchtenberg / Neuss


Aufbau des Fachbereichs Ernährung und Hauswirtschaft (Oecotrophologie) Dr. Karl-Peter Ringel ist Leiter und Gründungsbeauftragter des Fachbereiches 05 „Ernährung und Hauswirtschaft“ mit den Studienangeboten „Ernährung und Hauswirtschaft“ und „Lebensmittel- und Getränketechnologie (in Vorbereitung)“. Nach einem Jahr gibt es 210 Studenten, davon 60 Studienanfänger. Sie werden betreut von 13 hauptamtlichen und vier nebenamtlichen Dozenten. Ringel berichtet: „Von Anfang an pflegte man dabei den Kontakt und Austausch mit Universitätsinstituten und Kliniken – vor allem im Fach Ernährungslehre – und glich die Formen der eigenen Lehrveranstaltungen gleichzeitig denen an, die im Hochschulbereich üblich sind. So schuf man die Voraus­setzungen und zugleich die Garantie für ein hohes Leistungsniveau, das sich auch im wissenschaftlichen Rang der Graduierungsarbeiten widerspiegelt. Allerdings wurde hier der Wunsch nach einer Verlängerung der Aus­arbeitungsfristen laut. Die Oecotrophologen suchten überdies von Anfang an den Kontakt zu den – auch im unmittelbar räumlichen Sinn – benachbarten Fachbereichen. So führten sie in einigen Fächern eine kooperative Lehre gemeinsam mit den angehenden Textilingenieuren ein. Die ersten Erfahrungen hierbei sind sehr günstig. Die größte Schwierigkeit bei den Ernährungs- und Hauswirtschaftlern ist jedoch der Mangel an qualifizierten Dozenten, die man zum Teil nur im Ausland finden konnte. Auch wünscht man sich eine Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens zur besseren Aus­stattung der Laboratorien.“ 107 Der Fachbereich Oecotrophologie passt zur Region zwischen Rhein und Maas. Im IHK-Bezirk Mittlerer Niederrhein gibt es 2008 in der Ernährungswirtschaft 64 Betriebe mit jeweils mehr als 20 Mitarbeitern. Damit ist der Niederrhein ein klassisches Zentrum von Landwirtschaft und Lebensmittelverarbeitung. Eine besondere Konzentration gibt es im Rheinkreis Neuss, aber auch in den Kreisen Viersen und Kleve ist die Dichte an lebensmittelverarbeitenden Betrieben überdurchschnittlich hoch. Die Fachhochschule Niederrhein hat erneut ihr Profil entsprechend den Bedürfnissen der Region geschärft. Aufbau des Fachbereichs Sozialwesen Frau Dr. Thea Pfaff wird mit der Gründung des Fachbereichs Sozialwesen beauftragt und ist damit dessen erste Leiterin. Im Hochschulbereich ist dieses Gebiet neu. Im Rahmen des Faches Soziologie befasst man sich an Universitäten mit der Entwicklung der Gesellschaft, begnügt sich aber mit deren Beschreibung. Sozialwesen mit den Gebieten Soziale Arbeit und Sozialpädagogik will nicht nur eine Bestandsaufnahme machen, sondern die Gegebenheiten positiv bearbeiten und beeinflussen. Hierbei wird unterschieden zwischen Menschen, die ihr Leben selber meistern können und Randgruppen, deren Umstände dies nicht erlauben. Um diese Randgruppen geht es. Die öffentliche Aufgabe der Versorgung und Betreuung dieser Menschen ist in zunehmendem Maße eine Aufgabe der Kommunen geworden. Kirchliche und kommunale Einrichtungen sowie Wohlfahrtsverbände brauchen Fach- und Führungspersonal, das praxisnah ausgebildet wird. Die Zeit für derartige Studiengänge ist reif. Im FB Sozialwesen gibt es eine riesige Nachfrage nach Studienplätzen und einen rasanten Anstieg der Studentenzahlen, der man nur durch einen zügigen Aufbau des Dozenten- Kollegiums begegnen kann.

107 Ein erster Bericht, S. 14 158  159


„Die Entwicklung im Fachbereich Sozialwesen wird am eindringlichsten durch zwei Zahlen gekennzeichnet: Innerhalb eines Jahres stieg die Zahl der Dozenten von 2 auf 11, die der Studenten von 45 auf 405!“, beschreibt Dr. Thea Pfaff die Situation nach einem Jahr. „Diese fast explosionsartige Vergrößerung brachte eine Menge Probleme mit sich, von denen das dringlichste die Besetzung der immer noch offenen 18 Dozentenstellen ist. Das rasche Wachstum zwang ebenso zu Spezialisierung innerhalb der Sozial- und Erziehungswissenschaften wie zur interdisziplinären Zusammenarbeit. Erste Ansätze hierzu gibt es mit den Fachbereichen Wirtschaft und Design, hier beispielsweise zu den Projektgruppen ,,Der alte Mensch“ und ,,Didaktisches Spielzeug“. Im Übrigen sucht man im hochschuldidaktischen Bereich selbst noch nach optimalen Modellen und gewinnt dabei Erkenntnisse über die Vorzüge der Gruppenarbeit, der Studentenberatung etc. in Selbsterfahrungs- und Therapiegruppen. (…) Es gilt, neue Fachrichtungen einzuführen, abgestellt auf die Berufsfelder von Sozialarbeitern und Sozialpädagogen. Was die technische Ausstattung betrifft, so startete man gleich mit den modernsten audio-visuellen Anlagen, was der Tendenz zur qualitativen Verbesserung des Lehrangebotes entgegen kam.“ 108

108 ebenda


Abb. 68 Entwicklung der Studentenzahlen

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Teil 3  1971 bis 1999


1971 Bilanz der Gründung. Der FB Wirtschaft in Mönchengladbach verliert den Standort

Düsseldorf an die dortige neue Fachhochschule. Die Architekten des FB Design übersiedeln zur Fachhochschule Düsseldorf. Der Bereich Industriedesign wird an die Gesamthochschule Essen abgegeben. Die Bekleidungsfachschulen in Köln und Bielefeld werden in den Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik in Mönchengladbach integriert. Der Fachbereich Ernährung und Hauswirtschaft (Oecotrophologie) wird in Mönchengladbach neu gegründet. Höhere Fachschulen für Hauswirtschaft in NRW werden aufgelöst. Der Fachbereich Sozialwesen wird in Mönchengladbach neu gegründet. Die Höhere Fachschule für Sozialpädagogik in Rheydt wird aufgelöst.

1971 Start der Fachhochschule Niederrhein. Die Fachhochschule besteht von Anfang an

aus acht Fachbereichen mit 352 Bediensteten und 3.660 Studenten. Zwei Fachbereiche sind Neugründungen, die anderen bauen auf Tradition, Erfahrung und Selbstbewusstsein bestehender Einrichtungen auf. Prof. Dr. Brocks, Gründungsrektor der neuen FHN, versucht eine Identität der neuen Einrichtung zu stiften, indem er regelmäßige Rundbriefe, zuerst nur an die Mitglieder der Fachhochschule, später auch an Multiplikatoren der Umgebung richtet. Parallel zum Aufbau der Fachhochschulen laufen Vorbereitungen der flächendeckenden Gründung von Gesamthochschulen in NRW durch Wissenschaftsminister Johannes Rau. Durch das im Mai 1972 in Kraft tretende Gesamthochschulerrichtungsgesetz wird die FHN dem Gesamthochschulbereich Düsseldorf zugeordnet. Im Februar 1974 findet die erste Sitzung des Gesamthochschulrates Düsseldorf statt. Die Fachhochschule Niederrhein und die Hochschulstädte Krefeld und Mönchengladbach plädieren für eine eigene Gesamthochschule am linken Niederrhein. Der Aufbau weiterer Gesamthochschulen gerät ins Stocken, so dass weder in Düsseldorf noch am Niederrhein eine Gesamthochschule entsteht. Die Studentenzahlen steigen stetig: 1978 wird die Marke 5.000 und 1989 die Marke 10.000 überschritten. 1994 sinken die Studentenzahlen wieder unter 10.000 und liegen in den Jahren 1998 bis 2000 nur noch knapp oberhalb von 8.000. Insbesondere die technischen Fachbereiche haben zu wenig Studienanfänger. 2003 erneute Überschreitung der Marke 10.000 bei den eingeschriebenen Studenten. Graduierung der Absolventen. 1980 Diplom für Absolventen. 1999 erste Studiengänge mit dem Abschluss Bachelor- und Master werden gestartet. 1971 Bezeichnung „Fachhochschullehrer“ für die Dozenten. 1973 Fachhochschullehrer dürfen sich „Professor“ nennen. 1980/81 Überführung der Dozenten in „Professoren Ämter“ der Besoldungsstufe C3 und C2. 2005 Einführung der W-Besoldung mit flexiblen Besoldungsanteilen.


Entwicklung besonderer und interdisziplinärer Angebote. 1972 „Wirtschaftswissenschaftliches Aufbaustudium für Ingenieure“. 1977 ( bis1995) Studiengang Produktionstechnik im Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik. 1979 „Betriebswirtschaftliches Externenstudium“ als Weiterbildungs-Angebot an Berufstätige. 1982 Start des Modellversuchs Kooperative Ingenieurausbildung nach dem Krefelder Modell. 1988 Start der Modellstudiengänge Soziale Arbeit und Sozialpädagogik. 1995 Gründung des Fachbereiches „Wirtschaftsingenieurwesen“ und Start des gleichnamigen Studiengangs. 1995 Die FB „Elektrotechnik“ und „Maschinenbau und Verfahrenstechnik“ starten gemeinsam den Studiengang „Mechatronik“. 1996 Umbenennung des Studiengangs und des Fachbereichs „Ernährung und Hauswirtschaft in „Oecotrophologie“. 1997 Einführung des Studiengangs „Technische Informatik“ und Umbenennung des Fachbereichs „Elektrotechnik“ in „Elektrotechnik und Informatik“. 1997 Einführung des Verbundstudiengangs „Wirtschaftsrecht“ gemeinsam mit der FH Bielefeld und der Märkischen Fachhochschule . 1998 Einführung des Studiengangs „Gesundheitswesen“. 1989 Wirtschaftsinformatik. 1999 Start der Bachelor- und Masterstudiengänge im FB 07, und später in anderen Fachbereichen. 2002 Diplomstudiengang „Design-Ingenieur“ im FB Textil- und Bekleidungstechnik. 1995 Beginn der Umverteilung von Stellen und Mittel. 1995 Ausstattung des Fachbereichs Wirtschaftsingenieurwesen und Gesundheitswesen. Umschichtung von Fachbereichen mit Unterlast zu Fachbereichen mit Überlast. Der „Qualitätspakt“ fordert seit 1999 die Absetzung von Stellen.

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Die ersten Jahre der Fachhochschule Niederrhein (FHN) Eigentlich ist die Fachhochschule Niederrhein schon direkt nach der Gründung eine richtige Hochschule mit einem breiten Fächerspektrum in acht verschiedenen und teilweise schon gut erprobten und traditionsreichen Fachbereichen. 3660 Studentinnen und Studenten sind untergebracht auf ca. 42.000 m2 Gesamtnutzfläche. 171 Dozenten, 117 Bedienstete des technischen Dienstes, 6 Bibliotheksangestellte und 58 Verwaltungsfachleute kümmern sich um den reibungslosen Ablauf des Hochschulbetriebes. Aber wer merkt schon etwas vom reibungslosen Ablauf? Diese Frage beschäftigt den Gründungsrektor Dr. Karlheinz Brocks, jedenfalls klingt das in seinem ersten Jahresbericht über das Studienjahr 1971/72 durch: „Der Aufbau der neuen Fachhochschule mit ihren 8 Fachbereichen vollzog sich fast unbemerkt für den Außenstehenden. Es gab keine Planungspannen, mit denen eine besorgte Öffentlichkeit sich hätte auseinandersetzen müssen, es gab keine Affären. Der Lehrbetrieb läuft, die Selbstverwaltung arbeitet. Studienreformen – seit Jahren gefordert – sind verwirklicht worden. Was sich an Engagement und Einsatz tatsächlich dahinter verbirgt, wird im vollen Umfang wohl nie deutlich gemacht werden können.“ 109 Im Frühjahr/Sommer 1971 gibt es heftige Diskussionen um Standorte für neue Hochschulen, zuerst für Fachhochschulen, dann (oder gleichzeitig) für Gesamthochschulen. Je näher die Entscheidung über die Standortfrage der Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen rückt – sie soll Mitte April 1971 fallen – umso mehr Gerüchte werden hinter den Kulissen kolportiert. Am Niederrhein wird darüber gesprochen, dass eine Fachhochschule in Duisburg mit einer Abteilung in Krefeld und eine Fachhochschule in Düsseldorf mit einer Abteilung in Mönchengladbach geplant ist. Am 30. April 1971 titelt die WZ: „Krefeld kommt zu Düsseldorf. Fachhochschule ist gelaufen“. Das Hauptinteresse gilt der möglichen Zuordnung zu einer Gesamthochschule Düsseldorf. Nachrangig in der Berichtserstattung ist, dass für die Abstimmung über den Sitz der Fachhochschule in Krefeld im Landtag am 4. Mai die Mehrheit gesichert ist. Am 6. Mai berichtet die WZ: „Sitz kommt nach Krefeld“, aber spannender bleibt offensichtlich die Frage der späteren Anbindung. Am 25. Juni berichtet die WZ in Krefeld über den Besuch von Johannes Rau: In Sachen Gesamthochschule – Niederrhein blitzt beim Minister ab. Keine „Offenbarung“ über den linken Niederrhein als Raum für eine Gesamthochschule brachte Wissenschaftsminister Rau mit nach Krefeld. Proklamationen für einen weiteren Sitz (sprich: Berücksichtigungswünsche des linken Niederrheins) störten nur den Planungsprozeß. Nach Rau dürfen derzeit keine zusätzlichen Vorentscheidungen über Gesamthochschulsitze fallen, ehe der jetzige Kraftakt nicht gelungen ist. Mit dem „jetzigen Kraftakt“ ist nicht die Gründung der Fachhochschulen

109 Jahresbericht des Rektors 1971/72


gemeint, sondern die Gründung der ersten fünf Gesamthochschulen im Lande NRW. Über die neue in Gründung begriffene Fachhochschule Niederrhein spricht der Minister nur vorübergehend, als er die Zugehörigkeit zum Planungsbereich Gesamthochschule Düsseldorf andeutet. Für 1975 kündigt Rau die Absicht der Regierung an, die Krankenanstalten110 zu einem Akademischen Lehrkrankenhaus aufzuwerten. Viele Krefelder nehmen diese Ankündigung wichtiger als die Gründung der neuen Fachhochschule, um daraus die Aussicht auf eine Universität zu konstruieren, die auch eine noch zu gründende Ingenieurschule für Bauwesen unter Einbeziehung der abtrünnigen Architekten des Fachbereichs Design aufnehmen soll. Ein „Urknall“, der alles übertönt, ist die Gründung der Fachhochschule Niederrhein am 1. August 1971 wirklich nicht. Vielmehr werden von vielen Politikern in NRW und den Städten die Fachhochschulen als Vorboten der Gesamthochschulen angesehen. „Chance liegt in starker Einheit“, liest man in der WZ am 19. Juni. Der Wunsch nach einer Gesamthochschule Niederrhein könne nur erfüllt werden, wenn die Abteilungen in Krefeld und Mönchengladbach gut zusammenarbeiten würden. Prof. Winter, Leiter der Werkkunstschule (WKS), bittet um seine Beurlaubung, weil er sich mit seinem Plädoyer für eine Zugehörigkeit der WKS zu einer eventuellen Gesamthochschule Niederrhein im eigenen Haus nicht durchsetzen kann. Die WKS- Hauptversammlung möchte mit der gesamten Einrichtung nach Düsseldorf abwandern. Die Landeshauptstadt ist für Architekten und Designer attraktiver. Auch in der Krefelder WKS hat man gleich das nächste Ziel im Auge. Vorfreude auf die „Zwischenlösung“ Fachhochschule Niederrhein ist nicht zu spüren.

Das Finden der eigenen Identität Es gibt zwei Wahrnehmungsprobleme: Spüren 352 Bedienstete und 3.660 Studenten der FHN, dass sie ein neues gemeinsames Dach bekommen haben? Hat das Gebiet zwischen Rhein und Maas gemerkt, dass es zum ersten Mal eine eigene Hochschule hat, eine Einrichtung die nicht mehr aus Schulen in den beiden Städten besteht, nicht mehr der Mittelbehörde Regierungspräsident untersteht, sondern als Teil des Hochschulwesens dem Kultusminister direkt zugeordnet ist? Gründungsrektor Dr. Brocks schafft das Instrument der Rundbriefe zur Information der Beamten und Angestellten des neuen mittelständigen Betriebes (352 Mitarbeiter!) und zur Information der direkten Klienten (fast 4000 Studenten!). Dr. Brocks und Herr Thelen sind die Unterzeichner des ersten Rundschreibens 71/1 zu Beginn des WS 1971/72. Darin bezeichnen sie sich als „vorläufige Leitung“, weil sie nur mit der Wahrnehmung der Aufgaben des Rektors und des Kanzlers vom Minister beauftragt, aber noch nicht über eine demokratische Wahl legitimiert sind. Das neue, von den Studenten erstrittene Demokratieverständnis verpflichtet zu Transparenz, ohne die die anstehenden Wahlen der Gremien und der Leitung nicht sinnvoll durchgeführt werden können. In den Rundschreiben soll „allen Dozenten, Mitarbeitern und Studenten“ ein Überblick gegeben werden „über die Schule“ und über wichtige Regelungen. Vom Begriff „ Schule“ kann man sich noch nicht trennen, noch zu neu und zu unklar ist die Stellung der Fachhochschulen.

110 Am 30.März 1971 hatte im Audimax der SIS die offizielle Einweihung der operativen Kliniken stattgefunden. 166  167


Die vorläufig geschätzte Studentenzahl wird mit 4000 angegeben. Die FHN ist damit die zweitstärkste Fachhochschule in NRW. Am 1.Oktober schreibt Rektor Brocks in einem Brief an die Mitarbeiter: „In der Öffentlichkeit der beiden Städte ist die neue Hochschule noch wenig bekannt … Mancher verwechselt sie mit einer der Vorgängereinrichtungen, andere halten sie für eine zusätzliche Neugründung. Hier bleibt noch vieles zu tun an Öffentlichkeitsarbeit. Um mit dem Kreis der Freunde dieser Fachhochschule in Politik, Wirtschaft und Industrie eine Verbindung zu halten, werden diese (an sich intern geplanten) Rundschreiben auch ihnen zugesandt.“ Die Tradition der Semestereröffnung an beiden Standorten wird schon damals begründet. „Am 1.10.werden die Studienanfänger eingewiesen: in Krefeld um 9.00Uhr im Auditorium Maximum an der Reinarzstraße; In Mönchengladbach um 11.00 Uhr im großen Hörsaal an der Webschulstraße.“ Die Rundschreiben werden genutzt, um die Fachbereiche, aber auch gemeinsame Einrichtungen der FHN vorzustellen, wie das Ausländer-Vorstudienkolleg. Einrichtungen dieser Art werden nur an wenigen Fachhochschulen (Dortmund, Köln, Niederrhein) in NRW gegründet und bis zur Schließung im Jahre 2009 betrieben: „ An zwei Vorgängerschulen (Ingenieurschulen für Maschinenwesen und Textilwesen) bestanden Vorstudienkurse für Studienbewerber aus Entwicklungsländern. Ziele dieser Kurse sind eine Gewöhnung des Studienbewerbers an Lehr und Lernmethoden des späteren Studienganges und eine Aufbereitung der Studienvoraussetzungen. Die Fachhochschule führt diese Kurse in Krefeld weiter: am 1. Oktober beginnen zwei Studiengruppen im Gebäude am Frankenring und ein Kursus an der Reinarzstraße. Dieses Vorbereitungsstudium läuft über ein Semester mit 35 Wochenstunden und ist vorwiegend auf technische Grundlagenfächer ausgerichtet.“ Im Rundschreiben71/3 wird der Stand der Einschreibungen zum 4.11.1971 aufgeschlüsselt nach den Fachbereichen wiedergegeben: Chemie 490, Design 353 ( 181 Architektur + Innen­ architektur, 172 sonstige Studienrichtungen), Elektrotechnik 522, Maschinenbau 361, Ernähr.+ Hausw. 258, Sozialwesen 193, Textil- u. Bekleidungstechnik 655 (incl. Bielefeld), Wirtschaft 825. Zwei Besonderheiten weist diese Auflistung auf: Architekten und Innenarchitek-

ten sind noch in Krefeld aufgenommen worden und wandern erst ein Jahr später nach Düsseldorf ab. Die Bekleidungstechniker in Bielefeld werden schon in der FHN mitgezählt. Informationen zu den anstehenden ersten Wahlen nehmen im Rundbrief 71/3 einen breiten Raum ein. Dafür braucht man eine Wahlordnung, die auf einer vorläufigen Verfassung der neuen Fachhochschule Niederrhein beruht. Diese wiederum hat das Fachhochschulgesetz vom 2.7.1969 unter Berücksichtigung der Änderungen vom 5.Mai 1971 als Grundlage. Hier einige Auszüge aus dem Fachhochschulgesetz, die diesen neuen Hochschultyp beschreiben: §1 betrifft die Rechtsstellung. „Die Fachhochschulen werden als Körperschaften des Öffentlichen Rechts errichtet; sie sind zugleich Einrichtungen des Landes“ In §2 werden die Aufgaben der Fachhochschule beschrieben.„Die Fachhochschulen vermitteln durch praxisbezogene Lehre eine auf wissenschaftlicher oder künstlerischer Grundlage beruhende Bildung, die zur selbständigen Tätigkeit im Beruf befähigt. Sie betreiben auch Fortbildung und Weiterbildung. Sie können im Rahmen ihres Bildungsauftrags eigene Untersuchungen sowie Forschungs- und Entwicklungsaufgaben wahrnehmen. Innerhalb des Hochschulbereichs wirken die Fachhochschulen mit anderen Hochschulen und Einrichtungen des Hochschulbereichs bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zusammen“


Forschung ist keine Aufgabe der Fachhochschulen. Nur im Rahmen des Bildungsauftrages können sie Forschungs- und Entwicklungsaufgaben wahrnehmen. Die Arbeitszeit der Dozenten ist zu 100 Prozent mit Lehre und Vorbereitung der Lehre ausgefüllt. Dazu gehört aber die Sichtung und Erarbeitung der wissenschaftlichen und künstlerischen Grundlagen. Immerhin werden die Aufgaben als „Lehre“ bezeichnet und nicht als „Unterricht“, wie an den Schulen. § 23 regelt die Graduierung. „Die Fachhochschulen sind berechtigt, Personen, die die Abschlussprüfung an den Fach­hochschulen bestanden haben, …einen Grad zu verleihen. Das Nähere regeln Graduierungssatzungen, die der Genehmigung des Kultusministers bedürfen.“ In § 28 heißt es: „Die Aufsicht über die Fachhochschulen übt der Kultusminister aus“ § 26 und 27 regeln Ausschreibung und Besetzung der Stellen für Lehrende: „ Die Stellen für Lehrende an Fachhochschulen sind unverzüglich öffentlich auszuschreiben, sobald feststeht, dass die Stellen frei werden. Die Lehrenden müssen nach Eignung und fachlicher Leistung den Anforderungen der Fachhochschule entsprechen. Besetzungsvorschläge sind dem Kultusminister innerhalb von 3 Monaten nach Errichtung oder Freiwerden einer Planstelle vorzulegen. … Die Lehrenden und die übrigen Mitarbeiter sind Landesbedienstete.“ Die Amtsbezeichnung aller Dozenten wird geändert von Baurat, Oberbaursat, Baudirektor und Oberbaudirektor zum schlichten „Fachhochschullehrer“. Die an „Schule“ erinnernden Bezeichnungen Studienrat und Oberstudienrat gibt es ebenfalls nicht mehr. Der sogenannte „Weihnachtserlass“ bringt die Verleihung der Bezeichnung „Professor“ im Jahre 1973. Damit werden nicht die Rechte und Pflichten eines Professors übertragen, sondern nur die Bezeichnung. Einzelnen verdienten Dozenten der Vorgängereinrichtungen war schon früher der Professorentitel zuerkannt worden, aber jetzt wird die Bezeichnung nicht an Personen, sondern an die Institution „Fachhochschule“ festgemacht. Mit dem neuen Fachhochschulgesetz vom 1. Januar 1980 werden Fachhochschullehrer in Professoren-Ämter überführt. In § 10 und 11 werden Wahl und Aufgaben des Rektors beschrieben. „Der Rektor wird vom Konvent aus dem Kreis der hauptamtlichen beamteten Lehrenden der Fachhochschule für einen Zeitraum von 4 Jahren gewählt. Wiederwahl ist einmal zulässig. Die Wahl bedarf der Bestätigung durch den Kultusminister. Der Rektor vertritt die Fachhochschule. Der Rektor leitet die Verwaltung der Fachhochschule. Er bereitet die Beratungen des Senats und des Konvents vor. … In § 12 und 13 werden Aufgaben und Wahl bzw. Ernennung der weiteren Mitglieder der Fachhochschulleitung beschrieben: Der Stellvertreter des Rektors wird vom Konvent aus dem Kreis der hauptamtlichen beamteten Lehrenden der Fachhochschule für einen Zeitraum von 4 Jahren gewählt. Der Kanzler wird auf Vorschlag des Senats von der Landesregierung ernannt. Er muß die Befähigung zum Richteramt oder höheren Verwaltungsdienst haben. Der Kanzler unterstützt den Rektor und führt unter seiner Verantwortung die laufenden Geschäfte der Fachhochschule. Der Kanzler ist Sachbearbeiter des Haushalts. Der Kanzler vertritt den Rektor in Personal-, Rechts-, Haushalts-, Grundstücks- und Bauangelegenheiten. Die mächtige Stellung des Rektors erinnert sehr stark an die des Direktors der Vorgängereinrichtungen. Allerdings wird er gewählt vom demokratisch bestimmten Konvent, dem er einen jährlichen Bericht erstatten muss. Seine einmalige Wiederwahl begrenzt seine Amtszeit auf acht Jahre. Anders als in späteren Gesetzen bestimmt, ist der Rektor nicht in ein Kollegialorgan Rektorat eingebunden. Er wird allgemein vertreten durch den Prorektor und in Personal-, Rechts-, 168  169


Haushalts-, Grundstücks- und Bauangelegenheiten durch den Kanzler. Der Prorektor ist als Abwesenheitsvertretung zu verstehen. Gründungsrektor Brocks bezog ihn jedoch sehr stark in die täglichen Geschäfte ein, denn nur so konnte dieser im Bedarfsfall kontinuierlich und kompetent vertreten. Der Kanzler wird auf Vorschlag des Senats von der Landesregierung ernannt.

