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MOBILITÄTSFLUSS

HIGHTECH SCHAFFT PLATZ

Spazierfahrt statt Stresstest: Parkstory will mit smarten Lösungen das Abstellen von Autos und Fahrrädern in Städten revolutionieren. Jetzt nimmt das platzsparende und umweltfreundliche Geschäftsmodell global Fahrt auf.

Es ist eine tägliche Belastungsprobe. Die ersehnte Lücke will einfach nicht auftauchen, lautes Hupen dokumentiert den Gemütszustand des Hintermanns und die Zeit wird knapp. Generationen hinter dem Lenkrad sind mit dem Phänomen vertraut, das so geschätzt wird wie ein leerer Tank im Schneesturm: die Suche nach einem Parkplatz in der Stadt. Aber: Die Lösung naht. Ein Start-up namens Parkstory will dafür sorgen, dass jeder schnell einen Stellplatz findet. Das zumindest verspricht deren Geschäftsmodell. „Nachhaltigkeit gewinnt beim Thema Mobilität zunehmend an Bedeutung. Deshalb haben wir Ideen für effizienteres Parken von Autos und Fahrrädern entwickelt. Solche Lösungen bieten Mehrwert“, sagt Jürgen Lukas, Geschäftsführer des 2021 gegründeten Unternehmens. Es bündelt die Kompetenzen von Software-Entwickler Actimage, Technologieanbieter Presscontrol, Bluemont Consulting sowie der Nussbaum Gruppe mit über 25 Jahren Erfahrung bei Parksystemen. Im Verbund ist eine Technologie entstanden, die als automatisiertes Hochregallager funktioniert. Dafür navigiert der Lenker in eine Übergabelounge, platziert den Wagen auf einer Palette, schließt ab und geht. Ein Shuttle oder Regalbediengerät befördert das Fahrzeug automatisch zum Platz in einer Hoch- oder Tiefgarage. E-Modelle können vor Ort gleichzeitig auch Strom tanken. Radfahrer wiederum vertrauen ihren Drahtesel samt Helm oder Rucksack einer Spezialbox an. Wenig später wird das Rad ebenso automatisch wie sicher garagiert.

Modernste KI-Software-Plattform mit Reservierungsapp

Ein praktisches System, das wohl heiß begehrt ist. Wer nicht vor BesetztSchildern umkehren will, braucht ein Smartphone. Verkehrsteilnehmer mit zwei und vier Rädern können ihr Mietterritorium damit via App reservieren. Wer ungern wartet, kann damit sogar einen Abholtermin aus der Ferne vereinbaren. Kunden ohne Smartphone erhalten eine Keycard als Ticket für die Autounterkunft, wo auch Beschädigung, Wetter oder Vandalismus keine Chance haben sollen. Denn: Jeder hat nur Zugang zu seinem eigenen Fahrzeug. Und das ist erst ein Bruchteil der Vorzüge des neuen Parkstory-Systems. Eine große Portion Hightech sorgt für zusätzliche Annehmlichkeiten. So erkennt etwa künstliche Intelligenz die Ankunft von Kunden und speichert Verhaltensmuster. Damit gelangen User rascher zurück in das Verkehrsgewühl. Solche Vorzüge passen in eine Epoche, in der Verbraucher in jeder Lebenslage ebenso ausgefeilte wie wirksame Online-Services erwarten. Das von Parkstory angepeilte wirtschaftliche Wachstum auf einen Umsatz von vier Millionen Euro 2023 sollte daher realistisch sein. Denn jetzt nimmt der Absatz der Gruppe mit zusätzlichen Standorten im baden-württembergischen Kehl und im amerikanischen Gastonia global Fahrt auf. Die Referenzliste zieren bereits Projekte wie Radhäuser in Deutschland oder der Basler Volvo Tower. Für Online-Gebrauchtwarenhändler Carvana wurden in den USA 38 mehrstöckige Türme entwickelt, produziert und installiert. Die Bauwerke ermöglichen sogar die automatische Auslieferung von Pkw. Systeme für Mehrfamilienhäuser in München und Stockholm werden nächstes Jahr fertiggestellt. In Helsinki soll das umfassende Know-how von Parkstory ab 2024 mobile Mitarbeiter einer Firmenzentrale entlasten.

