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m schön zu werden, gibt es zwei­ erlei Möglichkeiten: anstrengende und bequeme. Zu den anstrengen­ den gehört, dreimal wöchentlich zehn Kilometer zu joggen, Schokolade nur aus der Ferne anzusehen und acht Stunden zu schlafen. Zu den bequemen gehört Botox. Botox ist eine chemische Substanz, die sich sehr viele Menschen in sehr klei­ nen Mengen unter die Haut spritzen las­ sen, darunter Hollywoodstars wie ­Nicole ­Kidman. Botox (eigentlich: Botulinum­ toxin) ist ein Nervengift und lässt sämt­ liche Falten verschwinden, weil es die Fähigkeit der Muskeln unterbindet, sich anzuspannen. Wo keine Anspannung – da glatte Haut. So einfach ist das. Nun finde ich es ganz wunderbar, wenn wir uns durch fremde Hilfe schöner ­machen, im Fall von Botox rate ich aber zur Vorsicht: Wir besorgen uns nicht nur ein neues Gesicht, sondern auch gleich einen neuen Charakter, aber alles der Reihe nach. Eine der unterhaltsamsten Fähigkeiten von uns Menschen besteht darin, unseren Gesichtsausdruck zu verändern. Also freundlich zu lächeln, wenn uns etwas gefällt, und die Unterlippe vorzuschieben, wenn wir beleidigt dreinsehen wollen. Allein acht unserer insgesamt 26 Ge­ sichtsmuskeln sind dafür zuständig, uns arrogant, überlegen, armselig oder müde aussehen zu lassen. Die entsprechenden Muskeln tragen so vielsagende Namen wie Oberlippenheber, Mundwinkelherab­ zieher und Schmollmuskel. Wann immer sich die Natur mit einer Sache solche Mühe gibt, können wir davon ausgehen, dass sie für unser Leben sehr wichtig ist. So auch in diesem Fall. Denn wann ­immer wir mit anderen zusammenkom­ men – stets spielt unsere Mimik eine entscheidende Rolle. Sie erklärt, wie es uns geht, und sie macht deutlich, was wir wirklich meinen. Wenn wir jemanden fragen: „Hast du eine neue Frisur?“ und

Ankowitschs Kolumne belebt Körper und Geist

Schönheit macht blöd Je mehr Falten wir im Gesicht haben, desto besser können wir unser Gegenüber verstehen.

dabei skeptisch dreinschauen, weiß der andere, dass wir eigentlich sagen wollten: „Unter welchen Rasenmäher bist du denn gekommen?“ Aber damit nicht genug. Sobald wir ­lächeln oder grimmig vor uns hinstarren, geschieht noch viel mehr. Es wird nämlich jener Teil unseres Gehirns angeregt, in dem wir Gefühle verarbeiten, was wieder­ um dazu führt, dass wir sie deutlich stär­ ker empfinden. Wozu das gut sein soll? Nun, die Wissenschaftler nehmen an,

dass wir dadurch in die Lage versetzt werden, die Emotionen anderer Men­ schen besser zu verstehen, denn: Wir Menschen haben die Eigenart, die Mimik unserer Gegenüber nachzuahmen. Das heißt: Wenn wir in das traurige Gesicht eines Kindes sehen, das eben sein Eis hat in die Sandkiste fallen lassen, ahmen wir automatisch dessen Miene nach und ­können solcherart mit ihm mitfühlen. „Schade um das schöne Eis“, denken wir und kaufen ihm gleich eine neue Tüte und uns auch, weil wir ja auch traurig sind – und wie! Womit wir wieder bei der verhängnis­ vollen Wirkung von Botox gelandet ­wären. Wenn wir nämlich in Läden wie jenen am Berliner Kurfürstendamm ge­ hen, auf dem groß „Botox to go“ zu lesen ist, also Botox zum Mitnehmen, können wir uns dort zwar ein glattes Gesicht ab­ holen. Aber weil wir nachher gelähmte Muskeln haben, gerät die ganze Sache mit dem Empfinden und Verstehen von Gefühlen total durcheinander. So haben Wissenschaftler in München heraus­ gefunden, dass Menschen, die sich die Zornesfalten wegspritzen ließen, nicht nur weniger Gefühl zeigen, sondern auch empfinden konnten. Und es kommt noch schlimmer: Eine vor kurzem publizierte Studie zeigte, dass Menschen mit künst­ lich geglätteten Gesichtern auch Schwie­ rigkeiten hatten, die Emotionen anderer zu verstehen. Womit sich mit Fug und Recht be­ haupten lässt: Schönheit macht blöd. Und zwar, weil unser Körper so klug ist, sich nicht ungestraft ins Zeug pfuschen bzw. spritzen zu lassen. Christian Ankowitsch, 51, ist ein öster­reichischer Journalist, Schriftsteller und Lebenshelfer. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