Am 21. Januar 1972 findet in der zweiten Sitzung des Konvents die Wahl des Rektors und seines Stellvertreters statt, nachdem zuvor der Wahlausschuss bestimmt wird. Gewählt werden Dr. Karlheinz Brocks zum Rektor und Dr. Rudolf Klinke zu seinem Stellvertreter. Wilhelm Josef Thelen wird am 26. Januar 1972 vom Senat zum Kanzler vorgeschlagen. Damit ist die Leitung der neuen Fachhochschule komplett. Im Rundschreiben 1/72 gibt Rektor Brocks die Anschriften der gewählten Senatsmitglieder bekannt.„ Wir hoffen, dass auf diese Weise die Verbindungen zwischen Ihnen und den gewählten Entscheidungsgremien künftig gewährleistet ist; denn nur in dieser Verbindung hat unsere Arbeit einen Sinn“, gibt der Rektor zu bedenken. In den Ausschüssen (Satzungsausschuss, Berufungsausschuss, Ausschuss für Fachbereichsgliederung, Geschäftsordnungsausschuß), im Senat und im Konvent arbeiten über 50 Hochschulangehörige unter dem gemeinsamen Dach der Fachhochschule Niederrhein.

Mit „einem Bein“ in der Gesamthochschule Düsseldorf Berichtet wird über Gespräche im Ministerium über den Entwurf des Gesamthochschulerrichtungsgesetzes. Die Drucksache 7/1162 behandelt die Verteilung der Studenten auf die im Jahre 1975 geplanten 13 Gesamthochschulen. Neben den bestehenden Standorten in Duisburg, Essen, Paderborn, Siegen und Wuppertal, sind die Gesamthochschulen Aachen, Bielefeld, Bochum, Bonn, Dortmund, Düsseldorf, Köln und Münster in Planung. Am 20. April 1972 fahren Brocks, Klinke, Thelen und der Student Kammelter zum Hearing des Kulturausschusses des Landtages. Vertreter aller Hochschuleinrichtungen, die nach dem Gesetzentwurf zur Errichtung von Gesamthochschulen betroffen sind, nehmen teil. Die Fachhochschulen NRW haben ein gemeinsames Votum vorbereitet und tragen dieses zu Beginn des Hearings vor: „Die Studiengänge einer Gesamthochschule sollten als echte Alternativen für verschiedene Tätigkeitsfelder zur Wahl stehen. Dies bedingt eine Gleichwertigkeit der Abschlüsse, (die keine Fehlentscheidung aus Prestigedenken aufkommen läßt), und eine Gleichheit der Zugangschancen für alle Studienbewerber. Mit der Errichtung der Gesamthochschulen sollte auch die Personalstruktur neugeordnet sein. In den geplanten Gesamthochschulgremien sind die Fachhochschulen erheblich unter­repräsentiert. Die Fachhochschulen tragen aber einen erheblichen Anteil bei zu der inneren Studienreform der künftigen Gesamthochschulen. Die vorgesehene Parität läßt befürchten, dass in den gemeinsamen Gremien aller Gesamthochschulen, der (Landes-) Gesamthochschulkonferenz, die Fachhochschulen überhaupt nicht vertreten sind. Die Autonomie der Gesamthochschule ist in vielen Einzelregelungen des Gesetzentwurfes behindert durch Genehmigungsvorbehalte des Ministeriums. Diese Vorbehalte sind in vielen Fällen unbegründet. Der Gesetzentwurf sieht keine „verfasste Studentenschaft“ vor. Eine – wie bisher – durch einen ASTA repräsentierte Studentenschaft ist als Gesprächspartner und Gremium zur Meinungsbildung auch für die Gesamthochschule vorzusehen.“111

111 Rundbrief 2/72, S. 23–24


Man muss sich in Erinnerung rufen, was die Grundidee der Gesamthochschulen ist, nämlich die Vorzüge einer klassischen Universität mit den Vorzügen der neuen Fachhochschulen zu verbinden. „Die Fachhochschulen vermitteln durch praxisbezogene Lehre eine auf wissenschaftlicher oder künstlerischer Grundlage beruhende Bildung, die zur selbständigen Tätigkeit im Beruf befähigt“, sagt das Fachhochschulgesetz. Das WissHG (1979) definiert: Die Hochschulen (Universitäten) dienen der Pflege und Entwicklung der Wissenschaften durch Forschung, Lehre und Studium. Sie bereiten auf berufliche Tätigkeiten vor, die die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden erfordern. Beide Einrichtungen sollen ihre Stärken einbringen. Das ist die Idee der Gesamthochschulen, wie sie Johannes Rau vorschwebt. „ Die Fachhochschulen tragen aber einen erheblichen Anteil bei zu der inneren Studienreform der künftigen Gesamthochschulen“, so die Fachhochschulvertreter beim Hearing im Kulturausschuss des Landtages. Dr. Brocks schließt sich dem Votum aller Fachhochschulen an und trägt darüber hinaus, gestützt auf eine ausführliche von einem Arbeitskreis des Senats erarbeitete Stellung­ nahme, ein eigenes Votum der FHN vor: „1. Die Fachhochschulen bestehen erst seit wenigen Monaten, Ihr Aufbau ist weder personell noch materiell abgeschlossen. … Nun überführt sie die überstürzte Entwicklung schon wieder in ein neues Organisationsschema. Es ist fraglich, ob in dieser Situation überhaupt noch die Zeit verbleibt, die vielen Möglichkeiten des neuen Hochschultyps zu verwirklichen. 2. Es werden Gesamthochschulen errichtet, ohne dass zugleich oder zuvor die Personalstruktur der Lehrenden neu geordnet ist: In der Gesamthochschule bilden die Fachhochschullehrer eine gesonderte Gruppe. (§5) 3. Ein grundsätzlicher Einwand ergibt sich aus der besonderen Situation der Fachhochschule Niederrhein. Sie ist die zweitgrößte des Landes. Das Gesetz ordnet sie dem Gesamthochschulbereich Düsseldorf zu. Dieser Verbund mit Düsseldorf wird kaum von Dauer sein, wenn die Prognosen und Planziffern des Ministeriums stimmen: Gutachten weisen für die Zukunft eine Gesamthochschule Niederrhein aus, vor allem zur Entlastung für den sehr bald überfüllten Hochschulbereich Köln. Wenn diese Prognosen stimmen, ist es wenig rationell, eine große Fachhochschule mit fast 4000 Studenten zunächst in den mühevollen Integrationsprozeß mit den Düsseldorfer Einrichtungen einzufügen, um sie nach einiger Zeit auf ein völlig neues Konzept umzustellen. Hier gehen wertvolle Jahre und erhebliches Engagement verloren. Unser Vorschlag: Die Fachhochschule Niederrhein schon jetzt in den ersten Teil des Gesetzes einzubauen. Fast 4.000 Studenten sind doch eine Basis, auf der man den Aufbau einer Gesamthochschule wagen kann.“ 112

Für die Studentenschaft unterstützt W. Kammelter den Beschluss der Fachhochschulkonferenz zur Verankerung einer Verfassten Studentenschaft in das Gesamthochschulerrichtungsgesetz (GHEG). „ Die verfasste Studentenschaft ist eine Notwendigkeit, wenn alle Gruppen in der Hochschule zur Weiterentwicklung des Bildungswesens beitragen sollen. Werden die studentischen Selbstverwaltungsorgane abgeschafft, so sind Konflikte außerhalb der Gremien unvermeidbar und tragen bei zur Radikalisierung eines Teils der Studenten.“

112 Rundbrief 2/72, S. 25–28

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Am 30. Mai 1972 tritt das Gesamthochschulerrichtungsgesetz (GHEG) in Kraft. Die Fachhochschule Niederrhein wird dem Gesamthochschulbereich Düsseldorf zugeordnet. Am 22. Mai 1973 werden die Mitglieder der FHN für den Gesamthochschulrat Düsseldorf gewählt. Rektor Dr. Brocks, Dipl. Ing. Grosche (FB 04) als Vertreter der Lehrenden und der Student Kaumanns vertreten die Fachhochschule Niederrhein. Kanzler Thelen ist nichtstimmberechtigtes Mitglied. Ein Blick auf die Studentenzahlen der Partner in der künftigen Gesamthochschule Düsseldorf: Hochschule WS 1972/73 WS 1973/74 Universität Düsseldorf 3.173 4.566 Päd. Hochschule Rheinl. Abt. Neuss 2.100 2.224 Fachhochschule Düsseldorf 2.926 3.539 Fachhochschule Niederrhein 3.873 4.406 Am 14. Februar 1974 findet die 1. Sitzung des Gesamthochschulrates statt. Das Hearing im April 1972 im Düsseldorfer Landtag hat deutlich gemacht, dass keine der beteiligten Hochschulen dem Ziel „Gesamthochschule Düsseldorf“ mit Begeisterung entgegenfiebert. Personalstruktur und Bundesverfassungsgericht Die Selbstverwaltung einer Hochschule beruht darauf, dass alle Gruppen ( Hochschullehrer, Mitarbeiter und Studenten) in den Gremien vertreten sind. Es besteht eine Unsicherheit über die Frage, zu welcher Gruppe die Fachhochschullehrer zu zählen sind. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1973 müssen „Hochschullehrer“ in den Gremien eine Mehrheit haben, in denen wissenschaftsrelevante Entscheidungen getroffen werden. Welcher Fachhochschullehrer gehört künftig zu der Gruppe „Hochschullehrer“? Brocks berichtet in vertraulichen Vermerken an die Führungsriege der FHN und der Fachbereiche über Dienstbesprechungen im Wissenschaftsministerium, wo die Neuordnung der Personalstruktur an Gesamthochschulen diskutiert wird. Insbesondere die Neufassung von § 10 des GHEG nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird diskutiert, der festlegen soll, wer ein Hochschullehrer ist. Wer kann in Gremien gewählt werden, wo künftig über wissenschaftsrelevante Fragen diskutiert und entschieden wird? Die Freiheit der Wissenschaft steht auf dem Spiel, wenn hier „Nichtwissenschaftler“ zu Entscheidern über wissenschaftsrelevante Fragen werden. Es droht eine Spaltung der Fachhochschullehrer. Die Gesamthochschulräte sind ohne Klärung dieser Frage nicht arbeits- und entscheidungsfähig. So bleibt es vorerst bei einer konstituierenden Sitzung. Die Arbeit im Gesamthochschulrat ruht, die Fachhochschule Niederrhein kümmert sich um ihre eigenen Belange.


Abschluss der Gründungsphase FHN „Das Jahr 1974 war für die Fachhochschule Niederrhein so etwas wie der Abschluß ihrer Gründungsphase“, stellt Brocks im Jahresbericht 1974 fest. In Fragen und Antworten beschreibt er umfassend und anschaulich die Situation der Fachhochschule Niederrhein im Jahre 1975. 113 Wie entwickelte sich die Studentenzahl an der Fachhochschule Niederrhein? Unmittelbar nach der Gründung stieg die Zahl der Studenten an den beiden Hochschul­orten Krefeld und Mönchengladbach unge­wöhnlich rasch. Innerhalb weniger Semester – von 1970 bis 1973 – hat sie sich mehr als verdoppelt. Auf der gleichen Hauptnutzfläche, die 1970 für einen Studenten zur Verfügung stand, studieren heute zwei. Abgesehen von zwei Pavillonbauten in Mönchengladbach sind Gebäude und Flächen die gleichen wie zur Zeit der Vorgängereinrichtungen. Seit etwa 3 Semestern stabilisiert sich al­lerdings die Studentenzahl bei ca. 4500 Stu­denten. Ursachen hierfür sind u. a.: die Numerus-clausus-Situation in den Fachbereichen Wirtschaft und Sozialwesen; die räumliche Überbelegung in den Fach­bereichen Elektrotechnik und Maschinenbau/Verfahrenstechnik. Wie stellt sich die FH Niederrhein im Lan­desvergleich dar? Die FH Niederrhein gehört zu den 3 größten Fachhochschulen des Landes, zu den 10 größten der Bundesrepublik. Unter den 10 Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen hat sie den höchsten Ausländer­anteil: Jeder 6. Student hat einen ausländi­schen Pass. Dieses internationale ,,Klima“ verdankt die FH Niederrhein vor allem den Bereichen ,,Textil“ und ,,Chemie“, die schon zur Zeit der Vorgängerschulen welt­weiten Ruf genossen. Am Niederrhein gehört jeder jeder vierte Studienplatz einer Studentin. Nur Münster und Düsseldorf sind als Studienorte für junge Damen attraktiver. ,,Einsame Spitze“ bildet die FH Niederrhein allerdings auf einem entlegenen Feld: Sie ist die einzige Fachhochschule der Bundesrepublik, an deren Standorten derzeit zwei Vereine der Fußball-Bundesliga beheimatet sind. 114 Was kostete die Fachhochschule Nieder­rhein im Jahre 1975 und wie verteilten sich diese Kosten? Im Jahre 1975 kostete die Fachhochschule Niederrhein insgesamt 35.5 Mio. DM. Personalausgaben 17,8 Mio. DM; Ausbildungsförderung 12,5 Mio. DM; Sachausgaben 5,2 Mio. DM; erstaunlich ist die Höhe der Personalko­sten: Löhne, Gehälter, Beihilfen, Trennungsentschädigungen u. ä. Ausgaben ma­chen die Hälfte des Haushaltes aus. Die FH Niederrhein steht jedoch mit einem so hohen Anteil an Personalkosten nicht allein da: Ähnliche Zahlen sind heute im Hoch­schulbereich die Regel. Die Ausbildungsförderung erreichte 1975 einen Höchststand. Sie beansprucht mehr als ein Drittel des Haushalts. Vergleichsweise bescheiden ist demgegen­über der Sachhaushalt der Hochschule, vom Briefumschlag bis zur Werkzeugma­schine. Er beansprucht nur 15 Prozent. Größere Anteile für Bauinvestitionen gibt es im Haushalt 1975 allerdings nicht.

113 Brocks, Die ersten Jahre der Fachhochschule Niederrhein, S. 9–22 114 Ein Bericht aus dem Jahr 1975 172  173


Abb. 69 Wurzeln und Entwicklung der Fachhochschule Niederrhein


Abb. 70 Hermann Ostendorf, Heinz Broermann, Günter Edler, Karlheinz Brocks im Jahr 1996 (v. links n. rechts)

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Abb. 71 Geburten in der Bundesrepublik


Pillenknick und Studentenzahlen Im Jahresbericht 1974 wird festgestellt, dass die Studentenzahlen sich an den Standorten Krefeld und Mönchengladbach seit 1970 verdoppelt haben. Dies entspricht dem bundesweiten Trend der Studentenentwicklung. Während die Zahl der Studenten in der BRD weiterhin unaufhaltsam zunimmt, hat sich die Entwicklung an der Fachhochschule Niederrhein beruhigt. Diese Situation beunruhigt den Gründungsrektor aber eher, der mit westfälischer Nüchternheit vergleicht und feststellt: „Auffällig ist die rasche Entwicklung der Gesamthochschule Duisburg und der Universität Düsseldorf“. Die etablierten „studentischen Ballungszentren“ in Köln, Bonn und Aachen passen kaum noch in das vergleichende Diagramm, was die dringende Forderung einer Regionalisierung (sprich Ausbau der Standorte Niederrhein) des Hochschulangebotes verdeutlicht. Innerhalb der FHN analysiert Dr. Brocks die Begrenzungen für die einzelnen Fachbereiche: „Die künftige Entwicklung der Fachbereiche Chemie (01) und Design (02) hängt davon ab, wie rasch der geplante Umbau des Hochschulgebäudes Krefeld, Frankenring Wirklichkeit wird. Die Planung hierzu war im Berichtsjahr noch nicht abgeschlossen. Die Kapazität der Fachbereiche Elektrotechnik (03) und Maschinenbau/Verfahrenstechnik (04) liegt fest: Das Hochschulgebäude Krefeld, Reinarzstraße ist derzeit nicht für eine Erweiterung vorgesehen. Die Planzahlen der Fachbereiche Ernährung und Hauswirt­schaft (05) und Sozialwesen (06) wird man vermutlich erst erreichen, wenn gegen Ende der 70er Jahre das neue Hoch­schulzentrum für diese beiden Fachbereiche sowie für den Fachbereich Textilund Bekleidungstechnik (07) realisiert ist. Die Kapazität des Fachbereichs Wirtschaft (08) ist durch das Hochschulgebäude Mönchengladbach, Webschulstraße fest­gelegt. Hier sind Änderungen in absehbarer Zeit nicht vorgesehen. Die Entwicklung des Fachbereichs Textilund Bekleidungs­technik (07) ist zudem weitgehend davon abhängig, ob sich der Wissenschaftsminister bald dazu durchringt, diese Ausbildung für das Land Nordrhein-Westfalen auf den Standort Mönchengladbach zu konzentrieren.“

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Hoffnungen und geplatzte Baupläne in Mönchengladbach Im März 1975 stellt Finanzminister Wertz das Neubauprojekt für die Fachbereiche 05, 06 und 07 vor. Das 50-Millionen-Projekt soll 1978 bezugsfertig sein. Doch die Freude darüber währt nicht lange: Wenige Wochen später, nach den Landtagswahlen und den Koalitionsvereinbarungen im Mai, gibt es im Rahmen einschneidender Sparmaßnahmen einen totalen Baustopp für Mönchengladbach. Vorrang haben die fünf Gesamthochschulen und die Fernuniversität. Auch an allen Universitäten sollen dreijährige Studiengänge eingeführt werden. So bleibt es bei der räumlichen Begrenzung der Studienplätze am Niederrhein. Fortschritte gibt es im Textilbereich: „Nach langer Ungewissheit ist nun endlich die Entscheidung zur Konzentration der Ausbildung in der Fachrichtung Textil- und Bekleidungstechnik zugunsten der Fachhochschule Niederrhein gefallen. Eine weitere wichtige Entscheidung wird vermeldet: Das Gebäude Peterstraße 123 in Krefeld geht in den Besitz des Landes NRW über. „Damit ist der Fortbestand des Fachbereichs „Design“ gesichert.“ 115 „Die Zahl der Geburten in der Bundesrepublik hat um 1967 ihren letzten Höhepunkt erreicht hat. Berücksichtigt man, dass das früheste Zugangsalter für die Fachhochschule bei 18 Jahren liegt, so bedeutet dies, dass die Fachhochschulen den stärksten Jahrgang in der Mitte der 80er Jahre zu erwarten haben. Der„Pillenknick“ wird aber erst etwas später als Entlastung wirksam; dann nämlich, wenn auch der Stau der schon länger wartenden abgebaut ist. Dies wird gegen Ende der 80er Jahre sein.“ Brocks Nachfolger tun alles, um dessen Schreckensszenario von leeren Hörsälen nicht wahr werden zu lassen.

Wachstum trotz Pillenknick Die Fachhochschule Niederrhein erkennt frühzeitig, dass man ein attraktives Angebot machen muss, um den düsteren Prognosen zu entgehen. 1989/90 übersteigen die Studierendenzahlen erstmals die magische Grenze von 10.000. Um mit der weiter steigenden Nachfrage fertig zu werden, müssen Zulassungsbeschränkungen in fast allen Studiengängen (außer Chemie und dualen Studiengängen) eingeführt werden.116 Der Staat finanziert über Sonderprogramme Personal- und Sachausgaben, um mit der großen Nachfrage fertig zu werden. Bundesbildungsminister Möllemann initiiert 1988 das Programm NAZ (Notzuschlag auf Zeit). In NRW werden die Hochschulsonderprogramme (HSP I und HSP II) aufgelegt, die in den Haushalts-Übersichten der Rektoratsberichte stets getrennt vom Kernhaushalt aufgelistet werden, um dem Ministerium einen Beleg für die Mitfinanzierung des Bundes zu geben. Die Sonderprogramme verbessern zwar die personelle Ausstattung, aber die desolate räumliche Situation wird eher verschärft. Der Fachbereich Wirtschaft ist weiterhin begrenzt auf das von Anfang an zu kleine Gebäude an der Webschulstraße. In Krefeld studieren 2.800 Studenten im Gebäude an der Reinarzstraße, das 1965 für 630 Studenten der damaligen Ingenieurschule erstellt wurde. Durch das Hochschulsonderprogramm I wird auf dem Campus Krefeld Süd ein Pavillon mit vier Hörsälen für je 80 bis 100 Hörer erstellt. Feste Bauten können aus den Hochschulsonderprogrammen I und II nicht finanziert werden, weil beide Sonderprogramme für Maßnahmen auf Zeit gedacht sind. Aber Provisorien halten bekanntlich lange und das mit diesen Mitteln eingestellte Personal ist

115 Jahresbericht 1977 116 Rechenschaftsbericht des Rektorats für die Studienjahre 1990/1991 und 1991/92, S. 9


noch heute in der Hochschule tätig. Der Pavillon an der Reinarzstraße hat eine Grundsanierung erfahren und ist 2010 zur angemessenen „Residenz“ von KIS (Zentrale Einrichtung für das Kommunikations- und Informationssystem) geworden. In den 90er Jahren brechen die Studentenzahlen in den Ingenieurdisziplinen ein. 1994 studieren erstmals wieder weniger als 10.000 junge Menschen an der Fachhochschule Niederrhein, 1996 sind es weniger als 9.000, Ende der 90er Jahre nur noch rund 8.000. Nur die Fachbereiche Wirtschaft, Sozialwesen und Design sind weiterhin gut ausgelastet. Nach einer Angebotserweiterung überschreitet die Fachhochschule Niederrhein 2003 erneut die 10.000er Marke. Der Pillenknick ist vergessen, die meisten Studiengänge müssen wieder durch einen NC geschützt werden, damit die Qualität nicht unter einer zu großen Überlast leidet.

Statusfragen beeinflussen die Wettbewerbsfähigkeit „Die Fachhochschulen dürfen keine Universitäten werden. Es kann aber den Universitäten nicht schaden, wenn Sie etwas verfachhochschulen“, sagt der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft Klaus von Dohnanyi auf der Plenumssitzung der Fachhochschul-Rektoren-Konferenz (FRK) am 20. November 1973 in Hamburg. Das ist auch der Grundgedanke von Johannes Rau, als er Gesamthochschulen gründen will. Die Fachhochschulen sollen die Berufsfeldbezogenheit in die integrativen Studiengänge einbringen. Nur: Wie sollen die Fachhochschulen diese Aufgabe selbstbewusst erfüllen, wenn schon bei ihrer Gründung ihre eigenständige Existenz infrage gestellt und ihren Professoren in den Gremien der geplanten Gesamthochschulen eine Zuschauerrolle zugewiesen wird? Ungelöste Statusfragen lassen das Projekt Gesamthochschulen scheitern. Wissenschaft hat gesellschaftlich einen besseren Ruf als Praxis, obwohl beides eigentlich zusammengehört. Als die Gesamthochschulen die Möglichkeit haben, das Wort Universität ihrer Bezeichnung voranzustellen, greifen sie zu; als sie das Wort Gesamthochschulen weglassen dürfen, lassen sie es weg.117 Die Fachhochschulen dagegen brauchen einen definierten Status, für die Studenten, Absolventen und für die Professoren.

Der Status der FH Absolventen Das Fachhochschulgesetz vom 2.7.1969 regelt in §23 die Graduierung: „Die Fachhochschulen sind berechtigt, Personen, die die Abschlussprüfung an den Fachhochschulen bestanden haben, einen Grad zu verleihen. Das Nähere regeln Graduierungssatzungen, die der Genehmigung des Kultusministers bedürfen.“ Die „Graduierung“ ist ein erster wichtiger Schritt. Sie trennt bewusst von der „Diplomierung“ der Universitäten. Das Diplom existiert als Hochschulgrad seit 1899. Es wurde als „Grad“ an den Technischen Hochschulen in Preußen eingeführt und diente damals ebenfalls zur Unterscheidung zwischen alten und neuen Hochschulen. Die Absolventen der Fachhochschulen

117 Das Gesetzt über die wissenschaftlichen Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen (WissHG) vom 20. November 1979 führt die Bezeichnung „Universität – Gesamthochschule“ ein. Die Universitäten – Gesamthochschulen werden später (2003) auf Vorschlag des Expertenrates in Universitäten umgewandelt. 178  179


müssen noch bis zum 1. Januar 1980 auf ihr Diplom warten. In einigen Bundesländern – nicht in NRW – muss man den Klammerzusatz (FH) anfügen, bis dieser durch das neue Hochschulrahmengesetz im Jahre 1986 für alle Bundesländer verpflichtend wird. Mit dem Klammerzusatz (FH) geht die Fachhochschule Niederrhein im Sinne eines „Qualitätssiegels für angewandte Wissenschaften“ durchaus selbstbewusst um.

