Servus in Stadt & Land 02/2017

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Tierisch meckern

Kärntens stillste Ecke

Woher Schimpfwörter kommen Wirtin Siegruns schöne Heimat

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GUT .

LEBEN

2 FEBRUAR 02/2017

EUR 4,60

NEUES LEBEN FÜR ALTE SCHÄTZE 10 Bastel-Ideen, die Sie überraschen werden

DAS 5-PFLANZENPRINZIP Wie wir den perfekten Garten für uns planen

Mit Laib und Seele Alles über unser tägliches Brot: Rezepte zum Selberbacken


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februar 2 17 natur & garten 16 Immergrüner Efeu

Unverdrossen rankt sich der Efeu durchs ganze Jahr. Im Februar leisten seine Blätter gute Dienste als Orakel.

28 Alpine Medizinmänner

Vor nicht allzu langer Zeit prakti­ zierten „Bauerndoktoren“ im ganzen Land – ohne Studium, aber mit viel Wissen um die Heilkräfte der Natur.

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küche 46 Zartbittere Vitamine

80 Schatz am Säumerpfad

52 Menü für zwei

88 Eine kleine Stapelei

Radicchio, Endivie und Chicorée sind die drei Winterkönige unter den Salaten. Sie kommen auch jetzt knackfrisch auf den Tisch.

Verführerische Rezepte zum Valentinstag.

36 Planung ist die halbe Ernte Wenn der Winter langsam weicht, geht es wieder los. Wer jetzt seinen Wunschgarten plant, hat im Frühling mehr Muße fürs Säen und Pflanzen.

134 Tierisch schimpfen

Vom Angsthasen bis zur blöden Schnepfe: warum so viele Tiere un­ seren Schimpfwortschatz bevölkern.

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wohnen Auf einer Lichtung im Vorarlberger Gargellen trotzt der Zuggawald-Hof der Zeit. Die Familie Salzgeber hat ihn vor dem Verfall bewahrt.

Ein Reh im Pyjama, ein Löwe mit Wollpulli oder eine trommelnde Eule: was man aus Holzspulen mit ein wenig Fantasie basteln kann.

90 Ideen aus dem Küchenkastl Dossier: Unser tägliches Brot

Herrlich duftend, ofenfrisch gebacken: alles über unser wichtigstes Grundnahrungs­ mittel und die besten Rezepte für daheim. Ab Seite 60

Trichter werden zu schicken Lampen­ schirmen und Kaffeekannen zu Schnurabrollern: Wir hauchen altem Küchengerät neues Leben ein.

96 Schlaue Deko-Tipps

Von tierischen Kleiderhaken bis zu hübschen Stifthaltern.

FOTOS COVER: EISENHUT & MAYER, MARCO ROSSI, JUNIORS BILDARCHIV

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FOTOS INHALT: CHRISTINE BAUER, KATHARINA GOSSOW, EISENHUT & MAYER, ANGELIKA JAKOB, MARCO ROSSI, PETRA KAMENAR, MAURITIUS IMAGES; ILLUSTRATION: JULIA SCHINZEL

land & leute 18 Gesichter des Faschings

Warum wir uns fürs närrische Trei­ ben gerne Masken aufsetzen. Und: die schönsten Bräuche in Österreich.

116 Schillernde Pracht aus Ton Silvie Pasch aus Mattighofen in Oberösterreich stellt Keramikkunst in höchster Vollendung her.

100 Goldenes Händchen

120 Die große Rauferei

106 Zur Buße in den Bottich

130 Glanz & Patina

110 Der mit dem Glas tanzt

142 Kärntens stillste Ecke

Waltraud Luegger lernte das Hand­ werk der Vergolderin, weil ihr als Kind die verfallenden Engel in ihrer Kirche so leidtaten.

In Salzburg gehen im Fasching die Wogen hoch. Mit einem Sprung ins kalte Wasser waschen sich die Metz­ gergesellen von ihren Sünden rein.

Glasblasen ist wie tanzen, meint der Kitzbüheler Joseph S. Salvenmoser: Die Konzentration ist entscheidend.