Österreich, ISSN 1995-8838: Herausgeber und Verleger Red Bulletin GmbH Chefredaktion Robert Sperl, Stefan Wagner (Stv.) Creative Director Erik Turek Art Director Markus Kietreiber Fotodirektion Susie Forman, Fritz Schuster (Stv.) Chefin vom Dienst Marion Wildmann Leitende Redakteure Werner Jessner, Uschi Korda, Nadja Žele Redaktion Ulrich Corazza, Florian Obkircher, Christoph Rietner, Andreas Rottenschlager Grafik Miles English, Judit Fortelny, Esther Straganz, Dominik Uhl Fotoredaktion Markus Kucˇera, Valerie Rosenburg, Catherine Shaw Senior Illustrator Dietmar Kainrath Autor Christian Ankowitsch Mitarbeiter Andreas Tzortzis, Herbert Völker, Paul Wilson, Matt Youson Illustratoren Albert Exergian, Mandy Fischer, Lie-Ins and Tigers Augmented Reality Martin Herz, www.imagination.at Lektorat Hans Fleißner Lithografie Clemens Ragotzky (Ltg.), Christian Graf-Simpson Herstellung Michael Bergmeister Produktion Wolfgang Stecher (Ltg.), Walter Omar Sádaba Druck Prinovis Ltd. & Co. KG, D-90471 Nürnberg Geschäftsführung Karl Aben­theuer, Rudolf Theierl Internationale Projektleitung Bernd Fisa Sonderprojekte Boro Petric Finanzen Siegmar Hofstetter Verlags­leitung Joachim Zieger Marketing Barbara Kaiser (Ltg.), Regina Köstler, Johanna Schöberl Projektmanagement Jan Cremer Anzeigenverkauf Bull Verlags GmbH, Heinrich-Collin-Straße 1, A-1140 Wien; anzeigen@at.redbulletin.com Office Management Martina Bozecsky, Sabrina Pichl Firmensitz Red Bulletin GmbH, Am Brunnen 1, A-5330 Fuschl am See, FN 287869 m, ATU 63087028 Sitz der Redaktion Heinrich-Collin-Straße 1, A-1140 Wien Telefon +43 1 90221-28800 Fax +43 1 90221-28809 Kontakt redaktion@at.redbulletin.com Redaktionsbüro London 155-171 Tooley Street, SE1 2JP, UK Web www.redbulletin.com Erscheinungsweise Das Red Bulletin erscheint jeweils am ersten Dienstag des Monats als Eigenbeilage von und in Kooperation mit folgenden Partnerzeitungen – in Österreich: Kleine Zeitung, Kurier, Die Presse, Salzburger Nachrichten, Tiroler Tageszeitung, Vorarlberger Nachrichten; Burgenländische Volkszeitung, Niederösterreichische Nachrichten. In Deutschland: Münchner Merkur, tz. Das Red Bulletin liegt auch der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bei. In Großbritannien: The Sunday Telegraph. In Irland: Irish Independent. In Nordirland: Belfast Telegraph. In Polen: Gazeta Wyborcza. In Südafrika: Cape Argus, Cape Times, Daily News, Pretoria News, The Star. In Neuseeland: The New Zealand Herald. Gesamtauflage 3,6 Millionen Leserbriefe bitte an leserbriefe@at.redbulletin.com

Die nächste Ausgabe des Red Bulletin erscheint am 5. Oktober 2010.

illustration: albert exergian

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