Der Status der Dozenten „Die Stellen für Lehrende an Fachhochschulen sind unverzüglich öffentlich auszuschreiben, sobald feststeht, dass die Stellen frei werden. Die Lehrenden müssen nach Eignung und fachlicher Leistung den Anforderungen der Fachhochschule entsprechen. Besetzungsvorschläge sind dem Kultusminister innerhalb von 3 Monaten nach Errichtung oder Freiwerden einer Planstelle vorzulegen. Die Lehrenden und die übrigen Mitarbeiter sind Landesbedienstete.“ So regeln §§ 26 und 27 des Fachhochschulgesetzes118 die Ausschreibung und Besetzung der Stellen für „Fachhochschullehrer“. Es gibt keine Ausbildung, kein Studium und keine Laufbahn zum Fachhochschullehrer. „Eignung und fachliche Leistung“ bestimmen, wer als Fachhochschullehrer ausgewählt wird. Nach dem so genannten „Weihnachtserlass“ im Jahre 1973 darf sich der Fachhochschullehrer Professor nennen, für die Visitenkarte ein erheblicher Achtungserfolg, denn dort ist nicht erkennbar, dass nur die Bezeichnung, nicht aber der Status erreicht wurde. An den Universitäten werden daraufhin viele Visitenkarten neu gedruckt, um sich mit der Bezeichnung „Universitätsprofessor“ zu unterscheiden. Für Interessenten mit „Eignung und fachlicher Leistung“ ist eine Bewerbung an einer Fachhochschule jedenfalls deutlich attraktiver geworden. Auch der Student spricht von seinem Prof., geht nicht mehr zum Unterricht in die Klasse sondern in Vorlesungen, Übungen und Praktika. Die Fachhochschule druckt ein Vorlesungsverzeichnis mit Angaben über Professor und Hörsaal. Der Professorentitel wird nicht mehr an Personen, sondern an der Institution Fachhochschule festgemacht. Überführung in Professoren-Ämter Am 1. Januar 1980 tritt ein neues Fachhochschulgesetz in Kraft. Es werden Professoren-Ämter eingerichtet, in die die bisherigen Fachhochschullehrer überführt werden können, die sich bisher nur als Professor bezeichnen dürfen. Das FHG legt in § 32 die Einstellungsvoraussetzungen für Professoren fest: 1.      „ein abgeschlossenes Hochschulstudium, pädagogische Eignung, die durch Erfahrung oder bei Fehlen dieser im Berufungsverfahren festgestellt wird. 2.      besondere Befähigung zu wissenschaftlicher Arbeit, die in der Regel durch die Qualität einer Promotion nachgewiesen wird. 3.      besondere Leistungen bei der Anwendung und der Entwicklung wissenschaftlicher Erkenntnisse oder Methoden während einer mindestens fünfjährigen beruflichen Praxis, von der mindestens drei Jahre außerhalb des Hochschulbereichs ausgeübt worden sein müssen.“ 119

118 Fachhochschulgesetz vom 2.7. 1969 unter Berücksichtigung der Änderungen vom 5. Mai 1971 119 Gesetz über die Fachhochschulen im Lande Nordrhein-Westfalen (Fachhochschulgesetz – FHG) vom 20. November 1979


Diese Voraussetzungen schränken die Auswahl geeigneter Bewerber erheblich ein. Ein abgeschlossenes Hochschulstudium ist selbstverständlich notwendig. Keine Diskussionen gibt es über die notwendige Praxis-Erfahrung für Fachhochschulprofessoren. Die pädagogische Eignung kann man aus einer früheren Lehrtätigkeit eigentlich nur feststellen, wenn jemand von einer Fachhochschule zur anderen wechselt. Im Regelfall erfolgt die Feststellung der pädagogischen Eignung über ein Probejahr. Der Knackpunkt ist die Promotion, die in vielen Disziplinen noch nicht so üblich ist wie in späteren Jahren. Über die Promotion werden in vielen Fällen Karrieren in den Universitäten gestartet. Der Weg über die Promotion in die Wirtschaft und dann zurück in eine Hochschule ist eher selten. Für Frauen ist es besonders schwierig, Promotion, Praxis-Erfahrung, Familie und Ruf an eine Fachhochschule unter einen Hut zu bringen. Das Delikate an dem Verfahren der Überleitung ist, dass es zwei Besoldungsstufen mit deutlich unterschiedlichen Entgelten gibt. Fachhochschullehrer, die länger als fünf Jahre im Dienst sind und die die Voraussetzungen nach § 32 erfüllen, können vom Ministerium direkt in die höhere Besoldungsstufe C3 überführt werden. Alle anderen können sich einem Auswahlverfahren stellen, wenn sie mindestens seit fünf Jahren als Fachhochschullehrer tätig sind. Für die Durchführung werden Fachkommissionen gebildet. Sie sollen die Bewerbungen der Professoren unter die Lupe zu nehmen, um diese entsprechend ihrer Qualifikation einzuordnen. Ein Rundbrief von Rektor Prof. Edler vom 13. Mai 1981 erläutert die Spielregeln bei der Überleitung in das Professoren-Amt und macht Angaben über die Anzahl der C3- und C2-Stellen innerhalb einer Fachgruppe. C2 und C3 Professoren Nach dem Überleitungsverfahren 1980/81 sind die Fachhochschul-Professoren Professoren mit allen Rechten und Pflichten. Die einen sind C2-Professoren geworden, andere haben sogar die C3-Hürde genommen. Die letzteren sind stolz und dürfen es sein, denn nach der Beurteilung der Fachkommission, – deren gute Arbeit gerade von den C3 Professoren nicht angezweifelt wird -, haben sie es verdient. Die C2-Kollegen sind frustriert, denn sie leisten die gleiche Arbeit, tragen die gleiche Verantwortung, erhalten aber weniger Anerkennung und bis zu 11 Prozent weniger Gehalt. Eigentlich sollten Fachgebiete, die für den jeweiligen Studiengang eine Art Leitfunktion haben, mit C3 aufgewertet werden. Die mit C2 bewerteten Lehrgebiete sollen eher einen Zuliefercharakter haben. Nun ist das Projekt völlig anders gestartet worden: Es wird festgestellt, welche Personen C3 und welche nur C2 verdient haben. Die Wichtigkeit der vertretenden Fachgebiete wird völlig außer Acht gelassen. Diese Statusfragen spielen außerhalb der Hochschule und bei den Studenten keine Rolle, weil nicht bekannt ist, wer welcher Besoldungsstufe zugeordnet ist. Innerhalb der Hochschule und im Rahmen der Berufungspraxis müssen die Verantwortlichen, besonders die Dekane und Rektoratsmitglieder, mit diesem konfliktträchtigen Thema umgehen. Wegen des Gebotes der Promotion und der Praxis-Erfahrung außerhalb von Hochschulen wird ein neuer Typ von Professoren berufen. Sie bringen eine doppelte Qualifikation und Erfahrung mit und bringen diese in die Lehre ein. Ihre frischen Kontakte zur Wirtschaft helfen den Studierenden und Absolventen, die auf diese Weise mit praxisnahen Themen und Kontakten im Rahmen von Entwicklungsprojekten mit der Wirtschaft versorgt werden.

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Die jungen Kollegen wissen, was sie wert sind und wollen nicht bis zum Ende ihres Berufslebens auf einer C2-Stelle sitzen bleiben, während ihre älteren Kollegen Anerkennung, Bezahlung und Pensionsanspruch der C3-Stellen für sich beanspruchen und an eine spätere Professorengeneration weitergeben. Einige junge Professoren erklären: „Anlässlich der heutigen Aushändigung der Urkunde betreffend Überleitung in das Amt eines Professors und Einweisung in eine Planstelle der Besoldungsgruppe C2 erkläre ich hiermit folgendes: Nach meiner Auffassung darf mit der Überleitung eine sachgerechte Bewertung meiner Planstelle nicht verbunden werden. Aus rechtlichen Gründen muß die Bewertung der Stelle vorbehalten bleiben. Ich bitte, diese Erklärung zu meiner Personalakte zu nehmen.“ Mit Erlass vom 20. Oktober 1980 wird vom Ministerium kurz und bündig geantwortet: „Die Ausführungen und Erklärungen … sind rechtlich ohne Belang. … Die genannten Lehrenden haben sich seinerzeit um eine nach H2 120 ausgeschriebene Planstelle beworben. … Gleichzeitig bitte ich, von der Weiterleitung eventuell noch folgender Erklärungen anderer Hochschullehrer abzusehen.“ Hausberufungsverfahren Wie kann die Hochschule mit dieser Situation umgehen? Es fehlt nicht an Einsichten und gutem Willen. Die Jungen Professoren wollen nicht sofort gleich oder besser gestellt sein als die erfahrenen Kollegen, aber eine Perspektive hätten sie gerne. Die älteren Professoren sind dagegen stolz und froh, wenn sie eine C3-Stelle erreicht haben. Geht ein Professor in den wohlverdienten Ruhestand, so wird im Regelfall die Stelle neu ausgeschrieben. Vorher muss jedoch geprüft werden, ob die Bezeichnung der Stelle noch dem Stand des Lehr- und Forschungsangebotes entspricht. Es muss festgelegt werden, ob die Planstelle mit C2 oder C3 ausgeschrieben wird. Das Rektorat legt fest, dass alle Fachbereiche gleich gestellt sind und hochschulweit der vorgesehene Schlüssel von 60 C3-Stellen zu 40 C2-Stellen erreicht wird. Die eingehenden Bewerbungen, unter denen auch die von Professoren anderer und der eigenen Hochschulen sein können, werden einer Berufungskommission vorgelegt, die entsprechend den gesetzlichen Regelungen aus Professoren, Studenten und Mitarbeitern bestehen. Am Maßstab der nach § 32 FHG vorgegebenen Einstellungsvoraussetzungen beurteilt die Berufungskommission die eingegangenen Bewerbungen, stellt eine Liste mit drei Bewerbern auf, holt für diese Bewerber Gutachten von Professoren aus anderen Hochschulen ein und stellt danach eine Rangfolge auf. Im Rahmen dieser Bestenauslese kann auch ein C2-Professor der eigenen Hochschule auf Platz eins dieser Liste erscheinen. Dieser Besetzungsvorschlag durchläuft die Gremien der Hochschule und wird dann zur Entscheidung dem Ministerium vorgelegt. In vielen Fällen können so jüngere Kollegen in den Genuss einer fachlich passenden und nach C3 bezahlten Stelle kommen. Aufgrund der Lehr-Erfahrung überzeugen sie in Probelehrveranstaltungen beim Kriterium pädagogische Eignung oft mehr als ihre Mitbewerber aus der Wirtschaft. Die meisten jungen Kollegen akzeptieren bei der Ersteinstellung eine C2-Professur, weil sie über die Hausberufung eine reale Perspektive für den Aufstieg nach C3 haben. Der große Nachteil dieser Methode ist, dass die Hochschule nach einer erfolgreichen Hausberufung nur einen Wechsel und keinen zusätzlichen Professor bekommt. In einem

120 Vor der C-Besoldungsordnung gab es die H-Besoldungsordnung, die von H1 bis H4 gegliedert war


zweiten Verfahren muss dann die frei werdende C2-Stelle besetzt werden, ein weiterer Zeitverlust, denn ein Berufungsverfahren kann gut ein Jahr dauern. Das Ministerium akzeptiert das, denn die Kapazität – also die Studienanfänger, die eine Hochschule aufnehmen muss – wird nach vorhandenen und nicht nach besetzten Stellen errechnet. Geht man davon aus, dass etwa sieben Prozent der Stellen zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht besetzt sind, so müssen die vorhandenen Professoren entsprechend mehr arbeiten und das Land spart sieben Prozent an Gehältern ein. Diese Einsparungen führen zu erheblichen Problemen bei der Übertragung der Finanzautonomie, weil der Finanzminister das eingesparte Geld für andere Zwecke verplant hat. Besonders bei steigender Überlast wird diese Mehrbelastung zunehmend ein Problem, aber Not macht erfinderisch: Man schreibt im (stillen) Einvernehmen mit dem Ministerium Stellen allgemein nach C2/C3 aus. Platz eins bekommt die C3-Stelle und Platz zwei ohne weitere Ausschreibung die C2-Stelle. Durch dieses „Tandemverfahren“ kann man Hausberufungen weiter durchführen und kommt trotzdem relativ schnell zur Einstellung einer neuen Kollegin oder eines neuen Kollegen. 2005 erfolgt ein erneuter Wechsel im Besoldungssystem, welches vom Rektor sehr flexibel gehandhabt werden kann. An Fachhochschulen gibt es faktisch nur die Besoldungsstufe W2, deren Grundgehalt festgeschrieben ist. Der Rektor entscheidet während des Berufungsgespräches über stufenlose Zulagen, die einmalig, zeitlich begrenzt oder dauerhaft gewährt werden können. Im Abstand von fünf Jahren verhandelt man neu, es sei denn, es gibt Gründe für ein vorzeitiges Gespräch. Dies kann das Angebot einer anderen Hochschule sein. Hier kann der Rektor entscheiden, ob man in das Angebot einer anderen Hochschule einsteigt, um einen vielversprechenden Professor zu halten, oder ob man ihn gehen lässt. Beides ist seit Einführung der W-Besoldung bereits im Rahmen von „Bleibeverhandlungen“ praktiziert worden. Auch ist es möglich, einem Professor Sonderaufgaben gegen eine entsprechende Sonderzuwendung zu übertragen. Das freiheitliche System der W-Besoldung hätte der Hochschule eine Menge „C2/3 Ärger“ erspart, wenn es früher eingeführt worden wäre. Weiterbildungsangebote Die Berufswelt ordnet die Arbeitsgebiete nicht nach den Gliederungen der Wissensgebiete in Hochschulen. Gerade die Vorgängereinrichtungen der Fachhochschulen sind in ihrer fachlichen Ausrichtung den Erfordernissen von Industrie und Wirtschaft gefolgt. Auch die „Durchlässigkeit“ von begabten Berufspraktikern zu höheren Bildungsabschlüssen hat dort eine lange Tradition. Die Fachhochschule Niederrhein setzt diesen Weg der Berufsfeldbezogenheit direkt nach ihrer Gründung ohne Zeitverzögerung fort: „ Der Fachbereich Wirtschaft präsentiert voll Stolz als die maßgebliche Errungenschaft des ersten Jahres das hier erstmals eingeführte Aufbaustudium für Ingenieure aller technischen Fachrichtungen, die sich zusätzlich volks- und betriebswirtschaftliche, kaufmännische und organisatorische Kenntnisse erwerben wollen. Diese Chance wird ihnen erstmals in diesem Wintersemester (1972/73) geboten. Dauer des Aufbaustudiums: drei Semester bis zur Doppel-Graduierung. …“ 121

121 Ein Jahr Fachhochschule Niederrhein, S.23 182  183


Dipl. Kaufmann Mathias Seckler, der erste Leiter des Fachbereichs Wirtschaft, wusste sehr genau, dass die „Höhere Wirtschaftsfachschule“ in Mönchengladbach durch einen erzwungenen Aderlass einen Mitbewerber an der anderen Rheinseite zur Existenz verholfen hatte. Es war klug, diesen Aufbaustudiengang, der von vielen Ingenieurabsolventen in Anspruch genommen wird, so frühzeitig zu etablieren. Weiterbildungsangebote für Berufstätige Der Studiengang „Betriebswirtschaftliches externes Studium mit Präsenzphase“ wird 1976 beantragt und vom Minister für Wissenschaft und Forschung zum WS 1979/80 genehmigt. Er stellt ein einzigartiges Weiterbildungsangebot an Fachhochschulen für Berufstätige dar, die parallel zur Berufsausübung einen qualifizierten Hochschulabschluss erlangen wollen. Zum WS 1997/98 kommt der Verbundstudiengang „Wirtschaftsrecht“ hinzu, der gemeinsam mit der Fachhochschule Bielefeld, der Fachhochschule Südwestfalen und dem Institut für Verbundstudien in Hagen betrieben wird. Dies ist ebenfalls ein Angebot an Berufstätige, die einen Hochschulabschluss anstreben. Die Fernstudienelemente in Form von Studienbriefen werden von den drei Hochschulen gemeinsam erstellt, die Organisation, Produktion und Verteilung wird vom gemeinsamen Institut in Hagen zentral übernommen. Der gemeinsame Studiengang mehrerer Hochschulen erspart Ressourcen. Die Präsenzveranstaltungen finden in den beteiligten Hochschulen in zumutbarer Entfernung zu den Wohnorten der weiterbildungswilligen Studentinnen und Studenten statt. Seit dem WS 1998/99 wird im Gesundheitswesen ein Teilzeitstudium für Berufserfahrene in Gesundheitsberufen angeboten. Dieser richtet sich unter anderem an Pfleger, Krankenschwestern und medizinisch-technische Assistenten, die parallel zur Berufsausübung oder zur Familienphase ein Hochschulstudium absolvieren wollen, um später anspruchsvollere Tätigkeiten im Gesundheitswesen ausüben zu können. Zum WS 2000/01 wird gemeinsam mit der Fachhochschule Münster der Weiterbildende Verbundstudiengang „Sozialmanegement“ gestartet. Sozialarbeiter können sich parallel zum Beruf für Managementaufgaben qualifizieren. Im November 2000 gründen ein halbes Dutzend Professoren aus verschiedenen Fachbereichen das Institut für Weiterbildung an der (F)HN (IWHN), welches Weiterbildungsangebote unterhalb der Schwelle eines Komplett-Studiums bereitstellt, etwa im Bereich der Datenund Informationsverarbeitung. Fort- und Weiterbildung ist ein gesetzlicher Auftrag auch für Fachhochschulen. Die­sen Auftrag kann und will sich die Fachhochschule Niederrhein nicht entzie­hen. Sie hat deshalb im Jahre 1998 ein Konzept entwickelt, wie in einer getrennten Organisationseinheit diese Aufgabe wahrgenommen und ausgefüllt werden kann. Da der Staat die Finanzierung nicht übernimmt, zumindest nicht allein übernehmen wird, muss der Fortbildungsmarkt nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten bedient werden. Im Rahmen des Bolognaprozesses sind nach der Jahrtausendwende Weiterbildungsmaster entstanden, die sich an ehrgeizige Berufstätige richten, die bereits einen Hochschulabschluss vorweisen können.


Praxis in die Hochschule Das „Krefelder Modell“ der Kooperativen Ingenieurausbildung In den 70er Jahren verfolgen junge Menschen Lebensziele, die nicht unbedingt mit den traditionellen Vorstellungen ihrer Eltern übereinstimmen. Gehobener Lebensstandard und gesellschaftliche Anerkennung sind nicht alles, Ziele wie soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und Emanzipation der Frauen rücken in den Vordergrund. Auch Abiturienten wollen mit praktischer Arbeit einen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Viele möchten nach dem Abitur zunächst in die Welt der Werktätigen eintauchen, bevor man mit dieser Erfahrung ein Studium beginnt, welches ihnen wirtschaftliche und gesellschaftliche Vorteile verspricht. Die Betriebe nehmen die Auszubildenden mit Abitur mit gemischten Gefühlen auf. Einerseits sind die Abiturienten attraktiv, auch für eine spätere Übernahme. Aber wenn der ausgebildete Facharbeiter nicht gehalten werden kann, ist die Ausbildung für den Betrieb eine Fehlinvestition gewesen. Seit 1974 gibt es in Baden- Württemberg den Modellversuch Berufsakademien, in welchem in einem Dualen System namhafte Firmen wie Daimler-Benz, und Standard Elektrik Lorenz den Abiturienten eine echte Alternative zum „klassischen“ Hochschulstudium bieten. Sollen die neuen Ausbildungsangebote gegenüber einem Hochschulabschluss vergleichbare Chancen eröffnen, müssen Lerninhalte und Lernziele dieser neuen Ausbildungsgänge ein den Hochschulstudiengängen vergleichbares Niveau haben. Am Niederrhein bündelt die seit 1977 neue Industrie und Handelskammer Mittlerer Niederrhein122 mit ihrem Präsidenten Herbert Pattenberg und dem Hauptgeschäftsführer Dr. Wessel-de-Weldige Cremer die Interessen der Wirtschaft am linken Niederrhein. Von Ihr kommt die Anregung zum Modellversuch „Kooperative Ingenieurausbildung (KIA)“, welcher als „Krefelder Modell“ zum Vorbild der Entwicklung der dualen Hochschulausbildung in NRW wird. Anders als bei den Berufsakademien in Baden-Württemberg wird keine neue Bildungseinrichtung geschaffen, sondern zwei bewährte Systeme werden gekoppelt. Die IHK und ihre Betriebe sollen für Qualität in der Facharbeiterausbildung, im Praxissemester und eventuell bei der praxisnahen Abschlussarbeit sorgen. Die FHN garantiert die Qualität der Lehrinhalte und Lernziele für die Hochschulausbildung.

122 Die drei linksrheinischen IHKs Krefeld, Mönchengladbach und Neuss schließen sich 1977 zur IHK – Mittlerer Niederrhein zusammen. 184  185


1980 übergibt der Gründungsrektor Prof. Dr. Brocks den „Stab der Hochschulleitung“ und auch die „Idee des Krefelder Modells“ an seinen Nachfolger Prof. Edler, der aus „innerer Überzeugung“ in das Projekt einsteigt und es „mit Hilfe des SPD-Abgeordneten Kniola“ durchsetzt: „Das Ministerium war gegenüber der Politik windelweich. Es gab auch innerhalb der FHN erhebliche Widerstände. Im Fachbereich Wirtschaft sah man die Grenze zwischen Kaufmannsgehilfenprüfung und Studium nicht scharf genug gezogen. Etliche Kollegen im FB 08 waren vordem Berufsschullehrer gewesen. Wichtige Gründe für die KIA waren: >> Gegenmodell zu den Berufsakademien, die als Bedrohung der Fachhochschulen empfunden wurden >> Unabhängigkeit der FH vor Einwirkungen der Wirtschaft auf das Ausbildungskonzept der FH, also keine Dualität Hochschule-Wirtschaft in den Studiengängen >> Sicherung der Beschäftigungschancen für die Absolventen >> Intensivierung und Aktualisierung des Praxisbezugs der Lehrenden“123

Professor Günter Edler124 schreibt im Rechenschaftsbericht für das Studienjahr 1981/82: „Die Kooperation zwischen Hochschule und Praxis besteht in wesent­1ichen in einem zeit lichen Arrangement, da hier sowohl die Interessen der Fachhochschule wie auch der Aus­ bildungsbetriebe unter einen Hut zu bringen sind. Die FHN hat bei der Konzeption des Modells größten Wert darauf gelegt, dass der zeitliche Umfang des Studiums und die daraus abgeleiteten Anforderungen in den Prüfungen nicht geschmälert werden. Die Vergleichbarkeit des Abschlusses der Teilnehmer an dem Modellversuch wird durch Prüfungs- und Studienordnungen und das gemeinsame Studium mit den Studenten des entsprechenden Normalstudiengangs gewährleistet.“ 125 Widerstände gibt es vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI), den Gewerkschaften und vom Allgemeinen Studentenausschuss (ASTA). Es ist ein langer Weg mit viel Überzeugungsarbeit bis zur hochschulpolitischen Entscheidung für die Genehmigung des Modellversuchs, berichtet Rektor Edler: „Um dieses Ziel zu erreichen, haben insbesondere die Dekane der beteiligten Fachbereiche und das Rektorat intensiv mit der Industrie- und Handelskammer zusammengearbeitet. Der Modellversuch stand fünfzehnmal auf der Tagesordnung einer Rektoratssitzung. Es fanden Besprechungen statt mit Vertretern des VDI, der regionalen Gewerkschaften, dem ASTA, der Gemeinsamen Kommission für die Studienreform Nordrhein-Westfalen, der Landesrektorenkonferenz und Mitgliedern des Landtages.“ Am 2. Juli 1982 kommt der Erlass, dass zum WS 1982/83 mit der zehnjährigen Erprobungsphase gestartet werden kann. Und so sieht das Modell aus: „In den ersten 4 Semestern studiert der Student an zwei Tagen der Woche an der Fachhochschule. Der Lehrinhalt dieser 4 Semester ent­spricht dem Lehrinhalt der beiden ersten Semester des herkömmlichen Vollzeitstudienganges. Gleichzeitig wird der Student in einem Maschinenbaubetrieb zum Facharbeiter ausgebildet. …126

123 Persönliche Mitteilungen von Prof. Edler aus seiner Erinnerung 124 Prof. Günter Edler, Rektor der Fachhochschule Niederrhein von 1979 bis 1989 125 Die Fachhochschule Niederrhein im Studienjahr 1981/82, S. 20–21 126 Grünewald / Broermann, 30 Jahre Ingenieurausbildung in Krefeld, S. 66 bis 67


Das fünfte Semester des kooperativen Studienganges wird als Vollzeitstudium durchgeführt; die Studenten besuchen dieselben Lehrveranstaltun­gen wie die herkömmlich Studierenden. Danach schließt sich zur besonderen Vertiefung des Praxisbezuges ein halbjähriges Betriebspraktikum an. Jedem Student wird für die Praxiszeit ein Betreuungsprofessor zugeteilt, der ihn an seiner Wirkungsstätte besucht und berät. Im 7. und 8. Semester widmet sich der Student wieder nur seinem Studium, um sich im Haupt‑ und Wahlstudium auf seinen Abschluss durch das Diplom vorzubereiten.

Vorgesehen ist weiter, dass in der Diplomarbeit Probleme für den Ausbildungsbetrieb bearbeitet werden, meist als experimentelle Arbeit an Ort und Stelle. Die Kooperative Ingenieurausbildung wird ein voller Erfolg und Vorbild für andere Studiengänge an der FHN, den anderen Fachhochschulen in NRW und Fachhochschulen in ganz Deutschland. Die Studentinnen und Studenten brauchen viel Mut und Selbstvertrauen, denn zusätzlich zu dem anspruchsvollen normalen Studienpensum müssen sie eine Facharbeiterausbildung innerhalb von zwei Jahren absolvieren und sich bei der Abschlussprüfung vor der IHK an Azubis messen lassen, die dafür drei oder dreieinhalb Jahre Zeit in Anspruch nehmen. Dazu kommt das Ingenieurpraktikum. 15 ehrgeizige Abiturienten haben zum WS 1982/83 die kooperative Ingenieurausbildung begonnen. Viele Beobachter und selbst die Gründungsväter sind skeptisch, ob das Ziel innerhalb der Regelstudienzeit überhaupt erreichbar ist. Aber immerhin fünf Studenten zeigen, dass es geht: Am 23.April 1987 werden ihnen im Rahmen einer allgemeinen Feierstunde zur Entlassung von Absolventen ihre Diplomurkunden vom Dekan überreicht. Den Facharbeiterbrief haben sie schon seit drei Jahren in der Tasche.