Es ist einer der derbsten Fasnachts­ bräuche im Alpenraum: Im Tiroler Axams treten die buckeligen Wam­ peler gegen die listigen Reiter an.

Zu Besuch bei Rudolf Effenberger in seiner Werkstatt im niederösterreichischen Waldviertel. Er ist einer der letzten Metalldrücker Österreichs.

Am Fuße der Hochrindl im maleri­ schen Sirnitzbachtal erliegt man im Nu dem Zauber dörflichen Lebens.

4 Vorwort 8 Postkastl 10 Mundart: Hausschuhe 12 Servus im Februar 26 Der Garten-Philosoph 32 Unser Garten 34 Mondkalender 42 Natur-Apotheke:

Der Ackerschachtelhalm 44 Was unserem Körper jetzt guttut 58 Wirtshausklassiker: Erdäpfelgulasch 72 Gutes von daheim 76 Aus Omas Kochbuch: Brennte Knödel 78 Schönes für daheim 98 Kannst dich noch erinnern? 126 Michael Köhlmeier: Ein Wintermitternachtsmärchen 140 Hund & Katz 156 Zwischen Stadt & Land 158 ServusTV: Sehenswertes im Februar 160 Leben in alten Zeiten 162 Worauf wir uns freuen; Impressum

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DOSSIER Brot

Brot ist Leben

In einem Wiener Durchhaus liegt still und versteckt die Bäckerei Kornradl. Hier bäckt Dieter Smolle mit frisch gemahlenem Vollkornmehl und seiner Hände Kraft gschmackige Laibe und Wecken. REPORTAGE: KATHARINA KUNZ

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DOSSIER-REDAKTION: ELISABETH RUCKSER


Nach dem Kneten, Ruhenlassen und Wirken muss der Teigling für das Roggensauerteigbrot gehen. Damit er in Form bleibt, kommt er ins Simperl und wird mit einem Leinentuch zugedeckt.

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FOTOS: TILL

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„Ich will ein gesundes Brot. Eines, das schmeckt und guttut.“ Dieter Smolle

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ie Stadt schläft noch tief und fest, wenn Dieter Smolle gegen 2 Uhr in seiner Backstube im Durchhaus zwischen Lerchenfelder Straße und Neustiftgasse das Licht aufdreht. Er heizt den Backofen vor, holt die Waage und eine Holzschüssel mit Mehl aus dem Regal. Unter dem mächtigen Tisch lagern Säcke mit rund 800 Kilo Waldviertler Demeter-Getreide. Das ist dem Biobäcker wichtig: „Ich lege Wert darauf, dass die Herkunft regional und alles offensichtlich ist.“ Bald rieselt das feine Dinkelmehl aus der ratternden Osttiroler Mühle. „Ich verwende nur volles Korn, samt Keimling und Enzymen, da ist alles enthalten, was lebt. Brot muss gschmackig sein und nahrhaft. Mein Brot ist Leben.“ Handwarm kommt das frische Mehl mit Vorteig und Wasser in die Knetmaschine für das erste Brot des Tages, das herzhafte Dinkelbrot, gewürzt mit wildem Thymian. Der gebürtige Kärntner hat erst spät seine Leidenschaft für gutes Brot zum Beruf gemacht, bei der Meisterprüfung war er bereits 32 Jahre alt. „Damals war ich der Spinner, der Wahnsinnige, alle haben gefragt, wie ich auf so was komme.“ Lächelnd wirkt Dieter Smolle den Brotteig, lässt ihn rasten und schlägt ihn erneut zusammen, bevor er gewogen wird und in die ausgebutterten Kastenformen kommt. Er erzählt, wie er vor 17 Jahren am Weihnachtsmarkt vor der Karlskirche Brot verkauft hat. Kurz darauf hat ihm ein Freund den kleinen Raum im Durchhaus

gezeigt, so ist er in Wien hängengeblieben. Die Bio-Vollkorn-Nische stand nie infrage: „Ich will ein gesundes Brot. Ohne Chemie, ohne Backhilfsmittel, ein richtiges Lebensmittel eben. Eines, das schmeckt und guttut, mir und den anderen.“ GEFÜHLVOLL BACKEN OHNE UHR

