"business" - das Finanzmagazin von Raiffeisen OÖ

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Das Finanzmagazin von Raiffeisen Oberösterreich Die vorbereitete Bank.

NR. 3 / 2018

www.raiffeisen-ooe.at/business

EINE GUTE IDEE SCHWERPUNKT INNOVATION 20

Digitalisierung extrem: ­ Patrick Kramer und die digitale Transformation des Menschen

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Mobilität von morgen: Wie sich die Automotive Industries verändern müssen

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Afrika: Die Chancen der österreichischen Exporteure auf dem Schwarzen Kontinent


Unternehmen Sicherheit.

Im Wirtschaftsleben lassen sich manche unliebsamen Ereignisse einfach nicht ausschließen. Daher ist ein Partner an Ihrer Seite besonders wichtig, der diese Gefahrenquellen kennt und mit einem durchdachten System abfedert. Die RVM Versicherungsmakler betrachten Ihre Risikosituation ganzheitlich und entwickeln zukunftsweisende Lösungen. So schützen Sie Ihr Unternehmen rechtzeitig vor dem Fall der (Zu-)Fälle.

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VORWORT

INNOVATIONSKRAFT:

RAIFFEISEN OÖ UNTERSTÜTZT MUT ZU NEUEN IDEEN

Dr. Heinrich Schaller, Vorstandsvorsitzender der Raiffeisenlandesbank OÖ.

W

irtschaftlicher Erfolg ist in Europa heute enger mit der ­Innovationskraft der Unternehmen verknüpft als je zuvor. In den meisten Branchen ist die Fähigkeit, neue Produkte, Dienstleistungen oder Geschäftsmodelle zu entwickeln und anzubieten, der Wettbewerbsfaktor Nummer eins. Nicht nur die ­Globalisierung, sondern auch der schnelle digitale Wandel, neue Techno­ logien, anspruchsvollere Kunden und die große Masse an verfügbarem Wissen treiben Innovationen in einem enormen Tempo voran. Österreich ist dafür ein guter Boden: Das Land hat hervorragend ausgebildete Menschen, knapp fünf Prozent sind in der Forschung oder Entwicklung von neuen Produkten, Lösungen und Systemen beschäftigt. Umso wichtiger ist, dass innovative Geschäftsideen rasch und erfolgreich umgesetzt werden und heimische Betriebe auf den Exportmärkten Erfolge verbuchen können. Die Bereitschaft der Unternehmen zu Innova­ tion und Risiko muss gefördert und durch moderne Finanzierungsmöglichkeiten unterstützt werden, das gilt für junge Start-ups genauso wie für Industrieunternehmen sowie Kleinund Mittelbetriebe. Die Möglichkeiten gehen dabei heute weit über die klassische Kreditfinanzierung hinaus. Raiffeisen OÖ stellt sich auf die Potenziale, Möglichkeiten und Visionen der Unternehmen ein und begleitet diese mit perfekt auf sie zugeschnittenen Produkten, Dienstleistungen und höchster Beratungskompetenz. Wir verbinden, was zusammen­ gehört: Unsere Kunden vertrauen auf unsere professionelle Exportfinanzierung, unser Know-how und u ­ nser weltweites Partnernetzwerk.

­ eispiel: Syn Trac, ein oberösterreichisches Unternehmen mit Sitz in Bad B Goisern, startet mit einem neuartigen Vielzweckfahrzeug, mit Einsatzmöglichkeiten in Kommunen, Land- und Forstwirtschaft oder beim Zivilund Katastrophenschutz, am Markt durch. Begleitet und finanziert wird das geplante Wachstum durch die Raiffeisen KMU Beteiligungs AG der Raiffeisenlandesbank OÖ und die Raiffeisenbank Salzkammergut eGen. Über weitere spannende Innovationen aus der Automobilbranche lesen Sie in dieser Ausgabe des Magazins business. Vorreiter bei digitalen Lösungen Auch die Finanzwelt setzt zunehmend auf digitale Innovationen. Diese ­beeinflussen nicht nur die Art und Weise, wie wir unsere Bankgeschäfte abwickeln, sondern bieten auch völlig neue Möglichkeiten. 94 Prozent der Kunden von Raiffeisen OÖ erledigen Transaktionen bereits elektronisch, nur mehr sechs Prozent werden am Bankschalter durchgeführt. Raiffeisen OÖ ist in der Entwicklung digi­ taler Lösungen Vorreiter und bietet – auch in Zusammenarbeit mit Fintechs – einfache und praktische ­Lösungen an. Besonders für Firmenkunden bedeuten Services wie das ELBA-business oder die Express Überweisung echten Mehrwert. Unser Ziel ist, das Wirtschaftsleben zu erleichtern, sowohl on- als auch offline. Nachhaltiger Erfolg gelingt im Rahmen einer langfristigen Partnerschaft. In dieser Ausgabe des Magazins business lesen Sie außerdem über spannende Innovationen in der Immobilienbranche, Automatisierung und Digitalisierung im Handel sowie über Innopolis, Russlands Silicon Valley. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit der Lektüre! Ihr

WIR VERBINDEN, WAS ZUSAMMENGEHÖRT.

© RLB OÖ/Erwin Wimmer

Stabiler, starker Partner Das den Kunden zur Verfügung gestellte Finanzierungsvolumen konnte die Raiffeisenlandesbank OÖ (Konzern) in den ersten sechs Monaten 2018 um 1,1 Milliarden Euro steigern. Eine harte Kernkapitalquote von 14,9 Prozent zum Halbjahr steht dabei nicht nur für besondere Stabilität. Es bedeutet auch, dass wir wichtige Impulse am Markt geben können, damit unsere Kunden ihre Chancen bestmöglich nutzen. Aktuelles

Dr. Heinrich Schaller, Vorstandsvorsitzender der Raiffeisenlandesbank OÖ Aktiengesellschaft.

Ihr schnellster Weg zum Erfolg: QR-Code scannen und die aktuelle business-Ausgabe mit vertiefenden Storys, Interviews und Videos online auf unserem Blog weiterlesen: https://info-channel.rlbooe.at/ Die vorbereitete Bank.

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INHALT/IMPRESSUM

3 VORWORT

Dr. Heinrich Schaller, Vorstandsvorsitzender

6 INNOVATION

Patentweltmeister oder Ideenschlusslicht? Österreichs Innovationsfreude im europäischen und weltweiten Vergleich

10 INDUSTRIE & HANDEL 4.0

Digitale Preisschilder und Maschinen, die sich selbst warten: Wie Industrie und Handel morgen funktionieren

14 DIE ZUKUNFT DES GELDES

Warum Kryptowährungen kein Geldersatz sind und das persönliche Beratungsgespräch digitale Banktechnologien auch in Zukunft ergänzt

16 DIGITALE WELTEN

Wie Österreichs Bundesregierung die Wirtschaft digitalisiert – und innovative Hubs Industrie und Start-ups vermählen

20 UPDATE: MENSCH

Während Siri und Alexa gerade erst Einzug in unser Leben halten, digitalisiert sich ein deutscher Wissenschaftler mit smarten Implantaten bereits selbst

24 MOBILITÄT VON MORGEN

Autonom, umweltfreundlich, leise – wie das Auto der Zukunft funktioniert und wann es wirklich auf die Straße kommt

28 GEBAUTE UTOPIEN

Das Haus wird neu erfunden – und bietet mit umweltfreundlichen Materialien und digitalen Services mehr Wohnkomfort als je zuvor

32 WIRTSCHAFTSDYNAMO

Viele denken bei Afrika an Hungersnot, Krieg und Flucht – dabei wächst die Wirtschaft dieses Kontinents in atemberaubendem Tempo

36 RUSSLANDS SILICON VALLEYS

Der russische Staat setzt wieder auf Innovation per Reißbrett und baut ganze Städte für Forscher und Erfinder auf die grüne Wiese

40 FÜR SIE GELESEN

Buchempfehlungen für den Businessalltag

Impressum/Offenlegung Medieninhaber und Herausgeber: Raiffeisenlandesbank Oberösterreich Aktien­gesellschaft, Europaplatz 1a, A-4020 Linz. ­Aktionäre der Raiffeisenlandesbank ­Ober­österreich ­Aktiengesellschaft sind zu rund 98,92 Prozent die RLB Verbund registrierte G ­ enossenschaft und zu rund 1,08 Prozent die RLB Holding registrierte ­Genossenschaft mit ­beschränkter Haftung OÖ. Nähere Details sind im Internet unter www.rlbooe.at/impressum a ­ brufbar. • Vorstand: Dr. Heinrich Schaller, Mag. Michaela Keplinger-Mitterlehner, Mag. Stefan Sand­berger, Mag. Reinhard Schwendtbauer, Mag. Markus Vockenhuber • Konzept und Produktion: PG The C ­ orporate ­Publishing Group GmbH (CPG), Zelinkagasse 6, 1010 Wien, Tel.: +43/1/405 46 40-762, s­ .wagner@cpg.at • Für den Inhalt ­verantwortlich/Chef­redaktion: Wolfgang Aschenwald und Alexandra Stefanov (Corporates), Mag. Carola Berer (Konzernmarketing) • Inhaltliche Rückfragen und Anregungen: Alexandra Stefanov, alexandra.stefanov@rlbooe.at, Tel: +43 732 6596 23113 • Bestellung oder Abbestellung des Magazins: business@rlbooe.at • Beratung: Mag. Stefan Schatz/CPG • Autoren dieser Ausgabe: Mag. Harald Fercher, Mag. Markus Mittermüller, Mag. Robert Prazak, Mag. Leo Szemeliker • ­Layout­konzept: CPG • A ­ rt­direction: G ­ erald Fröhlich/CPG • ­Lektorat: Mag. Charlotte Babits • Redaktions­manage­ment: Silvia Wagner/CPG • ­Geschäftsführung CPG: ­Markus Wagner, Tel.: +43/1/405 46 40-768, m.wagner@cpg.at • Druck: Paul Gerin GmbH & CoKG, 2120 Wolkersdorf • Coverbild: iStock Offenlegung nach § 25 Mediengesetz: Herausgeber, Medieninhaber und Verleger: R ­ aiffeisenlandesbank Oberösterreich Aktien­gesellschaft, ­Europaplatz 1a, A-4020 Linz. Grundlegende Richtung und Blattlinie: business ist das Finanzmagazin der Raiffeisenlandesbank OÖ und beleuchtet wichtige Finanz- und W ­ irtschaftsthemen. Das Magazin informiert über interessante ­Chancen und Entwicklungen, nützliche Services und zahlreiche Best-Practice-Beispiele. Es ist politisch unabhängig und b ­ ekennt sich zur sozialen Marktwirtschaft und zur Integration in Europa. Im Sinne leichterer Lesbarkeit werden geschlechts­spezifische B ­ ezeichnungen meist nur in ihrer männ­lichen Form angeführt. Satz- und Druckfehler ­vorbehalten.

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Š xxxx, Sunny studio – stock.adobe.com, Getty Images/iStockphoto, Schreinerkastler und cetus Baudevelopment

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INNOVATION

„INNOVATION IST, WENN DER MARKT HURRA SCHREIT“ Text: Harald Fercher

Erfindungen werden erst dann zu Innovationen, wenn sie sich am Markt durchsetzen. Österreich hat eine lange Tradition mit vermarktbaren Ideen und schickt sich ­gerade an, wieder an die Weltspitze vorzustoßen.

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in Kleber, der nicht klebt. Wer zum Teufel braucht so etwas? Nun sicher nicht jene Forscher, die eigentlich an einem wirkungsvolleren, stärkeren und noch kräftigeren Kleber gearbeitet haben. Allein: Der Kleber, der nicht klebt, sondern nur ein Zettelchen vorübergehend mit einem glatten Untergrund verbindet, wurde zu einem Bestseller. Er bescherte jener Firma, deren Mitarbeiter ihn erfunden haben, viele Umsatzmilliarden. Noch heute ist das Produkt eines der meistverkauften rund um den Globus. Aus der Not eine Tugend machen. Wir schreiben das Jahr 1948: In Österreich fehlt es an Energie bzw. Material zur Energieerzeugung. Auch Stahlschrott gibt es kaum. Billiges Eisenerz ist vorhanden, der steirische Erzberg hat genug davon. Trotzdem nicht die besten

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Voraussetzungen, um der österreichischen Stahlindustrie die Zukunft zu sichern. Klar ist hingegen, dass der Bedarf infolge des Wiederaufbaus mehr als rasant steigen wird. Das größte Problem: Das österreichische Schrottaufkommen reicht nicht aus, um mit den damals herkömmlichen Methoden wie dem Siemens-Martin-Verfahren oder dem Elektroverfahren auch nur annähernd den Bedarf zu decken. Neue Ideen müssen her, um den gerade erst den Fängen der deutschen Kriegsindustrie entrissenen Stahlwerken in Oberösterreich und der Steiermark das ökonomische Überleben zu sichern. Die Lösung: das Linz-Donawitz-Verfahren (oder kurz: LD-Verfahren). Eine Innovation, die auf vorangegangene Forschungen und Entwicklungen aufbaut, diese perfektioniert und am Ende die Stahlerzeugung revolutioniert. Anfang 1953 wird in Linz weltweit das erste LD-Stahlwerk offiziell eröffnet, im Mai desselben Jahres wird bereits das zweite LD-Werk in Donawitz in Betrieb genommen. In der Folgezeit wächst die österreichische Stahlindustrie „(...) schneller als die im übrigen Westeuropa. Da-


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Erfindergeist ist gefragt. Zur Innovation wird eine Erfindung erst, wenn sich die Idee am Markt durchsetzt.

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durch verdoppelte sich fast der österreichische Anteil an der westeuropäischen Stahlproduktion“, heißt es in einer Publikation der voestalpine zur Entwicklung des LD-Verfahrens. Noch heute wird das Verfahren in den meisten Stahlwerken der Welt eingesetzt.

IN ÖSTERREICH IST DIE KO­ OPERATION MIT HOCHSCHULEN STARK AUSGEPRÄGT.

Innovation ist, wenn der Markt Hurra schreit. Zwei Beispiele für Ideen, die die Welt, wenn schon nicht verändert, so zumindest beeinflusst haben. Zwei Beispiele, die zeigen, was eine Innovation ausmacht. Eine Innovation ist nicht lediglich eine Erfindung. Zur Innovation wird die Erfindung oder eine Idee erst dann, wenn sich diese Idee am Markt durchsetzt. Oder, wie es ein anonymer Zeitgenosse einmal formuliert hat: „Innovation ist, wenn der Markt Hurra schreit.“

„OPEN INNOVATION – STRATEGIE FÜR ÖSTERREICH“

Zurück nach Österreich, diesmal ins Jahr 1958. In diesem Jahr kehrt einer der Väter des LD-Verfahrens an die Stätte seiner Ausbildung zurück. Herbert Trenkler, zuvor Hüttendirektor der VÖEST – wie die heutige voest­alpine AG damals noch hieß – in Linz, wird Ordinarius für Eisenhüttenkunde an der Montanuni Leoben. Er setzt jene Tradition fort, für die die kleinste technische Uni Österreichs noch heute weit über die Gren-

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INNOVATION

Post-it: Vor fast 40 ­J ahren wurde einer der fünf gebräuchlichsten Büroartikel der Welt erfunden. Aus Versehen.