186  187


Abb. 72 Die ersten Absolventen des „Krefelder Modells“


Die Studierbarkeit der in Studien- und Prüfungsordnungen festgelegten Curricula ist seit längerem ein Thema in Hochschulkreisen. Prof. Edler beklagt in seinem Bericht über das Studienjahr 1981/82, das nur etwas über 51 Prozent der Studienanfänger 1974/75 und 1975/76 ihr Studium innerhalb von zwölf Semestern beendet haben. 14 Prozent sind noch im 13. Semester immatrikuliert. Der Rest (35 Prozent) hat sich nicht zurückgemeldet. Eine erschreckend geringe Erfolgsquote und zu lange Studienzeiten lassen bei Professor Edler Zweifel aufkommen, ob die Regelstudienzeit, die nach FHG (1979)127 sieben Semester (ohne Praxissemester) beträgt, „noch eine hinreichende Bedeutung für die tatsächliche Dauer des Studiums hat.“ Tatsächlich zeigt sich, dass die Absolventen der KIA-Studiengänge – die wegen der parallelen Facharbeiterausbildung eine um zwei Semester längere Regelstudienzeit haben – oftmals schneller mit dem Studium fertig sind als die anderen „grundständigen“ Studenten mit der kürzeren Regelstudienzeit. Die Befürchtung, dass die Qualität des KIA-Studium mit der des normalen Vollzeitstudiums nicht mithalten kann, erweist sich als unbegründet. Die KIA-Studenten machen die besten Facharbeiterabschlüsse und hängen die Kommilitonen des Vollzeitstudiums ab. Wer sich für KIA entscheidet, ist hoch motiviert und einsatzfreudig. Es gibt mehr Bewerber als Ausbildungsplätze in kooperierenden Betrieben, so dass diese eine Auswahl treffen müssen und können. KIA-Studiengänge entwickeln sich zu „Elitestudiengängen“, die zur Richtschnur für die Weiterentwicklung anderer Studiengänge werden. Nachdem 1982 mit den Kooperativen Studiengängen „Chemieingenieurwesen“ und „Maschinenbau/Konstruktionstechnik“ begonnen wurde, kommt zum WS 1989/90 im Fachbereich Maschinenbau und Verfahrenstechnik der kooperative Studiengang „Verfahrenstechnik“ hinzu. Für die Organisation der Lehrveranstaltungen, besonders bei der Stunden- und Hörsaalplanung, bringt das erhebliche Probleme mit sich. Die „Kooperativen Studenten“ sind in den ersten beiden Jahren nur an zwei Tagen in der Hochschule anwesend und müssen dann noch „besondere Lehreangebote“ bekommen, denn der Stoff wird von zwei Semestern auf vier Semester gestreckt. Die Studiengänge „Maschinenbau/Konstruktionstechnik“ und „Verfahrenstechnik“ haben in der Anfangsphase nahezu identische mathematische, naturwissenschaftliche und ingenieurwissenschaftliche Grundlagenfächer. In der Studienphase B setzt die eigentliche Differenzierung nach Studiengängen ein, bis dann in Studienphase C im Rahmen der Wahlpflichtfächer und Wahlfächer der Student eigene Schwerpunkte und Akzente setzen kann. Die kooperativen Studenten halten sich an diese drei Phasen des Curriculums und studieren sie in der vorgesehenen Reihenfolge. Die anderen Studenten gönnen sich größere Freiheiten bei der Gestaltung der zeitlichen Abfolge und gehen in Prüfungen der interessanteren Fächer der Phase C, wobei dann das oft anstrengende und oftmals mit höheren Prüfungsrisiken behaftete Pflichtpensum der Phase A vernachlässigt wird. So kommt es zu den von Prof. Edler beanstandeten langen Studienzeiten und den Studienabbrüchen in höheren Semestern.

127 �������������������������������������������������������������������������������������������������������������������� In § 55 Abs.3 FHG aus dem Jahre 1979 wird die Regelstudienzeit auf 7 Semester festgelegt. Die Studien- und Prüfungsordnungen können ein Praxissemester vorsehen (§ 54 (3)), welches die Regelstudienzeit auf 8 Semester verlängern kann. 188  189


Der Fachbereich Maschinenbau entwickelt in steter Tuchfühlung mit dem damaligen Prorektor für Lehre, Studium und Studienreform Prof. Dr. Haas die „A-B-C“ – Struktur und schlägt damit zwei Fliegen mit einer Klappe: Die nahezu gleichen Studieninhalte „Maschinenbau“ und „Verfahrenstechnik“ werden in der Studienphase A identisch geplant. Somit sind gemeinsame Angebote für beide kooperativen Studiengänge und andererseits getrennt für die Vollzeit-Studiengänge möglich. Diese jeweiligen Zusammenlegungen lösen das Organisationsproblem und ermöglichen den effizienten Einsatz von Personal- und Raumressourcen. In allen Studiengängen schreiben die Studien- und Prüfungsordnungen vor, dass Prüfungen der Phase C erst möglich sind wenn Studium und Prüfungen der Phase „A“ vollständig abgeschlossen sind. Mit der verbindlichen ABC-Einteilung wird mehr Struktur in den Ablauf des Studiums gebracht. Prorektor Prof. Dr. Haas sorgt über einen Senatsbeschluss dafür, dass alle Studiengänge an der FHN nach der ABC-Struktur aufgebaut sind. Dies ist ein wesentlicher Beitrag zur Straffung der Studienstruktur und zur Entschärfung des Problems der späten Studienabbrüche und der langen Studienzeiten.


Modellstudiengänge Sozialarbeit/Sozialpädagogik Nicht nur die Ingenieurwissenschaften fühlen sich der Praxis verpflichtet. Mit der Einrichtung des Fachbereiches Sozialwesen bei der Gründung der Fachhochschule Niederrhein im Jahre 1971 wurde Neuland betreten. Im Hochschulbereich gibt es keine Vorbilder, es gibt nur ebenfalls neugegründete Gleichgesinnte an anderen Fachhochschulen und Gesamthochschulen, die auch ihren Weg suchen. Will man Praxisbezüge im Studium herstellen, so muss erst die Praxis ergründet werden, denn ausgetretene Pfade in Form von wohl definierten Berufsbildern gibt es nicht. Prof. Dr. Klüsche128 ist langjähriger Dekan des Fachbereichs Sozialwesen und engagiert sich im Vorstand der Landesdekanekonferenz NRW und des bundesweiten Fachbereichstages Soziale Arbeit. Er definiert das berufliche Profil mit kennzeichnenden Anforderungen. 1.      Die Vielschichtigkeit und Komplexität sozialer Probleme erfordert eine breite wissenschaftliche Grundlegung aus den Disziplinen Soziologie, Recht, Psychologie, Erziehungswissenschaften usw. 2.      Für die Planung konkreter Hilfsmaßnahmen bedarf es der Fähigkeit, Theorieansätze und deren Anwendung auf die vielschichtige Praxis umzusetzen. 3.      Die praktische Umsetzung bei der Betreuung von Menschen erfordert Methodische Kompetenzen. 4.      Soziale Arbeit geschieht im Auftrag und im Rahmen von Institutionen, deren Aufbau und Funktionsweise man kennen muss. 5.      Professoren und Dozenten werden oft nicht nur aus der „Sozialen Arbeit“ selbst stammen ( dies ist kein Studienfach an Universitäten), sondern haben ihren Ursprung in anderen Disziplinen wie z. B. Psychologie, Medizin, Jura, usw.. Diese Bausteine müssen zusammengefügt werden zum Wissensgebiet „Soziale Arbeit“. 6.      Die berufliche Wirklichkeit ist möglichst früh durch berufserfahrene Praktiker in das Studium einzubringen. 7.      Hinzukommen muss eine breitgefächerte allgemeine Bildung. Diese Anforderungen soll der Modellstudiengang erfüllen. Neben den „Wissenschaftlichen Fachgebieten“, den „Fachgebietsübergreifenden Angeboten“ und den „Methodischen Handlungsstrategien“ spielt die „Theorie-Praxis-Integration“ eine herausragende Rolle.129 Die Modellstudiengänge Sozialarbeit und Sozialpädagogik finden Landes- und Bundesweit breite Anerkennung und werden zur Grundlage des späteren Studiengangs „Soziale Arbeit“, der nicht mehr unterscheidet zwischen Sozialarbeit und Sozialpädagogik. Der Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Niederrhein hat sich damit eine herausragende Sonderstellung erarbeitet, die sich auch darin zeigt, dass Dekan Prof. Dr. Klüsche viele Jahre an der Spitze der Bundesdekanekonferenz „Sozialwesen“ steht und die Entwicklung der noch jungen Wissenschaftsdisziplin „Soziale Arbeit“ entscheidend prägt.

128 Prof. Dr. Klüsche ist Dekan von 1976 bis 1978, 1982 bis 1984 und 1989 bis 2005. Von 1991 bis 2005 steht er der Landesdekanekonferenz der Fachbereiche Sozialwesen in NRW vor. Von 1995 bis 2004 arbeitet er im Vorstand des Fachbereichstages Soziale Arbeit der BRD und ist von 2000 bis 2004 deren Vorsitzender 129 Klüsche,W.: 20 Jahre Studium der Sozialarbeit/Sozialpädagogik in Mönchengladbach 190  191



Grenzen überwinden Im Leitbild der Hochschule Niederrhein heißt es: „Grenzen werden immer häufiger überwunden. Sowohl die nationalen als auch die Grenzen zwischen wissenschaftlichen Disziplinen. Auch die Grenzen zwischen Mensch und Technik haben sich verändert und werden sich weiter verändern. Die Globalisierung und die rasante Entwicklung der Informationstechnologie führen zu neuen Formen der Zusammenarbeit. Flexible Wertschöpfungsnetze stellen neue Anforderungen an die Qualifikationen und das Verhalten von Studierenden, Lehrenden und Mitarbeitenden. Innovationen kommen in der heutigen Zeit häufig dadurch zustande, dass die Grenzen zwischen Disziplinen überschritten werden. Vormals getrennte Bereiche kommen zusammen, dadurch entstehen Synergien. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, das kollektive und persönliche Handeln nicht separat, sondern integrativ und somit interdisziplinär auszurichten. Fachliche Exzellenz und integrative Kompetenz sind die Ausbildungsziele und Basis für Lehre und Forschung an der Hochschule Niederrhein.“130 Gesellschaft und Arbeitswelt richten sich nicht nach der Gliederung der Wissensgebiete in Hochschulen. Fachliche Kompetenz und Spezialwissen auf einem Gebiet sind die eine Seite, hinzukommen muss die Fähigkeit, über den Tellerrand zu schauen und dort auch etwas zu erkennen und zu verstehen. Die Textilingenieurschulen am Niederrhein bedienen den breiten Bedarf ihrer Branche von Anfang an in besonderer Weise. In der Krefelder Vorgängereinrichtung werden die Chemie, die Färberei und das Farbdesign sowie die textile Flächenkunst mit den Kernkompetenzen der Seidenwebeschule verknüpft. In Mönchengladbach nimmt man nach Spinnen und Weben „den Faden auf“ in Richtung Bekleidung und Betriebsorganisation. Nachdem 1972 mit dem „Wirtschaftswissenschaftlichen Aufbaustudium“ die Grenzen von den ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen in Richtung Betriebswirtschaft überschritten wurden, folgt 1977 das integrative Angebot „Produktionstechnik“ im Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik. Man nutzt die dortige Tradition und betriebswirtschaftliche Kompetenz bei Produktionsabläufen und beteiligt den Fachbereich Maschinenbau und Verfahrenstechnik, der weitere ingenieurwissenschaftliche Grundlagen und zugehörige Produktionstechniken beisteuert.

130 Leitbild der HN, aus dem Vorlesungsverzeichnis, www.hs-niederrhein.de 192  193


Abb. 73 ErÜffnung des ersten Europäischen Studiengangs


Europäische Studiengänge Im Rahmen der Zusammenarbeit mit Niederländischen Hochschulen wird 1993 der Europäische Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen-Logistikmanagement gemeinsam mit der Hogeschool Venlo gestartet. Mit diesem Studiengang werden gleich mehrere Grenzen überwunden, die Grenze zwischen zwei europäischen Ländern und die Grenze zwischen den Wissenschaftsdisziplinen. Mit dem Start des ersten Europäischen Studienganges durch die NRW-Wissenschaftsministerin Anke Brunn und ihren niederländischen Amtskollegen Jo Ritzen wächst die Fachhochschule Niederrhein in die Rolle eines anerkannten Spezialisten in Nordrhein-Westfalen für Hochschulbeziehungen zu den Niederlanden. Vier Jahre später, 1979, trifft man sich erneut, diesmal in den Niederlanden. Ministerin Anke Brunn und Minister Jo Ritzen übereichen vor 800 geladenen Gäste in Venlos guter Stube „De Maasport“ den ersten zehn Absolventen niederländische und deutsche Abschluss­urkunden.131 Ziel ist ein gemeinsamer grenzüberschreitender Bildungsraum, in dem nicht nach deutscher und niederländischer Art studiert und geforscht wird, sondern nach einer neuen europäischen Art. Am 29. Mai 1995 hat „Die Hochschulrunde“ 132 Premiere im Rathaus der Stadt Krefeld. Eingeladen haben die Rektoren der Fachhochschule Niederrhein, der Universität Duisburg und der Hogeschool Venlo. Viermal im Jahr lädt diese Runde jeweils zu einem anderen Thema die Öffentlichkeit ein. Die Beteiligten sorgen für Referenten aus den Hochschulen oder der kooperierenden Wirtschaft. Die Hochschulen wollen in einem grenzüberschreitenden Bildungsund Wirtschaftsraum gemeinsam auf sich aufmerksam machen, den jeweiligen Campus verlassen und auf Wirtschaft und Bevölkerung zugehen, die durch rege Teilnahme ihr Interesse bekunden. Es folgen weitere „Europäische Studienangebote“ mit unterschiedlichen niederländischen Partnern: Mechatronik (Hogeschool Venlo), Lackingenieur (Hogeschool Enschede)133, Ernährung und Diätetik (Hogeschool van Arnhem en Nijmegen)134, Kulturpädagogik (Hogeschool van Arnhem en Nijmegen). Die beiden Angebote gemeinsam mit der Hogeschool van Arnhem en Nijmegen werden zwar gestartet, aber wegen der unüberbrückbaren Systemunterschiede bald wieder eingestellt. „Logistik-Management“ und „Mechatronik“135 (beide Hogeschool Venlo) sind über viele Jahre recht erfolgreich, bis die Nachfrage durch Studienanfänger aus den Niederlanden nachlässt und die Gleichgewichtigkeit nicht mehr gegeben ist, die wegen der unterschiedlichen Finanzierungsmodelle Voraussetzung ist. Diese beiden europäischen Studiengänge erhalten ihren endgültigen Todesstoß ausgerechnet durch die Schwierigkeiten beim Übergang zu den neuen Europäischen Abschlüssen Bachelor und Master im Rahmen des Bolognaprozesses. Mehr Durchhaltevermögen zeigt der Deutsch-Französische Studiengang Internationales Marketing im Fachbereich Wirtschaft gemeinsam mit der „Université de Haute Alsace“ in Colmar. Seit seiner Gründung zum WS 1999/00 bis heute gibt es von beiden Seiten eine rege Nachfrage. Verliehen werden die Titel „Diplomkaufmann/Diplomkauffrau“ und „Maîtrise en Commerce et Vente“.136 Die erste Internationale Steuerwoche findet vom 25. bis 28. Oktober 1993 in Arcen (NL) unter Mitwirkung der Fachrichtung „Finanz- und Steuer-

131 FHN-Report 2 1997, S. 12 132 FHN-Report 1 1995, S. 8 133 FHN-Report 2 1997, S. 13 134 FHN-Report 2 1999, S. 6 135 FHN-Report 1 1995, S. 6 136 FHN-Report WS. 1999/00, S. 7 194  195


wesen“ des Fachbereichs Wirtschaft der FHN, der „Hogeschool Eindhoven“ und dem „Hoger Instituut voor Bedrijfsopleiding Gent“ statt. Zum regelmäßigen, grenzüberschreitenden Angebot gehören auch die Unternehmensplanspiele.

Wirtschaftsingenieurwesen Die Europäischen Studiengänge und die Kooperativen Ingenieurstudiengänge sind alleine nicht in der Lage, die rasanten Einbrüche bei den Studierendenzahlen, insbesondere bei den Ingenieurwissenschaften zu stoppen oder zu kompensieren. Die Europäischen Studiengänge haben das Problem der Parität, die wegen der unterschiedlichen Finanzierungsmodelle in den Niederlanden und Deutschland notwendig ist. Die doppelten Abschlüsse reizen zwar viele Bewerber, aber der Aufwand für die notwendige Zweisprachigkeit schreckt ab. Die Nachfrage in den KIA-Studiengängen ist verhältnismäßig hoch, aber die Anzahl der Ausbildungsplätze ist begrenzt. Außerdem sind sie inhaltlich deckungsgleich mit den grundständigen Studiengängen Chemieingenieurwesen, Maschinenbau und Verfahrenstechnik. Auch hier vollzieht sich ein Rückgang, der aber bei den KIA-Studienanfängern vergleichsweise gering ist. Am 28. Oktober 1993 werden die Probleme am Arbeitsmarkt zwischen Vertretern der Arbeitsämter in Krefeld und Mönchengladbach sowie des Fachvermittlungsdienstes für Führungskräfte in Düsseldorf und den Dekanen der Fachhochschule diskutiert. Die Arbeitsämter rechnen mit einer weiteren Zunahme der Akademiker-Arbeitslosigkeit. Auf dem Neujahrsempfang der Fachhochschule am 14. Januar 1994 in Mönchengladbach greift Rektor Prof. Broermann die Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt auf und appelliert an die geladenen Vertreter der Wirtschaft: „Unsere Hochschulabgänger haben zur Zeit große Schwierigkeiten, eine erste Anstellung zu finden. Ich möchte an Sie alle appellieren, das Ihnen Mögliche zu tun, damit hier nicht Ressourcen, die unser Land und seine Volkswirtschaft dringend braucht, durch Unbedachtheit zerstört werden. Wir können es uns nicht leisten, den Nachwuchs, der unsere Zukunft bedeutet, ohne eine aktive Arbeit auf der Straße stehen zu lassen.“137 Prof. Broermann schätzt die Situation richtig ein. Die Arbeitsmarktkrise ist nicht die kleine Delle in der Kurve des regelmäßig wiederkehrenden „Schweinezyklus“, sondern man steht vor einer tiefen und lang anhaltenden Talsohle, die durch strukturelle Probleme hervorgerufen wird. Die Hochschulen reagieren mit der Schließung und Verknappung von Ausbildungskapazitäten im Ingenieurbereich, die bis heute ihre Spuren hinterlassen. 2010 werden die letzten Stellenstreichungen im Rahmen des sogenannten „Qualitätspaktes“, ein Sparprogramm im Hochschulbereich, vollzogen, während inzwischen gleichzeitig der Ausbau der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) intensiv betrieben wird. Eine paradoxe Überlagerung, die nur mit der „Trägheit“ staatlicher Systeme zu erklären ist, bei denen Bund-Länder-Vereinbarungen bis zum bitteren Ende abgewickelt werden. Anders als in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009/2010 hat es die Wirtschaft in den 90er Jahren versäumt, durch nachhaltige Vorsorge den Ingenieurnachwuchs im Auge zu halten, den man zum Durchstarten nach der Krise dringend benötigt.

137 FHN-Report 1/1994, S.28


Im Studienjahr 1995/96 haben die dramatisch sinkenden Studienanfängerzahlen mit 1.457 einen Tiefstand erreicht. Seit Gründung der Fachhochschule im Jahre 1971 waren diese Zahlen ständig gestiegen und pendelten sich in den Studienjahren 1983/84 bis 1993/94 zwischen 1.850 und 2.200 ein. Im Studienjahr 1990/91 nahmen sogar 2253 junge Menschen ihr Studium auf. Die Verantwortlichen arbeiten an der Erweiterung des Studienangebots. Im Fachbereich Wirtschaft wird mit Unterstützung und Koordination von Prof. Broermann aus dem schon bestehenden Curriculum Wirtschaftsingenieurwesen-Logistikmanagement das für mehr Studienanfänger geeignete Angebot eines grundständigen Studiengangs „Wirtschaftsingenieurwesen“ entwickelt, dessen Absolventen nicht nur auf reine Ingenieurwissenschaften oder nur auf Betriebswirtschaft fixiert sind. Lean-Management heißt das neue Zauberwort in der Wirtschaft. Wirtschaftsingenieure passen genau in dieses Bild eines Managers, der gleichermaßen Technik und Vertrieb erledigen kann. Am 1. Februar 1993 wird der Antrag auf Einrichtung des Studiengangs an das Ministerium gestellt. Nach Verhandlungen und weiteren Berichten schickt das Ministerium am 15. November 1994 den Genehmigungserlass. Das Ministerium sieht im neuen Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen „ein Doppelangebot zum vorhandenen Studiengang Produktionstechnik“, der seit 1977 im Fachbereich Textilund Bekleidungstechnik zusammen mit dem Fachbereich Maschinenbau und Verfahrenstechnik betrieben wird. Die Argumentation der Hochschule, dass die „Produktionstechnik“ zwar betriebswirtschaftliche und technische Abläufe kombiniert, diese aber auf die Herstellung von Produkten konzentriert sind, überzeugt das Ministerium nicht. Die Genehmigung für den Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen wird nur dann erteilt, wenn Produktionstechnik eingestellt wird. Diese Auflage wird zähneknirschend akzeptiert, um das neu entwickelte Angebot starten zu können. Der Studiengang soll gemeinsam von vier Fachbereichen betrieben werden, wobei ein Ausschuss gebildet werden soll, an den die einzelnen Fachbereichsräte jederzeit widerrufbare Entscheidungsbefugnisse abtreten sollen. Damit ist der Streit um Kompetenzen und Ressourcen vorprogrammiert. Der Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik beansprucht den neuen Studiengang für sich, weil er die Produktionstechnik aufgeben muss. Der Fachbereich Wirtschaft betreibt den Europäischen Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen-Logistikmanagement, hat die Planung des neuen Studienganges im Wesentlichen geleistet und will den neuen Studiengang behalten. Das neue Rektorat hat Bedenken gegen beide Lösungen: Im Fachbereich Wirtschaft wird voraussichtlich die technische Komponente verkümmern, im Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik wird eine starke textile Ausrichtung erfolgen, wie man dies bei der Produktionstechnik beobachten konnte. Der Fachbereich Maschinenbau, am Studiengang Produktionstechnik beteiligt, hat sich später aus mangelndem Interesse zu wenig in die Produktionstechnik eingebracht.

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Das neue Rektorat schlägt einen eigenen Fachbereich 09 Wirtschaftsingenieurwesen vor, der die Interdisziplinarität als Aufgabe auf seine Fahnen schreibt und Technik und Wirtschaft in seinen Studiengängen gleichgewichtig unter einen Hut bringt. Der FB 09 soll den „Europäischen Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen-Logistikmanagement“ zusammen mit der Hogeschool Venlo weiter betreiben und den neuen Studiengang „Wirtschaftsingenieurwesen“ anbieten. In den Schwerpunkten „Betriebswirtschaft“, „Fertigungstechnik“, „Textil- und Bekleidungstechnik“ und „Reinigungs- und Hygienetechnik“ ist Unterstützung der in den Studienschwerpunkten tätigen Fachbereiche vorgesehen. Der Erlass des Ministeriums hat deutlich gemacht, dass „zusätzliche personelle, räumliche und sonstige sächliche Ressourcen“ nicht bereitgestellt werden. Diese müssen also bei der Verteilung des FHN-Kuchens herausgeschnitten werden, eine Aufgabe, mit der sich ein Rektorat bei den bestehenden Fachbereichen nicht gerade beliebt machen kann. Aber bei sinkender Auslastung im eigenen Fachbereich steigt die Bereitschaft, fachnahe Angebote im neuen Fachbereich 09 aufzubauen. Am 13. Juni 1995 findet ein konstruktives Gespräch zwischen Rektorat und den beteiligten Fachbereichen statt, mit Ergebnissen, die die Basis für Vorlage und Beschluss des Senates am 30. Juni 1995 bilden.


Von den zehn Professorenstellen kommen vier aus dem Fachbereich Wirtschaft, vier aus dem Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik und je eine aus dem Fachbereich Oecotrophologie und Maschinenbau /Verfahrenstechnik. Die Mitarbeiterstelle, die bereits früher dem Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen-Logistikmanagement zugesprochen wurde, wandert mit in den neuen FB 09. Die Sekretariatstelle wird später vom Rektorat auf eine ganze Stelle aufgestockt und aus zentralen Mitteln bereitgestellt. So werden Prof. Dr. Hemmert aus dem Fachbereich Wirtschaft, der bereits die Planungen durchgeführt hatte, mit Stelle in den FB 09 verlagert und danach zum Gründungsdekan bestellt. Prof. Dr. Hloch aus dem Fachbereich Ernährung und Hauswirtschaft wird Gründungs-Prodekan. Frau M. Koska, die bisher für die Betreuung des Europäischen Studiengangs im Fachbereich Wirtschaft zuständig ist, übernimmt das Sekretariat des neuen Fachbereiches. Alle anderen Planstellen werden unbesetzt übertragen, wobei von Anfang an auf das richtige Verhältnis von C3 und C2 Stellen geachtet wird, nämlich 6:4, damit die Stellen für Bewerber – auch für Hausbewerber – attraktiv sind. Zu einem funktionierenden Fachbereich gehört ein Fachbereichsrat, der als Gründungsrat ebenfalls bestellt wird. Um eine demokratische Legitimation herzustellen, wird der Senat Gebeten, geeignete Kandidaten durch eine Abstimmung vorzuschlagen. Für den Lehrbetrieb müssen Räume zur Verfügung stehen, die ab dem Wintersemester bereits die Jahrgänge für Logistik-Management und das erste Semester des neuen Studiengangs Wirtschaftsingenieurwesen berücksichtigten. Der Fachbereich Wirtschaft plant diese Räume mit ein, und die Laboratorien der in den Schwerpunkten beteiligten Fachbereiche werden mitgenutzt. Weiterhin besteht ein Bedarf an Arbeitszimmern und an Räumen, in denen die Organisation des Fachbereichs untergebracht sein kann. Neben dem Fachbereich 08 ist der Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik (07) die zweite große tragende Säule des neuen Studienganges Wirtschaftsingenieurwesen. Der Studiengang Produktionstechnik, der bislang im Fachbereich 07 betrieben wurde, geht in den Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen als Schwerpunkt ein. Durch die Einstellung des Studiengangs Produktionstechnik wird die Raumbelastung in Fachbereich 07 geringer. Es soll angestrebt werden, hinsichtlich der Büros und Arbeitsräume eine Lösung innerhalb des Fachbereichs zu finden. Dafür bietet es sich an, die bisher vom FB 07 genutzte alte Direktorenvilla an der Ecke Webschulstraße/RichardWagner-Straße, als eine eigenständige Einheit dem Fachbereich 09 zu übertragen. Wegen der besonderen Atmosphäre des früheren Wohnzimmers des Direktors mit angrenzendem Wintergarten und Blick ins Grüne wird dieses bisweilen als Besprechungszimmer genutzte Kleinod liebevoll „Sanssouci“ genannt.

