The Red Bulletin Juni 2011 - AT

Page 70

D

ie wahrscheinlich produktivste disziplin zeitgenössischer Kunst wird nicht im museum ausgestellt, sondern auf hausmauern, autobahnbrücken, u-bahn- und schnellbahngarnituren. das ist so, seit in den 1970er Jahren die ersten Graffiti auf new yorker u-bahn-Waggons auftauchten. und hat sich nicht wesentlich geändert, seit Graffiti-Kunst auch in den schicken Galerien new yorks, londons oder Tokios gezeigt wird. bis vor einigen Wochen. da wurde die weltweit erste groß angelegte Graffiti- und street-art-ausstellung in einem museum eröffnet, eine umfassende Würdigung jener Künstler, deren leinwand die Großstadt ist. „art in the streets“, seit 17. april im museum of contemporary art (moca) in los angeles zu sehen, präsentiert Graffiti und den jüngeren ableger streetart mit einer Werkschau, die 2700 Quadratmeter und fünfzig Künstler umfasst. „das ist die größte ausstellung für Graffiti, street-art und underground urban culture, die es je gab – in einem museum oder außerhalb eines museums“, sagt roger Gastman, neben moca-direktor Jeffrey deitch und „beautiful losers“-regisseur aaron rose einer der drei Kuratoren der schau. der autor der unlängst erschienenen „history of american Graffiti“ hofft, „dass diese ausstellung den verstaubten museen und Galerien die augen öffnet“.

70

„art in the streets“ zeigt eine retrospektive von 1970 bis zur Gegenwart, die evolution von Waggonschmierereien bis zu den vielfarbigen, detailverliebten new yorker artworks der 1980er Jahre – jenes „goldenen zeitalters“, dem „Wild style“ und „style Wars“ filmische denkmäler setzen. und es präsentiert installationen zeitgenössischer stars der street-artszene wie von space invader und neck face. zur orientierung: zwischen Graffiti und street-art besteht ein bedeutsamer unterschied. die basis eines Graffiti ist stets ein namensschriftzug. das gilt für das eingeritzte Gekritzel am fenster der busstation ebenso wie für das 15-meter-meisterwerk an der feuermauer. street-art, jünger und trendiger, bildet stets ein konkretes motiv ab. hier findet derzeit auch die spannendere entwicklung statt – nicht zuletzt dank Künstlern wie shepard fairey oder banksy, dessen dokumentation „exit Through the Gift shop“ in diesem Jahr für einen oscar nominiert war. Weil Graffiti und street-art gleichermaßen illegal sind, steht der status eines Künstlers in direktem zusammenhang mit der verbreitung seiner Werke: Je deutlicher und regelmäßiger ein Künstler auf der straße präsent ist, umso höher rückt seine position in der szene. behörden und hauseigentümer sehen das unglücklicherweise etwas anders. die meisten Großstädte geben millionen dafür aus, Graffiti zu „buffen“ (weiß zu übermalen). Trauriger rekordhalter ist los angeles: hier wurde 2009 das größte Graffiti der Welt gebufft. der Künstler saber (ebenfalls in der moca-ausstellung gewürdigt) hatte es am ufer des los angeles river angebracht und damit Weltruhm erlangt: das 15 mal 50 meter große piece war sogar aus dem Weltall zu sehen. auch im fall von smear war die öffentliche anerkennung zwiespältig: der liebling teurer Kunstgalerien erhielt kürzlich unangemeldeten besuch von der polizei, hausdurchsuchung. ziel der aktion: man wollte ihm nachweisen, sich mit hilfe von vandalenakten finanziell zu bereichern. nicht einmal die beziehung zu den herstellern von sprühfarben ist friktionsfrei: das unternehmen rust-oleum distanziert sich in der Öffentlichkeit von seinen besten Kunden. die ausstellung im moca mag der szene neuen auftrieb geben. von einer legalisierung sind Graffiti und street-art aber noch weit entfernt. auch, wenn sie noch so vielen Weltklasse-Künstlern zum durchbruch, noch so vielen Galerien zu florierenden Geschäften und noch so vielen präsidenten zum Wahlsieg verhelfen – so wie faireys „hope“-Kampagne zugunsten von barack obama. „die breite masse wird Graffiti und street-art niemals akzeptieren“, ist Gastman überzeugt, „beides ist verboten, und das wird es auch bleiben. Gleichzeitig wird es illegale Graffiti immer geben, selbst wenn man den sprayern zehn legale Wände von je einer meile länge zur verfügung stellt. die bewegung wird wachsen und immer mehr städte auf der ganzen Welt erobern. manche dort werden sie lieben, und manche werden sie hässlich finden, auf jeden fall aber wird sie junge menschen begeistern – und neue, junge Künstler hervorbringen.“ so wie die folgenden drei, die jeweils eine andere disziplin der szene repräsentieren: smash 137, neck face und roa.

Geliebt, gehasst – und mittlerweile immer teurer gehandelt: Graffiti und Street-Art erleben in der Kunstszene wachsende Bedeutung. Werke von Shepard Fairey und Banksy erzielen inzwischen Preise im Bereich von hunderttausenden Dollars. Ihr Erfolg öffnete die Türen für Nachwuchskünstler wie ROA (rechts: eines seiner Pieces auf einer Hausfassade in Paris) und Neck Face (links).

bilder: peTer suTherland (1), courTisey of roa (1)

Action


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
The Red Bulletin Juni 2011 - AT by Red Bull Media House - Issuu