ES BESTEHT NOCH POTENZIAL BEI DER STEIGERUNG DES ­INNOVATIONSOUTPUTS. ÖSTERREICHISCHER FORSCHUNGS- UND TECHNOLOGIEBERICHT

zen Österreichs bekannt ist: das Zusammenspiel zwischen Wissenschaft und Forschung auf der einen sowie Wirtschaft und Industrie auf der anderen Seite. Mit mehr als 400 Industriepartnern weltweit und zahlreichen Partnerschaftsabkommen mit führenden Universitäten und Forschungsinstituten zählt die Montanuni zu den bestens vernetzten Universitäten Österreichs. Eine Innovationsbrutstätte par excellence, wie man so sagen würde.

12,34 Milliarden Euro fließen in Österreich in F&E-Projekte.

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Vermarktung verschlingt Milliarden Kooperation als Schlüssel zum Erfolg. Innovationen, vor allem deren Etablierung am Markt, kosten Geld – viel Geld. Wie viel Geld in der globa­ lisierten Welt mitunter investiert wird, um eine Innovation zu vermarkten, zeigt das Beispiel Apple. In einem einzigen Jahr (2015) hat der Computerkonzern 1,8 Milliarden US-Dollar in Werbung für seine iPhones, iPads, etc. investiert. Zum Vergleich: Der steirische Chiphersteller ams, dessen Produkte auch in den iPhones stecken, erzielte 2017 einen Umsatz von 1,2 Milliarden US-Dollar. Früher war das Unternehmen übrigens unter dem Namen austriamicrosystems bekannt. Der Oberösterreich-Konnex: Gegründet wurde austriamicrosystems 1981 als Joint Venture der voest­ alpine mit dem US-Elektronikkonzern American Microsystems. Zurück zu Apple: Noch mehr Geld – nämlich 12,7 Milliarden US-Dollar – investiert Apple jährlich in Forschung und Entwicklung (F&E). Summen, die von der klein- und mittelständisch dominierten Unternehmenswelt in Österreich beim besten Willen nicht aufzutreiben sind. Das spiegelt sich im jährlichen Ranking der innovativsten Unternehmen des renommierten US-Wirtschaftsmagazins Forbes wider: Unter den 100 gelisteten Unternehmen ist kein einziges aus Österreich zu finden. Aber auch keines aus Deutschland. Angeführt vom Cloud-Computing-Unternehmen ServiceNow, wird die Liste von US-Companies dominiert, die bestgelistete Firma aus Europa liegt auf Platz 29 – und gehört dem Luxuslabel Hermès. Andererseits erlauben die KMU-dominierte Struktur und der Fokus auf schmale Nischen auch kaum rot-weiß-rote Sprenkel im Forbes-Ranking. Die Voraussetzung fürs Listing heißt: ein Unternehmenswert von mindestens zehn Milliarden US-Dollar und sieben veröffentlichte Jahresgeschäftsberichte in Folge. Österreichs oft familiengeführte Unternehmen setzen aber selten auf Börsennotierung, sondern lieber auf ein anderes Instrument: Kooperation. Eine Möglichkeit, die an Attraktivität gewinnt – zeigen zumindest die Fakten. „In den vergangenen beiden Jahrzehnten hat sich die Anzahl österreichischer Unternehmen mit Innovationskooperationen auf 22 Prozent aller Unternehmen, das entspricht 51 Prozent der innovationsaktiven Unternehmen, mehr als verdoppelt“, heißt es in der Studie „Open Innovation“. Das stimmt zuversichtlich, noch zuversichtlicher stimmt allerdings die Höhe der Mittel, die hierzulande in Forschung und Entwicklung fließen. 12,34 Milliarden Euro sollen es nach einer Schätzung der Statistik Austria heuer werden. Ein Plus von 5,6 Prozent gegenüber 2017. Österreichs Forschungsquote (F&E-Investitionen im Verhältnis zum BIP) steigt damit neuerlich auf mittlerweile 3,19 Prozent. Mit 3,09 Prozent war die Alpenrepublik schon 2016 hinter Schweden (3,25 Prozent ) Vizeeuropameister und weltweit die Nummer sieben. Österreich zählt damit zu den forschungsintensivsten Ländern der Welt und ist in diesem Teilindikator für Innovation längst in die Gruppe der sogenannten „Innovation Leader“ aufgestiegen. Auch bei einem anderen Indikator, der Anzahl internationaler Patentanmeldungen, hat sich Österreich deutlich verbessert. Übrigens, was glauben Sie, in welchem Bundesland 2017 die meisten Erfindungen eingetragen wurden? Richtig, Oberösterreich führt mit 610 Erfindungen. (Details siehe Grafik – Quelle: Österreichisches Patentamt).

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Doch nicht nur die Montanuni, auch andere österreichische Universitäten erfreuen sich, wenn es ums Thema Innovation geht, großer Beliebtheit. In dem Strategiepapier der österreichischen Bundesregierung „Open Innovation – Strategie für Österreich“ heißt es: „Stark ausgeprägt ist (hier) vor allem die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Wissenschaft, insbesondere mit Hochschulen: Österreichische Unternehmen arbeiten doppelt so oft (22 Prozent ) wie der EU-Durchschnitt (11 Prozent) mit Hochschulen zusammen.“


INNOVATION

EU-INNOVATIONSRANKING Im European Innovation Scoreboard (EIS) wird anhand von 27 Indikatoren die Entwicklung der Innovationstätigkeit in den EU-Mitgliedsstaaten gemessen. Die folgende Tabelle zeigt den aus den Indikatoren errechneten Gesamtscore der einzelnen Länder. Zur besseren Lesbarkeit wurden alle Werte mit 100 multipliziert.

1 SCHWEDEN

71,0

11 FRANKREICH

55,1

2 DÄNEMARK

66,8

12 SLOWENIEN

46,5

3 FINNLAND

64,9

13 TSCHECHIEN

41,5

14 PORTUGAL

40,6

64,8

15 MALTA

40,3

5 VEREINIGTES KÖNIGREICH

61,3

16 SPANIEN

40,0

6 LUXEMBURG

61,1

17 ESTLAND

39,7

18 ZYPERN

38,6

19 ITALIEN

37,1

20 LITAUEN

35,9

4 NIEDERLANDE

7 DEUTSCHLAND

60,3

8 BELGIEN

59,3

9 IRLAND

58,5

21 UNGARN

33,2

22 GRIECHENLAND

32,8

57,9

23 SLOWAKEI

32,3

24 LETTLAND

28,5

25 POLEN

27,0

26 KROATIEN

25,8

27 BULGARIEN

22,9

28 RUMÄNIEN

15,7

10 ÖSTERREICH

Quelle: European Commission, European Innovation Scoreboard 2018 https://ec.europa.eu/growth/industry/innovation/facts-figures/scoreboards_en

Scannen Sie den QR-Code und sehen Sie das Ranking der weltweit innovativsten Unternehmen:

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Ein „Alzerl“ fehlt noch. Förderquote, Patente und Erfindungen sind die eine Seite der Medaille, um in allen Innovationsbereichen in die Liga der „Innovation Leader“ aufzusteigen, braucht es aber noch mehr. Die Alpenrepublik befindet sich allerdings auf dem besten Weg und hat sich im European Innovation Scoreboard erfolgreich in der Gruppe der „Strong Innovators“ etabliert. In der seit 2010 von der Europäischen Kommission alljährlich veröffentlichten Untersuchung zur Innovationskraft ihrer Mitgliedsländer hat sich die österreichische Punktezahl um neun Prozent erhöht. Der EU-Schnitt liegt bei einer Verbesserung von 5,8 Prozent. Im 2018er-Ranking ist Österreich zwar wieder von Platz sieben auf zehn zurückgefallen, befindet sich aber punktezahlmäßig auf Augenhöhe mit den

beiden davor platzierten Ländern. Es fehlt also nur mehr ein kleines bisschen, ein „Alzerl“, wie man in Oberösterreich sagen würde, um an die Spitze zu kommen. Wo dieses bisschen zu finden ist, beschreiben die Autoren des Österreichischen Forschungs- und Technologieberichts 2018 folgendermaßen: „Auf der anderen Seite ist diese Dynamik (noch) nicht in allen Teilen des gesamtwirtschaftlichen Innovationsprozesses gleichermaßen festzustellen. So bestehen noch Potenziale zur Steigerung des Innovationsoutputs. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es oft einen längeren Zeitraum braucht, um höhere Inputs in höhere Innovationsoutputs umzusetzen.“ Auf gut Deutsch: Das Hurra des Marktes zu Innovationen „made in A“ muss noch etwas lauter werden. Übrigens, der Kleber, der nicht kleben wollte, war die Grundlage für den weltweiten Siegeszug der Post-it-Haftnotizen – erfunden von den Forschern der US-­ ­ Firma 3M (mehr zur Geschichte finden Sie hier: http://bit.ly/2KeZnhc). ••

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INDUSTRIE UND HANDEL 4.0

VON NULLEN UND EINSERN Das Jausensackerl wird via App zusammengestellt und die Fabriksmaschine schlägt selbst vor, wie sie effizienter arbeiten könnte. Die Digitalisierung wird Industrie und Handel tiefgreifend verändern. Schon jetzt zeigen innovative Vorreiter, wohin die Reise geht. Text: Markus Mittermüller

Die vierte industrielle ­R evolution ist zum Greifen nahe. Künftig könnten sich Maschinen selbst ­a nalysieren und eigenständig Maßnahmen zur Effizienz­ steigerung vornehmen.

D STIWA: Daten in aussagekräftige Analysen umwandeln.

Maik Hering ist Produktmanager am Standort ­H agenberg, wo die STIWA Group ihren Geschäftsbereich Manufacturing ­S oftware an­ gesiedelt hat.

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ie „denkende Fabrik“ ist die Zukunft: Die Produktion analysiert sich dabei selbst – sämtliche Produktionsschritte, den Output oder die dafür verbrauchte Zeit – und schlägt von sich aus vor, was alles davon optimiert werden kann. Laut Experten wird es noch rund fünf Jahre dauern, bis diese sogenannten „Vorschlagssysteme“ auch tatsächlich breit eingesetzt werden können. Doch schon heute sind Industrie und Handel ohne Digitalisierung, Vernetzung und Automatisierung undenkbar. Was unter dem Begriff Industrie 4.0 respektive Handel 4.0 firmiert, zielt auf höhere Produktivität und Flexibilität, mehr Innovation und geringeren Ressourcenverbrauch. Wie diese vierte industrielle Revolution in der Praxis aussieht, zeigt etwa die STIWA Group vor, ein führendes Unternehmen im Bereich Produkt- und Hochleistungsautomation.

INDUSTRIE 4.0 HEISST: DIE RICHTIGE INFO ZUR RICHTIGEN ZEIT AN DER RICHTIGEN STELLE. MAIK HERING, STIWA GROUP


SCHON 1992 WUSSTEN WIR: DIE DATEN AUS UNSEREN MASCHINEN SIND ESSENZIELL.

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Robert ­S choßleitner verantwortet den Geschäftsbereich Manufacturing ­S oftware der STIWA Group..

ROBERT SCHOSSLEITNER, STIWA GROUP

Softwareentwicklung im Fokus Bereits im Jahr 1992 haben die Oberösterreicher, die heute in Attnang-Puchheim komplexe Anlagen für Autohersteller oder die Leichtindustrie herstellen, einen Standort im Softwarepark in Hagenberg gegründet und auf Softwareentwicklung gesetzt. „Schon damals

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haben wir erkannt, dass die Daten, die in unseren Maschinen entstehen, von essenzieller Bedeutung sind. Unser Ziel war, alle Bewegungen datentechnisch erfassen und analysieren zu können“, erklärt Robert Schoß­ leitner, Leiter des Geschäftsbereichs Manufacturing Software. Diese Weitsicht hat sich ausgezahlt. „Heute erfassen wir mit unserer Software eine Vielzahl von Daten, die sich mit aktuellen Technologien in aussagekräftige Analysen umwandeln lassen“, so Schoßleitner. Was das tatsächlich bringt? „Mit unserer Lösung lassen sich Probleme in der Produktion schnell eingrenzen, identifizieren und beheben. Das kann beispielsweise bei Rückrufaktionen in der Automotive-Industrie von großer Bedeutung sein“, erklärt Schoßleitner. Zumal vor knapp zwei Jahren ein völlig neues Analysewerkzeug in Hagenberg entwickelt wurde und seither bei STIWA zum Einsatz kommt.

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INDUSTRIE UND HANDEL 4.0

„Früher hatten wir starre, standardisierte Berichte mit den Daten von genau einer Anlage. Einige PDF-Seiten, die an sämtliche Personen im Unternehmen gingen“, erinnert sich Produktmanager Maik Hering. Diese Zeit ist mit dem AMS Analysis-CI getauften Softwaretool endgültig vorbei. „Industrie 4.0 bedeutet, die richtige Information an der richtigen Stelle im Unternehmen zum richtigen Zeitpunkt verfügbar zu machen“, erklärt Hering die heutigen Anforderungen. Und das funktioniert mittels „Selfservice“. Egal ob Geschäftsführer, Produktionsplaner oder Experte für die Qualitätssicherung – jeder kann sich jene Daten, die für ihn relevant sind, mit wenigen Klicks selbst zusammenstellen. Und das nicht nur für sämtliche Anlagen im Werk – sondern auch für die dort produzierten Teile, die einzeln bewertbar sind.

Günzburger ­S teigtechnik: Der Familienbetrieb setzt auf Innovation.

Auf dem Campus WU begeistert der Digital Leadership Store die Wiener Studenten seit 2016.

wickelt wie strategische Projekte zur nachhaltigen Zukunftssicherung. Als erster inhabergeführter Mittelständler hat sich Günzburger Steigtechnik auch am Technologiezentrum Augsburg beteiligt, wo sich HightechIndustriekonzerne und Forschungsinstitute begegnen. „Wir sind ständig auf der Suche nach neuen Technologien, damit unsere Steigtechnikprodukte noch leichter, noch ergonomischer und immer noch besser werden. Daher müssen wir offen sein für neue Werkstoffe, neue Antriebsund neue Verbindungstechniken. Dieses Streben nach innovativen Ideen für die Zukunft vereint alle Mieter im TZA. Und genau das macht dieses Netzwerk so spannend“, erklärt Ferdinand Munk, Geschäftsführer der Günzburger Steigtechnik. Digital Leadership Store Für neue Ideen ist auch der Handel offen, individueller „Selfservice“ steht besonders hoch im Kurs. Bereits vor Jahren hat Spar Selbstbedienungskassen – die sogenannten Self-Checkouts – eingeführt. Mittlerweile nutzen zwischen 25 und 45 Prozent der Kunden die Möglichkeit – an 40 Standorten in ganz Österreich. Ein erster Schritt zum Supermarkt der Zukunft. Wie dieser aussehen könnte, zeigt der Digital Leadership Store am Campus der Wirtschaftsuniversität Wien.

Ferdinand Munk treibt als ­G eschäftsführer des Familien­ betriebes ­G ünzburger Steigtechnik ­I nnovationen voran.

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© Günzburger Steigtechnik, WU, HERTHA HURNAUS, Hersteller, Spar-Gruppe

Innovationskette Der digital befeuerte Modernisierungsschub hat längst auch das produzierende Gewerbe erfasst. Die Günzburger Steigtechnik GmbH ist ein gutes Beispiel, wie schlaue Unternehmer schon jetzt die Weichen für die Technologien von morgen stellen. Der bayrische Spezialist für Leitern, Roll- und Klappgerüste sowie Rettungstechnik, Podeste und Sonderkonstruktionen stach schon bisher durch seinen Erfindungsreichtum hervor. Mehrfach wurde das Unternehmen mit Niederlassung nahe Vöcklabruck in seiner 120-jährigen Firmengeschichte für seinen Innovationsgeist ausgezeichnet, 2018 wurde es bereits zum vierten Mal in die Top-100-Innovatoren im deutschen Mittelstand gereiht. Mit Jahresbeginn hat das Unternehmen ein ganz besonderes Projekt ins Leben gerufen: die Innovationswerkstatt, die Kompetenzen interner und externer Experten bündelt, neue Produkte ebenso ent-


Mit der „Snack away“-App ­können nicht nur Studenten ihre Weckerl via Smartphone konfigurieren, bestellen und bezahlen.