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Abb. 74 Gr端ndung des Fachbereichs Wirtschaftsingenieurwesen


Erweiterung des Fächerspektrums Die Studienanfängerzahlen in den 90er Jahren machen der damaligen Hochschulleitung Sorgen. Die Auslastung gegenüber der Kapazitätsverordnung (KapVO) beträgt im Studienjahr 1996/97 über die ganze Hochschule gesehen nur 81,3 Prozent. Die Fachhochschule Niederrhein ist, noch stärker als andere Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen, stark ingenieurwissenschaftlich ausgerichtet. Technische Fächer wie Textil und Bekleidungstechnik gibt es nur am Niederrhein und Chemieingenieurwesen nur an wenigen Fachhochschulen in NRW. Dennoch schneidet die FH Niederrhein im Vergleich zu anderen Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen relativ gut ab. Nach der mit Abstand größten Fachhoch­schule, der FH Köln, kann sie die zweitgrößte Studienanfängerzahl im Lande ausweisen. Die FHN wird mit ihrem Strukturproblem besser fertig als die meisten anderen Hochschulen. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass ein intensiver Dialog mit den weiterfüh­renden Schulen der Region aufgenommen wird. Die Kontakte zwischen Hochschule und Schulen der Region sind bereits 1996 aufgenommen worden und werden 1997 fortgesetzt. Es werden Kontaktlehrer der Schulen und Kontaktprofessoren der einzelnen Fachbereiche benannt, so dass eine direkte sachliche Beratung von Studieninteressenten gewährleistet ist. Der Bekanntheitsgrad des Tags der offenen Tür kann gesteigert werden.Betrachtet man die Auslastung in einzelnen Fachbereichen an den beiden Standorten, so erkennt man die sich immer weiter öffnende Schere zwischen den technischen Fachbereichen in Krefeld und den nicht-technischen in Mönchengladbach. Die Nutzung der vorhandenen Kapazität ist in Mönchengladbach im Durchschnitt mit 103,4 Prozent ausreichend; in Krefeld liegt sie lediglich bei 57,1 Prozent. Mit 138,8 Prozent Auslastung ist der Fachbereich Wirtschaft in Mönchengladbach am stärksten überlastet. Die meisten freien Plätze gibt es dagegen im Krefelder Fachbereich Chemie (43,8 Prozent).138 1997 sind nur noch 35 Prozent der 8207 Studenten in Krefeld eingeschrieben. Die Stabilität der Hochschule beruht auf dem Gleichgewicht zwischen den Standorten. Einer Liebesheirat hat die gemeinsame Fachhochschule für den Niederrhein ihre Existenz nicht zu verdanken. Es ist von Anfang an ein Zweckbündnis, welches auch zerbrechen kann, wenn der eine Partner den anderen nicht mehr braucht. „Der Rückgang der Studienanfängerzahlen ist 1996 zum Stillstand gekommen“, stellt das Rektorat fest. Allerdings stagnieren die Anfängerzahlen auf niedrigem Niveau. Die Zahl der eingeschriebenen Studenten nimmt infolge dessen noch weiter ab und somit auch die Auslastung besonders der technischen Fachbereiche.

138 Rechenschaftsbericht des Rektorats für das Jahr 1996, S.22 200  201


Professorenplanstellen kann man nur besetzen wenn sie frei werden, meistens durch Versetzung in den Ruhestand der bisherigen Stelleninhaber. Ein Blick auf die Altersstruktur lohnt sich, denn die Altersverteilung ist keineswegs gleichmäßig. Betrachtet man die Altersstruktur der Professoren im Jahre 1996, so wird deutlich, dass die Geburtsjahrgänge von 1936 bis 1940 überwiegen. Ungefähr 40 Prozent der Stellen sind mit Personen zwischen 56 und 65 Jahren besetzt. Legt man 65 als Pensionsalter zugrunde, so ist in fünf (2001) bis zehn Jahren (2006), eine Welle von freien Stellen zu erwarten, die wegen der oft praktizierten vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand noch einige Jahre früher beginnen wird. Eine Riesenchance für einen Strukturwandel der Hochschule mit neu definierten Lehrgebieten tut sich auf. Nicht mehr nachgefragte Studiengänge können zurückgebaut, neue zukunftsträchtige Angebote aufgebaut werden. Aber niemand kann sich vorstellen, dass Ingenieure aus den klassischen Disziplinen Maschinenbau, Chemieingenieurwesens und Elektrotechnik künftig nicht mehr gebraucht werden. Die besonnenen Kräfte in der Fachhochschule setzen sich durch und die durch geringe Nachfrage sehr stark gebeutelten Fachbereiche erhalten von der Hochschulleitung die Garantie für eine Mindestkapazität, damit sie bei hoffentlich wieder ansteigender Nachfrage mit einer angemessenen fachlichen Breite wieder starten können. Neues Erscheinungsbild Der 25. Geburtstag der Fachhochschule wurde 1996 genutzt, Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Die Fachhochschule schenkt sich zum Jubiläum ein neues „Outfit“, wobei das bewährte, 1972 von Prof. Wolfgang Slansky entworfene Signet der Fachhochschule modernisiert und als Erkennungszeichen beibehalten wird. Zusammen mit dem Schriftzug „Fachhochschule Niederrhein“ bildet es künftig das Logo der Hochschule. Unterstützt durch die einheitliche Farbe (dunkelblau) soll es dafür sorgen, dass alle Drucksachen, Schilder und Beschriftungen an Hochschulgebäuden und Dienstfahrzeugen als zur Fachhochschule Niederrhein zugehörig erkennbar sind. Kurze Zeit später wird nach einer Verabredung der Fachhochschulen in Deutschland die englische Übersetzung für Fachhochschule „University of Applied Sciences“ in das Logo aufgenommen.


Abb. 75 Anfängerzahlen in den 90er Jahren

Abb. 76 Eingeschriebene Studenten in MG und KR

Abb. 77 Altersstruktur der Professoren

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Eckdatenverordnung Zusätzlich findet eine inhaltliche Erneuerung der bestehenden Studiengänge statt, die erzwungen wird durch die Eckdatenverordnung, die am 30. März 1994 in Kraft gesetzt wird. Innerhalb von 18 Monaten, also bis zum 1.Oktober 1995, soll die Umsetzung erfolgen, in der Realität zieht sich die Überarbeitung jedoch bis Mitte 1997 hin. Zur Stärkung der Autonomie der Hochschulen ist im neuen Hochschulgesetz vom 3. August 1993 das Recht zur Genehmigung der Prüfungsordnungen den Rektoren übertragen worden. Jedoch muss im Rahmen der Rechtsaufsicht jeder Entwurf vorher dem Ministerium vorgelegt werden. Ganz so schnell wie die Politiker und der Gesetzgeber es wollen, verändert sich die Ministerialbürokratie dann doch nicht. Die Eckdatenverordnung begrenzt die Studien- und Prüfungseinheiten und soll so durch eine „Entrümpelung“ die Studierbarkeit der Studiengänge wiederherstellen. Auch werden mehrere Prüfungstermine im Studienjahr für jedes Fach vorgeschrieben, damit der Student bei Nichtbestehen ohne große zeitliche Verzögerung in einer Wiederholungsklausur seine Fehlleistung ausbügeln kann. Praxissemester Nach § 55 (2) beträgt die Regelstudienzeit acht Semester. Sofern kein integriertes Praxissemester oder ein Auslandssemester vorgesehen ist, beträgt die Regelstudienzeit sieben Semester. Die Möglichkeit, ein Praxissemester zu integrieren, wird in der Fachhochschule Niederrhein unterschiedlich genutzt: Es entstehen 8-semestrige Studiengänge mit einem Praxissemester im 5. Semester (FB 04) oder im 7. Semester (FB01, 03, 07). Andere richten einen 7-semestrigen und einen 6-semestrigen Studiengang parallel zueinander ein (FB 05). So überlässt man den Studenten die Wahl, mit oder ohne Praxissemester zu studieren. Andere Fachbereiche trauen sich gar nicht, ein Praxissemester anzubieten, weil entsprechende Erlasse des Ministeriums vorschreiben, dass die Fachbereiche ausreichend viele qualifizierte Praxisplätze garantieren müssen. Ein weiteres Entscheidungskriterium ist die Wettbewerbssituation mit anderen Hochschulen. Man befürchtet, dass die Fachhochschule, die einen Abschluss nach sieben statt nach acht Semestern verspricht, mehr Studienanfänger anzieht. Über 20 Studiengänge werden entsprechend den vorgegebenen Eckdaten entrümpelt und gestrafft.


Gesundheitswesen Im Laufe des Jahres 1997 wird die Konzeption für ein Studienangebot im Bereich Gesundheitswesen erarbeitet. Das besondere ist, dass der Anstoß dazu und die Entwicklung des Konzeptes aus dem Rektorat kommen. Die Beweggründe sind die schlechte Auslastung der Ingenieurstudiengänge und die dadurch bedingte Schieflage bei den Studienanfänger- und Studierendenzahlen zwischen den Standorten Mönchengladbach und Krefeld. Darüber hinaus gibt es in der Region zu wenige Dienstleistungen, um den Rückgang des produzierenden Gewerbes zu kompensieren. In der Region, besonders in Krefeld, gibt es Bestrebungen, das Gesundheitswesen als Besonderheit des Niederrheins weiter auszubauen, um den tertiären Sektor zu stärken. Das Klinikum in Krefeld ist Lehrkrankenhaus der Universität Düsseldorf. In Viersen und Kleve betreibt der Landschaftsverband Rheinland Krankenhäuser mit überregionaler Bedeutung. Auch in Mönchengladbach und weiteren Städten des Niederrheins ist ein hoher Besatz an Kliniken und Einrichtungen des Gesundheitswesens zu finden. Im Fachbereich Elektrotechnik und Informatik gibt es Ansätze zur Medizintechnik. Prof. Dr. Klaus Müller ist vor seiner Hochschulzeit in der Industrie auf diesem Gebiet tätig gewesen. Medizintechnik gekoppelt mit medizinalen Grundlagen und Betriebswirtschaft könnte die Basis für eine Erweiterung des Fächerspektrums werden, um die Hersteller und Betreiber von bio-medizinischen Geräten mit Fach- und Führungskräften zu versorgen und allgemein Fachleute für das Gesundheitswesen bereitzustellen. Auf einem Workshop, zu dem Vertreter der Hersteller von biomedizinischen Geräten und Vertreter des Gesundheitsbranche eingeladen sind, zeigt sich, dass für die Entwicklung und Wartung solcher Geräte „Vollblutingenieure“ mit tiefgehenden Elektronik-Kenntnissen gebraucht werden, die bereit sind, sich in medizinale Grundlagen einzuarbeiten. Diese werden jedoch bereits im Fachbereich Elektrotechnik ausgebildet. Um mehr über künftige Arbeitsmarktchancen im Gesundheitswesen zu erfahren, braucht man den Kontakt zu Kliniken und anderen Einrichtungen. Darum kümmert sich Frau Prof. Dr. Klotz, die von März 1997 bis Februar 2002 als Prorektorin für Lehre, Studium und Studienreform dem Rektorat angehört. Die Fachhochschule lässt sich außerdem von Fachleuten des Gesundheitswesens, Verwaltungschefs und Chefärzten aus renommierten Häusern am Niederrhein sowie Vertreter von Verbänden, Krankenkassen und Berufsorganisationen beraten. Je nach Herkunft der Berater werden unterschiedliche Betätigungsfelder der künftigen Absolventen favorisiert: Assistenten der kaufmännischen und ärztlichen Leitungen von Kliniken und deren Abteilungsleitungen, Patientenmanager zur Optimierung der diagnostischen und therapeutischen Abläufe, Abrechnungswesen und Controlling in Einrichtungen des Gesundheitswesens und viele andere Tätigkeitsfelder. Schließlich werden die Eckpfeiler der künftigen Erweiterungen des Fächerspektrums im Gesundheitswesen definiert: Medizinische Grundlagen, betriebswirtschaftliche und technische Belange einschließlich Datenverarbeitung sollen jeweils mit Bezug auf das Gesundheitswesen so verknüpft werden, dass eine Fachfrau/ein Fach­mann für die Organisation der Infrastruktur im Gesundheitswesen ausgebildet wird. Ein unabdingbares „Credo“ ist, dass es eine starke Verknüpfung mit der Praxis geben soll. Hier hat die Fachhochschule Niederrhein reiche Erfahrungen aus dem „Krefelder Modell“ der kooperativen Ingenieurausbildung.

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Kooperative Ausbildung nach dem Krefelder Modell Es soll einen Studiengang in „Dualer Form“ mit einer Regelstudienzeit von fünf Jahren geben, der sich an Abiturienten ohne weitere praktische Vorbildung richtet. In den ersten beiden Jahren absolvieren die Studenten an drei Tagen in der Woche eine praktische Ausbildung in einer Klinik oder einer anderen Einrichtung des Gesundheitswesens und an zwei Tagen in der Woche studieren sie in der Fachhochschule. Danach sind ein Vollzeitstudium, ein Praxissemester außerhalb der Hochschule und schließlich eine Abschlussarbeit in Verbindung mit der Praxis vorgesehen. Der andere vierjährige Studiengang ist inhaltlich völlig gleich und richtet sich an ausgebildete Fachkräfte (z.B. Krankenschwestern und Pfleger) mit Hochschulzugangsberechtigung. Für dieses Fachpersonal, welches oftmals auch recht erhebliche Berufserfahrung einbringt, kann die praktische Ausbildung in der Anfangsphase der dualen Ausbildung entfallen. Dadurch ist die Studienzeit um ein Jahr kürzer. Viele berufserfahrene Studienanfänger wählen aber den längeren Studiengang, um in den ersten Jahren berufsbegleitend nur an zwei Tagen in der Woche zu studieren oder um Beruf und Familie in Einklang zu bringen. Gerade Frauen, die vorher im Gesundheitswesen tätig waren, wählen diesen Weg zum höherwertigen Wiedereinstieg in das Berufsleben. Das Konzept steht oder fällt mit der Frage, ob die umliegenden Kliniken sich einbringen. In zahlreichen Einzelgesprächen und Workshops gelingt es, die Leitungen und die Ausbildungsleiter der Kliniken am Niederrhein auf den neuen Studiengang einzuschwören. Es kann deutlich gemacht werden, dass mit dem Studienangebot „Gesundheitswesen – Technische Medizinwirtschaft“ Fachleute ausgebildet werden, die den dringend notwendigen Wandel wirkungsvoll begleiten können. Leider gelingt es nicht, im Gesundheitswesen einen formalen Abschluss analog zum Facharbeiterbrief der IHK bei der Kooperativen Ingenieurausbildung zu vereinbaren. Es fehlt der passende Gesprächspartner im Gesundheitswesen, der auf breiter Front als Partner zur Verfügung steht. Trotzdem gelingt es, einen gemeinsamen Ausbildungsplan für den praktischen Teil des kooperativen Studiengangs Gesundheitswesen zu verabreden. Zur Sitzung des Senats im März 1998 wird ein ausführliches Konzept vorgelegt, in welches die Ergebnisse vieler Gespräche und Beratungen eingeflossen sind. Es behandelt das Konzept, die Berufsfelder und Einsatzgebiete, den Aufbau des Studiums, die Voraussetzungen in der FHN, die notwendigen Kapazitäten und Hinweise zu Referenzen und Expertenbefragungen: „Folgende inhaltliche und zeitliche Abfolge ist während der praktischen Ausbildung vorzusehen, wobei jeweils drei Fallbeispiele der einzelnen Fachgebiete betrachtet werden sollen:

1.      Semester:

wahlweise Innere Medizin, Neurologie, Onkologie

2.      Semester:

wahlweise allgemeine Chirurgie, Unfallchirurgie, Gynäkologie, Herzchirurgie, Neurochirurgie,

3.      Semester: wahlweise Anästhesie, Intensivmedizin, HNO, Dermatologie, Urologie 4.      Semester: Funktionsbereiche: Labor, Radiologie, EKG, Endoskopie, Sonographie


Die Ausbildungsinhalte sind zu protokollieren und mit der Bezugsperson auf den Stationen, abzugleichen. Die Erfahrungsberichte werden in der Hochschule vorgestellt und diskutiert. Nach Ablauf der zwei Ausbil­dungsjahre erhält der Auszubildende eine detailliertes Zeugnis über die erlernten Fähigkeiten.“139 Die Ausarbeitung ist Anlass für heftige Diskussionen in der Hochschule und im Senat. Die Dekane aller neun Fachbereiche richten einen gemeinsamen Brief an den Rektor, in welchem sie auf den Ressourcenverbrauch dieses Vorschlags des Rektorats hinweisen, der zu Lasten des bestehenden und der von den Fachbereichen entworfenen neuen Angebote geht: „Da ein neuer Studiengang Ressourcen aller Fachbereiche tangiert – die vorhandenen Mittel sind unter mehr Interessenten aufzuteilen – ist zu überlegen, für welches neue Studienangebot sich ein solches Opfer lohnt, ob nicht Synergieeffekte zu nutzen sind“ In der Tat ist gerade zum WS 1997/98 der Studiengang „Sozialmanagement“ vom Fachbereich Sozialwesen und der „Verbundstudiengang Wirtschaftsrecht“ vom Fachbereich Wirtschaft eröffnet worden. Der Fachbereich Elektrotechnik führt den Studiengang „Technische Informatik“ ein. Der neue Fachbereich „Wirtschaftsingenieurwesen“ ist gerade vor zwei Jahren (1995) gegründet worden. Es gibt neben dem Rektorat keine weitere Lobby für die Durchsetzung des Projektes „Gesundheitswesen“ an der Fachhochschule. Die Diskussion über die Frage, ob die Fachhochschule Niederrhein diesen Schritt, mit dem sie Neuland betritt, gehen soll, nimmt in der ersten Hälfte des Jahres 1998 großen Raum ein. Befürworter verweisen auf die Chancen und Perspektiven der Erweiterung, die Türen aufstößt zum breiten Feld des Gesundheitswesens, möglicherweise auch in Richtung Pädagogik und in Richtung Lehrerausbildung für Berufskollegs im Gesundheitswesen. In anderen Wirtschaftszweigen übernimmt der Staat die ergänzende schulische Seite der Berufsausbildung und lässt dafür Lehrer an den Hochschulen ausbilden. Erste Anfragen an das Ministerium werden positiv beantwortet: „Auf der Grundlage Ihres Berichtes vom 12. November 1997 und dem hiermit übersandten Konzept für einen Studiengang Gesundheitswesen stelle ich Ihnen die Genehmigung gemäß § 73 Abs.2 Nr.2 FHG in Aussicht. … Dabei gehe ich davon aus, dass der Studienbetrieb zum Wintersemester1998/99 aufgenommen werden soll“,heißt es im Erlass vom 1. Dezember 1997. Zusätzliche Ressourcen vom Land wären natürlich in der fachhochschulinternen Diskussion ein wichtiges Argument, dazu gibt es aber zunächst keine Angaben. Ein Briefwechsel mit Ministerin Anke Brunn zum Jahreswechsel 97/98 zeigt die wohlwollende Haltung der Landesregierung gegenüber dem neuen Studiengang und erwähnt zumindest eine Stellenausstattung, verspricht diese jedoch noch nicht.

139 Senatsvorlage SV-Nr. 15/98 für die 282.Senatssitzung am 20.03.1998 206  207


Der Rektor formuliert in der Senatssitzung am 23.3. 98 einen Minimalkonsens, der akzeptiert wird: „Nach ausgiebiger Erörterung wird mit Hinweis auf die Besprechung Rektor/Dekane festgestellt, daß 1.      eine Ausweitung des Fächerspektrums an der FHN sinnvoll ist 2.      grundsätzlich Kapazitätsprobleme der bestehenden Organisationseinheiten berücksichtigt werden müssen 3.      alle Beteiligten an einem Ausgleich der Interessen der Krefelder und Mönchengladbacher Standorte interessiert sind 4.      Stellenverlagerungen für die neue Lehreinheit Gesundheitswesen aus ausgelasteten Lehrein­heiten abzulehnen sind 5.      das Rektorat Verständnis für die Interessenvertretung der Dekane hat, da es ihre Aufgabe ist, die Interessen ihrer Fachbereiche wirkungsvoll zu vertreten, aber auch die Verantwortung für die Erweiterung des Fächerspektrums in der Hochschule wahrgenommen werden muß 6.      falls keine Stellen vom MWF für die Lehreinheit Gesundheitswesen zugewiesen werden, dieser Studiengang nicht eingeführt wird.“140 Dieser Konsens macht den Weg noch nicht frei, nimmt aber die Schärfe aus der Diskussion, indem die jeweiligen Standpunkte anerkannt werden. Noch zwei Probleme sind zu lösen: die Zusage für Stellen aus dem Ministerium und die Entscheidung über einen eigenen Fachbereich oder die zumindest vorläufige Anbindung des Gesundheitswesens an einen vorhandenen Fachbereich. Für die Lösung des ersten Problems wird die Landtagsabgeordnete Sigrid Klösges aus Krefeld als Vermittlerin gewonnen, die von Ministerin Anke Brunn eine deutliche Zusage über drei neue Stellen erhält: „Ich begrüße das von der Hochschule vorgelegte Kon­ zept, das die Bereiche medizinische Grundlagen, Datenverarbeitung/Technik, betriebswirtschaftliche Grundlagen und Organisa­tion im Gesundheitswesen umfaßt. Hierin sehe ich eine gute und zukunftsweisende Ausgangsbasis für eine Studiengangskonzeption. Die Hochschule sollte den Studienbetrieb nach Möglichkeit noch im kommenden Wintersemester aufnehmen. Als Beitrag des Landes zur notwendigen Personalausstattung des neuen Studiengangs stelle ich die Bewilligung dreier Stellen aus zentralen Veran­schlagungen des Ministeriums in Aussicht. Diese Stellen sollen ab dem Haushaltsjahr 2000 zugewiesen werden.“

140 Protokoll der 282.Senatssitzung am 20.03.1998


Der jüngste Fachbereich, der FB 09 Wirtschaftsingenieurwesen, ist Spezialist für Angebote zwischen den klassischen Hochschuldisziplinen. Für seinen Ausbau zu einem „richtigen“ Fachbereich braucht er weitere Stellen. Prof. Dr. Hemmert, Dekan des Fachbereichs 09, wittert seine Chance zur Ausweitung und Konsolidierung und beantragt beim Rektorat die Übernahme des geplanten Studiengangs Technische Medizinwirtschaft in den Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen. Damit ist der Weg frei für die Zustimmung des Senats. Auf seiner Sitzung am 5. Juni 1998 beschließt der Senat mit überwältigender Mehrheit (11 Ja, 1 Nein und 3 Enthaltungen), die Genehmigung des neuen Stu­dienganges beim Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und For­schung NRW offiziell zu beantragen. Mit Erlass vom 21.09.1998 wird der neue Studiengang vom Ministerium genehmigt und kann zum Wintersemester 1998/99 mit einem Vor­laufkurs für das Teilzeitstudium mit begleitenden Praxisanteilen oder paralleler Be­rufstätigkeit begonnen werden. Später wird das neue Studienangebot zum „Modellstudiengang Gesundheitswesen-Technische Medizinwirtschaft“ an der Fachhochschule Niederrhein in Krefeld erklärt und über die Jahre 2000, 2001 und 2003 mit einer Gesamtsumme von 466.800,- DM je zur Hälfte von Bund und Land gefördert.141 Zum Wintersemester 2010 ist aus dem ehemaligen „Stiefkind“ Gesundheitswesen, welches während der Schwangerschaft von den älteren Geschwistern mit Argwohn am gemeinsamen Tisch erwartet wurde, ein eigener geachteter Fachbereich geworden in welchem (am 15. November 2010) 536 vorwiegend Studentinnen eingeschrieben sind. Die Hochschule Niederrhein ist mit ihren zehn Fachbereichen jetzt fachlich breiter aufgestellt und weniger empfindlich gegen Einbrüche auf einzelnen Gebieten.

141 Erlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung NRW vom 17. Januar 2000 208  209



Teil 4  2000 bis 2010


2001 Der neue Name: „Hochschule Niederrhein“ wird eingeführt. Der Bericht des Exper-

tenrates wird von Ministerin Behler vorgelegt. Start der Hochschulentwicklungsplanung (HEP) mit HN internen Ziel- und Leistungsvereinbarungen/ HEP I >2001–2004 / HEP II > 2005–2009. 2002 Start der Ziel –und Leistungsvereinbarung mit dem Ministerium (ZVL). ZVL I > 2002–2004 / ZVL II > 2005–006 / ZVL III > 2007–2010.

