Schulblatt 4 2012

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Berufsbildung

Luzia Berweger ist eine Pionierin: Sie gehört zu den ersten Lernenden im Kanton Zürich, die eine zweijährige Ausbildung als Assistentin Gesundheit und Soziales (AGS) mit eidgenössischem Berufsattest absolvieren. Im Zürcher Stadtspital Triemli wird das Pilotprojekt mit vier Lernenden durchgeführt, und die junge Frau ist stolz, mit an Bord zu sein. Auch wenn die Lehre für sie die eine oder andere Überraschung bereithielt. Zum Beispiel «die ganze Schreiberei»: Regelmässig muss die Lernende auf einem sogenannten Verlaufsblatt eine Situation beschreiben, die sie an diesem Tag bei der Arbeit erlebt hat, und einmal pro Woche nimmt sie sich Zeit für ihr Lernjournal, in dem sie ihr eigenes Verhalten reflektiert. Was hat sie gut gemacht, was weniger, was kann sie das nächste Mal besser machen? Verlaufsblätter und Lernjournal dienen laut Elisabeth Pickel, Lehrerin Pflege, vor allem einem Zweck: «Es veranlasst die Lernenden, auf bestimmte Momente zurückzuschauen, sich selbst einzuschätzen und Erkenntnisse daraus zu ziehen. Denn im Pflegebereich ist überlegtes Handeln ganz wichtig.» Bekundete Luzia Berweger anfangs Mühe mit dem vielen Schreiben, weil sie darin keinen Sinn erkannte, hat sie sich inzwischen daran gewöhnt, mehr noch: «Jetzt freue ich mich jeweils richtig auf den Kommentar meiner Ausbildnerin.» Auch die regelmässigen praktischen Prüfungen, fügt sie hinzu, seien zwar stressig, brächten ihr aber viel und seien eine gute Vorbereitung für die Abschlussprüfungen. Emotional fordernd Nicht nur in der Praxis, auch in der Berufsfachschule sei ihre Ausbildung anspruchsvoll, erzählt sie weiter. «Jetzt im zweiten Semester müssen wir viel selbstständiger lernen und ganze Inhalte selber erarbeiten.» Elisabeth Pickel pflichtet ihr bei: «Die Lernenden müssen eine hohe Lernbereitschaft und -fähigkeit mitbringen.» Dazu kommen: Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit, Geduld, Teamfähigkeit, Hilfsbereitschaft und – wie Luzia Berweger betont: körperliche Fitness. «Ich habe mal einen Schrittzähler montiert», erzählt sie lachend, «ich laufe unglaublich viele Kilometer pro

Tag.» Und noch etwas anderes ist unabdingbar: Wertschätzung gegenüber den Patientinnen und Patienten. Denn diese stehen im Mittelpunkt der täglichen Arbeit, etwa bei der Körperpflege, bei kleineren Gesundheitskontrollen wie Temperaturmessen und Gewichtskontrollen oder bei jeglicher Art von körperlicher Unterstützung – beim Aufstehen, Laufen, Toilettengang etc. «Wir dürfen nicht heikel sein», sagt Luzia Berweger, «denn wir sind auch mit Unangenehmem konfrontiert, zum Beispiel mit Ausscheidungen.» Wie in allen Pflegeberufen müsse man zudem mit Emotionen umgehen können, denn belastende Situationen gebe es immer wieder. «Todesfälle sind besonders schwierig.» Sich mit der Endlichkeit des Lebens auseinanderzusetzen und zu erfahren, dass den eigenen Möglichkeiten, zu helfen, Grenzen gesetzt sind, gehört zu den grossen Herausforderungen. Luzia Berweger schätzt aber den täglichen Kontakt mit den unterschiedlichsten Menschen und die Zusammenarbeit im Team. Die Freude an der Arbeit überwiege die schwierigen Momente, betont sie. Zu ihrer Lehrstelle im Triemli kam die 21-Jährige über einige Umwege, fühlt sich hier, auf der medizinischen Abteilung, aber nun goldrichtig. «Ich

wollte schon immer in der Pflege arbeiten», erklärt sie, «ausserdem reizt mich diese Ausbildung, weil es sich um ein Pilotprojekt handelt.» Nach ihrem Abschluss will sie erst einmal als Assistentin Gesundheit arbeiten und Geld verdienen. Und auch ein langfristiges Ziel hat sie bereits vor Augen: Rettungssanitäterin. Über den Weg dorthin müsse sie sich allerdings noch erkundigen. Es gebe verschiedene Möglichkeiten, nimmt Elisabeth Pickel den Faden auf und fügt hinzu: «Das ist das grosse Plus der neuen Bildungssystematik im Gesundheitswesen: Heute gibt es für jede Ausbildung einen Anschluss.» Für die Institutionen sei der Wandel in den vergangenen Jahren aber enorm gewesen. Vor allem die Einführung der Ausbildung Fachfrau/Fachmann Gesundheit (FaGe) habe vieles verändert. Waren Ausbildungen in der Pflege bis dorthin erst ab erreichtem 18. Lebensjahr möglich, werden nun auch Schulabgängerinnen und -abgänger im Akutspital in Form einer beruflichen Grundbildung ausgebildet. Von den ersten Erfahrungen profitierten nun die neu hinzugekommenen Assistentinnen Gesundheit und Soziales: «Sie haben es sicher leichter als vor ein paar Jahren noch die FaGes.» !

Assistentin/Assistent Gesundheit und Soziales Ausbildung: 2-jährige Grundbildung mit Eidg. Berufsattest (EBA). Tätigkeit: Unterstützung von Menschen mit körperlichen, geistigen oder sozialen Einschränkungen. Mitwirkung bei Administration, Logistik und Arbeitsorganisation in den Institutionen. Arbeitsorte: Alters- oder Behindertenheime, Spitäler, Pflegezentren oder Spitex. Anforderungen: Abschluss der obligatorischen Schulzeit, gute Deutschkenntnisse, Einfühlungsvermögen, Belastbarkeit, Lernmotivation, Bereitschaft zu unregelmässigen Arbeitszeiten. Karrieremöglichkeiten: verkürzte Ausbildung zur Fachfrau / zum Fachmann Gesundheit oder Betreuung EFZ, höhere Berufsbildung (z.B. Pflegefachfrau, Kleinkinderzieherin, Biomedizinischer Analyst). Besonderheit: Seit August 2011 Pilotlehrgänge in mehreren Kantonen mit insgesamt 340 Lernenden. Gemeinschaftsprojekt der beiden Berufswelten Gesundheit und Soziales. Einführung der Ausbildung auf nationaler Ebene im Sommer 2012. [jo]

Berufslehre heute Jedes Jahr treten im Kanton Zürich rund 12 500 Jugendliche eine Lehrstelle an. Sie erlernen neue, altbekannte oder exotische Berufe, solche, die schulisch hohe Anforderungen mit sich bringen, und andere, die mehr auf praktisches Talent ausgerichtet sind. Das Schulblatt porträtiert seit Frühling 2012 jeweils eine Berufsbildnerin oder einen Berufsbildner (Lehrmeister) und einen Lernenden (Lehrling) in ihrem Arbeitsalltag. Schulblatt des Kantons Zürich 4/2012

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