The Red Bulletin November 2016 - AT

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transplantation. Daymon lacht: „Mann, das hĂ€tte ich wahrscheinlich nicht gemacht.“ Die Freiheit, eine Idee umzusetzen, egal wie schlau sie scheint, macht Buffalo Chip aus.

E IN PA A R ST UN DEN vor den Flat-

Track-Rennen beginnt es zu schĂŒtten. Die Winde South Dakotas sind ziemlich fix im Transport von Gewitterwolken. Die Racer suchen Schutz in ihren Zelten und beobachten, wie die Strecke unter ihnen weggespĂŒlt wird. „Das wird ein Massaker da draußen!“, brĂŒllt eine Ansagerin. „Wahre Schlachten – und alles nur zu eurer Unterhaltung!“ WĂ€hrend eines Heats nimmt ein Racer die Kurve ein wenig zu eng, knallt gegen den Fahrer vor ihm, gerĂ€t mĂ€chtig ins Schleudern und klatscht auf den schlammigen Boden. FĂŒr eine Millisekunde herrscht Panik, weil er so wie in dieser Wagenrennenszene in „Ben Hur“ ĂŒber­ fahren werden könnte. „SanitĂ€ter auf die Strecke!“, kommandiert der Ansager. Aber der Fahrer winkt sie zurĂŒck, klopft sich den Dreck tiefer in die Klamotten und setzt sich wieder aufs Motorrad. Der erste Turn des Tracks ist eng, die Fahrer lernen aber schnell, machen von der Bremse ihrer Geschosse ­Gebrauch. Und außerdem macht der ­Regen die Strecke viel griffiger. Bei einem anderen Rennen tritt Leticia Cline, eine von zwei weiblichen Fahrerin­ nen an diesem Tag, gegen ihren Mann ­Jason Paul Michaels an. Keiner hĂ€lt sich zurĂŒck. Cline geht schnell in FĂŒhrung, aber Michaels rĂŒckt heran und ĂŒberholt sie. Auf dem Podium zeigt sie ihm den Stinkefinger, aber vielleicht nur im Scherz. Cline ist mit drei weiteren Mitgliedern der „Iron Lilies“ hier, einer Gruppe ausschließlich weiblicher Harley-Fahrerinnen aus Orlando, Florida. Sie ist MotorsportJournalistin und fĂ€hrt seit ihrer Kindheit. In den letzten zwei Monaten sammelte sie fast 13.000 Kilometer mit ihrer Harley Sportster Iron 883. „Die Leute kommen aus zwei GrĂŒnden her“, sagt sie. „Um zu feiern und um in einer der schönsten Gegenden des Landes zu fahren.“ Was Feiern angeht, weiß Cline, wie jeder hier, wie man es richtig angeht. Bei einer großen Feier in dieser Nacht fĂŒr die Biker und Trittbrettfahrer amĂŒsiert sie sich beim Barhocker-Derby. Sie trinkt ihr Bier auf ex, wĂ€hrend Roland Sands ihren Stuhl immer schneller dreht. THE RED BULLETIN

Der 2 œ Quadratkilometer große Buffalo-Chip-Campingplatz hat eine eigene Postleitzahl, viele kommen wegen des besonderen Charmes Jahr fĂŒr Jahr. „Wir sind eine Familie“, sagt Veranstalter Rod Woodru≠.

„Vor zwei Jahren wurde ich aus dem Chip verbannt!“, sagt sie und grinst. Beim Wrestling mit einem Freund rollte sie einen HĂŒgel hinunter und beschĂ€digte eine Stromleitung. Du kommst hier mit so ziemlich allem davon – Sex in der Öffentlichkeit, Verbrennen von ScheißhĂ€usern –, aber StromausfĂ€lle gehen gar nicht. Cline und ihre Iron-Lilies-Kolleginnen sind die Antithese der ergrauten, stĂ€mmigen Biker, die hier das Bild prĂ€gen. Aber es sind gemĂŒtliche Kerle. Das Buffalo Chip vereint Menschen aus allen Bereichen der Gesellschaft – von vor­bestraften Ingenieu­ ren bis zu Zahntechnikern auf Jobsuche, leistungsbewussten Tankstellenbesitzern und GebrauchtwagenhĂ€ndlern, die die ganz große Karriere machten –, sie kommen alle hierher, um ihre Liebe zum Bier und zu den Maschinen auszuleben. Wenn du willst, kannst du hier in einer Kapelle vor Ort dein Bike heiraten – oder deinen menschlichen Partner. Oder du kannst deine Asche verstreuen lassen. Einzige Voraussetzung dafĂŒr: Du darfst nicht mehr am Leben sein. „Nur wegen ein paar schwarzer Schafe haben Biker einen schlechten Ruf“, sagt Daymon Woodruff. „Dabei sind sie die freundlichsten Leute, die du dir vorstellen kannst. Und sie passen aufeinander auf.“ FĂŒr Stunt-KĂŒnstler wie die Seattle Cossacks ist dieses Aufpassen existenz­

sichernd. Seit 1938 formen diese Artisten, zwischen 12 und 58 Jahre alt, Menschenpyramiden, verbiegen sich spektakulĂ€r und schießen auf Vintage-Harley-Davidsons aus den Dreißigern und Vierzigern durch brennende Hindernisse. Und das alles fĂŒr ein bisschen Applaus und Schulterklopfen. „Es braucht viel Übung und großes Selbstvertrauen“, sagt Andrew Nicholson, ein langjĂ€hriges Mitglied der Cossacks, mit zitterndem Schnauzbart und funkelnden Augen. Er kommt seit 1990 hierher und ist ein Verehrer des Geists, der am Buffalo Chip herrscht: „Weißt du, man dachte eine Zeitlang, es wird kommerzieller. Wurde es aber nicht. Es ist großartig, dass die Leute von ĂŒberall herkommen. Wir sind hier wie eine große Familie!“ Und weiter: „Das ist aber kein Picknick hier. Jede Nacht Gewitter, wir in Zelten. Aber weißt du, was? Wir wĂŒrden nichts daran Ă€ndern.“ WĂŒrde auch Woodruff senior nicht: „Das ist mehr als nur ein Business und mehr als nur ein Camp. Vom Spirit der Menschen geht etwas aus, das man nicht messen kann. Es ist eine Art Magie.“ Mehr ĂŒber die Welt der Motorradfahrer erfahren Sie in „The Greasy Hands Preachers“ auf Red Bull TV am 23. Oktober.

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