2003 Start Modellversuch Globalhaushalt. 2006 Das Gesetz zur Erhebung von Studienbeiträgen tritt in Kraft und die HN beschließt 500 Euro/Semester zu erheben. Ab 2011

müssen die Studierenden keine Beiträge mehr bezahlen. Das Land leistet Ersatzzahlungen an die Hochschulen. Die Kindertagesstätte (KITA) „Campuszwerge“ wird eröffnet und zieht 2007 in den Neubau auf dem Campus Mönchengladbach ein. 2007 Das Hochschulfreiheitsgesetz tritt in Kraft und das Personal wird aus den Diensten des Landes NordrheinWestfalen in die neue Körperschaft öffentlichen Rechts überführt. 2008 Die Mitglieder des Hochschulrates werden von Minister Pinkwart in ihr Amt eingeführt. Der Hochschulrat besteht aus acht Mitgliedern, von denen fünf externe und drei interne Mitglieder sind 2010 Das neue Präsidium der Hochschule Niederrhein nimmt seine Arbeit auf.


Die Hochschule Niederrhein im 21. Jahrhundert Der Weg zu mehr Verantwortung und Eigenständigkeit Am 4. Juni 1999 unterzeichnet die Fachhochschule Niederrhein gemeinsam mit 26 anderen Hochschulen, dem Ministerpräsidenten, dem Finanzminister und der Ministe­rin für Schule, Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen den Qualitätspakt. 142 Trotz persönlicher Führung durch die Arbeitsräume des Ministerpräsidenten im gläsernen Stadttor in Düsseldorf sind die Gefühle der Rektoren zwiespältig. Die Unterzeichnung des Qualitätspakts ist nicht das Ergebnis von Verhandlungen gleichberechtigter Partner. Schließlich kann keine Hochschule „Nein“ sagen und damit drohen, den Schutzschirm des Landes NRW zu verlassen und sich einem anderen Bundesland anzuschließen. Zu den positiven Bestandteilen des Qualitätspakts/Zukunftspakts gehört, dass die Hochschulen aus dem Kreis der nachgeschalteten Behörden herausgehoben werden. Diese können in schwierigen Haushaltslagen des Landes ohne Ankündigung von Zugriffen wie Stellenbesetzungssperre und sogenannten globalen Minderausgaben143 überrascht werden. Der Qualitätspakt schützt die Hochschulen vor derartigen Überraschungen. Diese können zuverlässig, aber mit weniger Stellen, planen. Im Rahmen des Qualitätspakts muss die FHN 4,6 Prozent der vorhandenen Stellen abgeben. Das sind 24 der insgesamt 527 Stellen; davon sind bis Ende 2003 zehn und bis Ende 2009 weitere vierzehn Stellen abzugeben.144 Diese Stellen fehlen der Fachhochschule Niederrhein für den Aufbau der neuen Studienangebote, der durch den Qualitätspakt erheblich erschwert wird. Als entscheidendes Kriterium für die Stellenabsetzungen in den Fachbereichen bis Ende 2003 wird von der FHN die Auslastung gewählt. Betroffen sind die gering ausgelasteten Fachbereiche Chemie mit drei, Elektrotechnik und Informa­tik mit zwei, Maschinenbau und Verfahrenstechnik mit drei und Textil- und Bekleidungstechnik mit zwei Stellen. Im Juli 2001 legt Bildungsministerin Gabriele Behler den Abschlussbericht des Expertenrates vor, der für die HN folgende Empfehlungen enthält: Deutliche Stellenkürzungen und Restrukturierung des Studienangebotes im Fachbereich Chemie.

142 Rechenschaftsbericht des Rektorats für das Jahr 1999, S.10–11 143 „Globale Minderausgabe“ bedeutet, dass ein Teil der vorher zugewiesenen staatlichen Zuschüsse „eingefroren“ wird. 144 Bericht des Expertenrates, S. 465 212  213


Wegen der geringen Auslastung und der örtlichen Nähe sollen unter der Moderation des Ministeriums die Angebote der Fachhochschule Niederrhein und der Fachhochschule Düsseldorf im Maschinenbau und in der Elektrotechnik abgestimmt werden mit dem Ziel, der Einstellung des Maschinenbaues in Düsseldorf und der deutlichen Reduktion der Elektrotechnik in Krefeld. Möglichst zügige Stellenverlagerungen zur Konsolidierung der neuen Studiengänge Wirtschaftsingenieurwesen und Gesundheitswesen. Dafür werden partielle Reduktionen in Maschinenbau und stärkere Einschnitte in den unterausgelasteten Bereichen Elektrotechnik und Chemieingenieurwesen notwendig. Zwischen den Fachhochschulen Düsseldorf und Niederrhein sollen die Angebote im Bereich Design abgestimmt werden. An der Fachhochschule Niederrhein soll das Kommunikationsdesign zu Gunsten einer Ausdifferenzierung des Produktdesigns eingestellt werden. Der Fachhochschule Düsseldorf wird die Einstellung des Produkt- Design empfohlen.145 Das Produktdesign besteht in Düsseldorf nur aus Schmuckdesign, welches früher von Krefeld nach Düsseldorf abgegeben wurde. Jetzt sollen die drei Stellen nach Krefeld zurückwandern. Im Gegenzug sollen drei Stellen aus dem Kommunikationsdesign von Krefeld nach Düsseldorf übergehen. Die direkt von diesem Tausch betroffenen Professorinnen und Professoren auf beiden Seiten des Rheins sind wenig begeistert. Beide Hochschulen halten nichts von dem geplanten Austausch, ihre Studenten protestieren dagegen auf der Straße. Produktdesign und Kommunikationsdesign haben einen integrierenden gestalterischen Ansatz und bedingen sich gegenseitig, heißt es. Oberbürgermeister und Landtagsabgeordnete wenden sich mit diesem Argument an Ministerin Behler. Staatssekretär Krebs, selber Düsseldorfer, schaltet sich ein:„Was soll denn Schmuckdesign in Krefeld? Das passt doch besser zur Landeshauptstadt und zur Kö (Königsallee)!“146 Schließlich wird eine „rheinische Lösung“ gefunden, bei der fast alles beim Alten bleibt. Kommunikationsdesign in Krefeld verliert zwar den Status als selbständiger Studiengang und wird als Studienschwerpunkt eines übergreifenden Studiengangs Design in Krefeld weiterbetrieben. Ein Austausch von Stellen zwischen Krefeld und Düsseldorf findet nicht statt. Die Studiengänge im Bereich Maschinenbau und Verfahrenstechnik der Fachhochschule Düsseldorf sollen entsprechend den Empfehlungen des Expertenrates eingestellt werden. Einzelne Professoren und Mitarbeiter aus Düsseldorf werden an der Fachhochschule Niederrhein bereits vorstellig, um sich eine geografisch naheliegende Weiterbeschäftigung zu sichern. Aber auch hier gibt es für die Fachhochschule Düsseldorf einen Ausweg: Die Diplomstudiengänge werden zwar geschlossen, aber Bachelor-Studiengänge werden im Rahmen eines vorgezogenen Bolognaprozesses gleichzeitig neu aufgebaut. Somit bleibt alles beim Alten. Das gleiche gilt für den Bereich Elektrotechnik. In Krefeld wird die Informatik aufgebaut, in Düsseldorf die Informations- und Kommunikationstechnologien. Innerhalb der Fachhochschule Niederrhein werden die Empfehlungen umgesetzt. Genutzt wird dabei das vom Expertenrat hoch gelobte Steuerungskonzept der FHN: „Die Fachhochschule Niederrhein zeigt bemerkenswerte Erfolge in der Verwirklichung einer modernen Hochschulsteuerung. Ständig werden Erfolge und Probleme der einzelnen Bereiche bilanziert, wozu

145 Bericht des Expertenrates, S. 412 146 WZ Berichte vom 22.01. und 26.03. 2001


auch ein flächendeckendes, regelmäßiges Evaluationssystem gehört. 1998 wurde der Stellenstrukturtopf (für Professuren und für wissenschaftliche Mitarbeiter) als ,,Flexipool“ geschaffen. Dies soll ermöglichen, die Stellenstruktur fachbereichsübergreifend anzupassen, Stellenbedarf und schwankende Studierendennach­frage zeitlich zu überbrücken sowie Stellenumschichtungen zur Realisierung von neuen Studienange­boten vorzunehmen und die Einhaltung von Zielvereinbarungen zu belohnen. Bisher wurden in die­sem Rahmen den nicht ausgelasteten Fachbereichen acht Stellen entzogen. Das Rektorat will das Prinzip der flexiblen Stellenbewirtschaftung weiterentwickeln. Zwischenzeitlich wurden weitere sieben C-Planstellen (Professorenstellen) aus dem ,,Flexi-Pool“ von weniger ausgelasteten Fachbereichen in Fachbereiche mit Überlast und zur Unterstützung von neuen Studiengängen verlagert.“147

Der FB 09 sitzt als jüngster Fachbereich mit am Tisch und will versorgt werden und wachsen. Ein weiterer ungebetener Gast ist hinzugekommen und verlangt sein Recht: Der Finanzminister, der bis Ende 2003 zehn Stellen und bis Ende 2009 weitere 14 Stellen einbehalten will. Natürlich gibt es in der Hochschule auch Unmut über die Einbehaltung und Umschichtungen von so vielen Stellen und über das Instrument des „Flexi-Pools“. Gegenüber dem Expertenrat zieht man jedoch an einem Strang: „Die Präsentation gegenüber dem Expertenrat lässt jedoch die Einschätzung zu, dass die Veränderun­gen insgesamt akzeptiert wurden und dass der Umgang zwischen dem Rektorat und den Fachberei­chen entspannt ist. Sichtbar wird eine Organisationskultur, in der Entscheidungen zielgerichtet umge­setzt werden“148, heißt es in einem Bericht des Expertenrats.

Der neue Name: Hochschule Niederrhein „Die Bezeichnung ,Fachhochschule‘ war schon bei Gründung dieser Hochschulart falsch gewählt. Sie wurde einer untergegangenen Hochschulart des 19. Jahrhunderts entlehnt und bezeichnete dort Hochschulen und Akademien, die sich als Ausbildungsrichtungen auf nur ein Fach konzentrierten und die alsbald in Universitäten aufgingen.“149 Die Landes-Rektoren-Konferenz (LRK) wollte mit dieser Klarstellung die Änderung des Hochschulgesetzes beeinflussen, insbesondere die Formulierungen in §1. Dort heißt es bis heute: >> Dieses Gesetz gilt für die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen … >> Folgende Hochschulen sind im Sinne dieses Gesetzes Universitäten: … >> Folgende Hochschulen sind im Sinne dieses Gesetzes Fachhochschulen: … Eigentlich gibt es drei Problemfelder: die Bezeichnung des Hochschultyps im Gesetz, der Name der einzelnen Hochschule und eine treffende Übersetzung ins Englische. Für das Marketing einer Hochschule sind Name und Übersetzung am wichtigsten, damit tritt sie in die Öffentlichkeit. Bundesweit diskutieren die Fachhochschulen in den 90er Jahren, wie die englische Übersetzung lauten soll. Jeder Versuch einer wörtlichen Übersetzung scheitert, so

147 Expertenrat S. 465 148 Expertenrat, S. 470 149 Aus der Stellungnahme (April 2004) der LRH-FH-NRW zu den vorgeschlagenen Änderungen des Gesetzes über die Hochschulen des Landes NRW 214  215


dass nur eine freie sinngemäße Übertragung in Frage kommt. Den Dach-Begriff „Hochschule“ gibt es im Englischen nicht, er lässt sich nur mit „University“ übersetzen, so dass „University of …“ eine korrekte Kennzeichnung der Fachhochschulen sein könnte. Einige Fachhochschulen, die auf wenige Fächer beschränkt sind (z. B. Technik und/oder Wirtschaft), können die Fachgebiete anhängen. Viele sind jedoch sehr breit aufgestellt und brauchen deshalb eine übergreifende Bezeichnung. „University of Applied Sciences“ ist der Begriff, auf den sich die Fachhochschulen unter dem Dach der Hochschul-Rektoren-Konferenz (HRK) in Deutschland schließlich einigen. Er kennzeichnet die Hochschulart treffend und ist fächerübergreifend. Für die Vorgängereinrichtungen der HN wäre die Bezeichnung „Fachhochschule“ durchaus gerechtfertigt gewesen, denn sie bildeten in einem Fachgebiet oder für eine Branche aus. Nach der Gründung der FHN im Jahre 1971 trifft diese Bezeichnung nicht mehr den Charakter einer Hochschule mit Ausbildungsgängen und Forschung in vielen Ingenieurwissenschaften, in kreativen Fächern mit künstlerischen Grundlagen und in gesellschaftlich relevanten Fächern. Es gibt einige Hochschulen, die mit der Bezeichnung „Universität“ vor dem Namen weitaus weniger universal und vielfältig sind. Das erste gemeinsame Hochschulgesetz für Universitäten und Fachhochschulen (Hochschulgesetz – HG) vom 14. März 2000 bietet die Möglichkeit einer eigenen Namensgebung. „Die Hochschulen können eigene Namen, Wappen und Siegel führen“, heißt es in §2 und als Begründung wird mitgeliefert: „Damit soll der Charakter der Hochschule als Körperschaft mit Selbstverwaltungsbefugnissen unterstrichen werden.“ In der Fachhochschule Niederrhein wird die Frage eines neuen Namens sehr lebhaft diskutiert. Einigkeit besteht darin, dass man den Namen „Fachhochschule Niederrhein“ so nicht mehr verwenden will. In den neuen Bundesländern macht man es vor: „Hochschule für Wirtschaft“,„… für Technik“, „ … für Wirtschaft und Technik“. Diese Lösung scheidet für die FHN aus: „Hochschule für Technik, Wirtschaft, Sozialwesen, Design und Oecotrophologie“ ist zu lang. Die Heinrich Heine Universität kann ein Vorbild sein. Welcher verdiente Sohn oder welche berühmte Tochter des Niederrheins würde sich als Namenspatron eignen? Spätestens als der nicht ganz ernst gemeinte Vorschlag „Hans-Dieter-Hüsch-Hochschule“ genannt wird, ist klar, dass der linke Niederrhein zwar geistreiche und bekannte Persönlichkeiten hervorgebracht hat, diese aber als Namenspatron für eine Hochschule mit einem derart breiten Profil nicht dienen können. Der einfachste Vorschlag von allen findet breite Zustimmung: „Hochschule Niederrhein“. Damit schließt man direkt an den bisherigen Namen an. Aber die fehlende Kennzeichnung des Hochschultyps würde im Düsseldorfer Ministerium auf Widerstand stoßen. Auch innerhalb der Hochschule möchte man weiterhin als „Fachhochschule“ erkennbar bleiben. Dann die rettende Idee: Die im Hochschulwesen inzwischen allgemein anerkannte Übersetzung von „Fachhochschule“ wird dem Namen hinzugefügt: Man einigt sich auf „Hochschule Niederrhein (FH) / Niederrhein University of Applied Sciences“.


Die Hochschule Niederrhein gehört zu den ersten in NRW, die diesen Schritt zur Namensänderung gehen. Die FHN muss das Projekt Namensgebung zügig abschließen, denn man hat sich mit der Stadt Krefeld darauf geeinigt, dass die (Fach-)Hochschule in das neue Wegweisungssystem auf Straßenschildern und Hinweistafeln aufgenommen wird. Einerseits soll es der Wegweisung dienen, zum anderen aber auch – was noch wichtiger ist – zur gemeinsamen Imagebildung von Stadt und Hochschule beitragen. Mit der Stadt Mönchengladbach wird einige Jahre später eine ähnliche Regelung vereinbart. In NRW müssen an einzelnen Standorten ohnehin Namensänderungen vorgenommen werden. Durch die Ablösung der Fachhochschulstandorte von der Gesamthochschule Paderborn und deren Angliederung an die Märkische Fachhochschule (neuer Name: Fachhochschule Südwestfalen) und an die Fachhochschule Lippe (neuer Name: Fachhochschule Lippe und Höxter) müssen diese über neue Namen nachdenken: Eine Änderung der Bezeichnung bei der Aufzählung des Geltungsbereiches in § 1 wird notwendig. Hier will sich bei der Änderung des Gesetzes die FHN anschließen, um pünktlich zur Beschilderung in Krefeld fertig zu sein. Einige Fachhochschulen zögern, weil sie Identitäts- und Verwechslungsprobleme sehen, die es so wegen der Alleinstellung am Niederrhein nicht gibt. Aber die (Fach)Hochschule Aachen und die (Fach)Hochschule Köln machen sich Sorgen, weil es mehrere Hochschulen am Standort gibt. Am 23.5.2001 schickt Rektor Ostendorf den entsprechenden Antrag an das Schul/Wissenschaftsministerium: Die Fachhochschule Niederrhein möchte künftig den Namen „Hochschule Niederrhein(FH) / Niederrhein University of Applied Sciences“ tragen. Die Neugliederung der Hochschulen in NRW erfordert an zwei weiteren Fachhochschulen eine Namensänderung. In das dort angewandte Verfahren bitten wir den Antrag der Fachhochschule Niederrhein einzubeziehen und die Namensänderung unabhängig von § 1 HG zu ermöglichen.“ Die Antwort aus dem Ministerium kommt am 18. Juni 2001: „Die von der Hochschule gemäß § 2 Abs. 5 Hochschulgesetz beabsichtigte Änderung des Namens nehme ich zur Kenntnis, da die staatliche Mitwirkung in dieser Angelegenheit entfällt. Eine entsprechende Namensänderung in § 1 HG kommt derzeit nicht in Betracht.“ Die Sache geht nochmals in den Senat, um das Verfahren „ohne staatliche Mitwirkung“ zu Ende zu führen. Der neue Name wird beschlossen, nur der Klammerzusatz (FH) wird vom Senat herausgenommen. Der Rektor veröffentlicht am 18. Juli mit der „Amtlichen Bekanntmachung Nr. 13/26.Jahrgang“ die Umbenennung der Fachhochschule Niederrhein, und schließt damit den Vorgang „ohne staatliche Mitwirkung“ ab. Am 13. Juli 2001 werden alle Mitglieder der Hochschule über E-Mail und Postweg informiert, bereits einen Tag später berichtet die Presse über die Namensänderung. Manches Mitglied der Hochschule liest zuerst die Morgenzeitung und danach die E-Mail vom Vortag. An die Stadt Krefeld wird grünes Licht gegeben, dass die Beschilderung mit der Bezeichnung Hochschule nunmehr vorgenommen werden kann. In Mönchengladbach geschieht einige Jahre später das Gleiche.

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Am 24. Juli meldet sich jedoch die „staatliche Mitwirkung“ in Form eines Erlasses, diesmal diktiert von der nächst höheren Hierarchiestufe des Ministeriums, der den ersten freizügigen Erlass vom18. Juni relativiert: „Um Missverständnissen vorzubeugen, bitte ich zu beachten, dass auch eine Namensänderung und Namensgebung gemäß § 2 Abs. 5 HG nur im Rahmen der geltenden gesetzlichen Bestimmungen erfolgen kann; aus gegebenen Anlass weise ich auf diese Selbstverständlichkeit hin. Das bedeutet, dass es bei den in § 1 Abs. 2 HG festgelegten Typenbezeichnungen bleiben muss. Den Fachhochschulen bleibt es aber unbenommen, im Rahmen des § 2 Abs. 5 Satz 1 HG der gesetzlichen Bezeichnung einen Zusatz hinzuzufügen, z. B. „Fachhochschule Niederrhein – Hochschule für angewandte Wissenschaften. Ich bitte um Verständnis für diese Klarstellung.“ Diese Klarstellung macht die Situation unklarer. Ist der alte Erlass aufgehoben? Ist der neue Erlass die nachträgliche „staatliche Mitwirkung“, die man ja eigentlich entsprechend der Begründung des Regierungsentwurfes nicht mehr wollte? Aber der Zug ist längst abgefahren und lässt sich ohne Peinlichkeiten für Ministerium und Hochschule auch nicht aufhalten. Längst hatten auch alle anderen Fachhochschulen in NRW im Rahmen einer „vertrauensvollen Zusammenarbeit“ Kenntnis vom ersten „freizügigen“ Erlass erhalten. Zu Anfang des WS 2001/02 am 14.9. 2001 schreibt der Rektor erneut einen Rundbrief an die Mitglieder der Hochschule: „Unsere Hochschule trägt jetzt den Namen „Hochschule Niederrhein/Niederrhein University of Applied Sciences. Mit dem englischen Teil des Namens haben wir eine Bezeichnung, die seit fünf Jahren zum Markenzeichen der Fachhochschulen in Deutschland geworden ist und gleichzeitig auch im Ausland verstanden wird. Dieses Markenzeichen ordnet uns eindeutig dem Hochschultyp „Fachhochschule“ zu. Das ist gut so, denn wir wollen weiterhin eine Fachhochschule sein mit all den positiven Merkmalen, die die Fachhochschulen sich in den letzten 30 Jahren erarbeitet haben.“ Am 29. Oktober 2001 kommt aus Anlass der Einweihung der neuen Mensa auf dem Campus Krefeld Süd hoher Besuch in die Hochschule. Staatssekretär Krebs spricht in seinem Grußwort die Namensgebung an und bemerkt, dass der Begriff „Fachhochschule“ im Namen enthalten sein müsse. Im anschließenden Vieraugengespräch gibt der Staatssekretär zu verstehen, dass er den Zusatz „Niederrhein University of Applied Sciences“ als Bezeichnung des Hochschultyps „Fachhochschule“ akzeptierten kann, wenn dies aus Marketinggründen geschieht. Die HN müsse damit zufrieden sein und dürfe keine Änderung der Bezeichnung in § 1 HG verlangen. Seit dieser Zeit ist es üblich, dass die Hochschule Niederrhein das Ministerium mit dem nach Marketinggesichtspunkten gestalteten Briefpapier anschreibt. Der aufgedruckte Name „Hochschule Niederrhein / University of Applied Sciences“150 gibt die Hochschulart „Fachhochschule“ zu erkennen. Weiterhin ist es üblich, dass die Antwort des Ministeriums mit der Adresse „An die Fachhochschule Niederrhein“ versehen wird. Damit können beide Seiten leben.

150 Der endgültige Name ist „Hochschule Niederrhein/ University of Applied Sciences“ mit der Abkürzung (HN) geworden. Der Zusatz „Niederrhein University of Applied Sciences“ ist auf Anraten der gestaltenden Kommunikationsdesigner verkürzt worden.


Modellversuch Globalhaushalt Seit dem 1. Januar 2003 nimmt die Hochschule Niederrhein gemeinsam mit drei anderen Hochschulen151 in NRW am Modellversuch Globalhaushalt teil, der die Einführung ab 2006 an allen Hochschulen vorbereiten soll. Die Hochschule wird somit wie ein eigenständiger Landesbetrieb behandelt. Die Liquiditätsplanung für das Jahr 2003 ging ziemlich daneben. In der Mitte des Jahres waren kaum noch Mittel verfügbar. Um jede ungeklärte Situation abzusichern, wird jeweils eine Reserve zur Seite gelegt, weil eine Überziehung des Jahresbudgets nicht möglich ist und Rücklagen aus Vorangegangenen Jahren nicht existieren. Öffentliche Haushalte werden üblicherweise vollständig ausgekehrt. So kommt es in der Mitte des Jahres nahezu zur Zahlungsunfähigkeit auf der einen Seite und zur Anhäufung von Geld auf der hohen Kante auf der anderen Seite. Bisher war es so, dass in der Mitte des Jahres oft auf der einen Seite die Zahlungsunfähigkeit droht. Während private Haushalte, Kommunen oder das Land über einen Kreditrahmen verfügen, mit denen sie am Ende des Jahres den eventuell notwendigen Ausgleich schaffen können, bleibt den Hochschulen dieser Weg versperrt. Unwägbarkeiten gibt es genug, angefangen bei den nicht vorhersehbaren Energiekosten im Winter bis hin zu den Personalkosten. Ungeklärt sind die endgültige Mittelzuweisung für das Haushaltjahr, das Auffangen der Tarifverpflichtungen und der Verbleib der Mittel aus Senkung der Beamtenbezüge (Kürzung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld). Wer muss den Ausgleich für die Altersteilzeit zahlen, Land oder Hochschule? Weil dadurch auch den Studierenden Leistungen abgezogen werden, hat Ministerin Hannelore Kraft keinen einfachen Stand, als sie am 16. Juni 2003 zur Eröffnung der neuen Bibliothek nach Krefeld kommt. Statt den Dank der Hochschule für das neue Gebäude entgegenzunehmen, muss sie sich mit der Frage „Wo bleibt das Geld, Frau Ministerin?“ auseinandersetzen. Äußerlich zeigt sie Gelassenheit und Verständnis, nur die, die in ihrer direkten Umgebung stehen, bekommen ihren Unmut über die Demonstranten mit. Der Modellversuch erfüllt seine Aufgabe. Die Erfahrungen werden ausgetauscht und weitergegeben. Dazu dienen regelmäßige Konsultationen zwischen den beiden beteiligten Fachhochschulen Münster und Niederrhein, die wiederum auf der Landesrektorenkonferenz und gegenüber dem Ministerium mitteilen, welche Fehler man nicht wiederholen sollte. Im Rahmen der Ziel- und Leistungsvereinbarungen bekommen die jährlichen Gespräche mit den Fachbereichen über vereinbarte Leistungen, historisch gewachsenen Bedarfe und Verpflichtungen sowie die bedarfsgerechte Zuweisung der Mittel eine immer größere Bedeutung. Mit den Fachbereichen wird jede Stelle, deren Abzug- oder Wiederbesetzungszeitpunkt sowie deren Finanzierungsquelle durchgesprochen. Das Rektorat fordert im Rahmen der verfügbaren Mittel eigene Initiativen von den Fachbereichen, bietet aber auch einen Ausgleich bei Überforderung. Ziel- und Leistungsvereinbarungen, Pakte für die Zukunft Zum 1. April 2000 tritt das vom Landtag beschlossene neue Hochschulgesetz in NordrheinWestfa­len in Kraft. Es ist ein einheitliches Hochschulgesetz, welches gleichermaßen für Universitäten und Fachhochschulen gilt. Die Forschung an Fachhochschulen erhält einen neuen Stel­lenwert und beide Hochschultypen können entsprechend dem neuen Hochschul-

151 RWTH Aachen, Uni Bielefeld, FH Münster, Hochschule Niederrhein 218  219


Abb. 78 Ministerin Hannelore Kraft vor demonstrierenden Studenten


rahmengesetz der Bundesrepublik Deutschland internationale Studienabschlüsse mit den Graden ,,Bachelor“ und ,,Master“ vergeben. Das Gesetz übergibt den Hochschulen mehr Verantwortung. Innerhalb der Hochschule werden dem Rektorat und den Dekanaten mehr Handlungsspielräume zugewiesen.152 Zahlreiche Befugnisse, die bisher beim Ministerium angesiedelt waren, werden an die Hochschulen delegiert. Ein wichtiges Instrument der künftigen Arbeit ist der Hochschulentwicklungsplan (HEP), der unter Berücksichtigung der Entwicklungs­pläne der Fachbereiche im Benehmen mit dem Senat vom Rektorat erstellt und beschlossen wird. Der erste HEP wird am 19. November 2001 vom Rektor und vom jeweiligen Dekan unterschrieben. Er gilt für die Jahre 2001/2002/2003 und 2004 und gliedert sich in einen für alle Fachbereiche gleichlautenden Teil „Hochschule als Ganzes“ und einen „Fachspezifischen Teil“ für die einzelnen Fachbereiche. Die darin enthaltenen Ziele und Verpflichtungen der Fachbereiche werden konkret festgelegt, indem die Studienangebote definiert und die Zielzahlen für die Studienanfänger benannt werden. Das Rektorat sagt die notwendigen Ressourcen zu. Jährlich wird geprüft, ob die Ziele erreicht wurden und den aktuellen Gegebenheiten angepasst, so dass jeweils ein mittel­fristiger Entwicklungsplan für die Hochschule entsteht. Im Januar 2006 wird der Hochschulentwicklungsplan II für die Jahre 2005 bis 2009 von Rektor und Dekanen unterschrieben. Er gliedert sich wieder in einen Teil A „Hochschule als Ganzes“ und Teil B „Fachbereichsspezifischer Teil“, der auch als Ziel- und Leistungsvereinbarung zwischen den einzelnen Fachbereichen und dem Rektorat gilt. Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit dem Ministerium Seit 2002 vollzieht die Landesregierung den Wechsel von der Hochschulsteuerung im Detail zur Hochschulkoordinierung. An die Stelle von Erlassen und Einzelentscheidungen treten Absprachen über Ziele und Entwicklungspotentiale. Landesregierung und Hochschule unterschreiben 2002, 2005 und Ende 2006 Ziel- und Leistungsvereinbarungen. Diese Vereinbarungen sollen die Profilbildung der Hochschulen voranbringen, wobei die Hochschulen anfangs bei der Festlegung auf Ziele und Profile sehr zurückhaltend sind. Zusagen des Ministeriums über Ressourcen kommen praktisch gar nicht vor. Aber das Procedere des künftigen Miteinanders über Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit regelmäßigen Berichten an das Ministerium wird eingeübt und mit der Zeit auch konkreter.