Scannen Sie den QR-Code, um herauszu­ finden, wie Ihr digitales Weckerl schmeckt:

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Symbolbild

Im Frühjahr 2019 soll der Store 2.0. seine ­P forten auch auf dem Campus der Johannes Kepler Universität (JKU) öffnen.

IM DIGITAL INNOVATION FORUM WERDEN NEUE TECHNOLOGIEN ZUSAMMENGETRAGEN HANS K. REISCH, VORSTANDSDIREKTOR SPAR-GRUPPE

Entstanden sind diese Einkaufslösungen der Zukunft im Rahmen einer Forschungskooperation mit dem Institut für Handel und Marketing der WU Wien und dem Digital Innovation Forum von Spar. „Spar hat dieses Forum eingerichtet, in dem Mitarbeitende aus Vertrieb, Marketing, IT und unterschiedlichsten anderen Bereichen außerhalb üblicher Organisationsstrukturen neue Technologien zusammentragen, ihre Einsatztauglichkeit bei Spar bewerten und bis zum Prototyp entwickeln. Mit diesem internen Thinktank können wir frühzeitig Trends erkennen und mit­ tragen“, erklärt Hans K. Reisch, Vorstandsdirektor für Finanzen und Filialen.

sen zur Abholung bereit, wer an den Self-Checkouts bargeldlos bezahlt, sitzt binnen weniger Minuten wieder im Hörsaal“, so Alois Huber, SparGeschäftsführer für Ostösterreich. Wie viel zu bezahlen ist, zeigen elek­ tronische Preisetiketten. Diese Form der Preisauszeichnung nennt sich ESL.inclusive und ist eine Schienenlösung, durch die bis zu sieben Etiketten von einer Batterie mit Strom versorgt und Aktionen und Rabatte für Kunden deutlicher sichtbar gemacht werden. Aber auch das Sortiment selbst ist im Umbruch. Die Initiative „Young & Urban by Spar“ fördert kreative Jungunternehmer, Food-Start-ups wie Fritz Kola, Club Mate, Veganz oder Neni haben mit dieser Initiative schon viele treue Käufer gefunden. Die nächste Generation, wie das öster­ reichische Protein-Eis „Frozen Power“ oder NEOH CrossBar, ein fast zuckerfreier Fitnessriegel, steht ebenfalls schon im Regal.

App stellt Weckerl zusammen Der Spar-Markt am Campus WU hat sich aufgrund des studentischen Publikums vor allem auf Snacks und Convenience-Artikel spezialisiert. Das Problem dabei: Bei Vorlesungsschluss oder -pausen waren Warteschlangen an der Frischetheke und im Kassenbereich unvermeidlich. Bis eine digitale Lösung Ab­ hilfe schuf. „Snack away“ heißt die App, mit der User ihr Weckerl nach eigenen Wünschen am Smartphone konfigurieren, bestellen und kurz darauf in der Filiale abholen. Zur Auswahl stehen dabei nicht weniger als 3.000 Variationen. Zusätzlich können Säfte, Obst und andere Snackartikel geordert werden. „Das fertige Jausensackerl steht im Kühlbereich neben den Kas-

Maschine lernt von selbst In welche Richtung entwickelt sich der digitale Pfad weiter? Im Handel legt man einen Fokus auf den Ausbau der Onlineshops – derzeit sind bei Spar über 20.000 Artikel bestellbar – und des dazugehörigen Vertriebs. Die Industrie setzt auf weltweite Datenverknüpfung. „In zwei Jahren wird es so weit sein, dass die Maschine aus ihrem Datenbestand automatisiert lernt“, ist STIWA-Mann Maik Hering überzeugt. Das heißt dann etwa: Schon bevor ein Defekt an einer Anlage auftritt, wird eine vorausschauende Wartung durchgeführt. Und gleichzeitig analysiert, ob das zu produzierende Teil nicht in einer anderen Niederlassung schneller und ressourcenschonender hergestellt werden könnte. Der Strom aus Nullen und Einsen, auf dem schlussendlich die ganze Digitalisierung basiert, ist damit der neue Treibstoff, der den Motor der Wirtschaft auch nach dem fossilen Zeitalter am Laufen hält. ••

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GELD

GELD LEBT VOM VERTRAUEN Text: Harald Fercher

Waltraud ­P erndorfer, Geschäfts­be­reichsleiterin PRIVAT BANK der Raiffeisenlandesbank OÖ.

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G

eld gab es eigentlich immer. Erst in Form von tauschbaren Gütern wie Fellen und Lebensmitteln, später in Form von Kostbarkeiten wie zum Beispiel Perlen oder Muscheln (was auch prompt den ersten Fälschungsskandal initiierte – aber das ist eine andere Geschichte). König Krösus von Lydien hat dann ca. 700 vor Christus das Münzgeld erfunden und damit die Wirtschaft erst richtig in Schwung gebracht (die Geschichte des Geldes gibt es auf der Seite der OeNB – Link: https://www.oenb.at/Ueber-Uns/Geldmuseum/publikationen/Geschichte-des-Geldes.html). Die Grundlage des modernen Währungssystems war geschaffen. Digitale Bankdienstleistungen beliebt 3.000 Jahre später ist alles anders. Die Ausgabe von Bargeld wird in­ frage gestellt, IT-Spezialisten schaffen digitale Kryptowährungen und Banken feilen an individuellen Bankstrategien mit höchster Kunden­ orientierung: „Die Digitalisierung betrifft inzwischen so gut wie alle Lebensbereiche. Die Mobilität unserer Kundinnen und Kunden ist heute wesentlich höher als früher und damit steigen sowohl das Bedürfnis als auch die Bereitschaft, immer mehr finanzielle Angelegenheiten digital abzuwickeln“, argumentiert etwa Waltraud Perndorfer, Geschäftsbereichsleiterin PRIVAT BANK der Raiffeisenlandesbank OÖ. „Wir setzen auf modernste digitale Bankdienstleistungen und stellen fest, dass deren Nutzung ein massives Wachstum erfährt.“ Als Beispiel nennt sie das innovative Onlinebanking-Portal „Mein ELBA“: „Dieses neue Finanzportal bietet neben maximalem Komfort auch Sicherheit und Schnelligkeit. So können zum Beispiel bequem von zu Hause aus rund um die Uhr Überweisungen und Wertpapiertransaktionen getätigt, der aktuelle Finanzstatus ­abgefragt und Portfolioanalysen erstellt werden. Moderne Apps bieten darüber hinaus Zugang zum Electronic Banking am Smart-

© PRIVAT BANK, iStock

Vor knapp 3.000 Jahren hat Geld den Tauschhandel abgelöst und die Wirtschaft revolutioniert. Die Digitalisierung stellt Münzen und Scheine trotzdem infrage: Bargeld ist für das moderne Leben viel zu langsam ­geworden. Aber was ist die Alternative?


Heute wie damals: Vertrauen ist der Schlüssel zu einer langfristigen ­P artnerschaft auf Augen­ höhe und somit Basis für Geldgeschäfte – ob ­a nalog oder digital.

IMMER MEHR FINANZIELLE ANGELEGENHEITEN WERDEN DIGITAL ABGEWICKELT. WALTRAUD PERNDORFER, LEITERIN PRIVAT BANK DER RLB OÖ

QR-Code scannen und alles über die Raiffeisen Express ­Ü berweisung ­e rfahren:

Die vorbereitete Bank.

phone mit b ­ esonderen Zahlungsverkehrsfunktionen und der Möglichkeit, unkompliziert und in Echtzeit Geld von Smartphone zu Smartphone zu versenden.“ Schnelligkeit wird im Geldverkehr ohnehin immer wichtiger. Raiffeisen hat bereits reagiert und bietet als eine der ersten Banken Europas die sekundenschnelle Raiffeisen Express Überweisung auf Basis des SEPA-Instant-Payment-Standards an, die seit Ende 2017 auch im Onlinebanking („Mein Elba“) zur Verfügung steht und den gleichen Sicherheitsstandards wie eine SEPA-Überweisung unterliegt. In der neuen Version von ELBA-business/-kompakt ist die Expressüberweisung jetzt auch für Firmenkunden verfügbar. Die Raiffeisenlandesbank OÖ wird den Zahlungs­ verkehr in den kommenden Jahren weiter revolutionieren und ermöglicht beispielsweise schon jetzt schnelle und sicher durchführbare In-App-Käufe und -Verkäufe von KEPLER-Fondsanteilen.

Kryptowährungen sind kein Geldersatz Aber egal, ob Kartenzahlung, Internetüberweisung vom Bankkonto, ECommerce-Zahlung, Instant Payment oder Person-to-Person-Bezahl­ lösung (P2P Payment): Bezahlt wird wohl weiterhin in traditionellen Währungen. Der im Vorjahr ausgebrochene Hype um Bitcoin und andere Kryptowährungen ist nach einer atemberaubenden Berg- und Talfahrt der Kurse – mit einer beispiellosen Steigerung von 1.800 Prozent in knapp einem Jahr samt ebenso rasantem Absturz kurze Zeit später – und ein paar handfesten Betrugsskandalen wieder abgeflaut. Experten waren schon vorher sicher, dass die digital erschaffenen Währungen kaum als futuristischer Ersatz von Euro, Dollar & Co. taugen. Zahlreiche Studien von Wirtschaftsinstituten und Universitäten kommen daher zum Schluss, dass aus volkswirtschaftlicher Sicht schon das Design der Kryptowährungen ungeeignet ist, um darauf ein Geld- oder Währungssystem aufzubauen. Zu unsicher ist die Kursentwicklung, durch das Fehlen einer beaufsichtigenden Nationalbank ist der Speku­ lation Tür und Tor geöffnet. Digitale Services als komfortable Ergänzung Bitcoin & Co. verfehlen damit die Grundvoraussetzung, um sich als Geld zu eignen: das Vertrauen in seinen Wert. Wegen der zentralen Bedeutung dieser gefühlten Sicherheit werden auch die Banken ihre bisherige zen­ trale Rolle beibehalten. Und neben praktischen Services, Innovationen von Fintechs und Robo-Advisors (automatisierte Anlageberater) auch das gute alte Servicegespräch anbieten. Oder – wie es PRIVAT-BANKChefin Perndorfer formuliert: „Die PRIVAT BANK versteht sich als verlässlicher Begleiter und vor allem persönlicher B ­ erater ihrer Kunden. Modernste Banktechnologien werden selbst­ verständlich eingesetzt, oberste Priorität hat aber immer die persönliche Betreuung.“ ••

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INNOVATIONSREISE

DATEN STATT WORTEN Über die Notwendigkeit der digitalen Transformation sind sich alle einig. Ein Problem könnte das Tempo sein: Zwischen den sich rasant entwickelnden technolo­ gischen Möglichkeiten und der konkreten Umsetzung in Unternehmen klafft mitunter eine Lücke. Die Linzer Start-up-Szene könnte diese schließen. Text: Uschi Sorz

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INNOVATIONSREISE

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INNOVATIONSREISE

ZIEL: VERNETZUNG ALLER ­BETEILIGTEN AUF EINER ­DIGITALEN PLATTFORM. MARKUS MÜHLBERGER, RVM/SELECT VERSICHERUNGSMAKLER

Markus ­M ühlberger, ­M itarbeiter von RVM/Select Versicherungsmakler: „iClaim ist ein großer Erfolg.“

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ist es, neue Technologien zu forcieren, Innovationen voranzutreiben und Forschung und Ideenreichtum zu stärken“, so die Ministerin. Strategien gefragt Ein Statement, das bei Wirtschaftstreibenden gut ankommt. Immerhin möchte laut einer im Juni vom Beratungsunternehmen Deloitte präsentierten Studie im kommenden Jahr die Hälfte der befragten österreichischen Unternehmen in robotergesteuerte Prozessautomatisierung investieren. Weitere 37 Prozent können sich eine mittelfristige Investition in diesem Bereich vorstellen. Gerhard Marterbauer, Partner bei Deloitte Österreich: „Die heimischen Finanzchefs konzentrieren ihre Investitionsbereitschaft auf den digitalen Fortschritt und versprechen sich davon vor allem effizienzsteigernde Effekte.“ Allerdings hatte noch im Vorjahr die Studie „Supply Chain 4.0“ der TU Wien heimischen Firmen einen fehlenden Masterplan für die Digitalisierung bescheinigt. Befragt hatte man 40 namhafte Industrieunternehmen. „Obwohl durchschnittlich 86 Prozent ihre IT-Budgets erhöht haben, hat nur etwa die Hälfte davon einen konkreten Digitalisierungsplan“, konstatierte man damals am Institut für Fertigungstechnik und Hochleistungslasertechnik der TU. Problematisch sei etwa die mangelnde Bereitschaft, Prozess- und Maschinendaten mit Anlieferern zu teilen. „Diese stellen jedoch die Grundlage für eine optimale Lieferkette dar.“ Ein Manko, das etwa die WKO OÖ beheben will: Auf der von ihr initiierten Website www.wkdigitalisierungskompass.at finden sich dazu Vorzeigebeispiele mit gelungenen Umsetzungen sowie die Möglichkeit, eine auf den eigenen Betrieb zugeschnittene Strategie-Checkliste zu erstellen. Innovative Versicherungslösungen Zum Digitalisierungsvorreiter im Finanzsektor ist die Raiffeisenbankengruppe OÖ geworden. Die auf innovative Versicherungslösungen spe­ zialisierte Tochter RVM Versicherungsmakler etwa ist mit einer web­ basierten Softwarelösung der Konkurrenz voraus: „Wir haben iClaim für unsere Kunden zur effizienten und transparenten Schadenabwicklung entwickelt. Die digitale Plattform vernetzt alle Beteiligten im Schadenprozess und beschleunigt die Kommunikationswege“, erklärt Markus Mühlberger, Mitarbeiter von RVM/Select Versicherungsmakler. Das neue Programm ist schon jetzt ein Erfolg: „Insbesondere Logistikunternehmen und Wohnbauorganisationen schätzen unsere Dienstleistung in diesem Bereich und vertrauen auf das bewährte Service. Das System ist flexibel und für jegliche Art der Abwicklung von Massenschäden interessant.“ Damit, so Mühlberger, sei eine papierlose und transparente Form der Schadenabwicklung möglich: „iClaim ist durch tagesaktuelle Abfragen und standardisierte Risikoberichte ein wesentliches Instrument zur Dokumentation und Steuerung des Risikomanagements. Diese selbst entwickelte Plattform hat sich zu einem wichtigen Bestandteil unserer breit gefächerten Dienstleistungspalette entwickelt. Banking trifft Gründerspirit Trotz des großen Erfolgs von iClaim bleibt keine Zeit, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Der Innovationsdruck bleibt auch in Zukunft hoch. Daher hat sich die Raiffeisenlandesbank OÖ letzten Herbst mit „think300“ den idealen Reisebegleiter für den Weg in die digitale Zukunft zur Seite geholt. „Wir wollen in puncto Digitalisierung ein Vorreiter sein“, erklärt Barbara Wagner von der Raiffeisenlandesbank OÖ. „Und mit dieser Koo­ peration ist eine tolle Win-win-Situation entstanden.“ Auf der einen Seite steht das Know-how und seriöse Standing einer regional verankerten Bank mit hohem Kundenvertrauen. Auf der anderen eine lebendige Startup-Szene, für die digitale Geschäftsmodelle zur Grundausstattung gehören. Zudem bietet die Partnerschaft mit „think300“ Zugang zu dem Start-

© Foto Strobl, RLB OÖ

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sterreich soll zu den international führenden digitalen Wirtschaftsstandorten gehören“, hält die digitale Roadmap der Bundesregierung fest. Das will auch die Ministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort Margarete Schramböck. Für die Digitalisierung des Landes hat ihr Ressort in den nächsten fünf Jahren 100 Millionen Euro zur Verfügung. „Das ist ein wichtiges Signal“, betonte sie bei ihrer ersten Budgetrede im Parlament. Im Wirtschaftsbereich etwa gehe es um eine nachhaltige Unterstützung der Unternehmen. Schließlich sind bis 2023 gerade in Wirtschaft und Industrie die größten Umbrüche durch die digitale Transformation zu erwarten, so das Ergebnis einer aktuellen Expertenbefragung (Delphi-Studie) des Centre for Informatics and Society der TU Wien. Tatsächlich präsentierte Schramböcks Ministerium im Juni eine eigene Digitalisierungsagentur (DIA), die in enger Abstimmung mit in allen Ressorts installierten Chief Digital Officers agiert. Sie solle auch Impulsgeber für die digitale Transformation der Wirtschaft sein. In den Handlungsfeldern digitale Infrastruktur, Wirtschaft, Bildung & Gesellschaft, Forschung, Entwicklung & Innovation sowie Datenschutz & Datenwirtschaft schaffe die DIA eine Plattform zur Koordination und Abstimmung unterschiedlicher Akteure. Und sie werde Anlaufstelle für nationale wie internationale Digitalisierungsfragen sein. „Der Schlüssel zum Erfolg


RLB-OÖ-Vorstand Stefan Sandberger, Michaela Lindinger, CEO von think300, Barbara Wagner von der RLB OÖ und Michael Eisler, Vorstand von startup300.