Effizienz schont Umwelt

Ökologische Argumente dürften den Aufwind unterstützen. Das Parkstory-System verspricht nicht nur bis zu 50 Prozent weniger Platzbedarf als bei konventionellen Garagen, sondern erweist sich zudem als umwelttauglich. Wer bei der Parkplatzsuche nicht literweise Treibstoff verschwendet, reduziert den CO2-Ausstoß. Zudem lassen sich Autoplätze rasch für Selfstorage oder Fahrräder adaptieren, sollten motorisierte Fahrzeuge in Städten nicht mehr erwünscht sein. Für Lukas ist das erst der Beginn einer expansiven Zukunft, Ideen und Ausbaupläne liegen griffbereit in der Schublade, wie etwa die Vernetzung von Parkstory-Häusern mit Smart Cities. Vom Erfolg ist Lukas überzeugt: „Es ist kaum mehr vermittelbar, wenn parkende Autos unnötig viel Raum beanspruchen. Gleichzeitig wird Nachhaltigkeit immer wichtiger. Wir forcieren die Digitalisierung zugunsten deutlich verbesserter Benutzererlebnisse. So entsteht eine optimierte und nahtlose Customer Journey.“ ••

NACHHALTIGKEIT GEWINNT BEIM THEMA MOBILITÄT ZUNEHMEND AN BEDEUTUNG. DESHALB HABEN WIR IDEEN FÜR EFFIZIENTERES PARKEN VON AUTOS UND FAHRRÄDERN ENTWICKELT.

JÜRGEN LUKAS, GESCHÄFTSFÜHRER PARKSTORY

Die ParkstoryIdee: Auto auf eine Plattform stellen, abschließen, fertig. Den Rest erledigen Roboter.

© Parkstory

DIE STÄDTE DER ZUKUNFT SIND GRÜN

Der Klimawandel trifft Städte besonders hart, sommerliche Hitzewellen werden in Asphaltwüsten zur Herausforderung. Jetzt sollen Pflanzen für Kühlung sorgen und Mitarbeiter in urbanen Unternehmen leistungsfähig halten. Die Potenziale für neues Grün auf und an Gebäuden sind enorm.

Text: Markus Mittermüller • Foto: iStock / Getty Images / Getty Images

Wenn es ums Thema Hitze geht, jagt auch in Österreich ein Rekord den anderen. Und das nicht unbedingt mit positiven Auswirkungen. So gilt der heurige Sommer als viertwärmster der immerhin schon 255-jährigen Messgeschichte der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). Damit steigt auch die Zahl der Hitzetage, an denen das Thermometer 30 Grad und mehr anzeigt. Das war in den meisten Landeshauptstädten heuer rund 40 Prozent öfter der Fall als im Durchschnitt der letzten 30 Jahre. Hotspot im engeren Wortsinn war die Bundeshauptstadt: An der Messstation Wien Innere Stadt wurden im heurigen Sommer 39 Hitzetage gemessen. Doch es gibt einen Ausweg – und der ist grün: Pflanzen sind ein wesentlicher Schlüssel, um das Leben in Städten erträglicher zu machen. Denn sie spenden nicht nur Schatten, sondern kühlen durch die Wasserverdunstung über ihre Blätter auch die Luft ab. Bäume übertreffen zum Beispiel die Leistung von Klimaanlagen um ein Vielfaches. Je nach Baumgröße kann sie bis zu 30 Kilowatt betragen, während eine herkömmliche Raumklimaanlage gerade einmal drei Kilowatt schafft – so eine Berechnung der niederländischen Universität Wageningen.