Für das Kleingebäck aus Dinkel-WeizenTeig schleift Dieter Smolle beidhändig Teigkugeln, faltet Semmeln, schlingt Brezen und stellt die verbeulten Bleche zum Rasten auf den Ofen. Mit einer Holzbürste kehrt er Kümmel vom Tisch. Ofentür auf, Semmeln raus, Mohnstriezerln rein, Ofentür zu. Kein Handgriff zu viel. „Uhr brauche ich keine. Ich weiß, wann es Zeit ist.“ Das Dinkelbrot ist in der Zwischenzeit aufgegangen und kommt bei 300 °C in den Ofen, damit es sich hebt, dann wird die Temperatur reduziert. Jetzt noch Sonnenblumen- und Kürbiskernbrot, mit dem Roggenbrot kommt er damit auf vier Brotsorten. Individuelle Würzung oder besonderes Getreide gibt es nur auf Vorbestellung. „Ein größeres Sortiment könnte ich nicht bewältigen. Und es ginge mir auch nicht besser, wenn der Betrieb größer wäre.“ Kurz vor sechs Uhr ist es Zeit, die Jalousien hochzuziehen und die Kassa startklar zu machen. Der Bäcker schiebt sein Fahrrad mit dem Anhänger voller Holzkisten aus der Backstube in den dunklen Hof hinaus. Als Zeichen für die Kunden, dass jetzt offen ➻

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DOSSIER Brot ist, und weil es, wenn sie kommen, im win­ zigen Raum keinen Platz mehr gibt. Auto hat er übrigens keines. „Es entspricht nicht meiner Philosophie, dass ich Semmeln nach Klosterneuburg bringe und ein Klosterneu­ burger bringt Semmeln nach Wien.“ SAUERTEIG IM SIMPERL

Dieter Smolle mahlt sein Getreide täglich frisch und so fein wie möglich, so kann sich der Teig besser entwickeln (ganz oben). Der Teig aus Roggenmehl ist besonders klebrig: „Wenn jetzt ein Kunde kommt, muss er ein paar Minuten warten, bis meine Hände sauber sind“ (Mitte links). 300 °C hat es im Ofen, wenn der Bäcker das Brot einschießt (Mitte rechts). Auch die Baguettes (unten) sind beim Kornradl aus Vollkornmehl.

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Das Roggenbrot ist als Letztes an der Reihe, weil der Teig klebrig und die Reinigung danach mühsam ist. Zehn Kilo frisch gemah­ lenes Mehl, fünf Kilo Vorteig und frisches Granderwasser kommen in die Knetmaschi­ ne. Später noch Salz, Kümmel, Fenchel, Ko­ riander. „Die Gewürze könnte ich mitmah­ len, aber ich mag es, wenn man draufbeißt.“ Sein Brot bäckt Dieter Smolle nur mit Sauerteig, der macht es haltbarer und be­ kömmlicher als Germ. Vor jedem Arbeitstag wird ein neuer Vorteig angerührt. Wenn der aufgebraucht ist, muss man wieder 20 Stunden warten. Schneller geht es nicht. Ab und zu wirft Dieter Smolle einen Blick in die Knetmaschine und gießt Wasser zum Teig. Der erste Kunde holt sich eine Topfengolatsche als Reiseproviant. Der Bäcker klopft das abgekühlte Dinkelbrot aus den Formen, wickelt vorbestellte Baguettes in Papier und schlichtet Weckerln auf der freien Tischhälfte auf. Jetzt wird der Roggenteig geknetet und in Ruhe gelassen, wieder durchgewirkt, ge­ wogen und in Gärkörbe gefüllt. Für einen Gärschrank ist kein Platz. „Ich nehm Tücher und deck die Simperl ab, wie anno dazu­ mal.“ Im Sommer sei es kritisch, sagt er. Wenn es warm ist, altert der Teig schneller und verliert seine Spannkraft. „Da merke ich, dass es Zeit ist, Urlaub zu machen.“ Im August ist die Bäckerei geschlossen. Im Hof geht es jetzt immer geschäftiger zu, das Durchhaus macht seinem Namen alle Ehre. Eine Stammkundin kauft Krapfen, ein Passant nimmt ein Käsestangerl mit. Einmal schaltet Dieter Smolle noch die Mühle ein, um das Mehl für den nächsten Vorteig zu mahlen. Kurz nach neun Uhr stürzt er das aufge­ gangene Roggenbrot vom Simperl auf das Backbrett, ritzt die Laibe ein und schießt sie mit einem Ruck in den Ofen. In 40 Minuten wird das fertige Brot duftend wieder herauskommen. Ganz so, wie Dieter Smolle es am liebsten mag: „Gut durchgebacken, biolo­ gisch, saftig und sättigend.“ 3