WIR WOLLEN BEI DER DIGITALISIERUNG EIN VORREITER SEIN. STEFAN SANDBERGER, VORSTAND RAIFFEISENLANDESBANK OÖ

Einfach QR-Code scannen und einen ersten Blick auf Gibble werfen:

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up-Ökosystem der startup300 AG sowie dem Start-up-­Campus „factory300“ am Areal der Linzer Tabakfabrik. Wagner ist an ein bis zwei Tagen pro Woche vor Ort. „Die Atmosphäre ist voller Energie“, schildert sie. Dass Banker und Start-ups miteinander diskutieren, gemeinsam an Events und Workshops teilnehmen und einander ihre Problemstellungen vorlegen können, sei ein großes Plus. „Für uns mit unseren traditionellen, weisungsgebundenen Struk­ turen ist deren offene, kreative, oft visionäre Menta­lität und Agilität inspirierend.“ Start-ups seien typischerweise schnelle Entscheider, lösungszentriert, flexibel und praktisch permanent mit Produktoptimierung beschäftigt. „Linz hat enormes Potenzial“, sagt Business Angel und Vorstand der startup300 AG Bernhard Lehner. Nämlich gut ausgebildete IT-Fachkräfte aus den umgebenden Schulen, Affinität zur Mechatronik und Materialwissenschaft und die hohe Kompetenz der Johannes Kepler Universität u. a. im Bereich künst­ liche Intelligenz und Machine Learning. „Wenn es gelingt, all das noch stärker mit dem Thema Gründen zu verknüpfen, haben wir die Chance, einen Leuchtturm mit internationaler Reichweite zu schaffen.“ Dem be-

reite man in der Tabakfabrik den Boden. Hier wachse ein Ökosystem heran, in dem sich Start-ups, Unternehmen und Business Angels auf Augenhöhe begegnen. „Wir lernen voneinander und arbeiten miteinander zum wechselseitigen Nutzen.“ So kann echte Innovation entstehen. Startup Finance Manager Gibble als erstes gemeinsames Baby Das erste aus dieser Zusammenarbeit erwachsene Projekt steht kurz vor dem Abschluss: Im Frühjahr wird Gibble an den Start gehen. Die Lösung erleichtert Start-ups das für Fördergeber und Investoren nötige Reporting, mit Gibble kann Business Angels in Echtzeit Einblick in Finanzdaten und Kennzahlen gewährt werden. „Gründer fokussieren oft auf Produktentwicklung und Sales“, weiß Lehner. Für Investoren und Förderer sei es aber wichtig, die „Vitalfunktionen“ ihrer Start-ups stets übersichtlich und zeitnah parat zu haben. Und eine Voraussetzung, um im Krisenfall keine wertvolle Zeit zu verlieren. „Zugleich macht die ­einheitliche Struktur der App die Reportings für uns Business Angels besser vergleichbar“, so Michael Eisler, Vorstand von startup300. „Dieses Benchmarking ist unheimlich wertvoll.“ Umgekehrt bekämen die Start-ups mit Gibble ein leicht zu bedienendes automatisiertes Reportingtool, das auch Möglichkeiten wie Vorschaurechnungen oder eine CashbestandFrühwarnfunktion enthält. Die Features der App gingen aus der Zusammenarbeit zwischen think300 und der Bank hervor. „Ein gelungenes Beispiel, wie die Entwicklung innovativer Dienstleistungen im Zusammenspiel zwischen Corporate-Strukturen und Gründern funktionieren kann“, meint Eisler. Und streut der Bank Rosen: „Ein Kompliment an die Raiffeisenlandesbank OÖ, die so freies Arbeiten ermöglicht hat.“ Für die Bank sei dies ein erster Schritt in eine ausbaufähige Richtung, erklärt Wagner. „Wir halten etwa auch das Angebot von eigenen BankingDienstleistungen auf einer Plattform gebündelt mit Lösungen durch Kooperationen von Fintechs für sehr smart.“ Der Trend aus den USA zeige, dass man Bankkunden durch maßgeschneiderte Vernetzung auf Basis leistungsfähiger Infrastruktur noch mehr Nutzungskomfort bieten könne. Und das ist schließlich der eigentliche Zweck der Kooperation der Bank mit innovativen Einrichtungen wie startup300. ••

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INTERVIEW: PATRICK KRAMER

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INTERVIEW: PATRICK KRAMER

UPDATE: MENSCH Wie die Digitalisierung den Menschen verändert, zeigt die ­immer engere Verbindung von Mensch und Maschine – ob durch digitale Assistenten, wie Siri auf dem iPhone oder Smart Speaker wie Alexa, die großflächig Einzug in den ­privaten Wohnraum ­halten. Im Interview mit einem der ­weltweit einflussreichsten Vordenker im Bereich digitale und biologische Transformation, Dr. Patrick Kramer, erfahren wir, dass die nächste Stufe der Digitalisierung unter die Haut geht.

Text: Alexandra Stefanov

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INTERVIEW: PATRICK KRAMER

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aben Sie ein Smartphone? Wenn ja, dürfen wir Ihnen gratulieren: Die Digitalisierung hat offiziell Einzug in Ihre Hosentasche gehalten! Vielleicht haben Sie auch schon überlegt, sich einen Smart Speaker namens Alexa anzuschaffen, oder aber Sie verfügen bereits über einen Kühlschrank, der Ihnen mitteilt, was „Ihnen“ fehlt. Die Digitalisierung transformiert alles und macht nicht in unseren Hosentaschen oder Wohnzimmern halt. Die nächste Transformationsstufe wird den Zwischenschritt über ein Smartphone nicht mehr benötigen – denn sie geht unter die Haut. Wie das Öffnen von ­Türen oder das Bezahlen an der Kassa in Zukunft aussehen könnte, erzählt uns Dr. Patrick Kramer im Interview, denn er erledigt solche Alltagsaufgaben schon lange nur mehr mit einer lässigen Handbe­ wegung. business: Den Begriff Cyborg kennt man vorrangig aus der Science-Fiction-Literatur und aus Hollywoodfilmen. Was genau macht Sie zum Cyborg? Patrick Kramer: Ich bin ein Cyborg, weil ich mehrere Mikrochip-Implantate in meinem Körper habe. Man darf diesen Begriff aber jetzt nicht so wissenschaftlich ernst nehmen. Er ist hauptsächlich durch Hollywood geprägt. Sobald wir an Cyborgs denken, haben wir den Sechs-Millionen-Dollar-Mann, Robocop oder Darth Vader vor Augen. Viele moderne Cyborgs dieser Zeit sind jedoch Menschen, die beispielsweise einen Herzschrittmacher haben oder aus medizinischen Gründen Implantate tragen. Bei einer Rentnerin mit künstlichem Hüftgelenk würde man vermutlich nicht gleich an Robocop denken. Wenn ich mich also als menschlicher Cyborg bezeichne, ist das mit ein bisschen Augenzwinkern zu verstehen. Aber die Entwicklung schrei­tet rasant voran. Man denke an Prothesen, die mit dem menschlichen Nervengerüst verbunden sind und über Gehirnschnittstellen kontrolliert werden können. Das gab es vor ein paar Jahren noch nicht. Wenn wir die Frage philosophisch betrachten, sind wir im weitesten Sinn alle Cyborgs,

Ein Digiwell-­ Implantat, durch Röntgenstrahlen sichtbar ­g emacht.

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weil für uns ein Leben ohne Technologie nicht mehr möglich wäre. Und damit beziehe ich mich jetzt nur auf unsere Alltagstätigkeiten, wie die Benutzung eines Smartphones oder das Autofahren. business: Wann werden smarte Implantate nicht nur für Experten wie Sie, sondern auch für die breite Gesellschaft normal sein? Patrick Kramer: Weltweit befinden wir uns bei Menschen mit smarten Mikrochip-Implantaten bereits im sechsstelligen Bereich. Wenn ich mir anschaue, dass wir vor zwei, drei Jahren noch bei rund 20.000 waren, geht es rasch voran. Warum: Es gibt drei Dinge, die wir Menschen immer mit uns führen, sobald wir das Haus verlassen: Haustürschlüssel, Portemonnaie und Handy. Ohne diese drei Dinge geht keiner von uns mehr freiwillig vor die Tür. Ich schleppe diese Sachen also immer mit mir herum und mache mir ständig Gedanken, ob ich alles dabei habe und ob das Handy auch aufgeladen ist. Mit der ersten Generation von Mikro­chip-Implantaten ist es jetzt möglich, das Thema Haustürschlüssel und was da noch alles dranhängt zu vernachlässigen. Ich führe ein schlüsselloses Leben, und es ist superangenehm. Ich will nie wieder zum klassischen Schlüssel zurück. Das macht für mich keinen Sinn mehr. In der zweiten Generation der Implantate geht es darum, dass wir das Portemonnaie nicht mehr brauchen. Wenn wir mal einen Blick in unser Portemonnaie werfen und das Bargeld beiseitelassen, sehen wir nur Karten. Und diese Plastikkarten dienen in erster Linie der Identifikation, sei es als Mitarbeiter, als Mitglied im Fitnessstudio oder als Versicherter. Und manche Identifikationskarten haben eine Bezahl-


INTERVIEW: PATRICK KRAMER

Ein Digiwell-­I mplantat vor dem Einsetzen.

„Unsere Kinder brauchen kein Handy mehr. Sie werden erleben, wie man von Gehirn zu Gehirn kommuniziert.“

© www.digwell.com

Über den QR-Code ­g elangen Sie direkt zum TEDx-Talk von Dr. Kramer:

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funktion hinterlegt. Die zweite Generation zielt auf den Bereich der Identifizierung ab und da­rauf, dass ich keine Karten mehr mit mir herumschleppen muss. Wir wissen aus der Marktforschung, dass 80 Prozent der Menschen an einem Implantat in Reiskorngröße interessiert wären, wenn es ihnen ermöglichen würde, auf Karten und Portemonnaie zu verzichten. Das ganze Plastikzeug ist ja auch ein Umweltfaktor. Die Möglichkeit ist hier dann quasi ein App-Store mit diversen Applikationen – aber nicht mehr für Ihr Handy, sondern für Ihr Implantat. Die erste Gene­ration der Implantate löst also den Haustürschlüssel ab, die zweite Generation das Portemonnaie, und die dritte Generation beschäftigt sich mit der Kommunikation. Heute halte ich mein iPhone X in der Hand. Ich gehe mal davon aus, dass wir das iPhone 20 nicht mehr in der Hand halten müssen, um zu kommunizieren. Das heißt, die Implantate werden sich weiterentwickeln, kleiner werden, leistungsstärker, und in einigen Jahren haben wir die ersten Gehirnimplantate, die eine Kommunikation von Gehirn zu Gehirn ermöglichen. Vielleicht nicht in den nächsten zehn Jahren, aber ich bin überzeugt, dass meine Kinder noch erleben werden, wie man von Gehirn zu Gehirn kommuniziert.

business: Wie viele Menschen kamen schon zu Ihnen, und was war der am häufigsten gewünschte Nutzen? Patrick Kramer: Ich schätze, dass ich bei rund 2.500 Menschen ein Implantat gesetzt habe. Zu Beginn kamen viele Elektrotechnik-­ Studenten – wir würden allgemein von Nerds sprechen –, um Anwendungsmöglichkeiten auf Bits und Bytes genau zu analysieren und auszuloten. Zu mir kamen aber auch schon ganze Familien, die sich für entsprechende Funktionalitäten für ihr Smart Home ausstatten ­ließen. Wir sind hier wirklich in der Mitte der Gesellschaft angekommen – mehr Mainstream als Vater, Mutter, Kind geht nicht. Aktuell kommen auch viele Selbstständige, die sich Ihre Visitenkarten und Homepage-Links implantieren lassen. Das hat viel mit Selbstvermarktung zu tun. Beim Visitenkartentausch kann man sich beim Gegenüber als glaubhaft innovativ positionieren, wenn man statt der Übergabe einer Papierkarte nun seine Hand reicht. Am häufigsten sind aktuell tatsächlich Smart-Home-Applikationen und Visitenkarten gewünscht. business: Kann mein digitales Ich gehackt oder getrackt werden? Patrick Kramer: Die Frage können Sie sich eigentlich selber beantworten, denn um zu wissen, wo ich bin, müsste ich ein Signal an einen GPS-Satelliten irgendwo im Weltall schicken. Wenn ich das mit meinem Handy mache – weil ich beispielsweise die Navigationsfunktion nutze –, ist mein Akku nach zwei Stunden alle. Ich habe in einem ­Implantat aber keine Batterie. Das heißt also nein. Bei den Implan­ taten haben Sie eine Antenne, die so minimal ist, dass Sie beim Sicherheitscheck am Flughafen nicht piepsen. Gehen Sie mal mit ­ ­Ihrem Portemonnaie durch die Sicherheitsschleuse. ••

ZUR PERSON Dr. Patrick Kramer zählt zu den weltweit einflussreichsten Vordenkern, wenn es um die nächste ­Stufe der Digitalisierung geht. Er ist Experte für ­digitale und biologische Transformation, Performance-Management und Zukunftsagent. Dr. Kramer verfügt über langjährige Erfahrung in führenden ­internationalen IT-/Beratungshäusern. Als Gründer und Geschäftsführer der Plattform „Digiwell – ­Upgrading Humans!“ beschäftigt er sich mit den entscheidenden Themen des digitalen Wandels und der menschlichen Transformation. Beim Netzwerkempfang der Raiffeisenlandesbank OÖ AG am 1. Oktober 2018 wird Dr. Kramer erstmalig in Oberösterreich die Möglichkeiten von Smart Implants erklären und durch ein Live-­ Biohacking hautnah erlebbar machen. www.digiwell.com