Potenziale für Begrünungen

Dabei sind Bäume keineswegs die einzige Möglichkeit, der Natur wieder Raum in urbanen Zentren zu geben. So werden in Österreich zum Beispiel jedes Jahr rund 40.000 Quadratmeter Fassaden begrünt. Wie groß das Potenzial für mehr Flora in der Stadt ist, verdeutlicht Gerald Hofer vom Forschungs- und Innovationslabor GrünStattGrau: „Allein in Wien gibt es 120 Millionen Quadratmeter bepflanzbare Fassadenflächen.“ Gemeinsam mit seinen Kollegen berät er Unternehmen, Städte und Organisationen bei den rechtlichen, technischen und botanischen Möglichkeiten von Begrünungen. „Der positive Effekt auf das Klima, die Speicherung von Niederschlagswasser, die Luftreinigung oder auch die Erhöhung der Biodiversität sind nur ein paar der vielfältigen Gründe, die für Bepflanzungen in der Stadt sprechen“, sagt Hofer.

Grüner Schutz für Fassaden und Dächer

Eine zusätzliche Wirkung von Fassaden- und Dachbegrünungen ist wohl vielen nicht gleich im ersten Moment bewusst. „Sie schützen die Fassade und erhöhen die Nutzungsdauer der Dächer, weil diese durch die Bepflanzung beispielsweise vor Wetterextremen geschützt werden“, bestätigt Renate Fußthaler von der Fachabteilung Garten- und Landschaftsgestaltung beim Maschinenring Oberösterreich. Schon allein deshalb sieht sie vor allem die Dachbegrünung als wichtiges Zukunftsthema. Am häufigsten nachgefragt sind derzeit laut Fußthaler die extensiven Dachbegrünungen, die nur einen mindestens acht Zentimeter hohen Aufbau erfordern. Als Bepflanzung eignen sich dafür die unterschiedlichen Sedum-Arten – hierzulande etwa als Mauerpfeffer oder Fetthenne bekannt –, da diese robust, winterhart, resistent gegen die Umweltbedingungen am Dach und zudem auch noch als natürliches Dekor hübsch anzusehen sind. Der nötige Pflegeaufwand ist bei einer extensiven Begrünung relativ gering. Es genügt, wenn Pflegearbeiten wie Entfernen von Fremdbewuchs oder die Erhaltung der Funktionsfähigkeit von Abflüssen und Entwässerungseinrichtungen ein- bis zweimal pro Jahr durchgeführt werden. „Bei der intensiven Begrünung ist ein Aufbau von 30 Zentimetern bis zu einem Meter nötig, dann sind auch Bepflanzungen mit Sträuchern und Bäumen möglich“, erklärt Fußthaler.

Dachgarten als Erholungsort

Vor allem für Unternehmen bietet sich dadurch die Möglichkeit, die häufig ungenutzten Gebäudedächer ihren Mitarbeitern zugänglich zu machen. „Mitarbeiter können diese Dachgärten für Pausen oder Besprechungen nutzen“, sagt Landschaftsarchitektur-Expertin Stefanie Haindl von der Gartengestaltung hennerbichler naturdesign. Besonders viel Spielraum zur Begrünung eröffnen auch die Außenanlagen von Unternehmen. „Von Wasserflächen über Parkanlagen mit größeren Pflanzen bis zu reduzierter Bepflanzung ist dabei alles möglich“, so Haindl.

Positiv für Gesundheit

Neben dem Beitrag zum Klimaschutz haben Begrünungen im unternehmerischen Umfeld sogar Effekte, die den wirtschaftlichen Erfolg des Betriebs beeinflussen können. „Eine grüne Umgebung wirkt sich positiv auf die Psyche und die Gesundheit aus“, weiß Haindl aus entsprechenden Studien. Und Gerald Hofer von GrünStattGrau konkretisiert: „Die Mitarbeiter werden dadurch leistungsfähiger und sind sogar seltener im Krankenstand.“

EINE GRÜNE UMGEBUNG WIRKT SICH POSITIV AUF DIE PSYCHE UND DIE GESUNDHEIT AUS.