152 Rechenschaftsbericht des Rektorats für das Jahr 2000, S. 9 220  221


Abb. 79 Prorektor Michael Lent unterzeichnet den Zukunftspakt mit Minister Pinkwart und Ministerpr채sident R체ttgers.


Zukunftspakt und Hochschulkonzept 2010 Bislang werden die Hochschulen vom Staat versorgt. Dieser gibt die Mittel und nennt die Auflagen, wie sie verwendet werden sollen. Viele Unwägbarkeiten, die in normalen Wirtschaftsbetrieben zum täglichen Brot gehören, kommen in Hochschulen zwar nicht vor. Andererseits fehlt aber die Beweglichkeit, die durch Vorschriften der öffentlichen Hand eingeengt wird. Man kann sich kein Kapital beschaffen, um zu investieren. Ein Überziehungskredit am Ende des Jahres ist nicht möglich. Entweder ist die Hochschule liquide oder handlungsunfähig. Mit der neu gewonnenen Freiheit kommen auf die Hochschule plötzlich Risiken hinzu, die sie selber tragen oder versichern muss. Das einfachste Beispiel sind die bisherigen Dienstfahrzeuge mit den besonderen KFZ-Zeichen nur mit Ortsbezeichnung und Zahl (z. B. KR – 45), für die keine Haftpflichtversicherung abgeschlossen wird, sondern die vom Land eigenversichert sind. Ähnlich verhält es sich mit Gebäudeversicherungen. Die Hochschule Niederrhein hat im Rahmen des Modellversuchs „Globalhaushalt“ frühzeitig Erfahrungen auf dem Weg Richtung Selbständigkeit sammeln können. Auch wenn die Hochschulen inzwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts geworden sind, so sind sie doch zugleich Einrichtungen des Landes.153 Der Landeszuschuss ist weiterhin die Basis der Finanzierung. Konzepte und Programme der jeweiligen Landesregierungen bestimmen den Alltag der Hochschulleitungen. Der Zukunftspakt gibt Planungssicherheit für den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2010. Die Hochschulen werden von Haushaltseingriffen des Landes wie Stellenbesetzungssperre und globale Minderausgaben ausgenommen. Tarifsteigerungen und Gehaltserhöhungen müssen von den Hochschulen nur bis zu 0,8 Prozent übernommen werden. Den Rest steuert das Land bei. Zusätzliche Einnahmen wie Studienbeiträge werden nicht mit dem staatlichen Zuschuss verrechnet. Als Ziele für das Hochschulkonzept NRW 2010 werden vom Ministerium angegeben: >> Überprüfung und Anpassung der (Ausbildungs-) Kapazitäten in relevanten Lehr- und Forschungsbereichen (LFB) >> Förderung der Aufgabenentwicklung und Profilbildung – Innovation durch Umschichtung >> Anwendung von Kriterien für die Neujustierung: Auslastung unter 80 Prozent und negative Bedarfsprognosen am Arbeitsmarkt.

153 § 2 (1) , Hochschulgesetz –HG vom 14. März 2000 222  223


Zunächst macht das Ministerium Vorgaben landesweiter Kapazitätsziele in ausgewählten Lehr- und Forschungsbereichen. Die Hochschulen antworten mit der Vorlage der Standortkonzepte (Struktur und Entwicklungsplanung der Hochschulen bis 2010), den Angaben zu den Kapazitätszielen in allen Lehr- und Forschungsbereichen, der Darstellung der konkreten Umsetzungsschritte und der Begründung der Profil bildenden Maßnahmen. Schließlich soll das Ganze über die Zielvereinbarungen II umgesetzt werden.154 Die Hochschule Niederrhein analysiert natürlich die Daten des Ministeriums genau und vergleicht mit den hausinternen Verlagerungen von Planstellen. Es ergibt sich, dass die HN seit 1997 eine Kapazitätsumschichtung betreibt, die im Einklang steht mit der 2003 vorgelegten Landesplanung im Rahmen des Hochschulkonzeptes 2010 der Landesregierung.

Überlast und Finanzspritzen „Mit dem Hochschulpakt 2020 investieren Bund und Länder zusätzliche Mittel in den Ausbau von Studienmöglichkeiten und geben damit die passende Antwort auf eine steigende Studiennachfrage.“ 155 So leitet das Bundesministerium für Bildung und Forschung seinen Bericht „Hochschulpakt 2020: Zwischenbilanz und Ausblick“ ein. Es sind in Deutschland über 180.000 Plätze für Studienanfänger geschaffen worden, davon fast 130.000 an Fachhochschulen. Als man in NRW noch mit der Umsetzung des Hochschulkonzeptes 2010 beschäftigt ist, fordert der HP 2020 Teil I die Hochschulplaner heraus, Studienplätze bis 2010 zu planen, um am neuen Bund-Länderprogramm teilzuhaben. Die Hochschulen werden im Rahmen der Erweiterung der Ziel- und Leistungsvereinbarung III an den Planungen beteiligt, in dem sie Vorschläge zu der beabsichtigten Erweiterung von Studienplätzen machen können. Das Land sagt dafür Leistungen aus dem Bund/Länder-Programm HP 2020 Teil I zu. Die Auslastung der Hochschule Niederrhein ist inzwischen fast bedenklich angestiegen. Von allen Hochschulen (Unis und FHs) ist sie die am höchsten ausgelastete, die „beliebteste Hochschule in NRW“, wie es das Rektorat formuliert. Die Fachbereiche müssen diese Überlast möglichst ohne Qualitätseinbußen bewältigen. Dafür brauchen sie Personal. Die Fülle der sich überlappenden Pakte, Konzepte und Programme steigt an. Bei jedem Wechsel an der Spitze der Ministerien in Bund und Land kommen weitere hinzu, ohne dass die bisherigen bereits abgeschlossen sind. Stelleneinsparungen des Qualitätspaktes, die Umschichtungen des Hochschulkonzeptes 2010, die Einführung der seit 2006 beschlossenen Studienbeiträge und die Bund-Länderprogramme Hochschulpakt HP 2020 Teil I und Teil II überlagern sich. Leistungsparameter entscheiden inzwischen über die staatliche Grundversorgung der Hochschulen. Ein Wettbewerb zwischen den Hochschulen ist entstanden. Einflussreichster Parameter ist die Auslastung der Studienplätze. Hier liegt die Hochschule Niederrhein an der Spitze. Am 1.April 2006 tritt das Gesetz zur Erhebung von Studienbeiträgen und Hochschulabgaben (StBAG NRW) in Kraft. In § 2 (1) heißt es: „Die Hochschulen werden ermächtigt, durch Beitragssatzung für das Studium von Studierenden, die in einem Studiengang eingeschrieben oder nach § … zugelassen sind, für jedes Semester ihrer Einschreibung oder Zulassung einen Studienbeitrag in Höhe von bis zu 500 Euro zu erheben. Bei der Festsetzung der Höhe des

154 Im Mai 2005 wurden die Ziel –und Leistungsvereinbarungen abgeschlossen. 155 www.bmbf.de


Studienbeitrags müssen sich die Hochschulen insbesondere an den Zielen orientieren, mit Studienbeiträgen zu einem effizienten und hochwertigen Studium, zur Profilbildung der Hochschule und zum Wettbewerb unter den Hochschulen beizutragen“

Alle genannten Ziele macht die HN sich zu eigen: Sie will ein hochwertiges Studium und ein klar erkennbares Profil als Hochschule auf dem oberen Qualitätsstandard. Im Vorfeld des angekündigten Gesetzes gibt es eine ganze Reihe von Senatssitzungen der HN, auf denen Vor- und Nachteile von Studienbeiträgen breit diskutiert werden. Einerseits heißt es, die Hochschule Niederrhein könne im Rahmen des Wettbewerbs mit anderen Hochschulen auf diese Einnahmen für ihren qualitativen Ausbau nicht verzichten. Die HN solle keine „Billighochschule“ werden. Gegner der Studienbeiträge fürchten, dass hohe Studienbeiträge die Studienbewerber abschrecken. Verständlich ist der Standpunkt der Studierenden. Sie machen deutlich, dass die Bereitstellung von Bildung Aufgabe des Staates sei und bleiben müsse. Zu den jeweiligen Beratungsterminen des Senates bereiten sie Demonstrationen vor. Ganz so „kuschelig“ wie Christian Sonntag in der Rheinischen Post die Situation im überfüllten Sitzungsraum in Anspielung auf eine Bemerkung des Rektors beschreibt, bleibt die Situation nicht. Bei der entscheidenden Sitzung am 22. Juni 2006 kann der ordnungsgemäße Ablauf nur garantiert werden, indem mit Unterstützung der Polizei eine Art Bannmeile um den Sitzungsraum eingerichtet wird. Die Einführung der Studienbeiträge in Höhe von 500 Euro pro Semester wird gegen den Protest der Studenten vom Senat der Hochschule durch Verabschiedung einer Beitragssatzung mit großer Mehrheit beschlossen. Der Streit um die Studienbeiträge geht weiter. 2009 protestieren Studierende aller NRWHochschulen vor dem Landtag in Düsseldorf. Die Politik gibt den schwarzen Peter jedoch weiter an die Hochschulen. Diese hätten die Beiträge eingeführt, die Landesregierung habe lediglich die gesetzlichen Möglichkeiten dafür geschaffen. Die HN will die Qualität mit Studienbeitragsmitteln erhalten und ausbauen, die sie wegen der Überlast gefährdet sieht. Im Rahmen der internen Zielvereinbarungen wird ein Personalkonzept entworfen, welches auch mit Studienbeiträgen finanziert werden soll. Das Ministerium ermuntert zu Personalmaßnahmen aus Studienbeitragsmitteln. Diese Personalmaßnahmen brauchen eine Anlaufzeit, bringen keinen Mittelabfluss von heute auf morgen, aber können nachhaltig die Qualität der Betreuung fördern, zumindest wenn man die Beschäftigungsverhältnisse zeitlich strecken kann. Dafür muss finanzielle Vorsorge getroffen werden. Bald gibt es jedoch rechtliche Bedenken im Ministerium, denn Studienbeiträge sind so einzusetzen, dass sie den zahlenden Studenten in Form von Qualitätsverbesserungen direkt zu Gute kommen, nicht erst den nachfolgenden Studenten. Minister Pinkwart gerät durch Pressemeldungen, die den Eindruck erwecken, die Hochschulen des Landes hätten keine Verwendung für die Millionen von Studienbeitragsmitteln, unter Druck. Er verlangt die sofortige Verausgabung der für mittelfristige Personalmaßnahmen reservierten Mittel. Dies geht spontan nur über Sachausgaben. Innerhalb der Hochschule wird ein Programm „Qualität der Labore“ aufgelegt. Den Fachbereichen machen die kurzfristigen Investitionen keine Schwierigkeiten. Sie freuen sich, denn endlich können sie bisher zurückgestellte Wünsche für Erneuerung und Erweiterung der Labore realisieren. Allerdings wird die Personalplanung der Hochschule damit über den Haufen geworfen. Wie soll jetzt das in Zielvereinbarungen mit den Fachbereichen vereinbarte Personal finanziert werden? Wer soll die modernen und erweiterten Laborausstattungen in Betrieb nehmen?

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Der Hochschulpakt 2020 Teil I Beim Teil I des Hochschulpaktes sind die Hochschulen gefragt worden, welchen Zuwachs an Studenten sie sich bis zum Jahre 2010 zutrauen. In Anlehnung an diese Selbsteinschätzung werden die staatlichen Zuschüsse als Prämie zum Ausbau bereitgestellt. Die HN kann für sich reklamieren, dass sie mit der vorhandenen Überlast vorauseilend einen gehörigen Ausbau realisiert hat. Dies wird zusammen mit der Zusage, auch künftig über die normale Kapazität aufzunehmen, durch entsprechende Prämien gewürdigt (Lex Niederrhein). Die HN hat aufgrund der hohen Nachfrage keinerlei Probleme, ihre Zusagen gegenüber dem Land zu realisieren. Eine allgemeine Evaluierung der Zusagen im Rahmen des Hochschulpaktes 2020 Teil I ergibt, dass nicht alle Hochschulen ihre Zusagen einhalten können. Das Land muss jedoch wegen der Mitfinanzierung des Bundes den Zuwachs von Studentenzahlen belegen können. Die Zahlen der HN, die am stärksten ausgelastete Hochschule des Landes, lassen sich belegen. Es kommt zu einer Umverteilung der Mittel aus Teil I des HP 2020, von der die HN kräftig profitiert. Die Finanzierung der (eigentlich aus Studienbeitragsmitteln) geplanten Personalmaßnahmen ist gesichert. Nur die Spalte „Finanzquelle“ in den Zielvereinbarungen mit den Fachbereichen muss korrigiert werden. Die Studienqualität kann somit zweifach verbessert werden: durch gut ausgerüstete Labore finanziert aus Studienbeitragsmitteln und durch qualifiziertes Personal aus dem Hochschulpakt 2020. Nach dem Regierungswechsel im Frühjahr 2010 löst die rot-grüne Minderheitsregierung unter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ihr Wahlversprechen ein: Am 24. Februar 2011 beschließt der Landtag die Abschaffung der Studienbeiträge zum WS 2011/2012 und eine Kompensationszahlung aus Landesmitteln an die Hochschulen.


Ausbau von Studienplätzen bis 2015 (HP 2020 Teil 2) In der zweiten Hälfte des Jahres 2009 werden im Düsseldorfer Ministerium die Grundzüge des Hochschulpakts 2020 Teil II erarbeitet. Das MIWFT geht jetzt einen anderen Weg, indem es von sich aus vorschlägt, welcher Zuwachs an Studienplätzen an den einzelnen Hochschulen erwartet werden kann. Das Ministerium traut der Hochschule Niederrhein im Hinblick auf die bisherige Nachfrage einen erheblichen Zuwachs an Studienplätzen und deren Besetzung zu. Für die Jahre 2011 bis 2015 werden Studienanfängerzahlen vereinbart, die vom Bund/Länderprogramm bis zum Jahr 2018 ausfinanziert werden, also bis zum voraussichtlichen Ende der Studienzeit der bis 2015 aufgenommenen Studenten. Das Diagramm gibt einen Eindruck von den Zeiträumen, in denen gedacht und geplant werden kann 156

Finanzmittel

Abb. 80 Der Hochschule in Aussicht gestellte Finanzmittel im Hochschulpakt 2020 Teil II

Mit besonderen Prämien wird vom HP 2020 der Ausbau von MINT-Fächer157 belohnt, so dass die in den 90er Jahren reduzierten Ingenieurdisziplinen mit zeitgemäßen Angeboten wieder ausgebaut werden können. Das neue Präsidium unter Prof. Dr. Hans-Hennig von Grünberg, seit März 2010 im Amt, hat zum WS 2010/2011 den neuen „Fachbereich 10 Gesundheitswesen“ gegründet. Im Bereich Gesundheitswesen werden neue Angebote definiert, für die bereits Professoren- und Mitarbeiterstellen ausgeschrieben sind.

156 Die auslaufende Finanzierung des Teil I überlagert die dargestellte anlaufende Finanzierung aus Teil II. In der Summe liegen die Anteile der Jahre 2011 bis 2013 deutlich höher als in diesem Diagram dargestellt. 157 Kurzform für die Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik 226  227


Die räumliche Entwicklung der Standorte Basis der baulichen Entwicklung sind die Flächen und Gebäude, die die Vorgängereinrichtungen vor 40 Jahren in die Gründung der Fachhochschule Niederrhein eingebracht haben. Den ältesten noch erhaltenen Gebäudekomplex an der Webschulstraße 31 bringt die Textilingenieurschule Mönchengladbach aus den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts ein. 1910 kommt das Gebäude „öffentliche Prüfstelle“ hinzu. Damit wird der heutige Campus Mönchengladbach begründet. In Krefeld wird 1883 an der heutigen Lewerentzstraße die „Webe-, Färberei- und Appreturschule“ erstellt, die aber 1943 durch Kriegseinwirkungen völlig zerstört und aufgegeben wird. Die Textilingenieurschule Krefeld bringt in die Gründung der Fachhochschule zwei Gebäudekomplexe ein: das 1895 bezogene Gebäude an der Adlerstraße 32 und den nach dem Krieg erstellten modernen Gebäudekomplex am Frankenring. Beide zusammen bilden heute den „Campus West“. Die Werkkunstschule Krefeld bringt das 1903 erstellte Gebäude an der Peterstraße in die Gründung ein. Es wurde 1943 fast vollständig zerstört und nach dem Krieg mit einigen Stilbrüchen wieder aufgebaut. 1965 wurde der Neubau an der Reinarzstraße für die Ingenieurschule für Maschinenwesen in Krefeld bezogen. Dieser Gebäudekomplex ist zur Grundlage des Campus Krefeld Süd geworden, wo bei der Gründung der Fachhochschule Rektorat und zentrale Verwaltung ihren Platz finden. Zu diesem Campus gehört eine Erweiterungsfläche von 14.000 Quadratmeter, die damals bei der Standortwahl von der Stadt Krefeld in die Waagschale gelegt wurde. 1970, ein Jahr vor Gründung der Fachhochschule, zieht die Höhere Wirtschaftsfachschule in das neu erstellte Gebäude Webschulstraße 41–43 ein, ein wichtiger Baustein für den Campus Mönchengladbach. Im Mai 2006 wird von der HIS- Informations-System GMBH eine Bilanz gezogen: Ein Flächenbestand von 61.115 Quadratmeter verteilt sich auf den Campus Mönchengladbach (40 Prozent), den Campus KR-West (21,4 Prozent) und den Campus KR-Süd (38,6 Prozent).158 Der Campus Mönchengladbach Zwei wichtige Fachbereiche, Textil- und Bekleidungstechnik und Wirtschaft, bringen ihre Gebäude bei der Gründung der Fachhochschule Niederrhein ein. Damit ist der Campus MG zwischen der Theodor-Heuß-Straße und der Rheydter-Straße in Höhe der Webschulstraße zwischen den Zentren Rheydt und Mönchengladbach festgelegt. Für die neu entstehenden Fachbereiche Sozialwesen und Ernährung- und Hauswirtschaft werden Provisorien in Form von Pavillons erstellt. „Die Pavillons der Fachbereiche Oecotrophologie und Sozialwesen sind

158 Bratmann, Bauliche Entwicklungsplanung für die Hochschule Niederrhein, S. 12–17


das beste Beispiel für die Nachhaltigkeit provisorischer Planung.“ schreibt Prof. Sachsse in seinen Beschreibungen zur Architektur der Fachhochschule Niederrhein.159 Tatsächlich gibt es für lange Zeit keine Veränderungen auf dem Campus MG, obwohl mit Hinblick auf eine eigene Gesamthochschule in Mönchengladbach Erweiterungsflächen ausreichend reserviert sind. 1975 werden zwar umfangreiche Bauplanungen für den Campus MG vorgestellt160, aber Landtagswahlen kommen dazwischen und die Gesamthochschulen und die Fernuniversität werden vorgezogen. Nachdem 1977 entschieden wird, dass die Ausbildung in der Fachrichtung Textil- und Bekleidungstechnik in Mönchengladbach konzentriert werden soll161, und 1978 die Integration der Fachbereiche für Textiltechnik der Fachhochschule Aachen und Wuppertal tatsächlich erfolgt162, wird in Mönchengladbach auch gebaut, und zwar 1986 die Maschinenhalle und 1992 das Laborgebäude, beide für den Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik.Die 1991 gebaute Bibliothek hat einen unglücklichen Standort erhalten und ist heute ohne Erweiterungsmöglichkeit „eingequetscht“ zwischen dem Gebäude des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften und dem später errichteten Verfügungszentrum. Die Pavillons der Fachbereiche Sozialwesen und Ökotrophologie hielten sich als Provisorien bis weit in die 90er Jahre und wurde dann abgelöst durch eine Reihe von Baumaßnahmen. 1996/97 entsteht entlang der Richard-Wagner-Straße das Verfügungszentrum, welches an die alte Villa (Baujahr 1907) anschließt. Die alte Villa wird 2000/2001 grundsaniert und dient als Sitz des Fachbereichs Sozialwesen. Hier befindet sich der schönste und stilvollste Besprechungsraum der Hochschule mit dekorativer Stuckdecke. Prof. Dr. Sachsse beschreibt die Fassade des vom Aachener Architekten Klaus Beckmannshagen errichteten Verfügungs-Zentrums: „Der Außenbau des viergeschossigen Seminargebäudes zeigt zum einen – stärker als die nahegelegenen Textilschulbauten von Walter Arns – Referenzen an die regionale Tradition des Industriebaus. Die dunklen Vertikalstreifen, die die drei unteren Geschosse zusammenbinden, verweisen deutlich auf Vorbilder der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts, etwa die Zechenbauten im Aachener Revier oder die Tonröhrenwerke in Frechen“163 Im Jahr 2001 entsteht an der Rheydter Straße ein neues Gebäude für den Fachbereich Ökotrophologie, der seit dreißig Jahren provisorisch in einem Pavillon untergebracht ist. Das Gebäude soll auch städtebauliche Akzente setzen, indem eine Lücke zwischen den Zentren Mönchengladbach und Rheydt geschlossen wird. Für die Hochschule soll der CampusCharakter unterstrichen werden. Um beides zu erreichen, ist ein Grundstückstausch erforderlich. Ein Grundstück neben dem Polizeipräsidium an der Theodor-Heuß-Straße gegenüber dem Campus MG ist als Erweiterungsgelände der Hochschule bereits im Besitz des Landes und wird 1997 in Vorbereitung der Baumaßnahme gegen das Grundstück der Stadt Mönchengladbach an der Rheydter Straße getauscht, um die Ziele Campus und Lückenschluss zu erreichen.

159 Die Architektur, S. 28 160 Jahresbericht 1975, S.1 161 Jahresbericht 1977 162 100 Jahre textile Ausbildung in Mönchengladbach, S. 27 163 Die Architektur, S. 30 228  229


Abb. 81 Maschinenhalle Campus MG


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Kindertagesstätte (KITA) Am 1. Dezember 2006 wird die KITA „Campus Zwerge“ eröffnet164, zunächst als Gast in Räumen der Evangelischen Kirche in Mönchengladbach-Hardt und ab November 2007 in einem eigenen Gebäude zentral gelegen im Park hinter dem Neubau des Fachbereiches Oecotrophologie. Betreiber der KITA ist das Studentenwerk Düsseldorf.