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MOBILITÄT

UNTERWEGS IN DIE ZUKUNFT Das Auto soll umweltfreundlicher, sicherer und bequemer ­werden. Die automotive Industrie bastelt bereits mit Hochdruck an den technologischen Grundlagen dafür. Text: Robert Prazak

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© iStock

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ufwand: null. Emission: null. Lärmbelastung: niedrig. Bequemlichkeit: hoch. Das Auto fährt selbstständig die schnellste Route, ist elektrisch betrieben und ausgesprochen leise unterwegs. Die Insassen können während der Fahrt lesen, fernsehen oder etwas essen; Fahrer im engeren Sinn gibt es eigentlich keinen. Nur jemanden, der die Destination eingibt und die Systeme kontrolliert. Der Rest läuft automatisch. Bis diese Vision Realität wird, dürfte es noch etwas dauern. Doch auch 133 Jahre nach der Erfindung des Motorwagens durch Carl Benz und der Entstehung eines ganzen Industriezweiges ändert sich die motorisierte Fort­bewegung rasant. Noch im vorigen Jahrzehnt waren autonom fahrende Pkw und Elektromobilität Science-Fiction. Gebremst wird der Fortschritt von fehlender Infrastruktur. Deshalb sind erst 18.000 Elektroautos in Österreich angemeldet – das sind nicht einmal 0,5 Prozent des gesamten Pkw-Bestands. Bis das autonom fahrende Elektroauto zur Selbstverständlichkeit wird, braucht es eine Vielzahl kleiner Schritte. Größte Hürde für das autonome Kraftfahrzeug sind Sicherheitsbedenken, zumal es einige Unfälle mit Testfahrzeugen gab. Ebenso sind rechtliche Fragen und Bedenken der (menschlichen) Lenker noch zu überwinden. Die fortschreitende Verbes­ serung von künstlicher Intelligenz dank enormer ­Datenmengen wird sich aber positiv auswirken, und Pro­ ­ jekte wie ein Forschungstest mit autonomen


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MOBILITÄT

WIR INVESTIEREN IN NEUE MOTORGENERATIONEN UND IN ELEKTROMOBILITÄT. CHRISTOPH SCHRÖDER, BMW GROUP WERK STEYR

E-Bussen in der Seestadt Aspern in Wien können helfen: Ab nächstem Jahr werden dort Shuttlebusse ohne Fahrer unterwegs sein, ein humaner Aufpasser muss vorläufig dennoch an Bord sein. So werden wir uns nach und nach an die eigenständig fahrenden Dinger gewöhnen. Wird das Stauproblem in Städten damit automatisch gelindert? Wohl kaum, warnen Experten. Vielmehr braucht es radikal neue Verkehrsmodelle für Ballungszentren – was rein technologisch dank Big Data & Co. kein Problem ist. Laut Studie verbringen beispielsweise die Wiener derzeit 40 Stunden pro Jahr im Stau. Der Verkehr gilt zudem als einer der Schuldigen für den Klimawandel. Doch wie rasch werden Elektro­ autos die herkömmlichen Diesel- und Benzinmodelle vertreiben? Angetrieben von Tesla, haben längst alle Hersteller solche Modelle im Einsatz – in Österreich sind unter anderem Renault (samt Submarken) und BMW (jedes dritte rein elektrisch betriebene Auto in Österreich gehörte 2017 der BMW-i3-Modellreihe an) federführend – oder werken bereits an einer grünen Flotte. Bis dahin werden die herkömmlichen Motoren ständig verbessert: Seit 1995 wurden die CO2-Emissi­ onen der europäischen Flotte der BMW Group durch den vermehrten Einsatz moderner Dieselaggregate um 42 Prozent gesenkt. „Der Verbrennungs­ motor wird noch auf lange Sicht die vorherrschende Antriebsform sein“, ist Christoph Schröder, Geschäftsführer vom BMW-Motorenwerk in Steyr, überzeugt. Der Standort spielt für den Hersteller beim Thema Antrieb eine zentrale Rolle – in Steyr werde mit Hochdruck daran gearbeitet, bei den Motoren Emissionen und Verbrauch zu senken, betont Schröder. Alleine durch Effizienzverbesserung herkömmlicher Motoren und die steigende Verbreitung von Elektro- und Hybridmodellen könne der CO2-Ausstoß im Verkehrssektor in Österreich bis 2030 um beinahe ein Drittel reduziert werden, heißt es in einer Studie, die vom Automobilclub ÖAMTC in Auftrag gegeben wurde. Wenn es strenge rechtliche Vorgaben geben sollte – etwa Verbot von Verbrennungsmotoren –, würde der Wandel noch rascher passieren.

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Gerüstet für den Umbruch Der automobile Umbruch bringt für Österreichs Industrieunternehmen, die als Zulieferbetriebe weltweit Spitzenleistungen erbringen, zusätzliche Chancen: So hat der Leondinger Batteriehersteller Banner den Umsatz im vorigen Geschäftsjahr um rund elf Prozent erhöht, vor allem wegen der steigenden Nachfrage bei Batterien für Start-Stopp-Fahrzeuge. Mit diesen können Treibstoff und CO2-Ausstoß deutlich reduziert werden. Im BMW Group Werk Steyr werden bereits zwei Drittel aller Motoren für Hybridantriebe der BMW-Group-Fahrzeuge hergestellt – und die entsprechenden Kapazitäten werden weiter ausgebaut. „Wir investieren in neue Motorengenerationen, in Elektromobilität und in noch mehr Kapazität und Flexibilität“, berichtet Chef Christoph Schröder. Ein Beispiel: Im Juni 2020 beginnt die Fertigung von Zentralgehäusen für die fünfte Genera­ tion der Elektroantriebe. Für die Raiffeisenlandesbank OÖ als star­kem regionalem Bankpartner mit ausgezeichneten internationalen Kontakten hat die bestmögliche Unterstützung und Servicierung von innovativen oberösterreichischen Leitbetrieben wie BMW Motoren GmbH in Steyr einen äußerst hohen Stellenwert. Seit fast 15 Jahren sind die zwei Unternehmen gemeinsam in einem partnerschaftlichen Netzwerk erfolgreich, das sich auch auf zahlreiche BMW-Vertriebsstandorte in CEE erstreckt. Start-ups helfen Großkonzernen Innovationen auf den Boden zu bringen und zu begleiten, sind klare ­Aktionsfelder eines auf Zukunft ausgerichteten Finanzpartners. Die Raiffeisenlandesbank OÖ AG agiert in diesem Feld nachhaltig und kann mit AVL – einem Vorzeigeunternehmen in Sachen Innovation – bereits auf eine erfolgreiche langjährige Partnerschaft zurückblicken. Der Antriebs-

Elektromotoren gelten bei dem deutschen Automobilhersteller BMW als Antriebsform der Zukunft.

© BMW, andreasriedmann.at, AVL List

Christoph ­S chröder, ­G eschäftsführer BMW Group Werk Steyr.


MOBILITÄT

AVL List vernetzt Start-ups mit der automotiven ­I ndustrie.

QR-Code ­s cannen und den inno­v ativen SYN TRAC in ­A ction erleben:

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spezialist AVL fördert mit seiner Initiative „Creators Expedition“ (www.creators-expedition.com) Startups und ihre Ideen für den automobilen Wandel. In Form von sechsmonatigen Co-Innovationsprojekten erhalten sie Ressourcen und Know-how. Daneben sei für Start-ups vor allem der unabhängige Zugang zur Automotive-Branche relevant, betont J ­ onas Schneider, Leiter der Creators Expedi­tion bei AVL List. „Deswegen muss sich das junge Start-up nicht in seiner frühen Phase auf einen Autohersteller festlegen, kann aber dennoch von dem Wissen und Netzwerk eines Weltmarkführers profitieren.“ Fünf Projekte wurden bisher gestartet, sie gehen in Richtung autonomes Fahren, Elektrifizierung und künstliche I­ntelligenz – genau jene Felder, die für das Familienunternehmen selbst und für die Branche insgesamt so wichtig sind. Offen für Neues Die Vielzahl an Innovationsfeldern fordert von den etablierten Industriegrößen ein radikales Umdenken. Ihre Produkte, also die Fahrzeuge, müssen sich zur Plattform wandeln, an die auch werksfremde Komponenten andocken können. Ein Vorreiter dieser Philosophie ist das junge oberösterreichische Unternehmen Syn Trac mit seinem gleichnamigen Fahrzeug, einer Mischung aus Traktor, Unimog und Lkw – die Einsatzmöglichkeiten sind nahezu unbegrenzt. Basis ist ein Trägerfahrzeug mit einem speziellen Dockingsystem sowohl vorne als auch am Heck, an das unterschiedliche Anbauten wie Schneefräsen, Mähwerke oder Streumaschinen angebracht werden. Da-

durch kann das Vielzweckfahrzeug in der Land- und Forstwirtschaft ebenso wie im Katastrophenschutz oder bei Arbeiten in Gemeinden eingesetzt werden. Das 2015 gegründete Unternehmen hat derzeit 15 Mitarbeiter, die Übernahme von 26 Prozent durch die Raiffeisen KMU Beteiligungs AG soll weiteres Wachstum sichern, so Syn-Trac-Gründer Stefan Putz. Als Hausbank vertraut er auf die Raiffeisenbank Salzkammergut. Die Markteinführung und das Wachstum innovativer Ideen erfordern Expertise und ein starkes Netzwerk. Eine umfassende Betreuung von der Gründung bis zur Wachstumsfinanzierung ist durch eine enge Zusammenarbeit zwischen den Raiffeisenbanken vor Ort und dem zusätzlichen Know-how der Raiffeisenlandesbank OÖ AG garantiert. Die Zukunftsaussichten für das ungewöhnliche Syn-Trac-Gefährt sind ­jedenfalls rosig – vor Kurzem ­wurde das Unternehmen von der Wirtschaftskammer Oberösterreich zu einem der „Hottest Start-ups“ gewählt. ••

Geleitet wird die AVL-Start-up-­ Initiative ­„ Creators ­E xpedition“ von Sebastian Jagsch und ­ Jonas Schneider.

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IMMOBILIEN

GEBAUTE UTOPIEN Klimawandel, Digitalisierung und Urbanisierung ­erfordern ein radikales Umdenken in Architektur und Bauwirtschaft. Nun ist Mut für visionäre Ansätze gefragt. Text: Robert Prazak

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enn die Bewohner morgens aufwachen, hat sich das Haus bereits der Morgensonne zugedreht. Und wenn sie abends heimkommen, sieht ihr Wohnhaus wieder anders aus, nicht nur wegen der tief stehenden Sonne: Es erkennt die Stimmungs­ lage der Menschen nach einem anstrengenden Arbeitstag und versucht sich anzupassen; i­nnen ­ und außen wandelt sich das kluge Gebäude ständig. Allerdings handelt es sich bei diesem „­ living piece of architecture“ vorläufig nur um einen konzeptuellen Entwurf von Julian Jauk vom Institut für Architektur und Medien der TU Graz. Bis zu einer Realisierung ist es noch ein weiter Weg, aber die Richtung ist vorgegeben: Genau solche Utopien sind es, die Architektur, Bauwirtschaft und Immobilienbranche jetzt brauchen – schließlich befinden sich diese Sparten gleich aus mehreren Gründen in einem gewaltigen Umbruch, da fallen visionäre ­Ideen auf fruchtbaren Boden. Klimawandel, Digi­ talisierung, Ressourcenschonung und Urbanisierung sind die Auslöser des Wandels, der das Aussehen der Gebäude und ganzer Städte grundlegend verändern wird.

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An fantastischen Ideen mangelt es nicht – von kapselähnlichen Gebäuden, in denen nicht nur gelebt und gearbeitet wird, sondern die zudem der Energie- und Lebensmittelversorgung dienen, über Wolkenkratzer mit surrealen Kombinationen aus Pflanzen und Glas bis zu Städten, in denen sich alles unter der Oberfläche abspielt. Für die chinesischen Millionenstädte gibt es Projekte für Hochhäuser, die als eigenständige Ökosysteme die Lebensqualität in den stickigen, überfüllten Ballungszentren heben und eine positive Energie- und Klimabilanz aufweisen sollen. Kühlen statt Heizen Der Klimawandel lässt die klugen Köpfe rauchen, extrem heiße Sommer sind auch in Österreich keine Ausnahme mehr. Tatsächlich ist die Vermeidung sommerlicher Überhitzung laut der Expertenbefragung „Zukunft Bauen 2018“ die größte Herausforderung für den heimischen Bausektor. Doch darauf sind die Gebäude, in denen wir wohnen und arbeiten, ­unzureichend vorbereitet, liegt doch der Fokus derzeit auf dem Heizen statt auf dem Kühlen. Umdenken allein wäre aber zu wenig. Gefragt sind ­Ideen mit dem Zeug zur architektonischen Disruption. Einige Projekte zeigen, in welche Richtung es geht: So entsteht in den Niederlanden das


Die Visualisierung zeigt, was die Zukunft bringt: In Österreich steht bald das höchste Holzhochhaus der Welt.

© Schreinerkastler und cetus Baudevelopment

sogenannte ReGen-Dorf, das mehr Energie erzeugt als verbraucht. Glashäuser an den Wohnhäusern dienen der Lebensmittelproduktion; Pflanzen und Fische werden in speziellen Behältern gezüchtet. Der Wandel von Architektur und Wohnen in Richtung Klimaschutz findet aber auch im Kleinen statt: Die „Wohnwagons“ eines österreichischen Start-ups beispielsweise fungieren als mobile und zugleich luxuriöse Unterkünfte, die von der Stromversorgung und anderen Anschlüssen völlig unabhängig sein können. Gefragt sind auch neue Materialien – allen voran könnte sich Holz als Baustoff wieder etablieren, und zwar durchaus für größere Objekte. In der Seestadt in Wien-Aspern wird derzeit das 24 Stockwerke hohe HoHo-Haus gebaut, das rund um einen Stahlbetonkern zu drei Vierteln aus Holz besteht. Neben einem angenehmen Raumklima soll sich das auf die Klimabilanz auswirken, denn der nachwachsende und in Österreich zur Genüge verfügbare Rohstoff hilft dabei, CO2 einzusparen. Der Die vorbereitete Bank.

KLEINIGKEITEN HABEN EINE GROSSE AUSWIRKUNG AUF DEN WOHNKOMFORT. GERNOT SCHÖBITZ, CEO KONE AG

Life Cycle Tower in Dornbirn, errichtet in Holz-Hybrid-Bauweise, ist ein weiteres Beispiel, dass Beton und Glas nicht sein müssen. Errichtet wurde er vom Vorarlberger Unternehmen Cree, Tochter der Rhomberg-Gruppe. Bei einem Versuch in Wolfurt werden zwei identische Wohnhäuser errichtet: Das eine Gebäude wird aus Holz gebaut, das andere aus Stahlbeton. Neben neuen Materialien braucht es auch neue Kühlsysteme wie Geo­ cooling (Bodenheizung führt Wärme aus dem Inneren ab), die das Klima für Umwelt und Bewohner verbessern. Und die Gebäude sollen grüner

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HENRIK EHRNROOTH, PRÄSIDENT UND CEO VON KONE

werden – im besten Wortsinn. Vera Enzi, Expertin für Bauwerksbegrünung: „Das Problem ist die fehlende Abkühlung in der Nacht, die Gebäude heizen sich tagsüber auf und wirken wie ein massiver Energiespeicher.“ Genau da sei Begrünung eine Chance. Wichtig sei ein ganzheitlicher Ansatz, Hitzeinseln seien jedenfalls ein globales Problem. „Darauf wird noch zu wenig Rücksicht genommen, es sollte bei Einsatz und Kombination von Baumaterialien ein Umdenken geben.“ Die Menschen zieht es weltweit in die Ballungszen­ tren – das hat Folgen. Schon jetzt leben drei Viertel der Weltbevölkerung in Städten, die nur drei Prozent der Oberfläche besetzen. Enormer Energieverbrauch, ungünstiges Mikroklima und sinkende Lebensqualität können die Folgen sein, wenn wie bisher geplant und gebaut wird. Das viel zitierte Smart City soll helfen: Verkehrsströme, die Energieversorgung und die ge-

Mehr als ein Gag: Mit den KONE 24/7 Connected Services können Aufzüge miteinander sprechen und halten uns auch über gefahrene Meter oder den Wartungsbedarf auf dem Laufenden. So führt digitaler ­Fortschritt zur ­E ffizienzsteigerung.

