Der Schneehase Nummer 38

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2400 Metern. Nun starten die beiden Seilkameraden ihre Ausmärsche. Nachstehend verzichte ich auf eine Liste der Begehungen ausser dem Angriff auf den Elbrus und Uschba. Unser SASler Expeditions-Fan Hans Grimm weilt leider nicht mehr unter uns, und die SASler Bergkameraden rund um den bis über 8000 Meter erfahrenen Christoph Jezler, die den Elbrus mit Ski erreicht haben, kennen sich vielleicht aus. Für weitere Leser sind Namen unbekannter Gipfel eher eine Last. Hug sah dort auch etwa Ähnlichkeiten mit uns geläufigen Bergen und diese sind imposant: Aiguille Verte, MonteRosa-Überschreitung, Schreckhorn. Tatjana war nicht am Seil. Sie blieb im Lager, kochte auch, studierte ihr chirurgisches Lehrbuch und las Romane. Doch die Kelle schwang in erster Linie Abulof. Er wartete mit Spanferkel, Omeletten und sogar mit einer Bachforelle auf, die er nachts mit Fackel und Dreizack aus einem Bach gefischt hatte: Lagerleben im Kokon des Zelts und Schlafsacks, der Tatjana, des Kochs und des üppigen Reisegelds – Oskar zehrte von den 5000 Franken, die er von einer Tante aus Spanien geerbt hatte, und Casimirs Cash war nicht geringer. Weitere nun anspruchsvollere Begehungen und Überschreitungen erfolgten von Hochlagern aus ohne Zelt und Schlafsack. Unsere Explorer wechselten nun mehrmals das Basislager. Die Begleitmannschaft wurde entlassen. Dafür kam aber ein Pferd dazu, das der Friedensrichter beschafft hatte. Tatjana liess sich von diesem Gaul herumtragen. In einem Dorf kam es zu einem Festchen mit fröhlichen Ossetiern. Es war dort ein schottischer Dudelsackpfeifer eingetroffen, und die Jungfern brachten unseren Älplern ossetische Tänze bei. Casimir begann, wippend und mit empathischer, leicht brünftiger Stimme, das «Rince des vaches» vorzutragen, das die kräftigen ossetischen Bäuerinnen und Bergler wie andere in ihrer dunklen, in Mythen verlorenenen Romantik bald begeistert mitsummten. Der Abend endete mit einer leicht beduselten Standrede Hugs, deren Inhalt eher mit der Gestikulierkunst der Kommunikation unter Taubstummen als von der Sprache her verstanden wurde. Ob auch Abschiedsworte dabei waren, wissen wir nicht. Denn Tatjana verliess am nächsten Morgen unsere Freunde und eilte ihren Eltern, die in einem nahen Kurort gastierten, entgegen.

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Berg- und SAS-Pionier Oskar Hug

Tatjana (Tina) Nikitine, russische Kommilitonin von Oskar Hug an der med. Fakultät in Lausanne und Reisebegleiterin in den Kaukasus.

Erstbegehungen Oskar und Casimir wandten sich wieder ihren Bergen zu. Wie Carl Egger in «Die Eroberung des Kaukasus», 1932, schrieb, begann dort die bergsteigerische Erforschung bereits 1868 u.a. durch Douglas W. Freshfield, dem späteren Präsidenten der Royal Geographical Society. Diese Glanzzeit endete ausgangs der 80er-Jahre, doch für Hug und de Rham warteten immer noch unerschlossene Routen. Egger nennt folgende Erstbegehungen: Dolra Tau, 3849 m, Nakra Tau, 4277 m, Maseri-Tau Ostgipfel, um 3900 m, Schcheldü NW-Gipfel, 4229 m, Tscharinda-Murkwebi, um 3300 m. Weiter kam es zur lange geplanten und erstmaligen Überschreitung des Elbrus, Ostgipfel mit 5533 m, und gleichentags Westgipfel mit 5623 m Höhe. Ihnen blieb vor allem die ausgedehnte Fernsicht in Erinnerung, die sogar bis zum 500 km entfernten Ararat in Armenien und dem Kleingebirge Georgiens gereicht haben soll. Das nächste Hauptziel war der Uschba, das «Matterhorn des Kaukasus», der von ungemütlichen Biwaks aus angegangen wurde.


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