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GASTFAMILIENPROJEKT FÜR UKRAINISCHE GEFLÜCHTETE Ivo Gasser im Gespräch

Gastfamilienprojekt für ukrainische Geflüchtete

MITARBEITER IVO GASSER IM GESPRÄCH

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Unser Mitarbeitender Ivo Gasser und seine Partnerin haben Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen. Im Interview erzählt er, wie sie sich organisieren, welche Herausforderungen das für beide Parteien mit sich bringt und welche Sprachbarrieren es gibt.

Erzähl uns doch ein wenig über die Familie und ihren Hintergrund. Es ist eine vierköpfige Familie aus der ostukrainischen Millionenstadt Charkiw. Die zwei Knaben sind 5 und 13 Jahre alt. Ihre Vorfahren sind während der ehemaligen Sowjetunion aus dem heutigen Aserbaidschan in die Region Charkiw gezogen. Sie sind eurasische Muslime und gehören in der Ukraine zu einer ethnischen Minderheit. Die Eltern führten bis Kriegsausbruch eine Art Café. Charkiw wurde bereits am ersten Kriegstag durch russische Einheiten angegriffen. Ihre Flucht in die Schweiz dauerte 18 Tage. Sie wurden dabei während 13 Tagen durch russische Truppen blockiert und mussten in einem beschädigten Gebäude ausharren.

Wie funktioniert die Kommunikation untereinander? Gibt es Verständigungsschwierigkeiten? Die Kommunikation läuft vor allem über den 13-jährigen Sohn. Er spricht für sein Alter gut englisch. Die Eltern sprechen russisch, ukrainisch und türkisch. Das wichtigste Verständigungstool ist der Google-Übersetzer. Die angezeigten «Textlösungen» führen oft zu Gelächter. Wir können diese Verständigungsschwierigkeiten meistens noch irgendwie lösen. Die Integrationsbeauftragte unserer Wohngemeinde hat einen türkischen Hintergrund. Miteinander können sie sich türkisch austauschen, was sehr wertvoll ist. Wie habt ihr euch zu Hause organisiert? Habt ihr Regeln für den Alltag vereinbart? Gibt es kulturelle Unterschiede? Die ersten zwei Monate waren sehr betreuungsintensiv. Es galt, neben all den administrativen Punkten, den Schweizer Alltag aufzuzeigen (Kochen mit Strom statt Gas, Abfallentsorgung, ÖV-Benutzung usw.). Die Familie bewohnt unsere möblierte 3,5-Zimmer-Einliegerwohnung. Dadurch können sie einen eigenen Tagesablauf leben. Wir treffen uns jeweils am Abend zu einem circa einstündigen Austausch zur Klärung von Fragen/Situationen (Schule, Deutschkurs, Arbeit etc.). Einmal pro Woche unternehmen wir zusammen einen Grosseinkauf. Der auffallendste kulturelle Unterschied ist ihr Speisezettel. Ihre Essenszusammensetzung und -zubereitung ist anders, die Speisen sind aber sehr lecker.

Was hat euch bewogen, eine Familie aus der Ukraine aufzunehmen? Als Russland in die Ukraine einmarschierte, begann in Luzern die Fasnacht. Dieser Gegensatz beschäftigte uns. Unsere Eltern wurden vor dem Zweiten Weltkrieg geboren. Ihre Erzählungen über diese Zeit haben unsere Entscheidung gestärkt, einer Flüchtlingsgruppe eine vorübergehende «Heimat» zu geben. Wir haben eine möblierte Einliegerwohnung und somit eine ideale Struktur.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Behörden? Aus meiner Sicht existiert keine Zusammenarbeit. Man muss als Gastfamilie im Kanton Luzern alles selbstständig organisieren und während Monaten finanzieren. Ich erhielt am 18. März 2022 einen Telefonanruf von der Kantonspolizei Luzern, Polizeiposten Bahnhof Luzern. Es befinde sich eine ukrainische Flüchtlingsfamilie auf dem Posten und ich solle diese abholen. Ab dann mussten wir alles selber recherchieren und Termine vereinbaren. Dies beinhaltete die Registrierung für den S-Status, den SEM-Termin im Bundesasylzentrum Chiasso, den Fototermin für den S-Ausweis beim Amt für Migration, die Anmeldungen bei der Gemeinde und beim Sozialdienst des Kantons Luzern usw. Ganz witzig ist, in welchen Sprachen die verschiedenen Dienststellen mit den Flüchtlingen kommunizieren. Zum Beispiel erhielten sie vom Bundesasylzentrum Chiasso die Terminbestätigung in Ukrainisch, den S-Status-Entscheid jedoch in italienischer Sprache. Vom Kanton Luzern erhielten wir das erste Zeichen erst am 5. Mai 2022. Der Kanton sandte uns die «Informationsbroschüre für Gastgebende und Personen mit Status S». Darin ist festgehalten, was alles in Bezug auf die Behördenkontakte gemacht werden muss. Erleichtert stellten wir fest, dass wir alle Amtsstellen bereits kontaktiert und auch an alles andere gedacht hatten.

Viel einfacher und schneller ging es mit der Schulbehörde. Die Familie kam am Freitag bei uns an. Am Montag konnte ich die zwei Knaben auf dem Schulrektorat anmelden. Am Donnerstag fand ein Gespräch mit der Familie statt und am darauffolgenden Montag begann die Schulzeit im Kindergarten bzw. der 1. Sekundarstufe.

Weisst du schon, wie es für die Familie weitergeht? Nein, leider nicht. Alles ist unklar – sowohl wie es in der Ukraine als auch wie es mit dem Schweizer S-Status weitergeht.

Wir danken dir für dieses Gespräch, Ivo Gasser.

Doris Durrer, Fachspezialistin Unternehmenskommunikation 041 417 05 73, d.durrer@rvk.ch Spende an HelloWelcome

In diesem Zug unterstützt der RVK die Organisation HelloWelcome in Luzern mit einem Betrag von 1500 Franken. HelloWelcome ist ein Begegnungsort für Geflüchtete, Migrantinnen und Migranten sowie Einheimische an der Bundesstrasse 13 in Luzern. Der Verein wurde 2015 als Reaktion auf die Flüchtlingsströme ins Leben gerufen. Seither können die Menschen sich dort jeweils von Montag bis Donnerstag zwischen 14 und 18 Uhr treffen. Die einen kommen zum Lesen, andere benötigen Hilfe beim Ausfüllen eines Dokumentes und wieder andere trinken Kaffee zusammen.

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