Zanni 11/12 2011

Page 21

2. Sinfoniekonzert „Titan“

Dirigent: Enrico Calesso Philharmonisches Orchester Würzburg

8. und 9. Dezember 2011 Hochschule für Musik Würzburg

Text: Judith Schumann

Sturz der Titanen Ein Mythos im Spiegel der Künste

Titan – das klingt heroisch, entschlossen, wagemutig und mächtig. In der Tat sind die Titanen in der griechischen Mythologie ein streit­ süchtiges altes Göttergeschlecht. Der antike Dichter Hesiod spricht von zwölf Titanen, darunter Mnemosyne, die Mutter der neun Mu­ sen, Hyperion, der Licht- und Sonnengott, und Kronos, der Gott der Zeit. Dessen Sohn Zeus war es, der die Olympier gegen die Titanen in den Krieg führte und diese von ihrem Götterthron hinabstürzte. Der Sturz der Titanen wurde ein beliebtes Sujet in der Kunst. Bilder etwa von Peter Paul Rubens und Cornelis van Haarlem zeugen von der intensiven Auseinandersetzung mit dem Fall des gewal­ tigen Göttergeschlechts. Auch in der Literatur gibt es Anknüpfungs­ punkte, nannte doch Jean Paul seinen vier Bände starken Roman „Titan“. Darin beschreibt er den Lebensweg von Albano de Casara. Der Autor selbst wies darauf hin, dass sein Werk besser „Anti-Titan“ heißen sollte, denn in diesem Buch findet „jeder Himmelsstürmer seine Hölle“.

ihm – sein Haupt über die Lebenswogen erhebt, immer wieder vom Schicksal einen Schlag auf den Kopf bekommt und von neuem un­ tersinkt.“ Mahlers „Titan“ ist seine Erste Sinfonie, die er wahr­ scheinlich nach Jean Pauls Roman so untertitelte. In dem Zitat zeigt sich indes, dass der literarische Bezug durch den Untertitel mit sei­ nen programma­tischen Tendenzen lediglich assoziativ gedacht ist; ohnehin fiel er später, nach einigen Veränderungen an der Kompo­ sition, weg. Doch zuvor war das Stück noch als „Titan – Sympho­ nische Dichtung“ bezeichnet. Dieser populäre Titel war natürlich in der Folgezeit nicht mehr wegzudenken und blieb der Ersten Sinfo­ nie Mahlers als Beiname erhalten. Jean Paul verknüpfte seinen „Titan“ mit der Mythologie, wie in dem ersten Band deutlich wird: „Aphrodite, Aglaja, Euphrosyne und Thalia sahen einst in das irdische Helldunkel hernieder und, müde des ewig heitern, aber kalten Olympos, sehnten sie sich herein un­ ter die Wolken unserer Erde, wo die Seele mehr liebt, weil sie mehr leidet, und wo sie trüber, aber wärmer ist. Sie hörten die heiligen Töne heraufsteigen, mit welchen Polyhymnia unsichtbar die tiefe bange Erde durchwandelt, um uns zu erquicken und zu erheben; und sie trauerten, daß ihr Thron so weit abstehe von den Seufzern der Hülflosen. Da beschlossen sie, den Erdenschleier zu nehmen und sich einzukleiden in unsere Gestalt.“ Ein sehnsuchtsvolles Seufzen und dabei so lockend und beschwö­ rend im Klang sind auch Richard Wagners „Fünf Lieder nach Ge­ dichten von Mathilde Wesendonck“ – und auch Jean Pauls Worte scheinen zu dieser Musik durchaus passend: „Wo die Seele mehr liebt, weil sie mehr leidet“. Zudem wird bereits in den Anfangszei­ len des ersten Liedes, „Der Engel“, ein ähnlicher gewünschter Weg vom Himmel auf die Erde beschrieben: In der Kindheit frühen Tagen Hört ich oft von Engeln sagen, Die des Himmels hehre Wonne Tauschen mit der Erdensonne.

Cornelis van Haarlem: Der Fall der Titanen

Tatsächlich ist die Darstellung des Scheiterns der gemeinsame Fokus der Künste, die sich mit dem Themenkomplex „Titan“ be­ schäftigen. Auch Gustav Mahler äußerte sich in einem Brief vom März 1896 mit folgenden Worten: „Als Ziel der Kunst erscheint mir zuletzt doch immer Befreiung und Erhebung vom Leid. Die bleibt nun auch in meiner Ersten [Sinfonie] nicht aus, aber freilich er­ langt sie erst im Tode meines ringenden Titanen den Sieg, der, so oft er früher – und das überwindende und überweltliche Motiv mit

Während die Engel, Göttinnen und Musen freiwillig auf die Erde herabsteigen, blicken die Menschen gen Himmel und sehen nachts in der unendlichen Weite des Universums zahlreiche leuchtende Sterne, die wiederum namensgebend für die neue Komposition „stelle“ von Reinhard Febel, als Auftragswerk für das Mainfranken Theater Würzburg, waren. Ob sie wie die Titanen abstürzen wer­ den, Sehnsuchtsmomente eröffnen oder in ihrer ewigen, fernen und herrlichen Konstellation in der endlosen Sphäre verharren, wird die Uraufführung beim 2. Sinfoniekonzert zeigen.

21


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.