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Lubjana Piovesana

Sie wurde aus dem britischen Judo-Team gemobbt. Deshalb aufgeben Niemals. Heute kämpft sich die Judoka für Österreich zurück an die Spitze.

Es liest sich wie ein Teenie-Drama aus Hollywood: Eine junge Frau wird von Teamkolleginnen und Trainern im Sportverein derart gemobbt, dass sie nicht nur die Mannschaft, sondern sogar das Land verlässt – nur um stärker und erfolgreicher denn je wieder auf der Matte zu stehen. Für Lubjana Piovesana, kurz Lulu, ist das kein kitschiges Drehbuch, sondern ein Auszug aus ihrem Leben. Und die Matte auch nicht metaphorisch gemeint. Schon als Fünfjährige bekundete die aus Birmingham stammende Britin nämlich Interesse am Kampfsport Judo. „Mein Vater fng selbst früh damit an, genauso mein Bruder. Also sagte ich zu meinen Eltern: ‚Das will ich auch.‘“ Es brauchte zwar einiges an Überredungskunst und ein erfolgloses Ballett-Intermezzo, um auch die Mutter zu überzeugen, doch Lulus Judo-Karriere entwickelte sich zum Selbstläufer: Mit dreizehn wurde sie Teil des britischen Nachwuchsteams, mit siebzehn fing sie an, neben Schule und später Uni professionell zu trainieren. „Ich war immer kompetitiv und nahm früh an Wettkämpfen teil“, so die heute 27-Jährige, „aber ich hatte nie gedacht, Profi werden zu können.“

Der Gegner im eigenen Team

Je besser Lulus Ergebnisse waren, desto schlechter wurde allerdings die Stimmung. „Ich war im U21-Team, erkämpfte mir aber schon Medaillen gegen ältere Gegnerinnen“, erinnert sie sich. Vielversprechende Aussichten, eigentlich. Doch eines dieser älteren Mädchen schien damit ein massives Problem zu haben. „Angefangen hat es mit kleinen Kommentaren, häufig über mein Aussehen. Wenn ich zum Beispiel Kleider trug, machte sie mich vor anderen runter, nach dem Motto: "Was denkt die, wer sie ist?“ Während eines Konditionstrainings eskalierte die Situation schließlich. „Sie meinte, ich hätte beim Laufen betrogen, und attackierte mich, trat und schlug auf mich ein. Es war verrückt“, erzählt Lulu. Eine Sperre für den folgenden Wettkampf und ein Entschuldigungsbrief waren die Konsequenzen für die Angreiferin – mehr nicht.

In der Hoffnung, die Umstände würden sich für sie selbst und auch für andere Mobbingopfer verbessern, stimmte Lulu zu, eine offzielle Aussage zu dem Vorfall zu machen. „Ab dem Zeitpunkt wurde aber alles nur schlimmer“, so die Judoka. „Bei Wettkämpfen durfte ich nicht mehr bei der Mannschaft sitzen, ich wurde systematisch ausgeschlossen und nicht ordentlich gecoacht. Der Head of British Judo sagte sogar, ich hätte das Team 30.000 Pfund gekostet, weil wegen meiner Beschwerde Förderungen gekürzt worden seien. Was mir vermittelt wurde: Halt die Klappe und hör auf, Probleme zu machen.“

Von Birmingham zum Bodensee

Es waren belastende drei Jahre für Lulu, psychisch wie physisch. Sie verlor viel Gewicht, litt unter Haarausfall und zerbrach sich jeden Abend den Kopf darüber, was sie an dem Tag wieder falsch gemacht haben könnte. Zugleich konnte sie aber auch nicht einfach das Handtuch werfen:

„Ich wollte ihnen nicht die Genugtuung geben, mein Leben zu ruinieren. Ich habe hart dafür gearbeitet, dort zu sein, wo ich damals war und heute bin.“

Im Februar 2020 trat Lulu dann zum letzten Mal für Großbritannien an, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein. „Covid legte alles lahm, und ich beschloss, zu meinem Freund (Laurin Böhler, selbst erfolgreicher Judoka aus Vorarlberg; Anm.) nach Österreich zu ziehen und mein Politikstudium über Onlinekurse zu beenden. Ein Jahr später habe ich British Judo ofziell verlassen.“ Denn auf einmal war es, als hätte jemand den Reset-Knopf gedrückt: neues Land, neue Freunde und am Ende auch ein neues Team.

„Der erste Sommer in Vorarlberg war die so wichtige Auszeit, die ich nie gehabt hatte. Das Wetter war toll, und ich war mir anfangs gar nicht sicher, ob ich überhaupt je wieder bei einem Judo-Wettkampf würde antreten wollen“, so Lulu. Hin und wieder trainierte sie dennoch mit dem österreichischen Team, ohne offiziell Teil der Mannschaft zu sein. Bis sie 2023 die hiesige Staatsbürgerschaft erhielt. „Schon als der Pass-Prozess in Gang gesetzt war, haben sich die Trainer und Athleten toll um mich gekümmert und mich aktiv inkludiert“, erzählt sie sichtlich dankbar.

Mit neuem Pass zu alter Form Schritt für Schritt kämpfte sie sich zurück, fand die Freude am Sport wieder und zeigte spätestens mit ihrer Qualifkation für die Olympischen Spiele in Paris, welche Topleistungen sie mit dem passenden Mindset und Support abrufen kann. Im Kampf gegen die sechsfache französische Weltmeisterin Clarisse Agbegnenou schrammte sie nur knapp an der Bronzemedaille vorbei.

„Vor zwei Jahren konnte ich mir kaum vorstellen, weiter Judo zu machen – und jetzt das. Heute ist bei mir alles so gut, dass ich eigentlich fast froh bin, wie mein Leben gelaufen ist“, sagt Lulu. Und fügt grinsend an: „Rückblickend sage ich immer, sollte ich mal ein Buch über mein Leben schreiben, gibt’s darin immerhin auch einen spannenden Teil.“ Happy End inklusive.

Instagram: @lulufrancesca

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