STEFANIE HAINDL, LANDSCHAFTSARCHITEKTIN HENNERBICHLER NATURDESIGN

IN WIEN GIBT ES 120 MILLIONEN QUADRATMETER BEPFLANZBARE FASSADENFLÄCHEN.

GERALD HOFER, GRÜNSTATTGRAU

© GrünStattGrau, hennerbichler naturdesign, PackShot – stock.adobe.com Zurück zur Natur: Grüne Fassaden kühlen Immobilien besser als leistungsstarke Klimaanlagen.

Eine besonders effektive Möglichkeit, Büroräume im Sommer abzukühlen, sind laut Fußthaler auch Fassadenbegrünungen. „Ein sehr einfaches System ist, die Pflanzen direkt in den Boden zu setzen und mit Seilen an der Fassade hochwachsen zu lassen. Das kühlt die Fassade, und die Pflege ist nicht aufwendig“, so die Expertin. Neben dieser sogenannten bodengebundenen Bepflanzung gibt es auch noch die fassadengebundene Bepflanzung. Dabei werden Pflanzentröge gleichmäßig über die gesamte Fassade verteilt. Der Vorteil davon ist, dass damit Grünfassaden auch in höheren Stockwerken realisiert werden können.

Pilotprojekt mit 17.000 Pflanzen

Ein Pilotprojekt von außergewöhnlicher Dimension zeigt bereits seit zwölf Jahren, wie fassadengebundene Begrünung in der Praxis funktioniert: Es handelt sich dabei um das Gebäude der Magistratsabteilung MA 48 in Wien. Ziel der Planung war, den Ziegelbau ohne Wärmedämmung aus den 1960er-Jahren im Zuge eines Sanierungsverfahrens innovativer und effizienter zu gestalten. Auf 850 Quadratmetern wachsen nun 17.000 Pflanzen, vor allem Stauden, Gräser und Kräuter. Die Universität für Bodenkultur (BOKU) überwacht die mikroklimatischen Auswirkungen, die durchaus beachtlich sind. Der winterliche Wärmeverlust des Gebäudes reduziert sich durch den gesamten Systemaufbau um bis zu 50 Prozent. Und die sommerliche Verdunstungsleistung aller Pflanzen entspricht einer Kühlleistung von rund 45 Klimakühlgeräten mit jeweils 3.000 Watt Kühlleistung und acht Stunden Betriebsdauer. Ein neuer Trend, der in diesem Bereich immer öfter Einzug hält, ist die Kombination von Gründächern mit Fotovoltaikanlagen. Das bringt zusätzlich zur Begrünung und zur Stromerzeugung einen weiteren interessanten Effekt. Denn der Ertrag von PV-Modulen sinkt mit steigender Temperatur. „Die durch die Pflanzen generierte Verdunstungskälte reduziert die Erwärmung der Module“, erklärt Hofer. Studien zeigen, dass in den Sommermonaten ein Mehrertrag von bis zu fünf Prozent auf begrünten Dächern möglich ist. Höchste Zeit also, dass Bäume und Sträucher die Städte zurückerobern. ••

BEGRÜNUNGEN SCHÜTZEN FASSADEN UND DÄCHER VOR WETTEREXTREMEN.