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samte CO2-Bilanz einer Stadt sollen damit optimiert werden. Klüger und grüner soll auch der einzelne Haushalt werden: Vernetzte Geräte, Sen­ soren und das Internet der Dinge sind die Voraussetzungen für das Smart Home. Licht, Heizung und Kühlung können aus der Ferne via Smart­ phone re­guliert werden. Der twitternde Aufzug Den Übergang vom einzelnen Smart Home zur Smart City schafft die Gebäudetechnik: Dank Vernetzung und Einsatz von künstlicher Intelligenz werden Ressourcen geschont und Kosten gesenkt. So bringt KONE, ein weltweit führender Hersteller von Aufzügen und Rolltreppen, mit seinem „Residential Flow“ genaue Informationen über das Gebäude aufs Smartphone. Damit kann etwa Besuchern der Zutritt ins Haus erlaubt werden, der Aufzug hält gleich im richtigen Stockwerk. „Um KONE Residential Flow zu entwickeln, haben wir mehr als 200 Facility-Manager, Projektentwickler und Gebäudebewohner weltweit befragt. Dabei haben wir herausgefunden, dass es oft die Kleinigkeiten sind, die eine große Auswirkung auf das Komfort-Level der Bewohner haben: eine Tür zu öffnen, wenn man die Hände voller Einkaufstaschen hat, oder eine Lieferung annehmen zu wollen, wenn man nicht zuhause ist. KONE Residential Flow entschärft diese Alltagssituationen und macht das Nachhausekommen wieder einfach“, erläutert Gernot Schöbitz, Vorstandsvorsitzender der KONE AG. Sein Unternehmen hat auch den ersten Aufzug im Einsatz, der auf Twitter über seine Aktivitäten berichtet. Dahinter steckt mehr als ein Gag: Im Facility-Management senken Geräte und Systeme, die selbstständig über notwendige Wartungen berichten, den Aufwand. Solche Maßnahmen führen schrittweise zu Gebäuden, die Ressourcen und Klima schonen. Wie rasch der Wandel zur menschen- und klima­ freundlichen Architektur erfolgt, hängt vom Mut der Akteure ab – und von der Bereitschaft der Auftraggeber und der künftigen Immobilien­nutzer, abseits derzeitiger Normen zu denken. Die Verwirklichung innovativer ­Immobilienprojekte braucht auch die richtige Vorbereitung und e ­ inen starken Partner. Mit der Raiffeisenlandesbank OÖ AG wurden in den vergangenen 20 Jahren visionäre und großvolumige Finanzierungsvorhaben in Österreich, Deutschland und Tschechien realisiert. Das gelingt durch ein Netzwerk an Konsortialpartnern, in dem der Kunde von raschen Entscheidungen, umfangreicher Fachkompetenz und maßgeschneiderten Finanzierungskonzepten aus einer Hand profitiert. ••

© KONE, Hersteller, Hans Schubert

WIR SEHEN GESPANNT IN DIE ZUKUNFT UND FREUEN UNS DARAUF, NEUE LÖSUNGEN ZU ENTWICKELN, UM DAS VOLLE POTENZIAL DER GLOBALEN ­MEGATRENDS URBANISIERUNG UND DIGITALISIERUNG ZU ­NUTZEN.


INTERVIEW: CAROLINE PALFY

„DAS HOCHHAUS WÄCHST IN EINER STUNDE NACH“ Interview mit Caroline Palfy, die in Wien das höchste Holzhochhaus ider Welt konzipiert.

Das höchste Holz­ hochhaus der Welt steht nach zwei­ jähriger ­Bauzeit nun kurz vor der Fertigstellung.

Scannen Sie den QR-Code und sehen Sie eine kurze Reportage über die inno­ vativsten Holzhochhäuser der Welt:

business: Sie entwickeln in der Seestadt Aspern das höchste Holzhaus der Welt. Warum Holz? Caroline Palfy: Vor fast vier Jahren sollte ich mir für unsere Baufelder in der Seestadt Ideen überlegen. Mein grundsätzlich simpler Ansatzpunkt war: Wie kann man den Werkstoff Holz für unsere zukünftige Generation in einem neuen Stadtteil sinnvoll einsetzen? Der Gedanke, die Machbarkeit eines so groß­ volumigen Holzprojekts zu überprüfen, ließ mich nicht mehr los. Vier Monate dauerte die Prüfung aller Risiken, immer in enger Abstimmung des Kernteams mit den Behörden. Dass das HoHo Wien mit Ende des Jahres schon fertiggebaut sein wird, beweist, dass der derzeit vorherrschende Holzboom nicht nur ein Trend ist, sondern Holz verstärkt auch als gleichwertiger Baustoff im urbanen Raum genutzt werden kann. business: Ihr Fokus bei HoHo liegt auf nachhaltigen und ökologischen Bauweisen. Warum leistet man als Liegenschaftsentwickler diese Pionierarbeit? Palfy: Wir leben in Österreich in einem Holzland, diese wertvolle Ressource sollten wir nützen. Die aktuellen technischen Möglichkeiten bieten die Chance, Holz auch als wesentliches Element im Hochhausbau einzusetzen. Natürlich muss man auf die Kosten achten, es gilt alle wirtschaftlichen sowie ökologischen Vorteile zu nutzen. Wir haben mit Günter Kerbler einen holzaffinen Investor, der sich auch etwas traut! Das HoHo Wien kostet rund zehn Prozent mehr als Projekte in konventioneller Bauweise, die kürzere Bauzeit könnte den höheren Aufwand jedoch kompensieren. Das gesamte Projekt HoHo Wien liegt im Vergleich zu konventionellen Bauten bei 30 Prozent Mehrkosten, da wir als Pionier zu Beginn einiges bezüglich der Durchführbarkeit testen mussten. Wir wollen zeigen, was möglich ist, und etwas zurückzugeben, für unsere Kinder. Der Holzbau ist in jedem Fall im Vormarsch! business: Der höchste der insgesamt fünf Baukörper des HoHo Wien wird 24 Stockwerke, also 84 Meter hoch sein. Der Holzbauanteil beträgt 75 Prozent, es werden rund 4.600 Kubikmeter Holz verbaut. Woher stammt das Holz? Welche Auswirkung hat die Nutzung auf den österreichischen Holzvorrat?

Die vorbereitete Bank.

Palfy: Das Holz für die Holzverbund-Deckenelemente von MMK, einem Joint Venture der Mayr-Melnhof Holz Holding AG und der Kirchdorfer Gruppe, stammt aus Eigenforst von Mayr-Melnhof, aber auch die Brettsperrholzwände und Brettschichtholzstützen von Hasslacher Norica Timber kommen zur Gänze aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern. In Österreich wachsen jährlich 30 Millionen Kubikmeter Holz nach, davon werden 26 Millionen Kubikmeter genutzt. Die restlichen vier Millionen ­Kubikmeter verbleiben im Wald und vergrößern stetig den Holzvorrat. In jeder Sekunde wächst ein Kubikmeter Holz nach, das gesamte HoHo Wien ist in nur einer Stunde und 17 Minuten in unseren heimischen ­Wäldern nachgewachsen. business: Die cetus Baudevelopment GmbH, deren Geschäftsführung Sie innehaben, ist spezialisiert auf Immobilien- und Liegenschaftsentwicklung in besonders dynamischen Wachstumslagen im Raum Wien. Auf welche gebauten Utopien dürfen wir uns in Zukunft aus Ihrem Hause freuen? Palfy: Sagen wir es so: Es werden keine Utopien, sondern wir werden unserem Credo treu bleiben, dass man den richtigen Werkstoff für das richtige Gebäude und die richtige Idee einsetzt. Bei uns wird es nie ein Entweder-oder, sondern immer ein Miteinander geben – egal, ob beim Bauen, beim Werkstoff oder mit unseren Kunden und Partnern. ••

ZUR PERSON Die 1979 in Wien geborene Caroline Palfy star­ tete ihre Karriere nach dem HTL-Kolleg in Architekturbüros. 2004 wechselte sie zur conwert Immobilien Invest SE. 2012 folgten die Baumeisterprüfung und der Wechsel als Projektentwicklerin in die Kerbler-Gruppe. 2013 gründete sie mit Günter Kerbler die cetus Baudevelopment GmbH, die sich auf die nachhaltige Entwicklung von Bauprojekten spezialisiert. Als Geschäftsführerin der Entwicklungsgesellschaften der Aspern-­Seestadt-Baufelder konzipiert sie das weltweit höchste Hochhaus in Holzbauweise.

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AFRIKA

MANGEL TREIBT ­INNOVATION Krieg, Flucht, Hunger, Despotie: Afrika schien über Jahrzehnte ein verlorener Kontinent zu sein. Und steht deshalb kaum auf dem ­Radar von Exporteuren und Investoren. Ein schwerer ­Fehler: Die Start-up Szene blüht auch auf dem schwarzen Kontinent. ­Speziell im Fintech-Bereich helfen afrikanische ­Innovationen, Alltagsprobleme zu lösen. Text: Markus Mittermüller

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Die afrikanische Banking-App M-Pesa erobert auch Europa.

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eldtransaktionen über Banken-Apps, Bezahlen im Netz über Apple Pay oder Google Pay. Was sich in den vergangenen Jahren auch in Deutschland und Österreich immer mehr durchsetzt, wirkt für Kenianer ziemlich altbacken. Dort hat die finanztechnische Revolution schon im Jahr 2007 begonnen – und sie trägt den Namen M-Pesa. In Afrika, wo kaum 20 Prozent der mehr als 1,2 Milliarden Einwohner ein Bankkonto besitzen, aber zwei Drittel der ­Bevölkerung über ein Mobiltelefon verfügen, hat M-­Pesa den Missing Link geschaffen. Das System verwandelt das Handy in eine Geldbörse und ermöglicht einen bargeldlosen Zahlungsverkehr – auch ganz ohne Bankkonten. Geld senden funktioniert damit so einfach wie das Verschicken einer SMS. Mittlerweile wurde M-Pesa – der Begriff setzt sich aus M für mobile und dem aus dem Swahili stammenden Wort „Pesa“ für Bargeld zusammen – auch in Tansania, Afghanistan, Südafrika, Indien, Rumänien und Albanien eingeführt. In seiner Heimat ist es ohnehin unschlagbar: Schon fast die Hälfte des kenianischen BIP wird über dieses System verarbeitet. Das sind knapp 30 Milliarden Euro. Ist M-Pesa ein wirtschaftlicher Solitär auf einem Kontinent, der es sonst nur mit Hungersnöten, Kriegen und Flüchtlingsströmen in die Schlagzeilen schafft? Oder ist das erfolgreiche Fintech der deutlich sichtbare ­Vorbote für einen Wandel, der bislang noch unter dem wirtschaftlichen


AFRIKA

Afrikas unbekannte Seite: viele Start-ups und rasantes Wachstum.

nicht in der Motivation, einen Internetgiganten wie Facebook oder ­Google zu erfinden, und auch nicht im Antrieb, viel Geld zu verdienen. „Der Mangel ist hier der entscheidende Treiber“, sagt der Wirtschaftsexperte. Und an Mängeln leidet der drittgrößte Kontinent der Erde nach wie vor stark. In Subsahara-Afrika leben über 40 Prozent der Menschen in Armut und haben weniger als 1,9 US-Dollar täglich zur Verfügung. ­Lücken in der Infrastruktur und der Energieversorgung erschweren die tägliche Grundversorgung und die wirtschaftliche Entwicklung. Die Demokratie ist in vielen Staaten noch immer ein wackliges Gebilde – oder überhaupt nicht vorhanden.

IN AFRIKA SPRIESSEN INNOVATIONSHUBS AUS DEM BODEN. © mimagephotos - stock.adobe.com, vectorfusionart - stock.adobe.com

RUDOLF THALER, AFRIKA-EXPERTE WKO

Radar der sogenannten Ersten Welt liegt? „Afrika ist ein Wachstums- und Zukunftskontinent“, ist Rudolf Thaler von der Wirtschaftskammer Österreich überzeugt. Als Regionalmanager der Außenwirtschaft war er das erste Halbjahr 2018 selbst vor Ort, um österreichischen Unternehmen das „andere“ Afrika zu vermitteln und sie dafür zu begeistern. Was den Afrikaexperten so optimistisch stimmt, ist nicht allein die Fintech-Szene, in der der Kontinent inzwischen sogar weltweit führend ist. „Hier gibt es eine lebendige Start-up-Szene, Innovation-Hubs sprießen aus dem Boden“, so Thaler. Der Grund dafür liegt

Die vorbereitete Bank.

Gründermentalität im Vormarsch Viele Innovationen entstehen daher, um diese alltäglichen Probleme zu lösen. „Die Afrikaner haben Ideen und eine echte Gründermentalität“, weiß Dominik Stute von der Industrie- und Handelskammer zu Dortmund (IHK). Diese veranstaltet beispielsweise das Deutsch-Afrikanische Wirtschaftsforum oder die „Start.up! Germany Tour“, wo immer mehr afrikanische Gründer ihren Pitch abliefern. Wie Gjenge Makers aus Kenia, die das Problem des Plastikmülls bekämpfen wollen. Ihre Lösung: Über eine mobile Anwendung verbindet sich das Unternehmen mit privaten Haushalten und kauft ihnen den Müll ab. Dieser wird recycelt und zum Beispiel für den Bau von Häusern aus Plastik eingesetzt. Oder AgroCenta aus Ghana. Diese Gründer wollen den fairen Handel für Kleinbauern südlich der Sahara erleichtern, indem sie diese über eine digitale Plattform direkt an größere Märkte anschließen. „So können sie die Preise ohne ausbeuterische Zwischenhändler aushandeln“, erklärt Stute. Schon mehr als 10.000 Bauern in Ghana nutzen diese Plattform. „Der Wandel in Afrika ist bereits im Gange, das Wirtschaftswachstum ist überdurchschnittlich groß“, bestätigt Stute die Aussagen Thalers. Einer Meinung sind die beiden auch, wenn es um die künftige Geschwindigkeit beim Thema Innovation geht. „Die Digitalisierung hilft der afrikanischen Wirtschaft, sofort mit dem nächsten Schritt anzufangen“, so Stute. Thaler spricht hier von Technologiesprüngen, dem sogenannten „Leapfrogging“. Ein Beispiel dafür: „Da es keine Stromleitungen gibt, überspringen die Afrikaner die klassische Verteilung von Elektrizität und investieren gleich in Solarsysteme.“ Spezialfall Kenia Als Vorreiter des Wandels gilt vielen Experten das ostafrikanische Kenia. „Auch die hiesige Regierung unterstützt die Digitalisierungsoffensive“, so Marah Köberle. Die Delegierte der Deutschen Wirtschaft ist vor Ort in Kenia, um deutsche und europäische Unternehmen beim Markteinstieg zu unterstützen. Sie beobachtet schon länger die zunehmende Zahl junger Unternehmen. „Kenia hat andere Voraussetzungen: Der ­Zugang zu Informationen ist besser“, erklärt Köberle. 70 Prozent der Bevölkerung hätten Zugang zum Internet, während die Netzdurchdringung in der Subsahara-Region insgesamt bei unter 20 Prozent liegt. Auch der Faktor Bildung spielt der positiven wirtschaftlichen Entwicklung in die Hände. Die Anzahl der Studierenden hat sich in Subsahara-Afrika zwischen den Jahren 1999 und 2015 mehr als verdreifacht. Da jedoch erst 8,5 Prozent einer Altersgruppe studieren, besteht verglichen mit dem Weltdurchschnitt von 36,8 Prozent weiterhin ein großes Wachstums­ potenzial. Dasselbe gilt für die gesamten Ausgaben für Forschung und Entwicklung, die in Subsahara-Afrika weiterhin nur einen Anteil von 0,4 Prozent am Bruttoninlandsprodukt ausmachen. Der Weltdurchschnitt liegt bei 1,7 Prozent.

