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Vom Theaterorchester zur Philharmonie – eine Erfolgsgeschichte
90 Jahre Südwestdeutsche Philharmonie
Von Gisela Auchter
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Eine Partnerschaft, so alt wie das Orchester, eine Partnerschaft fürs Leben – so könnte das betitelt werden, was die Südwestdeutsche Philharmonie (SWP) und den Sinfonischen
Chor über die vielen Jahre der Zusammenarbeit zusammengeschweißt hat. Als unser Chor sich 1873 mit Haydns Schöpfung der großen Chorliteratur verschrieben hatte und fortan auch dabeiblieb, war er gleichzeitig auf die Begleitung eines Orchesters angewiesen. Zunächst waren es noch andere, die diese Aufgabe wahrnahmen, wie die Stadtoder Regimentskapelle oder die Kapelle des Jägerbataillons Nr. 14. Im Jahr 1932 schlug dann aber mit der Gründung der heutigen Philharmonie – eigentlich eine Gründung aus sozialen Motiven heraus – auch die Stunde einer ständigen Partnerschaft zwischen unserem Chor und dem zunächst noch kleinen Klangkörper.
Positive Zustimmung durch die Bevölkerung war dem Orchester schon in seinen Anfangsjahren sicher, aber auch nie nachlassende Existenzsorgen und Kämpfe um die Finanzen. Der ständige Balanceakt zwischen „Kunst und Kasse“ wurde zum treuen Wegbegleiter in der nunmehr 90-jährigen Orchestergeschichte. Immer wieder von der Auflösung bedroht und in letzter Minute davor bewahrt, hat das Orchester einen außerordentlichen Lebenswillen bewiesen und sich dabei mit gleichbleibender Kontinuität zu einem hoch angesehenen Qualitätsorchester entwickelt.
Die Gründung der Philharmonie kommentierte die Konstanzer Zeitung damit, dass die Stadt kein Sinfonieorchester brauche, sie sei mit der Regimentskapelle ausreichend versorgt. Zunächst war der Klangkörper als „Stadt- und Theaterorchester“ für Serenaden, Opern- und Operettenaufführungen zuständig. Da hatte er gerade einmal 24 Mitglieder, durchweg arbeitslose, von der Fürsorge lebende Berufsmusiker. Sie spielten für einen Hungerlohn, Proben wurden nicht bezahlt.
Solange das Programm den inzwischen herrschenden Nationalsozialisten genehm war, wurde das Orchester nun auch durchaus gefördert. Die „Reichsmusikkammer“ und der „Kampfbund für Deutsche Kultur“ stockten auf 45 Mitglieder auf. Erstes Aufhorchen 1936: Rundfunkaufnahmen! Dann kam der 2. Weltkrieg, man firmierte jetzt unter dem Namen „Grenzlandorchester“. Die Einberufungen der Musiker bedeuteten wie überall einen unheilvollen Aderlass. Die Konsequenz daraus hieß 1944: Auflösung – auf Anordnung von Propagandaminister Goebbels. Nicht nur dem Konstanzer Theater und Orchester, sämtlichen Kulturinstituten in Deutschland erging es nicht anders. Opferwille, Zähigkeit und ein ungebrochener
Zukunftsglaube waren die Grundlagen, auf denen man schon ein Jahr nach Kriegsende einen Neubeginn wagte. Nun setzte auch der eigentliche Aufschwung ein.
