Harald Seuberts Fragestellung ist grundsätzlich orientiert: Kann die
1998 über Heidegger und Nietzsche und habilitierte
Philosophie dem in ihrem Selbstverständnis angelegten hohen An-
sich 2003 mit einer Arbeit über Platons Rechtslehre. Von 1998 bis 2004 Assistent und von 2003 bis 2009
spruch heute noch gerecht werden? Was bedeutet Philosophie in einer
Privatdozent an der Martin-Luther-Universität Halle-
Zeit, in der sich ihre Subdisziplinen mitunter bis zur Gesprächslosigkeit
Wittenberg, war er von 2006 bis 2012 Gastprofessor
voneinander getrennt haben? Was kann Philosophie angesichts der
an der Adam-Mickiewicz-Universität Poznan. Seit
beeindruckenden Ergebnisse der Einzelwissenschaften und ange-
2012 ist er Professor für Philosophie und Religions-
sichts ihrer eigenen disziplinären Spezialisierung heute überhaupt
schen Hochschule Basel.
noch leisten? Es bleibt – so die These Harald Seuberts – ihre Aufgabe, hinter die Methoden einzelner Wissenschaften und die Fixierungen von Welterklärungen zurückzufragen. Dies kann sie nur, wo sie Systematik und ideengeschichtliche Orientierung zu verbinden und auf aktuelle Fragen wie ihr Verhältnis zur Kunst, zur Natur und Technik und zur Vielfalt der Kulturen zu antworten vermag. Harald Seubert wendet sich vehement gegen ein technokratisch-abstraktes Philosophieverständnis und plädiert für eine Philosophie, die vor den grossen Fragen nach Wahrheit, Freiheit und Sinn nicht zurückschreckt.
Der Anspruch der Ersten Philosophie, die auf einer Linie von Aristoteles bis Husserl als Grundwissenschaft verstanden wird, ist in Zeiten des Pluralismus von Wissensformen nicht leicht aufrechtzuerhalten.
Harald Seubert
Sie wird eher vermittelnd, begleitend, zwischen den Disziplinen wirksam werden. Unerlässlich wird es aber sein, dass sie sich selbst traut und der Geltung
Philosophie Was sie ist und sein kann
der eigenen Gedanken und der Kraft des stärkeren Argumentes folgt. Deshalb können Äusserungen wie: «Man kann heute nicht mehr …» nicht hin reichend sein, um eine Argumentationsweise obsolet zu machen. Dies hat exemplarisch Adornos Wort von der «Solidarität mit der Metaphysik im Augenblick ihres Sturzes» gezeigt. Adorno hat das Vermächtnis des grossen Gesprächs zwischen den Lebenden und den Toten sehr treffend in Worte gefasst: «Was einmal gedacht ward, kann unterdrückt, vergessen werden, verwehen. Aber es lässt sich nicht ausreden, dass etwas davon überlebt. Denn Denken hat das Moment des Allgemeinen an sich. Was triftig gedacht wurde, muss woanders, von anderen gedacht werden: dies Vertrauen begleitet noch den einsamsten und ohnmächtigsten Gedanken […]. Die
Harald Seubert
wissenschaft an der Staatsunabhängigen Theologi-
Philosophie – Was sie ist und sein kann
Harald Seubert, geb. 1967 in Nürnberg, promovierte
universale Unterdrückungstendenz geht gegen den Gedanken als solchen. Glück ist er, noch wo er das Unglück bestimmt: indem er es ausspricht. Damit allein reicht Glück ins universale Unglück hinein. Wer es sich nicht verkümmern lässt, der hat nicht resigniert.» Man kann sich fragen, warum das ziemlich unfehlbar so ist, und warum darin wohl der Sog liegt, der heute wie je in die Philosophie zieht. Jean-Jacques Rousseau, einer der grossen Freiheitslehrer der Philosophie, hätte wohl zur Antwort gegeben: Es ist so, weil jeder Gedanke seinerseits wieder zu denken gibt.
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Harald Seubert