✽ Servus-Tipp: Bäckerei Kornradl, Lerchenfelder Straße 13, 1070 Wien, Tel.: +43/1/924 64 44, www.kornradl.at


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HANDWERK

Der mit dem Glas tanzt

Glasblasen sei wie Tanzen, meint Joseph S. Salvenmoser aus Kitzbühel. Nur wenn man konzentriert bei der Sache ist, schaut es am Ende gut aus. TEXT: SILVIA PFAFFENWIMMER FOTOS: MAREN KRINGS

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Spiel mit dem Feuer: Joseph S. Salvenmoser bei der Arbeit. Der Hut ist das Markenzeichen des Glasbläsers, die Brille schützt und hilft dabei, jeden Schritt genau im Blick zu behalten.

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s gibt kein Entrinnen. Stark und punktgenau sucht sich die Flamme ihr Ziel: einen dünnen Glasstab, der unter der Hitze länger und länger wird. Wäre da nicht die Beschallung durch Altrocker Mick Jagger, man könnte das leise Fauchen des Gases ­hören und wie es dem Feuer immer neue Nahrung gibt. Ein großer Tisch, ein Sessel, ein Sofa: Der dunkel gestrichene Raum ist spärlich möbliert. Ganz bewusst, denn hier arbeitet einer, der viel Freiraum braucht: Joseph S. Salvenmoser – Glasbläser, Drachenflieger, Freigeist. Nicht nur in Kitzbühel, auch weit darüber hinaus kennt man den Seppi. Das „i“ am Schluss ist ihm wichtig, ein Sepp will er nicht sein. Und so ist er quasi ein doppelter Joseph, steht doch das S. in der Mitte seines Namens für Seppi. Schon an diesem kleinen Detail zeigt sich, dass sich der 51-Jährige nicht an Konventionen hält und die Dinge macht, wie er sie für richtig hält. Und das ist gut so, denn was er macht, macht er richtig gut. Nach Abschluss der Glasfachschule im tirolerischen Kramsach heuerte er – nun ausgebildeter Glas­apparate­ bläser – bei einem deutschen Konzern an. „Mit 19 Jahren habe ich dort 4.000 Mark im Monat verdient, ein Wahnsinnsgeld“, erinnert sich Joseph S. Salvenmoser. Was ihn nicht daran hinderte, die Arbeit nach zwei Jahren an den Nagel zu hängen und nach Maui aufzubrechen. Auf der pazifischen Insel vertrieb er sich die Zeit mit Gelegenheitsjobs und Windsurfen, ehe ihn die Eltern drängten, wieder heimzukommen „und endlich was G’scheit’s zu machen“. AM ANFANG WAR DIE CHRISTBAUMKUGEL

Im Lager hinter dem Geschenkeladen seiner Mutter begann schließlich jenes zarte Handwerk zu erblühen, das den Glasbläser Joseph S. Salvenmoser später weit über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus bekannt machen sollte. Zunächst blies er dort Christbaumkugeln, bald aber schlanke und fantasievolle Schnapsgläser, weil er es nicht ertragen konnte, in welch „fürchterlichen Humpen“ guter Schnaps selbst in der Spitzengastronomie ausgeschenkt wurde. Seppis Mutter gefielen die Gläser, und sie holte sie nach vorn in ihr Geschäft; dort fanden sie bald reißenden Absatz. Das verwundert nicht, hatte man doch Ähnliches bislang kaum gesehen – langstielige und anmutige Gebilde, handwerklich perfekt, ➻