Der Campus KR-West Im Jahre 1895 bezieht die „Königliche Färberei und Appreturschule zu Crefeld“ den Neubau an der Adlerstraße 32. In den 1949 erstellten Verlängerungsbauten wird die nach Krefeld geholte Wäschereiforschung untergebracht. Pünktlich zum 100. Geburtstag der „Textilingenieurschule Krefeld“ im Jahre 1955 wird das Gebäude am Frankenring bezogen. Bereits 1952 kann die „ausgebombte Weberei“ in die Shedhalle einziehen. Diese beiden Gebäudekomplexe in direkter Nachbarschaft werden von der traditionsreichen Krefelder Textilingenieurschule (TIS) in die Gründung der Fachhochschule Niederrhein eingebracht und bilden heute den Campus KR-West. Das Forschungsinstitut DTNW und ein Studentenwohnheim sind dem Hochschulgelände direkt benachbart. Das Gebäude des AStA und der zum Feiern beliebte AStA-Keller sind auf dem Campus West untergebracht. Die Mensa und die Fachbibliotheken Chemie und Design finden ebenfalls hier ihren Platz. Heute sind die Fachbereich Chemie (Adlerstraße) und Design (Frankenring) auf dem grundsanierten Campus West untergebracht. Die aus dem Jahre 1895 stammenden Gebäude an der Adlerstraße sind ziemlich heruntergekommen und werden in den 90er Jahren grundsaniert. Weil der Fachbereich Chemie für die Bauzeit nicht ausgelagert wird, gibt es dabei entsprechende Probleme. Während in einem Gebäudeteil entkernt und wieder aufgebaut wird, finden in anderen Teilen, manchmal nur ein Stockwerk tiefer, Vorlesungen, Übungen und Praktika statt. Die textiltechnologische und künstlerische Abteilung der Textilingenieurschule (TIS) hat Krefeld verlassen und verstärkt den Fachbereich Textil- und Bekleidungstechnik in Mönchengladbach. Dadurch werden im modernen Gebäudekomplex am Frankenring Flächen frei, besonders in der Shedhalle, wo seit 1952 die Weberei untergebracht wird. Mit Auflösung der Textilingenieurschule verlor Krefeld die renommierte „Textile Flächenkunst“, so dass auch deren Flächen nicht mehr benötigt werden. Sehr dringend hingegen benötigt der wachsende Fachbereich Design Räumlichkeiten. „Es war vor allem der Studienschwerpunkt Keramik-Porzellan-Design, der sich in den 70er und 80er Jahren, wohl getragen von der“Nostalgiewelle“, über die Maßen aufblähte und neue zusätzliche Räumlichkeiten benötigte. Das traditionelle Gebäude an der Peterstraße reichte nicht mehr aus, und so zog dieser Schwerpunkt zusammen mit dem Textildesign 1978 in das Gebäude der ehemaligen Textil-Ingenieurschule am Frankenring. Vor allem die Shedhalle des Gebäudekomplexes wurde als Werkstatt- und Laborbereich für die beiden Schwerpunkte ausgebaut. Der Fachbereich war über die räumliche Trennung nie glücklich, da sie die notwendige Kommunikation der einzelnen Studienbereiche untereinander bis heute (2001) sehr erschwert. Auf Drängen der Hochschulleitung fasste der Rat des Fachbereichs 2001 den Beschluss, ganz von der Peterstraße in die Gebäude am Frankenring zu ziehen.“ 165

164 Bericht der Gleichstellungs-Beauftragten im Bericht des Rektorats für das Jahr 2006, S. 15 165 R. Haupt in Staffellauf, S. 178


Die Kolleginnen und Kollegen der „Generation Werkkunstschule und Peterstraße“ wollen das traditionsreiche Gebäude in der Innenstadt von Krefeld nicht aufgeben. 1999 wird jedoch der Behnisch-Bau geplant und der früheren Werkkunstschule direkt vor die Nase gesetzt. Vielen wird dadurch die Entscheidung für den Umzug zum Frankenring leichter gemacht. Den vielen neuen Lehrenden des Fachbereiches fehlt ohnehin die starke emotionale Bindung zum „Gründungsgebäude“ aus dem Jahre 1903. Die Stadt Krefeld macht von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch und ist jetzt Besitzer der Immobilie „Werkkunstschule“. Die Hochschule Niederrhein hat das Gebäude aufgegeben und zahlt dafür keine Miete mehr an den BLB (Bau und Liegenschaftsbetrieb des Landes NRW).

Der Campus KR-Süd Krefeld gewinnt den Kampf um die Ingenieurschule für Maschinenwesen, weil es am meisten in die Waagschale gelegt hat, nämlich das Baugelände, bares Geld gemeinsam mit der IHK Krefeld und ein Erweiterungsgelände. 1965 steht das Gebäude und die Ingenieurschule, Vorgänger der heutigen Fachbereiche „Elektrotechnik und Informatik“ und „Maschinenbau und Verfahrenstechnik“, können einziehen. Nach Gründung der Fachhochschule zieht auch die Zentralverwaltung in das großzügig geplante Gebäude ein. Der Campus KR-Süd ist entstanden. Aufgrund des Wachstums der beiden technischen Fachbereiche wird es bald zu eng. „Raumprobleme bereiten Sorgen“ heißt die Schlagzeile der WZ am 29. September 1987 neben einem ähnlichen Bild von einem überfüllten Audimax des Campus KR-Süd.

Mit den Hochschulsonderprogrammen I und II wird Personal eingestellt, um die Überlast zu mildern. Aber das löst nicht das Raumproblem. Die Anmietung von Räumen kann aus diesen Bund-Länder-Programmen ebenfalls finanziert werden, nicht jedoch die Erstellung von Gebäuden. Mit der Anmietung von Kinosälen oder anderer ähnlich schlecht geeigneter Räumlichkeiten außerhalb des Hochschulgeländes können sich die Dekane nicht anfreunden, denn die Organisation des Überlastbetriebes ist schon schwierig genug. Sie schlagen vor, mobile Container anzumieten und diese auf dem Hochschulgelände aufzustellen. Kanzler Wilhelm Thelen greift diese Gedanken auf und kommt mit dem Ministerium überein, das der Ankauf von Provisorien und deren Aufstellung auf dem Hochschulgelände ebenfalls eine Maßnahme auf Zeit ist, die den Kriterien der Hochschulsonderprogramme entspricht. Das 1988 aufgestellte Provisorium ist ein eingeschossiger Pavillon mit vier Vorlesungsräumen mit je 80 bis 100 Plätzen. Nach verschiedenen Nutzungen (FB 04, Gesundheitswesen, ASK) wird das „Provisorium“ 2010 grundsaniert und zum dauerhaften Zuhause der Abteilung „Kommunikations- und Informationssysteme Service (KIS)“. KIS ist der zentrale Ansprechpartner für IT-Dienstleistungen in der ganzen Hochschule Niederrhein. Der Campus KR-Süd verfügt zwar über ein Erweiterungsgelände, aber dieses wurde von der Stadt Krefeld an Kleingärtner verpachtet und diese wollen ihre Parzellen nicht aufgeben. Zu den komplizierten formalen Verhältnissen Kleingärtner/Stadt/Land/Hochschule kommen politische Interessen. Am 13. Mai 1991 besucht Ministerin Anke Brunn die Hochschule und diskutiert mit den Anliegern und Kleingärtnern. „Der Standort Krefeld hat beim Ausbau der Fachhochschulen höchste Priorität. Der räumliche Bedarf ist hier besonders dringend“, unterstrich die Wissenschaftsministerin am 13. Mai 1991 in der Fachhochschule Niederrhein. Bei der geplanten Erweiterung müssten jedoch die Interessen der betroffenen Anlieger und

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Abb. 82 Rektor Edler begrüßt 1986 die Erstsemester im überfüllten Audimax


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Abb. 83 Erweiterungsgeb채ude, Campus KR-S체d


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Kleingärtner berücksichtigt werden. So schnell wie möglich solle dann die Entscheidung für den 1. Bauabschnitt des Erweiterungsbaus getroffen werden.166 Am 6. April 1995 ist Anke Brunn erneut auf dem Hochschulgelände, dieses Mal zum ersten Spatenstich. 1997, als die Studienanfängerzahlen in den Technischen Fachbereichen einen Tiefststand erreichen, ist das Gebäude einzugsfertig. Die Studenten, die 1990 demonstriert haben, haben die Hochschule längst verlassen. Raumfragen Sehr viel glatter verlaufen die nächsten Bauvorhaben, die neue Mensa und die neue Bibliothek. Die Bauarbeiten für die Mensa beginnen 1999. „Glanzlicht auf dem Weg zum Campus“, titelt die RP am 16. Juli 2000. Staatssekretär Manfred Morgenstern vom Bauministerium ist zum Richtfest nach Krefeld gekommen. Auf dem Campus Süd entsteht ein attraktiver Platz zwischen den bisherigen Gebäuden aus der Ingenieurschulzeit, der blau- weißen Fassade des Erweiterungsbaus für die Technischen Fachbereiche, der neuen Mensa und der neuen Bibliothek. Der Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW wird zum 1. Januar 2001 gegründet. Ihm werden alle Gebäude und Liegenschaften des Landes übertragen, also auch die der Hochschule Niederrhein. Die HN gibt jedes Jahr Millionenbeträge aus für die Anmietung der Hochschulräume, bekommt diese aber über das Wissenschaftsministerium zurück. Als das Gebäude der ehemaligen Werkkunstschule an der Peterstraße in Krefeld aufgegeben wird, wurde ein Teil des Mietbudgets der HN frei, über welches anderweitig verfügt werden kann. Raumnot gibt es vor allem im Fachbereich Wirtschaftsingenieurwesen und Gesundheitswesen. Der Teilbereich Gesundheitswesen ist seit seiner Gründung 1998 dank einer erfreulichen Nachfrage nach Studienplätzen stetig gewachsen. Die Unterbringung im provisorischen Pavillon auf dem Campus KR-Süd und in den früheren Räumen der Bibliothek im Kellergeschoß ist völlig unzureichend. Weil die Nachfrage nach Studienplätzen in den Fachbereichen Elektrotechnik und Maschinenbau wieder erfreulich ansteigt ist, ist ein Ausgleich zwischen den Fachbereichen nur begrenzt möglich. In Mönchengladbach haben die Wirtschaftsingenieure zwar eine idyllische Zentrale im Sanssouci in der Direktorenvilla an der Webschulstraße 29, aber bei weiteren Büros, Vorlesungs- und Seminarräumen sind sie auf den guten Willen und die begrenzten Möglichkeiten der benachbarten Fachbereite angewiesen. Das ursprüngliche Gleichgewicht zwischen Krefeld und Mönchengladbach ist nicht mehr gegeben. In Mönchengladbach studieren zwei Drittel der Studenten, in Krefeld nur noch ein Drittel. Durch die Krise in den 90er Jahren sind die Ingenieur-Disziplinen in Krefeld geschrumpft. Auch im Senat der Hochschule ergibt sich folgerichtig eine entsprechende Verschiebung. 1990 sind beide Hochschulstandorte noch gleichgewichtig vertreten. Die Veränderung der Studentenzahlen und die daraus resultierenden Stellenverlagerungen haben eine deutliche Verschiebung in Richtung Mönchengladbach bewirkt. „Der BLB als neuer Eigentümer und Vermieter der Landesliegenschaften ist in Übereinstimmung mit der Landesregierung bereit, ein neues Gebäude von 3.300 qm Nutzfläche zu erstellen, wenn die Hochschule Ausgleichsmaßnahmen zustimmt, die darin bestehen, ein anderes Gebäude aufzugeben und Einsparun­gen bei Grundsanierungen hinzunehmen. Diese Ausgleichsmaßnahmen werden am Standort Krefeld durch die Aufgabe des Gebäudes Petersstra-

166 FHN Report Mai 1991, S. 2


ße 123 und durch Einschränkungen bei der anstehen­den Grundsanierung des Gebäudes Reinarzstraße 49 gefunden..“167 Natürlich ist es vernünftig, diese Fläche in einem Gebäude zu

realisieren und in diesem den ganzen FB 09, Wirtschaftsingenieurwesen und Gesundheitswesen, zu vereinen. Die Ingenieurwissenschaftlichen Praktika für Wirtschaftsingenieure finden in Laboren der Krefelder Fachbereiche statt. Gesundheitswesen ist zum Ausgleich der hier verlorengegangenen Studienplätze auf dem Campus Süd aufgebaut worden. Es liegt nahe, das am Standort Krefeld durch Aufgabe der Peterstraße und Reduzierung einer Grundsanierung erwirtschaftete Mietbudget auf dem Campus KR-Süd zu investieren. Das Gelände der Kleingärten, welches die Stadt Krefeld damals der Ingenieurschule als Mitgift gegeben hat, steht dafür bereit. Dieses Konzept lässt sich in den Gremien der Hochschule nicht durchsetzen, weil die Mönchengladbacher dort inzwischen eine deutliche Mehrheit haben. Schließlich wird ein Kompromiss in den Gremien beschlossen, mit dem keiner so richtig glücklich ist: 2.000 Quadratmeter in Krefeld und 1.000 Quadratmeter in Mönchengladbach. Die öffentliche Diskussion wird in einer Zeitung mit der Schlag­zeile „Zerren um Hochschule“ treffend charakterisiert. Es geht nicht mehr nur um eine Detailfrage der Organisation innerhalb der Hochschule, sondern um Kommunal- und Regionalpolitik. „Zwangsumsiedlung, nein danke!“ ist auf den Plakaten der demonstrierenden Studenten zu lesen. Bei den üblichen Planungs- und Bauzeiten ist aber davon auszugehen, dass die aktuelle Studentengeneration von den Umzugsplänen der Wirtschaftsingenieure von Mönchengladbach nach Krefeld nicht betroffen ist, aber die öffentliche Wirkung ist trotzdem da. Minister und Staatssekretäre reagieren auf öffentliche Meinung und Forderungen von Abgeordneten, die aus beiden Hochschulstädten vorgebracht werden. Die Hausspitze des Wissenschaftsministeriums zieht die Entscheidung an sich und teilt mit Erlass vom 6. August 2002 mit, dass sie sich sowohl hinsichtlich des Baus wie auch des Fachbereichs für den Standort Krefeld entschieden hat. Begründet wird die Entscheidung neben den räumlichen und finanziellen Aspekten auch mit strukturellen und regionalpolitischen Gesichtspunkten. Das bisherige Gleichgewicht zwischen den beiden Standorten soll erhalten bleiben. Im November 2004 rollen die Bagger an, im September 2005 wird Richtfest gefeiert. „Investitionen in die Bildung bringen die beste Rendite“, sagte der Bauminister Oliver Wittke über das von der Vorgänger-Regierung auf den Weg gebrachte Vorhaben. Der Campus Krefeld-Süd hat durch die Bauten der letzten vierzehn Jahre ein Gesicht bekommen. Der entstandene Platz zwischen Bibliothek und Mensa ist nicht nur ein Verkehrsweg geworden, sondern wird mit seiner einladenden Möblierung auch zum beliebten Treffpunkt und Aufenthaltsort zwischen den Lehrveranstaltungen. Einmal im Jahr findet hier das Campusfest statt.

167 Bericht des Rektorats für das Jahr 2002, S. 15 238  239


Abbildungen Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16 Abb. 17 Abb. 18

1 2

as Departement Rur um 1800 14 1 D Goldmedaille für die Firma Dilthey & Co 16 2 Der Seidenweber Meister Ponzelar 18  3 Aufruf zur Gründung einer privaten Webeschule nach Lyoner Art (1847) 20 4 Architekturzeichnung der„Webe-, Färberei- und Appreturschule” 22 5 Prof. Dr. Heinrich Lange 27 6 Färberei und Appreturschule 28 7  Flachskuhlen in der Bockerter Heide bei Viersen 30 8 Typischer Hausweber im Viersener Flachsland 32 9 Restauriertes Gebäude der Gladbacher Aktienspinnerei und Weberei 33 10 Preuß. Höhere Fachschule f. Textilindustrie Mönchengladbach/Rheydt vor 1912 34 11 Textilingenieurschule MG – Ringspinnerei 36 12 Textilingenieurschule MG – Schlichterei 38 13 Textilingenieurschule MG – Websaal 40 14 Textilingenieurschule MG – Schnittkonstruktion und Modellentwurf 43 15 Textilingenieurschule MG – Schnittkonstruktion und Modellentwurf 44 16 Textilingenieurschule MG – Fließband für Dob 46 17 Dienstleistungen für die Region: Textilingenieurschule MG, Bügelei 48 18

orschen/IHK, S. 11, Ursprung: „Atlas National de France“ um 1800 P Ladoucette, S. 264: Goldmedaille für die Firma W. Dilthey & Co., Rheydt, Verliehen im Jahre 1810, Lithographie von 1837 3 Scholz, S.17, Der Seidenwebermeister Ponzelar mit einer Tuchrolle auf dem Weg zu seinem „Seidenverleger“. Ihm wurde in Krefeld am Südwall dieses Denkmal gesetzt 4 150 Jahre Fachbereich Chemie und Hochschule Niederrhein, S. 8, Abdruck eines Zeitungsberichtes vom 6. November 1847 mit dem Aufruf von Anton Hamers zur Gründung einer privaten Webeschule 5 150 Jahre Fachbereich Chemie und Hochschule Niederrhein, S. 22, Zeitgenössische Zeichnung des Gebäudes an der Oberstraße, jetzt Lewerentzstrasse 6 „50 Jahre Färberei und Appreturschule“, S. 5 7 75 Jahre Färbereischule Krefeld, S. 9 8 Abb. 11 und 12 aus Rouette, Seide und Samt, S. 53 9 Rouette, Seide und Samt, S. 53 10 Bild aus Rouette, Textilroute Niederrhein 11 100 Jahre textile Ausbildung in Mönchengladbach, S. 17 12 Eigenbertz, Programm zum WS 1959/60 13 ebenda 14 ebenda 15 ebenda 16 ebenda 17 ebenda 18 ebenda

Abb. 19 Abb. 20 Abb. 21 Abb. 22 Abb. 23 Abb. 24 Abb. 25 Abb. 26 Abb. 27 Abb. 28 Abb. 29 Abb. 30 Abb. 31 Abb. 32 Abb. 33 Abb. 34 Abb. 35 Abb. 36 Abb. 37 Abb. 38 Abb. 39 Abb. 40 Abb. 41 Abb. 42

erkkunstschule, Peterstraße, Krefeld 51 19 W Sonderdrucke aus Dekorativer Kunst 1908 54 20 August Biebricher, Tribünengebäude der Rennbahn Krefeld 56 21 Johannes Harder, Möbeldesign 57 22 Die Marke„Maggi 58 23 Johannes Itten, Besprechung von Schülerarbeiten, 1932 62 24 Farbkreis nach Itten 62 25 Prospekt der Meisterklasse für Textilkunst 65 26 Form und Rhythmus gewebter Stoffe 66 27 Kleines Abendkleid 67 28 Strandkleid aus Perlon, 1951 68 29 Zerstörte Webeschule in Krefeld 76 30 Zerstörte Kunstgewerbeschule in Krefeld 78 31 Zerstörte Textilingenieurschule in Mönchengladbach 79 32 Wiederaufgebautes Gebäude der Werkkunstschule an der Peterstraße 85 33 Fritz G. Winter 86 34 Porzellandesign 89 35 Dr. Eugen Eigenbertz 90 36 Textilmaschine der Firma Schlafhorst 92 37 Alte (vor 1912) und wieder aufgebaute Fassade (heute). 94 38 Ausschnitt aus dem technologischen Labor 96 39 Chemisches Laboratorium – Teilansicht 98 40 Neubauten Maschinenhalle (1986) u. Laborgeb. (1992) 100 41 Schülerzahlen der Färbereischule und Lackabteilung von 1883 bis 1958 103 42

19 Textilkultur in Krefeld, S. 267 20 Staffellauf, S. 58 21 ebenda, S. 41 22 ebenda, S. 45 23 ebenda, S. 64–65. 24 Textilkultur in Krefeld, S. 21 25 Textilkultur in Krefeld, S. 254–262 26 Prospekt der Meisterklasse für Textilkunst. 27 100 Jahre Textilingenieurschule, S. 118 28 100 Jahre Textilingenieurschule, S. 110 29 100 Jahre Textilingenieurschule, S. 114 30 150 Jahre Fachbereich Chemie, S. 49 31 ebenda 32 ebenda 33 Staffellauf 34 Staffellauf, S. 112 35 ebenda, S. 226 36 100 Jahre textile Ausbildung in Mönchengladbach, S. 6 37 Porschen/IHK, S. 90–97 38 100 Jahre textile Ausbildung in Mönchengladbach, S. 17 und 28; Sachsse, Die Architektur, S. 20–21 39 Eigenbertz, S. 14 40 Eigenbertz, S. 16 41 Archiv Hochschule Niederrhein 42 75 Jahre Färbereischule Krefeld, S. 22


Abb. 43 Abb. 44 Abb. 45 Abb. 46 Abb. 47 Abb. 48 Abb. 49 Abb. 50 Abb. 51 Abb. 52 Abb. 53 Abb. 54 Abb. 55 Abb. 56 Abb. 57 Abb. 58 Abb. 59 Abb. 60 Abb. 61 Abb. 62 Abb. 63

ärbereilabor im Jahre 1958 104 43 F Modell der TIS-Neubauten am Frankenring 106 44 Rotstift am Neubau Frankenring 108 45 Glasfassade Campus West am Frankenring 111 46 Audimax des Campus West am Frankenring 112 47 Gussstück aus dem Stahlwerk Kleinewefers 115 48 Maschinen zur Papierveredlung 116 49 Elektromaschinebau Schorch 117 50 Kabelwerk Rheydt 119 51 Lichtwellenleiter vom Niederrhein 120 52 Giesserei Siempelkamp (früher Kleinewefers) 122 53 Drei Städte wollen die Ingenieurschule; Skizze Brocks 124 54 Sonderbeitragsordnung der IHK Krefeld 125 55 Einzug in den Neubau an der Reinarzstraße (Dr. Brocks) 130 56 Prof. Dr.-Ing. P.-A. Koch 131 57 Das Haus der neuen Ingenieurschule Krefeld 132 58 Baudirektor Dr.-Ing. Ernst Wüstehube 133 59 Die Gründermannschaft der HWF 134 60 Entwurf Neubau HWF 136 61 Unterschriften gegen das Akademiegesetz 141 62 Gesamthochschule Niederrhein 148 63

Abb. 64 Abb. 65 Abb. 66 Abb. 67 Abb. 68 Abb. 69 Abb. 70 Abb. 71 Abb. 72 Abb. 73 Abb. 74 Abb. 75 Abb. 76 Abb. 77 Abb. 78 Abb. 79 Abb. 80 Abb. 81 Abb. 82 Abb. 83

43 75 Jahre Färbereischule Krefeld, S. 21 44 Rouette S. 423 Literaturhinweis 125, Foto: Stadtarchiv Krefeld/Stadtbildstelle 45 100 Jahre Textilingenieurschule Krefeld, S.1 und 150 Jahre Fachbereich Chemie, S. 52 46 Merian Heft 2–9. Jahrgang 47 Textilkultur, S. 67/73 48 Ernst, Außer Samt und Seide, S. 13 49 Porschen /IHK, S. 91–99 50 Elektromaschinenbau Schorch, Porschen, IHK, S. 91–99 51 ebenda 52 ebenda 53 ebenda 54 30 Jahre Ingenieurausbildung in Krefeld 55 Porschen, IHK 56 30 Jahre Ingenieurausbildung in Krefeld 57 75 Jahre Färbereischule Krefeld, S. 11 58 Sachsse, Die Architektur, S. 12–13 59 Archiv des Fachbereiches Maschinenbau u. Verfahrenstechnik 60 25 Jahre betriebswirtschaftliche Ausbildung, S. 9 61 ebenda 62 Archiv der Hochschule Niederrhein 63 Archiv Hochschule Niederrhein

r. Klinke, Vorsitzender des Planungsausschusses 152 64 D Wilhelm J. Thelen 153 65 Prof. Dr. Karlheinz Brocks 154 66 Weiß- und Rotkohl bei Leuchtenberg / Neuss 158 67 Entwicklung der Studentenzahlen 161 68 Wurzeln und Entwicklung der Fachhochschule Niederrhein 174 69 Hermann Ostendorf, Heinz Broermann, Günter Edler, Karlheinz Brocks im Jahr 1996 (v. links n. rechts) 175 70 Geburten in der Bundesrepublik 176 71 Die ersten Absolventen des „Krefelder Modells“ 188 72 Eröffnung des ersten Europäischen Studiengangs 194 73 Gründung des Fachb. Wirtschaftsingenieurwesen 200 74 Anfängerzahlen in den 90er Jahren 203 75 Eingeschriebene Studenten in MG und KR 203 76 Altersstruktur der Professoren 203 77 Ministerin Hannelore Kraft vor demonstrierenden Studenten 220 78 Prorektor Michael Lent unterzeichnet den Zukunftspakt mit Minister Pinkwart und Ministerpräsident Rüttgers. 222 79 Der Hochschule in Aussicht gestellte Finanzmittel im Hochschulpakt 2020 Teil II 227 80 Maschinenhalle Campus MG 230 81 Rektor Edler begrüßt 1986 die Erstsemester im überfüllten Audimax 234 82 Erweiterungsgebäude, Campus KR-Süd 236 83

64 D r. Klinke ist Lehrender der Textilingenieurschule Mönchengladbach, später Fachbereichsleiter und Dekan (1771–1994) des Fachbereichs Textil und Bekleidungstechnik. Diverse persönliche Gespräche. 65 Hochschule der Region, S. 4–7 66 Archiv Hochschule Niederrhein 67 IHK-Magazin, Ausgabe 03.2010, Branchenreport Ernährungswirtschaft 68 Klüsche,20 Jahre Studium der Sozialarbeit/Sozialpädagogik, S. 11 69 Jahresbericht 1975 der Fachhochschule Niederrhein, S. 4 70 Die Hochschule der Region, S. 2 71 Jahresbericht 1974, S. 3 72 Zeitungsbericht der WZ am 24. April 1987 73 FHN-Report 1—1994, S. 22 74 Archiv Hochschule Niederrhein 75 Eigene Grafik 76 Eigene Grafik 77 Rechenschaftsbericht des Rektorats für das Jahr 1996, S.13 78 WZ am 17.Juni 2003 79 Hochschulreport WS 2006/2007, S. 4 80 Eigene Grafik 81 Archiv Hochschule Niederrhein 82 Report Dezember 1986, S. 4 83 Die Architektur, S.14–15 240  241


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Zum Autor Der Autor dieses Buches, Prof. Dr. Hermann Ostendorf, war von 1994 bis 2010 Rektor der Hochschule Niederrhein. Nach dem Studium an der RWTH Aachen und beruflichen Stationen bei Siempelkamp, Babcock u.a., wurde er 1979 als Professor f端r Anlagenplanung an die damalige Fachhochschule Niederrhein berufen. Von 1986 bis 1994 war er Dekan des Fachbereichs Maschinenbau und Verfahrenstechnik. Ostendorf ist 66 Jahre alt und lebt mit seiner Frau in Krefeld.


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