Generatives Entwerfen: Parametrisches Modell, Geometrie
Die Rückkehr der Geometrie Parametrische Modelle komplexer Räume Christoph Schindler und Fabian Scheurer
Vergleichende Gegenüberstellung von Museumsbauten: Nachdem die Moderne ein stark eingeschränktes geometrisches Vokabular bevorzugt hatte, hält nun unter dem digitalen Paradigma die Geometrie wieder Einzug in die Architektur
Nach Robin Evans bestimmt die projektive Zeichnung seit der Renaissance unser räumliches Denken (vlg. ARCH+ 137 „Die Anfänge moderner Raumkonzeptionen“). Mit ihrer Hilfe lasse sich Raum visualisieren; sie habe aber auch einen Kanon von Architekturzeichnungen hervorgebracht, der mit Grundriss, Ansicht, Schnitt und Perspektive Raum als zweidimensionales Bild begreife und so die räumliche Komplexität einschränke. Evans argumentierte, dass im Computerzeitalter die mathematischen Grundlagen der Architekturdarstellung wieder in den Blickpunkt geraten müssten, damit der Architekt nicht zum bloßen Konsument von Soft- und Hardware degradiert werde. Der Einsatz eines parametrischen Modells bei der Ausführungsplanung des Mercedes-BenzMuseums deuten in diese Richtung.1 66
Das Stuttgarter Mercedes-Benz-Museum von UN Studio hat Bewegung in die Architekturlandschaft gebracht. Das volumetrische Konzept, das eine Kleeblattschlinge mit einer Doppelhelix verbindet, lässt auch noch zwei Jahre nach seiner Fertigstellung Besucher und Fachplaner staunen. Wenn man eine der miteinander verschlungenen Spiralen des Museums hinabgeht und dabei versucht, das Gebäude räumlich zu erfassen, keimt langsam im Hinterkopf die Frage: Wie wurde das alles gebaut? Wie entwikkelt man aus einer komplizierten mathematischen Figur, in der alles von allem abhängt, ein funktionstüchtiges Museum? Je mehr man dabei versucht, sich in die einzelnen Arbeitsschritte im Planungs- und Bauprozess hineinzudenken, desto unmöglicher erscheint die Aufgabe: In welcher Darstellungsform vermittelt man den verschiedenen Baubeteiligten ein Ge-
bäude, das durch Rampen, Böschungen und verdrehte Wandscheiben strukturiert ist und die klassische Stockwerkstrennung sprengt? Wie passt man die geometrische Grundfigur während der fortschreitenden Planung des Gebäudes an die notwendigen Änderungen an? Wie leitet man aus diesem räumlichen Gebilde die Planungsunterlagen für die komplizierten Einzelteile ab, die noch dazu alle unterschiedlich sind? Und vor allem: Wie gelang es, dieses außergewöhnlich komplexe Gebäude innerhalb der kurzen Zeit von vier Jahren zwischen Wettbewerb und Eröffnung fertigzustellen, noch dazu ohne kritische Budgetüberschreitungen? Prozess Die Fragen lassen vermuten, dass das Team hinter dem Mercedes-BenzMuseum nicht nur räumlich Neuland betreten hat, sondern dass dieser
Schritt erst durch das gleichzeitige Erforschen planungstechnischer Fragen möglich wurde. Hinter dem volumetrischen Konzept des MercedesBenz-Museums steckt eine mathematische Figur, auf der die gesamte Ausformulierung des Gebäudes aufgebaut ist. Die Architekten von UN Studio stellten sich die eingangs genannten Fragen schon bald nach dem Gewinn des Wettbewerbs. Sie erkannten, dass die übliche zweioder dreidimensionale Architekturbeschreibung mit graphischen CADWerkzeugen zur baulichen Umsetzung ihrer Idee nicht genügen würde und die Werkzeuge an die neue Herausforderung angepasst werden müssen. Ben van Berkel und der Projektarchitekt Tobias Wallisser2 beauftragten daher den Architekten Arnold Walz3, planungsbegleitend ein sogenanntes „parametrisches CADModell“ zu entwickeln.
