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Josef Unteregelsbacher: Kopf, Herz und Hand

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JOSEF UNTEREGELSBACHER Kopf, Herz und Hand

Soziales Engagement als Lebensaufgabe: Josef Unteregelsbacher ist einer, der sich gerne für andere einsetzt. Ob in seinem ehemaligen Beruf als Krankenpfleger, als freiwilliger Helfer auf Bergbauernhöfen, Mitglied des Pfarrgemeinderats oder Vorsitzender des Projekts LeO, das Lebensmittel an Bedürftige verteilt. Der 72-Jährige sagt: „Armut ist eine sensible Sache.“

PZ: Armut und Südtirol: Wie passt das zusammen?

Josef Unteregelsbacher: Leider sehr gut, auch wenn man das auf den ersten Blick nicht vermuten würde. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander, und die Menschen mit wenig Einkommen bleiben auf der Strecke. Wir sehen immer wieder, dass Armut ein Teufelskreis ist, in den man schnell hinein- und nur schwer herauskommt. Krankheiten, vor allem psychische, und Spielsucht sind Treiber von Armut. Und wenn alles schon zu spät ist, dann wollen viele die Sorgen mit Alkohol zudecken. Ich sehe oft, dass es eben doch stark davon abhängt, wo jemand hineingeboren wird und welchen Freundeskreis er hat, wenn es um die Chancen im Leben geht. Die Weichen werden früh gestellt.

Ist Armut sichtbar?

Sie ist selten sichtbar, aber allgegenwärtig.

Etwa 200 Menschen, davon über 60

Kinder, nehmen die Lebensmittelausgabe in Bruneck in Anspruch. Was sind ihre Geschichten?

Da ist die Mutter, die ihren Kindern nichts mehr zu essen geben kann, weil der Mann jeden Cent in die Spielhalle trägt und der Kühlschrank leer ist. Ich erinnere mich an eine Frau, die, als sie sich aus genau einer solchen Situation wieder gelöst hat, zu uns kam und uns das Geld zurückgeben wollte. Da ist der Rentner, der sagt, durch die Lebensmittelausgabe kann ich mir mit dem gesparten Geld endlich wieder mal ein Stück Fleisch leisten. Da kommen Leute, deren Zähne klappern und die deshalb nach weicher Nahrung fragen und viele alte Menschen, die nach einem Leben voller Arbeit trotzdem in Armut dastehen. Und in der ersten Zeit der Corona-Pandemie kamen auch Familien, beide Elternteile in der Gastronomie tätig und plötzlich ohne jegliches Einkommen – solche Menschen haben wir früher natürlich gar nicht gesehen.

Wie groß ist die Hemmschwelle, Hilfe anzunehmen?

Armut ist eine sehr sensible Geschichte. Wir sind im Moment 45 Mitarbeiterinnen und Der Brunecker Josef Unteregelsbacher, Jahrgang 1949, arbeitet nach dem Besuch der landwirtschaftlichen Schule in Dietenheim bis zu seinem 21. Lebensjahr bei verschiedenen Bauern. Dann beschließt er, Krankenpfleger zu werden und wie er sagt „von den Viechern zu den Leuten zu wechseln”. Von 1971 bis 1972 besucht er die Hilfskrankenpflegerschule in Bruneck und holt berufsbegleitend die Abendmittelschule nach. Dann besucht er die dreijährige Krankenpflegeschule und arbeitet 15 Jahre auf der Chirurgie. Von 1986 bis 2007 hat er die Pflegedienstleitung am Krankenhaus Bruneck inne. Der Vater von drei Kindern und fünffache Großvater ist seit jeher sozial engagiert. Viele Jahre ist er im Brunecker Pfarrgemeinderat und bei der katholischen Männerbewegung aktiv, arbeitet bei der Pflege des Waldfriedhofs und auf verschiedenen Bergbauernhöfen mit und ist Vorsitzender des Pensionistenvereins Farmat des Gesundheitsbetriebs Bruneck. Seit 2014 ist er Vorsitzender des Projekts LeO, Lebensmittel und Orientierung, das Lebensmittel an Menschen ausgibt, deren Einkünfte nicht für das Lebensminimum reichen. Im August ist Unteregelsbacher für sein Engagement mit der Verdienstmedaille des Landes Tirol ausgezeichnet worden. //

Mitarbeiter und wir sagen immer: Was hier im Häuschen passiert, bleibt hier. Viele trauen sich einfach nicht, sich zu outen. Darauf angesprochen zu werden, kommt einer Kränkung gleich. Das wiegt alles so schwer, dass viele trotz Bewilligung nicht zu uns kommen. Erst letzthin hatten wir jemanden, der zwar ab Februar die Lebensmittelausgabe in Anspruch hätte nehmen können, aber bis August mit sich gerungen hat. Ich kann allen, die Hemmungen haben den Dienst in Anspruch zu nehmen, nur sagen: Kommt zu uns, niemand braucht sich zu schämen!

Das Projekt heißt LeO, Lebensmittel und Orientierung. Wer hat Anrecht auf die Ausgabe?

