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Text Caroline Micaela Hauger Fotos Kurt Reichenbach

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m liebsten würde Hans Erni den 21. Februar aus dem Kalender streichen. Entspannt um sieben Uhr aufstehen, seine Milch trinken und im Atelier bis abends malen, malen, malen. Der Tag ist Freude und Frust zugleich. «Würde mir meine Frau Doris nicht bei den Briefen und Anfragen helfen, hätte ich keine freie Minute», sagt er. Mittlerweile türmt sich die Post das ganze Jahr – als hätte er jeden Tag Geburtstag. Er beklagt sich nicht. Mit Dankbarkeit erntet Erni die Früchte

eines arbeitsamen Lebens. Kein Schweizer Künstler wird für sein Schaffen und sein Talent so bewundert wie der 103-jährige Weltenbürger aus Luzern. Atelierbesuch in Luzern Hans Erni im eigenwilligen Lacoste-Malerkittel, klassische Musik im Hintergrund. Das schneeweisse Haupt ist voller Locken. Seine wasserblauen Augen leuchten. Er sagt zufrieden: «Jeder Tag ist ein Geschenk.» Seit drei Jahren geht er am Stock. Noch lassen ihn Hirn, Hand und Herz nicht im Stich. Gerade hat er eine Pilatus-Serie beendet. Mal wird der Luzerner Hausberg von der Wintersonne liebkost, mal türmen

sich düstere Wolkenformationen auf dem Gipfel. Blickt der Maler morgens aus dem Schlafzimmerfenster, wirkt das 2128 Meter hohe Massiv zum Greifen nah. Erni, der mit sechs Jahren zum ersten Mal auf dem Pilatus stand, nimmt jede Verän­ derung wahr. «So kreideweiss wie heute habe ich die schneebedeckten Hänge noch nie gesehen!» Die Kraft seines Lieblingsberges gibt er in Aquarell- und Tempera-Bildern wieder. Sein künstlerisches Markenzeichen: Die virtuose Kombina­ tion von Realismus und Abstraktion. Schon früh fallen Hans Ernis elegante Linienführung und das Gespür für anatomische Details auf. Nach dem Tod u schweizer illustrierte

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