Dabei handelt es sich um eine Alternative zur zeichnerischen Architekturbeschreibung. Das Modell erfasst eine Geometrie nicht zeichnerisch, sondern mathematisch. Die „Parameter“ sind dabei bestimmte Variablen der Geometrie wie Distanzen oder Radien, die über definierte Abhängigkeiten miteinander in Beziehung gesetzt sind. Im Fall des Mercedes-Benz-Museums wurde eine handelsübliche CAD-Software verwendet, deren Funktionen sich mit Hilfe ihrer internen Programmiersprache „fernsteuern“ lassen. Durch Übersetzen der Parameter und ihrer Abhängigkeiten in ein Programm konnte so die darin beschriebene zeichnerische Darstellung auf Knopfdruck erzeugt werden. Hierarchisch wird also über der zeichnerischen Ebene noch eine abstrakte Ebene der Beschreibung angeordnet, auf der die Entwurfsgeometrie durch mathematische Abhängigkeiten definiert ist. Die Bausteine dieser Entwurfsbeschreibung sind nicht Linien, Kurven, Flächen und Volumen, sondern Handlungsanweisungen an die CAD-Software. Die Reihe dieser Algorithmen erzeugt wiederum das dreidimensionale Modell. Sinn und Zweck ist ein schneller, automatisierter Aufbau des Modells, welches durch Veränderungen der Handlungsvorschriften variiert werden kann. Das parametrische Modell des Mercedes-Benz-Museums wurde wegen seiner zentralen Rolle in der Planung von den Projektbeteiligten schon bald als „master model“ bezeichnet. In diesem Mastermodell sind die notwendigen Angaben zur Beschreibung der Geometrie nicht als feste Werte, sondern als veränderbare Parameter gegeben. Deren gegenseitige Abhängigkeiten sind im Modell so definiert, dass sich eine Änderung an alle notwendigen Stellen fortpflanzt. Ändert man beispielsweise die Lage des Atriums oder die Radien der Rampen, werden die tangential daran anschließenden Kurven neu berechnet und die Figur automatisch neu gezeichnet. Dabei gibt es „harte“, durch vorgegebene Werte geometrisch exakt bestimmte Bereiche und „weiche“, die zwischen den harten Bereichen einen flüssigen Übergang schaffen. Prinzip Ausarbeitung: von 2D zu 3D Bis hierher klingt die Funktionsweise des parametrischen Modells nach purer Mathematik. Nun ist das Ziel des Modells aber nicht die Para-
metrisierung einer abstrakten mathematischen Figur, sondern die Beschreibung eines realen, geometrisch ungewöhnlich anspruchsvollen Gebäudes. Mit der Angabe einiger mit Regeln verknüpfter Parameter ist es also nicht getan, will man Faktoren wie das Tragwerk (Wand- und Deckenstärken) berücksichtigen oder Vorgaben aus der Bauordnung (Steigungsverhältnisse von Treppen und Rampen, Fluchtwege etc). Eine zusätzliche Herausforderung beim Mercedes-Benz-Museum war die Haustechnik, da die Hohlräume für die Leitungsführung innerhalb der Betonbauteile integriert werden sollten. Die konkreten Bauteilabmessungen und die fachplanerischen und baurechtlichen Vorgaben schränken den Lösungsraum ganz erheblich ein und können zu Widersprüchen führen. Mit reiner Mathematik allein ist noch lange kein baubares Ergebnis zu erzielen. An dieser Stelle war die enge Kooperation zwischen dem Architekten als Gestalter und dem Programmierer als Autor des Modells entscheidend. Wie können Widersprüche zwischen verschiedenen Vorgaben aufgelöst werden? Welche Teile der Planung werden mit welchen Parametern erfasst, welche besser später zeichnerisch ergänzt? Bis zu welcher Detaillierungsstufe reicht das Modell? Fehlen wichtige Funktionen im parametrischen CAD-Modell, ist ein hoher zeichnerischer Planungsaufwand die Folge. Beinhaltet das Modell zu viele Angaben, wird es langsam, unübersichtlich und schließlich funktionsuntüchtig. Es ist hilfreich, an entscheidenden Stellen gezielt in die Tiefe zu gehen und sehr detaillierte Angaben zu machen. Es ist aber illusorisch und technisch unmöglich, ein Bauwerk komplett mit sämtlichen Angaben in ein parametrisches Modell zu packen Stattdessen muss das jeweils passende Abstraktionsniveau gefunden werden. Das parametrische Modell des Mercedes-Benz-Museum umfasst die Bereiche des Gebäudes, die dessen Raumbildung im wesentlichen definieren. Dies sind zum einen das Betontragwerk einschließlich der Stützen als Volumen, zum anderen die Fassade als dreidimensionale Gebäudehaut. Gemeinsam organisierten Architekt und Programmierer die wesentlichen Parameter und stimmten sie in den „Regeln“ aufeinander ab, bis sich ein sinnvolles „Ganzes“ ergab. Dabei galt es nicht nur, die Entwurfsidee zu
Parametrisches 3D-Mastermodell
Kreisbögen-Diagramme: Konzeptillustration, erstes Modell und Optimierung
Parametrische Modelle
Konzeptfindung
erfassen, sondern auch frühzeitig die jeweiligen projektspezifischen Freiräume für die Fachplaner zu schaffen. Arnold Walz genügten weniger als 100 Parameter zur Beschreibung der komplexen Gebäudegeometrie. Das parametrische Modell des Mercedes-Benz-Museums ist ein Brückenschlag zwischen Informatik und Architektur: Die Aufgabe des
steuern mithilfe von variablen Kennwerten, so genannten Parametern, komplexe Systeme. Sie werden in der Architektur für den Entwurf geometrischer Objekte verwendet,die ansonsten schwer zu handhaben sind. Ein Zylinder wird beispielsweise durch die Parameter Durchmesser und Höhe definiert. Wenn solche Kennwerte in Abhängigkeit zueinander gesetzt werden, entsteht ein abstraktes Daten-Modell, das die konkreten Formen,Eigenschaften und das Verhalten eines Gebäudes steuern kann.Die Anwendung parametrischer Modelle geht über die bloße Darstellung eines bestehenden Entwurfs mithilfe eines CAD-Programms hinaus. 67