Alle Personen mit einem Berechtigungsschein. Dieser kann an all jene Personen ausgestellt werden, die im Gebiet vom Sozialsprengel bzw. Dekanat Bruneck ansässig sind und zwar im Sozialsprengel, bei der Ca-

ritas, der Vinzenzgemeinschaft, vom sozialen Referenten der Gemeinde und von mir. Die Berechtigung kann für einen begrenzten Zeitraum oder unbegrenzt gelten.

Die Ausgabestelle befindet sich am

Ortseingang von Bruneck. Wie kam es zu diesem Projekt?

Die Idee dazu hatte Brigitte Pezzei, die damalige Referentin für Soziales in der Stadt Bruneck. Mit Vertretern von Caritas, Pfarrgemeinderat, Gemeinde und Sozialsprengel hat man dann gemeinsam an der Umsetzung gearbeitet. Da die Mieten für Räumlichkeiten zu hoch gewesen wären, wurde schlussendlich ein Rubnerblockhaus angekauft, das mit Spenden der Stiftungen von Rubner, Südtiroler Sparkasse, Raiffeisenkasse Bruneck, Bezirksgemeinschaft und Gemeinde Bruneck finanziert wurde. Wasser- und Stromzuleitungen hat das E-Werk-Bruneck kostenlos ausgeführt und auch die Folgekosten übernommen. Der Grund ist von der Söllstiftung leihweise zur Verfügung gestellt worden, der Architekt Gerhard Mahlknecht hat die Planung kostenfrei übernommen und die Inneneinrichtung des Häuschens wurde von Karlheinz Grohe gestellt. Und neben ihnen haben noch viele weitere einen kostenlosen Beitrag oder Spenden für das Projekt geleistet. Seit Februar 2014 werden hier Lebensmittel an Bedürftige ausgegeben. Am Anfang einmal in der Woche, mittlerweile sind wir an sechs Tagen da. Das hat mit der Lebensmittelbeschaffung zu tun. Wir dürfen jeden Tag bei bestimmten Geschäften Lebensmittel abholen, die kurz vor dem Verfallsdatum stehen. Damit sie nicht schlecht werden, müssen wir sie schnell verteilen.

Anerkennung: Die Landeshauptleute Günther Platter (Tirol, l.) und Arno Kompatscher (Südtirol) zeichnen Josef Unteregelsbacher mit der Verdienstmedaille des Landes Tirol für sein Engagement im sozialen Bereich aus.

Woher kommen die Lebensmittel?

Zum einen erhalten wir Geldspenden, mit denen wir Lebensmittel kaufen und dann verteilen. Die Pusterer haben eine sehr soziale Ader und sind großzügig, das muss ich sagen. Und dann gibt es verschiedene Geschäfte, Bäckereien und Bars, die uns Lebensmittel, die kurz vor dem Ende der Haltbarkeit stehen bzw. nicht mehr verkauft werden können, zum Beispiel belegte Brötchen, Pizza, Brot, Gebäck, Obst, Gemüse zur Verfügung stellen. Unsere ehrenamtlichen Fahrer holen die Lebensmittel dann auf eigene Kosten und Verantwortung bei den verschiedenen Orten ab. Es ist schon erstaunlich, was wir in unserer Gesellschaft heute alles wegwerfen müssen. Kuchen, Brioches, Brot, Obst und Gemüse, Joghurt, Käse: Das ist alles gutes Zeug, was wir da bekommen.

Darf jeder nehmen, wie viel er mag?

Die Menge hängt einerseits von den Lagerbeständen ab, aber auch davon, wie groß die Familie ist, die mitversorgt werden muss. Und dann hängt es auch vom Verhalten jedes Einzelnen ab. Höflichkeit und ein Danke setzen wir voraus. Die allermeisten sind sehr dankbar und den ein oder anderen Unzufriedenen können wir gut verkraften.

Welche Geschichten freuen Sie besonders?

Wenn wir mitbekommen, dass es jemandem nach einer schwierigen Zeit wieder besser geht oder sich Menschen mit einem dankbaren, freudigen Gesicht verabschieden. Wir hatten einmal einen jungen Burschen, der nach der Scheidung der Eltern auf der Straße gelandet ist und eine Weile im Wald gelebt hat. So etwas lässt einen nicht kalt.

LeO ist nicht das einzige Projekt, für das Sie viel Zeit investieren. Kann man

Engagement lernen?

Wer Menschen nicht mag, wird nicht Krankenpfleger. Insofern war eine gewisse soziale Ader bei mir wohl immer schon vorhanden. In vieles bin ich auch einfach nur hineingewachsen. Die Verdienstmedaille habe ich aber nicht alleine verdient, sondern alle, die sich Tag für Tag mit mir für LeO einsetzen. Für die Lebensmittelausgabe braucht es viele fleißige Hände und Menschen mit Kopf, Herz und Hand. Alleine erreichst du gar nichts. Ein Helfersyndrom sollte man am Ende aber auch nicht entwickeln, das wäre dann doch zu viel. Der ist ja schon fast mit dem Häuschen verheiratet, scherzen manche. Meine Frau hat schon sehr viel Geduld gebraucht in all den Jahren.

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