RENATE FUSSTHALER, MASCHINENRING

Infos

So wirken Begrünungen (Quelle: www.gruenstattgrau.at)

• Mikroklima: Pflanzen wirken wie natürliche Klimaanlagen. Durch

Begrünungen und ihre natürlichen klimatischen Effekte wird die gefühlte Temperatur um bis zu 13 °C gesenkt. • Energie: Flächige Begrünungen auf dem Dach und an der Fassade wirken wie eine Gebäudedämmung gegen Hitze und Kälte und reduzieren damit den Energieverbrauch. • Überflutungen: Kanalsysteme sind bei Starkregen von den Wassermassen überfordert und es kommt zu Überflutungen. Pflanzen können

Regenwasser sogar bis zu 100 Prozent zurückhalten oder zeitverzögert langsam abgeben, wodurch die Kanalisation entlastet wird. • Lebensqualität: Lebendiges Grün fördert die Gesundheit. Bauwerksbegrünungen verringern die Lärm und Schadstoffbelastung. • Kosten: Bauwerksbegrünungen wirken wie Schutzschilder gegen

Verwitterung und helfen, Sanierungs und Wartungskosten zu senken.

„BIS 2050 LEBEN 70 PROZENT DER MENSCHEN IM URBANEN UMFELD“

Gerd Pollhammer ist Leiter der Einheit Smart Infrastructure in der Siemens AG Österreich. Im Interview spricht er über Krisen als Entwicklungstreiber, kleinere ÖkoFußabdrücke durch mehr Digitalisierung und Herausforderungen durch die Ausbreitungen der Städte – und warum die Forschung in der Seestadt Aspern ein voller Erfolg ist.

Interview: Leo Szemeliker

Gerd Pollhammer: Dramatisch steigende Gas und Strompreise rücken erneuerbare Energien in den Fokus.

© Markus Schieder D igitalisierung ist ein Schlüssel für eine nachhaltige Zukunft. In der Siemens AG widmet sich der Unternehmensbereich Smart Infrastructure den notwendigen Technologien, um die Energieversorgung von Städten zu sichern und den ökologischen Fußabdruck der urbanen Zentren zu verringern. Gerd Pollhammer leitet diesen Unternehmensbereich. Im Interview erklärt er, wie der steigende Energiebedarf der rasant wachsenden Metropolen nachhaltig gedeckt werden könnte.

business: Die Energiepreise schießen in Höhen wie nie zuvor. Ohne zynisch sein zu wollen, aber brauchte die smarte Stadtentwicklung erst eine derartige Krise, damit sich etwas bewegt?

Gerd Pollhammer: Ja und nein. Wir stecken mitten in einer anderen Krise – der Klimakrise – und haben schon vor der Explosion der Energiepreise auf eine smarte, energieeffiziente Stadtentwicklung gesetzt. Die Aspern Smart City Research, kurz ASCR, forscht seit 2013, unser Forschungsprojekt Campus Microgrid wurde 2019 eröffnet. Aber natürlich gewinnen mit der spürbaren Preiserhöhung die erneuerbaren Energien noch mehr an Relevanz, genauso wie eine effiziente Nutzung und Verteilung von Energie.

business: Wenn die Menschen konsequentes Energiesparen nicht

alleine schaffen – wie helfen uns smarte Systeme bei den richtigen

Entscheidungen? Oder nehmen sie uns diese heute schon ab?

Pollhammer: Um den stetig steigenden Energiebedarf zu decken, müssen alle Technologien, die CO2 reduzieren, zum Einsatz gebracht werden. Smart Buildings etwa schaffen bis zu 30 Prozent Einsparungen – ohne dass Bewohnerinnen, Bewohner und Gebäudenutzende an Komfort einzubüßen müssen. Der ökologische Fußabdruck eines Gebäudes lässt sich durch Digitalisierung und Vernetzung um 80 Prozent gegenüber dem eines durchschnittlichen Gebäudebestands verringern. Ebenso sorgt eine reaktionsfähige und resiliente Energienetzinfrastruktur dafür, dass Nachfrage und Versorgung intelligent gesteuert werden.

business: Was haben Sie aus dem Referenzprojekt der „Seestadt“ in Wien-Aspern gelernt? Was würden Sie heute wieder so machen, was neu überdenken?