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AFRIKA

Firmen profitieren Haben deutschsprachige Unternehmen diesen Wachs­ tumsmarkt bereits für sich entdeckt? Laut Außenwirtschaftsprofi Thaler ist noch sehr großes Potenzial vorhanden. Rund 200 heimische Unternehmen sind derzeit in Afrika aktiv, speziell an den Rändern des Kontinents im Norden und Süden. Dort werden etwa in den großen Städten Seilbahntransportsysteme als Alternative zu Stadtautobahnen entwickelt. „Hier kommen die Vorarlberger Spezialisten von Doppelmayr/Garaventa zum Zug, vor allem in Algerien“, erzählt Thaler. Auch der österreichische Verpackungsspezialist Alpla ist bereits mit 19 Produktionsstätten in Afrika vertreten. Ebenso wie das Salzburger Unternehmen Skidata: Der Entwickler von Stadion-Zugangssystemen hat den Einstieg in Afrika über die Fußball-WM 2010 geschafft und verkauft jetzt auch Technologien, die das Parken mit dem Mobiltelefon als Zahlungsmittel ermöglichen. „Die Unternehmer sollen sich ihr eigenes Bild vor Ort machen, ihre Netzwerke aufbauen und sich auf einzelne Märkte konzentrieren“, rät Thaler heimischen Unternehmen, die zum Sprung nach Afrika ansetzen. Doch unabhängig davon, ob die Innovationen von den Menschen vor Ort oder in Kooperation mit europäischen Unternehmen entwickelt werden – der Handlungsbedarf für die Lösung alltäglicher Pro­ble­me

Luanda (Angola) ist die teuerste Stadt Afrikas – und Sinnbild für steigenden Wohlstand.

bleibt enorm. Der Trend in Richtung Urbanisierung nimmt zu und erfordert smarte Lösungen in den Bereichen Wohnen, Transport, Umwelt, Abfall oder auch Energie. 2016 wurde in Ruanda bereits der erste Airport für unbemannte Flugzeuge eröffnet – mangels ausgebauter Straßensysteme werden Cargo-Drohnen zu effizienten Transportalternativen für Blut und medizinischen Bedarf. Klar ist: Afrika zeigt auf, und einige seiner Staaten befinden sich auf der Überholspur. Eine Tatsache, die von immer mehr Unternehmen rund um den Globus erkannt wird – und die schon jetzt um die aussichtsreichsten Partnerschaften für die Zukunft rangeln. ••

„VERLÄSSLICHE PARTNER VOR ORT SIND ENTSCHEIDEND“

HIGHRES DATEN FOLGEN PLATZHALTER

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business: Lange spielte Afrika für deutsche und österreichische Exporteure kaum eine Rolle. Warum entdecken nun immer mehr Unternehmen den Kontinent der Chancen für sich? Dr. Mag. Ekkehard Redlhammer: Die beeindruckenden Wachstums­ raten des schwarzen Kontinents tragen sicher dazu bei. Länder wie Äthio­pien, Côte d’Ivoire, Ghana oder Senegal verzeichnen ein jährliches Wirtschaftswachstum von sieben bis zehn Prozent. Dazu kommt eine ­rasante Bevölkerungsentwicklung. Bis zum Jahr 2050 wird sich die Bevölkerung Afrikas von jetzt 1,2 Milliarden auf 2,4 Milliarden Menschen verdoppeln. Das führt zu enormen Bedarfen an Wohnraum, Nahrung, Gesundheitsversorgung, Verkehrs- und Kommunikationsinfrastrukturen. Viele afrikanische Länder haben inzwischen auch ein Entwicklungsniveau erreicht, wo österreichische Unternehmen mit ihren qualitativ höher­ wertigen und höherpreisigen Produkten reüssieren können. Es sind kaufkräftigere Mittelschichten entstanden, die sich zunehmend bestimmte Konsumgüter leisten können und wollen.

© Witthaya - stock.adobe.com, xxxxxxxx

Exportberater Dr. Mag. Ekkehard Redlhammer über Chancen und Risken auf afrikanischen Märkten


AFRIKA

Dennoch ist Afrika für viele österreichische Unter­ nehmen nach wie vor ein unbekannter Kontinent. Und sie müssen aufpassen, nicht den Anschluss zu verlieren. So haben neben zahlreichen westlichen Staaten vor allem Schwellenländern wie der Türkei, Indien und allen voran China die afrikanischen Wirtschaftsräume für sich entdeckt und bauen dort mit nationalen ­Strategien ihre Einflusssphären im großen Stil aus. In einigen afrikanischen Ländern sind chinesische Unternehmen bereits führend und dominieren den Infra­ strukturbereich und den Handel. Bisher hat Europa dem wenig entgegengesetzt. Der ehemalige Kolo­ nialstaat Frankreich etwa verlor seit 2000 50 Prozent seiner Marktanteile im frankophonen Afrika. business: In welchen Bereichen gilt es die größten Potenziale zu heben? Redlhammer: Die Bedarfe sind grundsätzlich in allen Bereichen riesig, insbesondere im Aufbau von Infrastrukturen für Verkehr, Energie- und Umwelttechnik, Kommunikation, Wohnen oder auch in der Gesundheitsversorgung. Bis 2035 wird die Hälfte aller Afrikaner in Städten leben. Megacitys wie Kairo, Lagos oder Kinshasa mit über 20 Millionen Einwohnern benötigen neben Technologien auch Know-how zur Versorgung ihrer Bewohner. Die Landwirtschaften müssen ihre Produktivität massiv steigern, um konkurrenzfähig zu werden. Möglichkeiten für Exporteure bieten die Lieferung von Technologien ebenso wie Beratung und Dienstleistung. Afrika ist reich an Bodenschätzen, die Nachfrage nach Technologien zur Förderung und Aufbereitung der Erze und Mineralien ist hoch. Afrika hat noch keine wirkliche Industrialisierung erlebt, erst in den letzten Jahren hat sich die Automobilindustrie mit Produktionsstätten angesiedelt. Dies bringt neue Möglichkeiten für den Zulieferbereich. Stark im Wachsen ist auch der Dienstleistungssektor – gerade im Bereich von Mobilfunk und Internet. Die Digitalisierung ist in Afrika bereits voll im Gange. Senegal beispielsweise hat einen nationalen Schwerpunkt auf die Entwicklung ­eines eigenen IT-Sektors gelegt, was für österreichische Unternehmen im Bereich des Offshore-Outsourcings interessant sein kann.

QR-Code scannen und aktuelle Zahlen, Daten und ­Fakten zum Zukunftskontinent abrufen:

Die vorbereitete Bank.

business: Welche drei afrikanischen Länder sind für Sie die wirtschaftlich interessantesten? Redlhammer: Aus unserer Sicht sind in Westafrika die Wachstumsmotoren Côte d’Ivoire und Ghana sowie in Ostafrika der 100-Millionen-Einwohner-Markt Äthiopien als Wachstumskaiser mit jährlich zehn Prozent plus die spannendsten Optionen. Côte d’Ivoire ist nach Nigeria die zweitgrößte Volkswirtschaft Westafrikas und für Österreich der zweitwichtigste Exportmarkt der Region. Die Afrikanische Entwicklungsbank hat ihren Sitz in Abidjan, und der fixe Wechselkurs zum Euro schließt das Währungsrisiko für Exporteure aus. Côte d’Ivoire verfügt über sehr enge wirtschaft­ liche und kulturelle Beziehungen zu den ebenfalls stark wachsenden regionalen Nachbarn Ghana,

­ urkina Faso, Guinea und Senegal und ist als Eintrittstor für Exporteure B nach Westafrika prädestiniert. Ein Geheimfavorit ist für uns Tansania. Das ehemalige Deutsch-Ostafrika zeichnet sich seit Jahren durch eine relativ hohe politische und wirtschaftliche Stabilität aus und besticht auch durch jährliche Wachstumsraten um die sechs Prozent. Das Land gilt allerdings bei vielen österreichischen Unternehmen noch als „uncharted territory“. business: Bosch und Daimler weiten ihr Engagement in Afrika stetig aus. Kann sich dieser Mut bezahlt machen? Redlhammer: Afrikanische Märkte sind nicht einfach. Wer den schnellen Dollar sucht, wird rasch enttäuscht sein. Der Mut, sich in Afrika zu engagieren, macht sich dann bezahlt, wenn man dieses Engagement langfristig anlegt und es als Partnerschaft von gegenseitigem Geben und Nehmen versteht. Geben bedeutet hier nicht nur die Lieferung von Produkten oder Technologien, sondern vor allem auch das Investment in Bildung und den Transfer von Know-how. Einer unserer Kunden bildet etwa vor Ort in Afrika Mechaniker an seinen Anlagen aus. Damit stellt er sicher, dass seine Anlagen nachhaltig korrekt gewartet werden, und er festigt damit seine Vor-Ort-Beziehungen. Gleichzeitig ermöglicht er es den VorOrt-Partnern, ihr eigenes Servicegeschäft aufzubauen. business: Wie gelingt der Markteintritt in Afrika? Redlhammer: Afrika ist ein Kontinent mit 54 teilweise sehr unterschiedlichen Ländern. Man muss sich genau ansehen, auf welche Regionen bzw. Länder man seinen Fokus legt. Das Um und Auf sind verlässliche Partner vor Ort. Wir übernehmen für unsere Kunden in ausgewählten Märkten auch selbst operative Vertriebsaufgaben – vom Lobbying bis hin zum outgesourcten Vertrieb. Wichtiges Thema ist die Finanzierung. Hier ist Kreativität gefragt, sei es in der Erschließung von Förder- und Finanzierungsquellen oder in der Gestaltung von flexiblen Finanzierungsmodellen wie BOT, PPP etc. Österreich genießt auf afrikanischen Märkten grundsätzlich einen sehr guten Ruf, das ist eine sehr große Chance für unsere Exporteure. Allerdings muss man selbst den ersten Schritt w ­ agen. Am Zukunftskontinent Afrika führt jedenfalls kein Weg vorbei. ••

ZUR PERSON Dr. Mag. Ekkehard Redlhammer berät und begleitet seit mehr als 25 Jahren Unternehmen bei ihrer strategischen Entwicklung und beim internationalen Marktaufbau. Er ist Geschäftsführer des international tätigen Beratungsunternehmens DYNAXITY Consulting GmbH mit Sitz in Linz, Oberösterreich und Partnerbüros in Abidjan (Côte d’Ivoire), Ankara (Türkei), Casablanca ­(Marokko) und Jakarta (Indonesien). Er ist ­zertifizierter INCITE-Berater für Export/Inter­ nationalisierung, Vortragender bei der WKO ­Exportakademie und Autor der Studien „Bauund Infrastruktur in Westafrika“ (WKO) sowie „Chancenpotenziale österreichischer Unter­ nehmen in Subsahara-Afrika“ (BMWFW).

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DAS RUSSISCHE SILICON VALLEY

RUSSISCHES REISSBRETT Ein Comeback der Fünfzigerjahre: Russland baut wieder künstliche Städte, um bei Hightech an die Spitze zu kommen. Der höchste Führungszirkel des Staates kümmert sich ­persönlich um die E­ ntwicklung entsprechender Ökosysteme. Die Nagelprobe steht der Strategie noch bevor. Text: Leo Szemeliker

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DAS RUSSISCHE SILICON VALLEY

© 123RF – Nikolay Sachkov

Das 2010 eröffnete Innovationszentrum in Skolkowo ist eines der architektonischen Leuchtturmprojekte – und die Keimzelle für eine neue Stadt.

Die vorbereitete Bank.

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DAS RUSSISCHE SILICON VALLEY

D

er Staat ist der älteste und mutigste Innovator“, schreibt Mariana Mazzucato in ihrem Bestseller aus dem Jahr 2015, „Das Kapital des Staates“. Sie bezieht sich dabei nicht unbedingt auf die Sowjetunion, wo einst ganze Städte am Reißbrett geplant wurden, um den Westen technologisch abzuhängen. Nach Überwindung der jüngsten Wirtschaftskrise misst sich Russland dennoch erneut und kompetitiv wie eh und je am Westen. Und gräbt auch die Idee der HightechStädte aus der Staatsretorte wieder aus. Rückblende. Vor fast 60 Jahren besuchte Nikita Chruschtschow die USA. Der von US-Medien „Mr. K“ (von der englischen Schreibweise Khrushchev) getaufte Obersowjet war überzeugt, dass die kommunistische Sowjetunion die USA „einholen ­ und überholen“ werde. Dafür wurden auch gewal­ tige Anstrengungen unternommen. Städte wie die 1958 nordwestlich von Moskau geplante Stadt ­Zelenograd wurden im engeren Wortsinn auf der grünen Wiese neu errichtet (zelenij = russ. „grün“). Hier wurden technische Forschungseinrichtungen angesiedelt, zu denen Ausländer bis 1991 nicht einmal Zutritt hatten. Bei seiner USA-Reise 1959 meinte Chruschtschow, endlich die Früchte der ambitionierten Fünf-JahresPläne ernten zu können: Er blieb im Aufzug des Luxushotels Waldorf Astoria stecken. Für den Choleriker aus Kursk war das Versagen des Aufzugs der Beweis, dass das technische K.o. des Kapitalismus bevorstand. Selbiges trat allerdings bis heute nicht ein. Eher im Gegenteil: Fast gleichzeitig mit dem

RUSSLAND IST EINER DER ­ZUKUNFTSMÄRKTE FÜR NEUE, DIGITALE TECHNOLOGIE. ARTEM SNEGIREV, VP CORRESPONDENT BANKING RLB OÖ

Artem Snegirev: Es sind noch große Heraus­ forderungen zu bewältigen.