1958 wurde aus dem Orchester ein Verein – ein zukunftweisender Schritt, wie sich herausstellen sollte. 1962 gab es einen neuen Namen: „Bodensee Symphonie Orchester“, in der Stadt liebevoll BSO genannt. In diesem Jahr wurde auch das „Kuratorium des Freundeskreises BSO“ unter dem Vorsitz des jeweiligen OB, damals Dr. Bruno Helmle, gegründet. Nun trat man bereits mit 45 Musikern vor das Publikum. Eine zunehmende Reisetätigkeit, Schallplatten- und Rundfunkaufnahmen, viele Erfolge, eine erstmals ausgeglichene Bilanz im Jahr 1967 – zu verdanken war dies alles letztendlich einer gehörigen Portion Idealismus, mit dem die Musiker ihrem Orchester die Treue hielten. Noch 1970 meldete die Stuttgarter Zeitung , dass das Einkommen der Musiker unter dem der städtischen Müllwerker lag. Zu Beginn der 1980er Jahre konnte dann aber gemeldet werden, dass sich das Orchester von der Tarifgruppe D zur Tarifgruppe B verbessern konnte. Das bedeutete in der vierstufigen Rangfolge sinfonischer Orchester in Deutschland den zweiten Platz.
1988 erfolgte eine neue Umbenennung, diesmal in „Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz“. Unter diesem Namen war das Orchester außerhalb seines Heimatstandortes bereits seit 1962 aufgetreten. Seine Doppelbezeichnung (SWP – BSO) provozierte naturgemäß Missverständnisse und Verwechslungen. Dem wollte man in Zukunft aus dem Wege gehen. Man wollte aber auch mit dem neuen Namen im internationalen Konzertbetrieb einen künstlerisch gesicherten Platz erobern – eine Rechnung, die aufging.

Als ausgerechnet im 60. Jahr seines Bestehens das Schiff durch Misswirtschaft der Geschäftsführung nochmals gewaltig ins Schlingern kam, bestimmten wieder einmal weniger künstlerische als wirtschaftliche Sorgen den Orchesteralltag. Das Kuratorium beendete seine Tätigkeit, das Orchester wurde als städtischer Eigenbetrieb enger an die Stadtverwaltung gebunden und erreichte bald wieder ruhigere Gewässer.
Nun sollte ein Musiker, am besten in Personalunion mit einem Marketingfachmann, das Ruder in die Hand nehmen. 2003 hatte man in Christian Lorenz einen solchen Mann gefunden. 2004 wurde seine Tätigkeit zu der eines Intendanten aufgewertet. Mit Ehrgeiz, Tempo und Weitblick änderte er das Image der Philharmoniker, sein Ziel war, sie völlig neu zu positionieren, zum „Stadtgespräch“ zu machen, ein „Wir-Gefühl“ in den Bürgern zu entwickeln und dies alles in ihren „Herzen und Köpfen“ fest einzupflanzen. Zu diesem Ideenkonzept gehörte auch ein erweitertes Programmangebot, wie unter anderem „eduART“ oder die so genannten Sitzkissenkonzerte für die Kleinsten und für Schulkinder, die zukünftigen Konzertbesucher. Ähnlich innovativ und erfolgreich gestalteten sich später die Intendanz-Jahre des Schweizers Beat Fehlmann. Er war sehr beliebt und man bedauerte seinen Weggang nach wenigen Spielzeiten (2013–2017) in Konstanz sehr.
Aber es gibt auch Wermutstropfen. Nach wie vor stellt das Fehlen eines geeigneten Aufführungsortes für die Philharmoniker einen eklatanten Mangel dar – und das von Beginn an in den 30er Jahren. Wer allein die akustischen Unterschiede zwischen der heute heimischen Spielstätte im Konzil und einem Podium andernorts schon selbst erlebt hat, kann schwer nachvollziehen, dass Entscheidungen in Sachen Konzert- und
Kongresshaus immer wieder verschoben und das „Ob und Wie, Für und Wider“ immer wieder neu beraten werden mussten.