Pollhammer: Die ASCR ist ein europaweit einzigartiges Energieforschungsprojekt in Wien mit dem Ziel, marktnahe, skalierbare und wirtschaftliche Lösungen für die Energiezukunft im urbanen Raum zu entwickeln und das Energiesystem effizienter und klimafreundlicher zu machen. Über 100 Personen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Bereichen sind beteiligt und haben schon prototypische Systeme entwickelt, die angewandt werden. Das Projekt hat sich als voller Erfolg erwiesen – ich würde nichts ändern wollen.

business: Siemens hat mit dem Campus Microgrid in Wien-Floridsdorf am Unternehmenssitz ein Vorzeigeprojekt gestartet. Warum? Was sind die Highlights – im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen?

Pollhammer: Unser Campus Microgrid ist ein intelligentes System zur Optimierung des Strom- und Wärmebedarfs, bestehend aus Fotovoltaikanlagen, E-Ladeinfrastruktur, Stromspeicher und Microgrid-Controller. Durch die vermehrte Nutzung von Elektroautos kann es durch deren Ladung zu Lastspitzen im Stromnetz kommen. Das Campus Microgrid stellt elektrische Energie zuverlässig und sicher zur Verfügung und reduziert gleichzeitig die CO2-Footprints und Lastspitzen. Weil der Strom mit Fotovoltaik erzeugt wird, sinken nebenbei natürlich auch die Energiekosten.

business: Was sind aus Ihrer Sicht die Megatrends der kommenden zehn Jahre bei Strom und Wärme? Wohin entwickeln wir uns? Und wie wird hierbei der ländliche Raum im Vergleich zu Städten zu beurteilen sein?

Pollhammer: Die Bewältigung der Klimakrise bzw. deren unmittelbare Schritte, wie Dekarbonisierung ganzer Bereiche wie des Individualverkehrs und der Heizung und Kühlung von Gebäuden, führen zu einem massiv steigenden Bedarf an elektrischer Energie sowie einem gesamtheitlichen Ansatz durch Koppelung verschiedener Energiesysteme. Modernste Technologien wie Blockchain und Digitalisierungsanstrengungen ermöglichen neue Marktmodelle, etwa Bürger-Energiegemeinschaften, die auch im ländlichen Raum funktionieren. Allerdings rechnen wir damit, dass 2050 rund 70 Prozent der Menschen in Städten und im urbanen Umfeld leben werden. Wir können und müssen also hier ansetzen und mit intelligentem Energiemanagement den Carbon-Footprint ganzer Städte reduzieren. ••

DER ÖKOLOGISCHE FUSSABDRUCK EINES GEBÄUDES LÄSST SICH DURCH DIGITALISIERUNG UM 80 PROZENT VERRINGERN.

GERD POLLHAMMER, SIEMENS AG ÖSTERREICH

ZUR PERSON

Gerd Pollhammer leitet seit 2019 die Einheit Smart Infrastructure der Siemens AG Österreich mit Verantwortung für 25 weitere Länder (Lead Country Austria).

Bis vor drei Jahren war er für die Geschäftseinheit Energy Management in CEE zuständig und davor für das Businesssegment Energy Automation global verantwortlich. Der Niederösterreicher wurde gleich nach dem Studium an der TU Wien (Elektrotechnik) Siemensianer, gestartet hat er seine Karriere im Jahr 1983 in der Programm und Systementwicklung.

Ziel von Siemens Smart Infrastructure ist es laut eigener Definition, Nachhaltigkeit über die Digitalisierung zu erreichen. Das Portfolio erstreckt sich über die gesamte Wertschöpfungskette von Gebäuden und Elektrifizierung. Es umfasst Produkte, Systeme, Lösungen und Dienstleistungen für intelligente Gebäude und Elektrifizierung, für Energieund Ressourceneffizienz, für die Umstellung auf erneuerbare Energien, für eine dezentrale Stromerzeugung, generell für eine widerstandsfähige und zuverlässige Energieversorgung.

Es geht also um die Schlagworte: Smart Grids und Smart Buildings und um Grid Edge, das Verbinden der intelligenten Systeme.