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Chruschtschow-Besuch begann mit der Gründung von Fairchild ­Semiconductor der Aufstieg des Silicon Valley nördlich von San Francisco. 1964 wurde Chruschtschow abgesägt, der wirtschaftliche und technische Abstand zur USA wuchs stetig. Bis zum Jahr 1991, als die UdSSR endete. Der Wille zur Innovation Die heutige Russische Föderation nimmt den Wettlauf um die Nummer eins wieder auf. Hat Russland doch gerade im Bereich Mathematik immer Weltklasse-Leute hervorgebracht. Zwei prominente Beispiele: Sergej Brin, Google-Mit­begründer, wurde in Moskau geboren. Alexej Paschitnow, Dimitri Pawlowski und Wadim Gerassimow erfanden an der Moskauer Akademie der Wissenschaften den weltweiten Computerspielerfolg „Tetris“. Russland war also immer ein Ingenieursland. Gesteuert wurden und werden alle Anstrengungen stets von ganz oben. Dimitri Medwedew persönlich, Wladimir Putins Regierungschef und für eine Periode interimistisch auch sein Präsident, setzt etwa auf den studierten Mathematiker Wiktor Wekselberg – einer der zehn reichsten Russen und unter den hundert reichsten Menschen des Planeten. Über seine Holding Renova ist er auch an einer Vielzahl von Unternehmen beteiligt, vor ­allem in Russland und in der Schweiz. 2010 bekam er von Medwedew den Auftrag, ein „russisches Silicon Valley“ in Hauptstadtnähe ins Leben zu rufen. Drei bis vier Nobelpreisträger sollen dort forschen und arbeiten. Als Standort wurde das 400-Seelen-Dorf Skolkowo ausgewählt, rund 20 Kilometer vom Kreml entfernt. Hier sollen bis zu 50.000 Technikerinnen und Techniker studieren, forschen, leben und arbeiten. Rund um das Skolkowo Innovation Center entsteht derzeit ein Ökosystem aus Schulen, Universitäten, Fördereinrichtungen, Labs, Inkubatoren, Finanzierungsprogrammen und Firmen. Vorbild ist das Massachusetts Institute of Technology, mit dem seit mehreren Jahren auch eine Partnerschaft besteht. Projektkoordinator Wekselberg präsidiert die „Stiftung für die Entwicklung der Innograd Skolkowo“ („grad“ = russ. „Stadt“), der viele internationale Wirtschaftspromis angehören, wie etwa der französische Unternehmer Martin Bouygues oder der frühere Nokia-Chef und nachmalige finnische Ministerpräsident Esko Aho. Durch die Kontakte zu den höchsten Stellen im Kreml ist unter den kooperierenden Firmen stets das „Kto jest kto“ (Who’s


DAS RUSSISCHE SILICON VALLEY

ren Partnerbanken in sämtlichen Regionen der Welt“, erzählt Snegirev. Die Technologieliebe Russlands fällt ihm schon seit längerer Zeit auf: „Im Finanzsektor zum Beispiel werden neue digitale Technologien sehr schnell eingesetzt und verwendet. Die russischen Finanzinstitute haben bei der Entwicklung von digitalen Produkten und Plattformen ambitionierte und konkrete Zeitpläne.“

© RLB OÖ, ITAR-TASS News Agency / Alamy Stock Photo

In Skolkowo forscht man ­i ntensiv an ­R obotern.

Scannen Sie den QR-Code und sehen Sie eine Kurz-Dokumentation über das russische „Silicon Valley“:

Die vorbereitete Bank.

who) der russischen, aber auch der internationalen Wirtschaft, vor allem der Siemens-Konzern wurde immer wieder genannt. Peter Löscher, früher CEO bei Siemens, war auch im Stiftungsrat. Erste Erfolge werden bereits präsentiert: „Es existieren sehr viele Programme und Stiftungen, die extra dafür geschaffen wurden, um Start-ups aus verschiedenen Bereichen zu unterstützen. Die Unterstützung ist so gut, dass Moskau selbst im internationalen Vergleich als einer der besten Orte zum Gründen ­bezeichnet wird“, sagt etwa Michail Perepelitskij, Gründer des russischen Start-up-Unternehmens Onetrak, das auf Fitnesstracker spezialisiert ist. Das Entwicklungsprogramm läuft bis 2020. Liebe zur digitalen Technik „Es ist sehr interessant zu beobachten, wie sich der neue Technologiesektor in Russland entwickelt“, erklärt Artem Snegirev, als Vice President Correspondent Banking der Raiffeisenlandesbank OÖ für die ­Regionen Osteuropa und Lateinamerika zuständig. Neben der Positionierung der Bank als inter­ national anerkannter Geschäftspartner und dem Bereich Handels- und Bankfinanzierungen ist das Correspondent Banking in der Raiffeisenlandesbank OÖ auch zuständig für die Unterstützung von Firmenkunden bei deren Geschäften im Ausland. Dieser Bereich umfasst die Absicherung und Finanzierung von Exportgeschäften, die Unterstützung bei Kontoeröffnungen und die Abklärung lokaler Finanzierungs- sowie sonstiger Produktmöglichkeiten (z. B. Cash-Management) und allgemeine Bonitätsauskünfte über Banken und Länder. „Durch regelmäßige Reisen in die wichtigsten bestehenden und neuen Märkte sowie den Besuch internationaler Bankenmessen und Konferenzen und unsere tägliche Zusammenarbeit in diversen Produktbereichen haben wir langjährige und gute Kontakte zu unse-

Schwierige Verwicklungen Die äußerst große Nähe der neuen Technozentren zum russischen Staat kann auch zum Nachteil werden: Sogar Innograd-Promoter Wiktor Wekselberg selbst geriet zwischen die geopolitischen Fronten. Der Name des gebürtigen Ukrainers findet sich seit April 2018 auf einer Sanktionenliste der Vereinigten Staaten, die wegen Putins Syrien- und Ukrainepolitik in Kraft getreten ist. Im Februar 2013 wurde außerdem ein Verfahren gegen das Forschungszentrum eröffnet. Denn für das Projekt Innograd wurden 55 Milliarden Rubel aus dem Staatsbudget ausgegeben, es kam aber weniger als die Hälfte an. Und Kritiker, die man in Russland nur selten hört, monieren, es laufe etwas zäh. Die Nagelprobe für Skolkowo wird sein, innovative Kleinunternehmen anzuziehen und die hohen Aufwendungen für Planung und Errichtung zu rechtfertigen. Wobei Skolkowa beileibe nicht das einzige Projekt dieser Art in Russland ist: Selbst das unter Chruschtschow geplante Zelenograd hat durch die Mikroelektronikindustrie einen erneuten Aufschwung erfahren und gilt wieder als eines der „Silicon Valleys“ Russlands. Und mit der Technostadt Innopolis nahe Kasan in Tatarstan zieht man zum ersten Mal seit dem Ende der Sowjetunion erneut eine auf dem Reißbrett geplante ganze Stadt mit eigenem Statut hoch – so wie einst das Städtchen Toljatti 1955 für die Fiat-Lada-Werke neu errichtet worden war (die Vorgängerstadt Stawropol wurde weggeschwemmt, nachdem die Wolga für den Bau eines Staudamms gesperrt worden war). Eine neue Stadt für 150.000 Menschen Innopolis liegt ebenfalls an der Wolga und wurde von Liu Thai Ker entworfen, jenem Architekten, der in den 80er-Jahren die heutige Millionenmetropole Singapur völlig neu geplant hatte. Auch hinter Innopolis steht Technikfan Dimitri Medwedew. Im mit Öl reich gewordenen ­Tatarstan legte Medwedew 2012 den Grundstein. Bereits 2015 erhielt Innopolis das Dekret, dass es eine Stadt ist. Errichtet wurden dort die erste IT-Universität des Landes, Schulen, Kindergärten, ein Spital – alle mit hoher Affinität zur Informationstechnologie. Der Plan ist: Bis 2035 sollen in Innopolis 150.000 Menschen leben und arbeiten, jeder Zweite davon soll ein IT-Spezialist sein. Derzeit ist Innopolis eine große Baustelle. Relativ menschenleer – noch. Die autonome Repu­blik Tatarstan lockt ausländische Firmen mit Steuergeschenken. Innopolis, 23 Kilometer nördlich der Hauptstadt Kasan, ist – wie Skolkowo und Zelenograd auch – eine begünstigte Sonderwirtschaftszone. Mit vielen Initiativen soll auch Innopolis eines der Zentren des digitalen Russlands werden: Im Juni 2018 beispielsweise fand die russische Digital-Industry-Konferenz unter der Patronanz des Rostech-Konzerns statt. Tatarstans Präsident Rustam Minnichanow selbst sprach fast schon programmatisch zu dem Thema, um das es in Russland derzeit überall geht: „Digitale Kooperation. Neue Möglichkeiten für die Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft“. Snegirev: „Natürlich wird es hier in nächster Zeit Herausforderungen für Investoren, Entwickler und Spezialisten in diesem Technologiesektor geben. Wenn man aber die Größe des Bedarfs der russischen Finanzinstitute und Unternehmen analysiert, erkennt man schnell, dass das Land ­einer der Zukunftsmärkte für neue digitale Technologien ist.“ ••

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DER MENSCH IM MITTELPUNKT DER DIGITALISIERUNG

WIE MAN MITARBEITER FÜR DEN DIGITALEN WANDEL GEWINNT

Digitalisierung ist der Megatrend, aber auch das Schreckgespenst in allen Unternehmen. Äußerlich wird fleißig genickt, wenn es um die Wichtigkeit der Digitalisierung fürs eigene Business geht, aber innerlich ruft der Begriff Unruhe hervor: Wie geht Digitalisierung? Was heißt das für mich persönlich? Müssen wir unser komplettes Geschäftsmodell neu erfinden? Sollen wir etwa Google werden? Natürlich nicht, lautet die Antwort von Bettina Volkens und Kai Anderson. Sie zeigen in ihrem Buch, dass es eine humane Form der Digitalisierung gibt, die weder Menschen zu Maschinen macht noch sie durch solche ersetzt. Sie plädieren für eine Digitalisierung, die mit den Menschen entsteht und für Menschen da ist. Sie zeigen, wie jeder Mitarbeiter eines Unternehmens sich selbst auf die Digitalisierung vorbereiten und von ihr profitieren kann und was Unternehmen für ihre Mitarbeiter tun können und müssen, um in der neuen Arbeitswelt Schritt halten zu können. Was dies für einzelne Branchen bedeutet, zeigen Projektbeispiele aus führenden Unternehmen wie Lufthansa, SAP, ProSiebenSat.1, Otto Group, Württembergische Versicherungen, TUI, Strabag und Telekom. ••

Ein Familienunternehmen lässt digitale Geschäftsmodelle von Mitarbeitern und Betriebsrat entwickeln. Ein Mittelständler revolutioniert mit einer digitalen Dienstleistung die Nahrungsmittelindustrie. Ein frisch gegründetes Produktteam wirft bisherige Prozesse über Bord, lernt selbstständig agile Zusammenarbeit und erwirtschaftet so Millionenumsätze. Wie ist das möglich? Sebastian Purps-Pardigol und Henrik Kehren haben in mehr als 150 Interviews über 30 Firmen analysiert und zwölf Unternehmen ausgewählt, die die eigene digitale Transformation vorbildhaft vorantreiben. Ihre Erkenntnis: Je größer das Maß der Digitalisierung in einer Organisation, desto mehr Aufmerksamkeit braucht das Thema Menschlichkeit. Anhand zahlreicher Unternehmensbeispiele (u. a. Bosch-Siemens, Phoenix-Contact, Viessmann, tolino-Allianz) und mithilfe neuer Erkenntnisse aus Hirnforschung, Psychologie und Verhaltensökonomie erklären die Autoren, was genau in diesen Unternehmen geschehen ist und wie sich dieses Wissen auf andere Firmen übertragen lässt. Eine Pflichtlektüre für jeden, der am digitalen Wandel beteiligt ist. ••

Bettina Volkens, Kai Anderson: Digital human Campus Verlag, 2017 ISBN: 978-3-5935-0835-1

Sebastian Purps-Pardigol, Henrik Kehren: Digitalisieren mit Hirn Campus Verlag, 2018 ISBN: 978-3-5935-0842-9

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© Campus Verlag, Mumann Publishers GmbH 2016, Vahlen Verlag

BUCHTIPPS


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DER WEG ZUM DIGITALEN UNTERNEHMEN

VERSCHLÄFT DIE WIRTSCHAFT DIE DIGITALE ZUKUNFT?

Quarks sind elementare Bausteine der Materie. Auch der digitale Wandel in Unternehmen lässt sich auf elementare Teilchen zurückführen. Diese Teilchen heißen d.quarks – die Bausteine der digitalen Transformation. Sie beziehen sich auf Fähigkeiten, die ein Unternehmen benötigt, um digitale Wertschöpfung zu gestalten, zu erzeugen und an Kunden zu vermitteln. Immer mit Blick auf die Organisation, Menschen & Kompetenzen, Prozesse und Technologien. Dr. Carsten Hentrich und Michael Pachmajer begleiten seit Jahren Unternehmen beim Schritt in das digitale Zeitalter. Sie sind heute Direktoren im Consulting bei PwC. Dort verantworten sie im Kundensegment Familienunternehmen und Mittelstand den Beratungsschwerpunkt Digitale Transformation. Sie wissen, dass Digitalisierung ein gutes strategisches Fundament sowie neue Formen der Kollaboration und Partizipation benötigt. Gemeinsam haben sie die d.quarks identifiziert und beschreiben sie hier zum ersten Mal in einem zusammenhängenden Modell. Anhand realistischer Fallbeispiele zeigen sie, wie Unternehmen die d.quarks nutzen sollten, um digital zu werden. ••

3D-Druck, Arbeiten 4.0, Social Shipping, Employer Branding, Customer Journey, Inbound Marketing – viele Begriffe prägen den neuen, von digitaler Vernetzung geprägten Unternehmensalltag. Ähnlich wie die Dampfmaschine, deren Einsatz den Übergang von der Agrarwirtschaft zur Industriegesellschaft auslöste, wird die Digitalisierung die Wirtschaft und Gesellschaft im 21. Jahrhundert tiefgreifend verändern. Tim Cole ist überzeugt, dass sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren entscheiden wird, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern dieser digitalen Transformation gehören wird. Der in den USA geborene und in Salzburg lebende Journalist gilt als führender Experte für Internet, E-Business, Social Web und IT-Sicherheit, für die Süddeutsche Zeitung ist er „der Wanderpre­ diger des deutschen Internets“. Sein Credo: Jedes Unternehmen muss sein Geschäftsmodell auf den Prüfstand stellen, in allen Bereichen, vom Vertrieb bis zum Einkauf, vom Marketing bis zur Logistik, von der Fertigung bis zum Personalwesen. „Digitale Transformation“ zeigt, was Unternehmer jetzt tun müssen. Ein wichtiges Buch für jeden, der im Unternehmen Verantwortung trägt. ••

Carsten Hentrich, Michael Pachmajer: d.quarks Murmann Publishers GmbH 2016 ISBN: 978-3-8677-4554-3

Tim Cole: Digitale Transformation Vahlen Verlag, 2015 ISBN: 978-3-8006-5043-9

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VORSCHAU

Wir verbinden, was zusammengehört.

WELT+MÄRKTE LESEN SIE IN DER NÄCHSTEN AUSGABE ALLES ZUM THEMA EXPORT INTERNATIONALISIERUNG: RANKING DER ERFOLGREICHSTEN EXPORTEURE ÖSTERREICHS UND DIE BESTEN DER WELT BLICK ÜBER DEN TELLERRAND: IM NETZWERK ERFOLGREICH – ENTERPRISE EUROPE NETWORK IST DAS WELTWEIT GRÖSSTE BUSINESS SUPPORT CENTER ROUND TABLE: WKO-PRÄSIDENT HARALD MAHRER MIT EXPORTUNTERNEHMERN IM GESPRÄCH ÜBER DIE MÄRKTE DER ZUKUNFT

© RLB OÖ, Fotolia/kingwin, Montage cpg

ERSCHEINUNGSTERMIN FRÜHJAHR 2019

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