1998 gründete unser damaliger Vorsitzender Wolfgang Müller-Fehrenbach den „Freundeskreis der Philharmonie“ mit dem primären Ziel, den Bau eines Konzert- und Kongresshauses durchzusetzen. Von zwei Bürgerentscheiden 2003 und 2010 erhoffte man sich positive Ergebnisse und Zustimmung zu den Planungen eines Konzerthauses auf Klein Venedig. Aber beide Umfragen endeten mit einem niederschmetternden Fiasko. Die Abstimmungsergebnisse waren trostlos: 2003 sprach sich die Hälfte der abgegebenen Stimmen gegen das Projekt aus, 2010 waren es mit knapp zwei Drittel noch mehr. In weite Ferne rückte damit die Realisierung des Großprojektes „Konzertund Kongresshaus“. In einer Zeit der Krisen, wie wir sie derzeit mit Corona-Pandemie, Inflation, Klimawandel und nicht zuletzt mit dem Krieg in der Ukraine erleben, dürften alle weiteren Planungen erst einmal in eine ferne Zukunft gerückt worden sein. Aber immerhin: Wo dieses Haus eines Tages stehen soll, ist schon festgelegt: ein Grundstück am Rhein, in Nachbarschaft des für Konzerte leider ungeeigneten „Bodenseeforums“, ist bereits als Standort favorisiert.
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Und musikalisch? Spätestens 1971 nahm die Philharmonie mit dem Ungarn Tamás Sulyok an ihrer Spitze immer mehr Fahrt auf. Die verschiedenen Chefdirigenten von Sulyok über dessen Landsmann Thomas Koncz und dem Tschechen Petr Altrichter bis hin zum außerordentlich erfolgreichen 32-jährigen Griechen Vassilis Christopoulos und dem Finnen Ari Rasilainen (2016–2021) verliehen dem Orchester jeweils ihr eigenes künstlerisches Profil und gaben ihm immer wieder neue, individuelle Entwicklungsschübe. Ausgerechnet im 90. Jahr seines Bestehens fürchtete man, die nächste Saison ohne neuen Chefdirigenten und mit der mühevollen Suche nach einem Nachfolger für Rasilainen durchstehen zu müssen. Da meldete die Presse noch vor der Sommerpause der Öffentlichkeit die Wahl eines neuen Chefdirigenten durch den Gemeinderat. Inzwischen hat der 32-jährige Gabriel Venzago sein Amt am 1. Januar 2023 offiziell angetreten. In Konstanz war er allerdings nicht mehr ganz unbekannt. Bereits zweimal hatte er die SWP durch Konzerte geleitet.
2019 trat Insa Pijanka ihr Amt als Intendantin an. Wegen der Corona-Pandemie hatte sie gleich zu Beginn mit Schwierigkeiten zu kämpfen. In dieser Zeit kam es auch zur Fusion der SWP mit der Konstanzer
Musikschule, die ihre gemeinsamen Projekte unter dem Motto „Musikvermittlung“ der Öffentlichkeit anbieten wollen.
Kaum ist das neue Jahr 2023 angebrochen, steht das von früheren Problemen stark geprüfte Orchester vor einer neuen Herausforderung: In der Presse ist die Rede von Unregelmäßigkeiten bei Finanzen, Fahrtenbüchern, Inventar und auch von Plagiatsvorwürfen. Im weiteren Verlauf kommt es zu einem Aufhebungsvertrag zwischen Insa Pijanka und der Stadt.
Dennoch wünschen wir den Philharmonikern nach dem musikalisch gelungenen SaisonBeginn mit wunderschönen Konzerten und jungem Dirigenten trotz der erneuten Schwierigkeiten eine gute und erfolgreiche Spielzeit.


„Musik ist schön, macht aber viel Arbeit“ – diesem Satz kann wohl jeder Musikliebhaber uneingeschränkt zustimmen. Das Publikum selbst will mit jedem Konzertabend neu überzeugt und neu erobert werden. Solange „unseren“ Philharmonikern das gelingt, haben sie ein gesundes Fundament, auf dem es sich musizieren lässt. Der Sinfonische Chor gratuliert seinem (Uralt-)Partner und setzt auch in Zukunft auf eine weitere glückliche und fruchtbare Zusammenarbeit.
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Am Tannenhof 2 • 78464 Konstanz
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