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BRAUCHTUM

Die grosse

Rauferei

Es ist ein Kampf Frühling gegen Winter und einer der derbsten Faschingsbräuche im Alpenraum. Am Unsinnigen Donnerstag treten im Tiroler Axams die buckligen Wampeler gegen die listigen Reiter an. TEXT & FOTOS: ANGELIKA JAKOB

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xams in Tirol hat 5.847 Einwohner, 1 Kirche, 5 Kapellen, 60 Vereine und einen der derbsten Fasnachtsbräuche im gesamten Alpenraum: Ein Pulk sehr wamperter Männer tänzelt in gebückter Haltung zweimal rund um das Dorf herum. Von Hauswand zu Hauswand, von Zaun zu Zaun arbeiten sie sich voran und lehnen sich blitzschnell dagegen, um ihre Rückseite zu schützen. Hinter ihnen sind nämlich kräftige Kerle her, die ganz wild darauf sind, die Unförmigen von hinten anzugreifen und auf den Buckel zu werfen. Was in aller Welt als heimtückisch gilt, ist am Unsinnigen Donnerstag in Axams die größte Gaudi. Aber wann sonst, wenn nicht an diesem Tag, dürfen eherne Regeln auf den Kopf gestellt werden? DER BRAUCH HÄLT DAS DORF LEBENDIG

Fast bewegungsunfähig – weil prall mit Heu ausgestopft – geben sich die Wampeler gegenseitig Deckung. Noch sind sie weiß wie die Engerl. Aber bald werden sie grau vom Schneematsch wie Kartoffelkäfer auf Bauch oder Rücken liegen. Die gemeinen Reiter lauern nämlich nur darauf, sie von hinten umzuwerfen.

Wampelerreiten heißt der Brauch. 20 bis 25 Burschen lassen sich Heu unter ein weißes Leinenhemd stopfen, bis sie grotesk ­aufgebläht aussehen und sich kaum noch bewegen können. Sie stellen den Winter dar, den nach ein paar Monaten Kälte und Dunkelheit eh alle satthaben. Dass er sich schleicht, dafür sorgen die sogenannten Reiter, junge Männer, die die Dicken niederzureiten, also zu bezwingen versuchen. Wann und warum sich die Axamer den derben Spaß ausgedacht haben, wissen nicht einmal die Volkskundler. Vor einer Ewigkeit müssen jedenfalls übermütige Vorfahren auf die Idee gekommen sein – mög­licherweise als Initiationsritus, bei dem Burschen durch die Teilnahme in die Riege der Männer aufgenommen wurden. Markus Bucher sind die Ursprünge des fröhlichen Unfugs wurscht. Die Rauferei rund um den Ort findet er schöner als Ostern und Weihnachten zusammen. „Das Wampelerreiten hält unser Dorf lebendig“, meint er erfreut. Der blonde Metallarbeiter lehnt an der Bretterwand einer offenen ­Tenne im Ort. Es duftet nach Heu, und der Schnee funkelt in der Sonne. „Ich war schon als Kind dabei. Ich weiß noch, wie das Heu, das unters Hemd gestopft wurde, in den Ohren gekitzelt hat und dass ich wie narrisch drauf gewartet habe, endlich bei den ­Großen mitmachen zu dürfen! ‚Papa, i ➻

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HANDWERK

Glanz & Patina

Zwischen schwerem Gerät entdeckt man in der Werkstatt von Rudolf Effenberger in Waidhofen an der Thaya funkelnde Kostbarkeiten aus Kupfer, Messing und Aluminium. Zu Besuch bei einem der letzten Metalldrücker Österreichs. TEXT: SILVIA PFAFFENWIMMER FOTOS: STEFAN PFEIFFER

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Kaffeekultur vom Feinsten: Schöner als in den vornehm geschwungenen Kannen und den hauchfeinen Tassen aus Rudolf Effenbergers Hand kann kräftiger Mokka nicht serviert werden.

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Rudolf Effenberger in seiner Werkstatt. Angestellte gibt es nicht, dafür ist der Betrieb zu klein. Und so ist er alles in einem: Handwerker, Verkäufer, Büroleiter und Buchhalter.

in kalter Tag im Waldviertel. Ein böiger Wind treibt die wenigen, die sich auf die Straße wagen, schnell zurück in ihre Häuser. Auch Kater Mohrli – so schwarz, wie sein Name vermuten lässt – bleibt heute lieber daheim und reibt seinen Rücken an den Hosenbeinen seines Herrls. Der lässt es gern zu und freut sich über die Gesellschaft, hat aber gerade keine Hand frei, um seinem vierbeinigen Werkstattkollegen das Fell zu kraulen. Denn Rudolf Effenberger drückt. An einen massiven Balken gelehnt, presst er einen wuchtigen Holzstock gegen eine runde Kupferscheibe, die sich wie ein Derwisch im Kreis dreht. Davonhüpfen kann sie nicht, ist sie doch fest in eine mächtige Drückbank eingespannt. So bleibt ihr gar nichts anderes übrig, als schließlich nachzugeben und die Form, die ihr der Metalldrücker zugedacht hat, anzunehmen. Das nur scheinbar harte Metall verformt sich wie Lehm auf einer Töpferscheibe, die anfängliche Scheibe wird mehr und mehr zu einem runden Gefäß. Was als plattes Stückchen Kupfer begann, soll einmal eine Mokkakanne werden. Ein schönes Stück für Tisch und Tafel, das man heute nur mehr in den Küchen von Ästheten und eingefleischten Kaffeetrinkern

findet. Vieles, was Rudolf Effenbergers kleine Werkstatt verlässt, umgibt dieser Zauber des Unvergänglichen. Während sich draußen die Welt immer schneller und schneller dreht, spürt man hier noch den alten Handwerksgeist, der in Dekaden und nicht in „Wenn’s kaputt ist, kommt’s weg“-Zeiträumen denkt. DAS ZEITALTER DER MESSINGKESSEL

Freilich hat auch Rudolf Effenberger gute und weniger gute Zeiten durchlebt. Wirtschaftlich besonders gut waren die Sechziger- und Siebzigerjahre, als noch sein Vater – wie zuvor dessen Vater – die Werkstatt führte. Damals nicht im Waldviertel, sondern in der Schottenfeldgasse im 7. Wiener Bezirk, einer Gegend mit vielen kleinen Werkstätten und Handwerksbetrieben. Auch später, als Effenberger junior die Werkstatt übernahm, gingen die Geschäfte gut. „Allein, was wir damals an Messing­ kesseln verkauft haben!“, erinnert sich der heute 51-Jährige. Weiters gehörten Rosetten, Lusterteile, Lampengehäuse und Inventar für Kirchen und Klöster lange Zeit zum täglich Brot der Effenbergers. Anfang der Achtzigerjahre überlegte Rudolf Effenbergers Vater, einen ➻

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WUNDER DER HEIMAT

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Noch liegt Nebel hoch über Sirnitz, aber die Sonne wird ihn bald vertrieben haben. Die tausend­ jährige Lärche in Hochwiditsch (links) hat schon viele strahlend blaue Bergwintertage erlebt. Sie ist ein Naturdenkmal – und selten in Europas größten Zirbenwäldern.

Wo der Winter nach Zirbe riecht Am Fuße der Hochrindl im malerischen Sirnitzbachtal findet sich eine stille, unbekannte Ecke Kärntens. Von sanftmütigen Kraftlackln, bauernschnapsenden Frauen und dem Zauber dörflichen Lebens. TEXT: CAROLIN GIERMINDL FOTOS: MARCO ROSSI

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Oben: Zimmerer Harald Huber sticht mit einem brennend heißen Eisendorn Löcher durch die handgeschnitzte Kugel aus Birkenwurzelholz. Dabei steigt ordentlich Rauch auf! Links: Ist das Blei im Eisenpfandl schon geschmolzen? Sobald es flüssig genug ist, können die frisch gelöcherten Kugeln ausgegossen werden. Am Ostermontag heißt es dann: Wer wird Weitwurfmeister? Unten: Die bunten Stoff­ herzen auf der Veranda ihres Bergbauernhofs hat Annegret Zarre selbst gemacht. Seit bald zwei Jahren ist sie nun Bürger­ meisterin von Sirnitz. „Ich will etwas erreichen für die Gemeinde“, sagt die gelernte Schneiderin.

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eim Moserwirt in Deutsch-Griffen gibt’s keinen Streit um den Text einer Hymne. Ganz selbstverständlich steht da, fein säuberlich gerahmt und auf Stoff gestickt, hinterm Eingang: „Du schönes Land, mein Kärntnerland. Gott schütze dich mit seiner Hand. Schütz deine Almen, Täler, Auen. Schütz uns’re Männer, uns’re Frauen.“ So einfach ist’s. Und das war noch längst nicht alles in Sachen Gleichberechtigung. Drinnen in der kleinen Wirtsstube bringt eine resolute Seniorchefin Getränke an drei große Tische, die ringsherum von lauter flotten, gut gelaunten Frauen besetzt sind. Bei so viel geballter weiblicher Präsenz geraten die anwesenden Männer leicht in den Hintergrund. „Ja, ja“, seufzt Gottfried Ortner, der mit ein paar Mitgliedern des örtlichen Vogelschutzvereins am Stammtisch hockt, „mehr Frauen als Männer im Wirtshaus. Des is bei uns normal.“ Der ehemalige Postler erzählt, dass sich die Damen­ runde hier jeden Donnerstag zum Bauernschnapsen trifft. „Halt! Moment!“, mischt sich augenblicklich der Forstbedienstete Werner Tamegger ein. „Sie treffen sich nicht nur zum Kartenspielen, sondern, ganz wichtig: zum Austausch von Erfahrungen!“, fügt er augenzwinkernd hinzu. Und dann lachen alle am Tisch, der für „Jäger, Fischer und andere Lügner“ reserviert ist, wie ein weiterer Gast aberwitzig in die Runde ruft. Nein, nein, bierernst geht es in dem Gasthaus gleich unterhalb der imposanten Kirche, einst Hauskapelle der heiligen Hemma, ganz sicher nicht zu. HERR SCHULDIREKTOR IST AUCH BAUER

„Kugelwerfer-Reindl“ und „Gurktaler Montagsknödel“ stehen auf der Karte. Wer nichts isst, drängt sich rund um die Schank, trinkt oder unterhält sich. Gemeindebedienstete, Pensionisten, Forstarbeiter … Ja sogar der Schuldirektor des kleinen Ortes schaut zu Mittag auf einen Sprung in der Gaststube vorbei. „Griaß de, Direktor“, grüßt der Stammtisch den freundlichen Mann, der nicht wie Kollegen anderswo dunkles Hemd und Krawatte, sondern Pullover und Skihose trägt. Weil er grad noch mit den Schülern oben aufm Berg war. Der Herr Direktor ist auch nicht wie so manch Berufskollege groß engagiert im Tennis- oder Golfklub, sondern er ­betreibt nebenberuflich eine Landwirtschaft. Darum trinkt er sein Bier bald aus und geht wieder. Der Hof wartet. So sind die Verhältnisse hier. Herzlich willkommen in diesem schönen abgelegenen Seitental des Gurktals! Steile Hänge reichen bis in das dünn besiedelte Tal. Ein kleines Bacherl teilt das Dorf, das links und rechts von Wäldern umgeben ist. Vier Gasthäuser gibt es, rund 1.000 Einwohner, und jeder kennt jeden hier. Auch wenn mancher hoch oben auf dem Berg daheim ist. So wie Harald Huber und seine Familie. Auf dem Bischofsberg, allein auf weiter Flur und in 900 Meter Höhe, steht das Anwesen. Tief vergraben unter frischem Schnee liegt heute die Weide, auf der die Pferde Sara und Lady ➻


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FRISCHER SCHNEE UND GLASKLARE LUFT. AM BISCHOFSBERG GENIESSEN AUCH DIE HAFLINGERSTUTEN SARA UND LADY DIESES IDYLL.

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