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Ein Mann mit Weitblick
Wolfgang Prinz von Hessen (1896-1989)
TEXT: Rainer von Hessen
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Das Landgrafenpaar Margarethe und Friedrich Karl auf der Nordtreppe von Schloss Friedrichshof (1903) V.l.: Friedrich Wilhelm, Christoph, Philipp, Richard, Maximilian, Wolfgang
Der Zwillingsbruder von Philipp Landgraf von Hessen (1896-1980) leitete 38 Jahre lang die Hausstiftung als Geschäftsführer. Die Biografie des Prinzen ist symptomatisch für den Identitätswandel seines ehemals privilegierten Standes im 20. Jahrhundert. Im Kaiserreich geboren, war er Zeuge einer Revolution, nahm an zwei Weltkriegen teil, erlebte zwei Besatzungszeiten, zwei Republiken, eine Diktatur und die deutsche Teilung. Er starb wenige Monate vor dem Mauerfall.
Der vierte Sohn des Landgrafenpaares Friedrich Karl (1868-1940) und Margarethe, Prinzessin von Preußen (1872-1954), wurde auf eigenen Wunsch in der Kadettenanstalt Berlin-Lichterfelde erzogen. Im August 1914 ritt er, kaum 18-jährig, mit seinem Ulanenregiment in den Krieg, in dem er die beiden ältesten Brüder verlor.
In den letzten Kriegsmonaten 1918 wurde Wolfgang von der Nachricht überrascht, dass sein Vater vom finnischen Landtag zum König gewählt und er selbst zum Thronfolger bestimmt sei. Doch die skurrile Episode fand mit dem Thronverzicht des Vaters – noch ehe er ihn bestiegen hatte – infolge des Zusammenbruchs des deutschen Kaiserreichs im Dezember 1918 ihr Ende.
Nach dem Krieg machte der Prinz unter dem bürgerlichen Namen Wildhof eine Lehre beim Bankhaus Bethmann in Frankfurt. Danach arbeitete er als Bankkaufmann bei M.M. Warburg in Hamburg und New York. 1924 heiratete er Marie Alexandra, die Tochter des letzten kaiserlichen Reichskanzlers Prinz Max von Baden, bezog eine Villa in Frankfurt und arbeitete bei der Industrie- und Handelskammer in Wiesbaden.

Das Brautpaar Marie Alexandraund Wolfgang 1924
Zu Beginn des NS-Regimes 1933 wurde Wolfgang, der sich wie seine Brüder in der Nazipartei und ihren Gliederungen engagierte, vom preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring, einem ehemaligen Kameraden der Kadettenzeit, auf den Landratsposten in Bad Homburg gehoben. 1940 meldete Wolfgang sich zur Wehrmacht und kam als Rittmeister der Reserve in Norwegen und Finnland zum Einsatz. Aufgrund von Hitlers geheimem „Prinzenerlass“ gegen „international versippte“ ehemalige Fürstenhäuser wurde er 1943 aus der Wehrmacht entlassen und geriet bei Kriegsende für ein Jahr in amerikanische Internierungshaft. Bis zu seinem Entnazifizierungsverfahren stand sein Vermögen unter Treuhandschaft. Sie wurde 1948 aufgehoben, als ihn die Spruchkammer Bad Homburg als ‚unbelastet‘ einstufte, was einem Freispruch gleichkam.
Als Wolfgang 1948 im Einvernehmen mit seinem Bruder Philipp die Geschäftsführung der Familienstiftung übernahm, die zwanzig Jahre zuvor als Kurhessische Hausstiftung errichtet wurde, gab man ihr allgemein keine große Chance. Infolge des Luftkriegs war Schloss Rumpenheim, der Geburtsort der Brüder (bei Offenbach), ausgebrannt und Schloss Fasanerie (bei Fulda) schwer beschädigt. Wolfgangs Frankfurter Wohnhaus lag in Trümmern. Der Privatbesitz der Hessens, Schloss Friedrichshof (in Kronberg), das ihre Großmutter Kaiserin Friedrich hinterlassen hatte, blieb zwar verschont, wurde aber vorerst von der US-Siegermacht besetzt, die es als Offizierskasino benutzte.

Prinz Wolfgang als designierterfinnischer Thronfolger 1918
Ein Museum für das gerettete Kunsterbe
Als Erstes gingen er und Philipp daran, die Kriegsschäden des Barockschlosses Fasanerie zu beseitigen. Für sie bestand die vordringliche Aufgabe der Stiftung darin, dort ein Museum einzurichten, welches das gerettete Kunsterbe der Linie Hessen-Kassel dauerhaft für die Allgemeinheit sichern sollte. Während Philipp in 30-jähriger Arbeit sein museales Lebenswerk schuf, stand Wolfgang als Geschäftsführer vor dem Problem, wie die Unterhaltskosten, die durch Besucher nicht annähernd gedeckt wurden, durch nachhaltige Einnahmen anderer Stiftungsbetriebe erwirtschaftet werden könnten.

Prinzessin Otti und Wolfgang, mit demfinnischen Orden, den ihm der finnische Generalkonsul 1985 überbrachte
Wolfgang traf nun zukunftweisende Entscheidungen: Die wirtschaftliche Struktur, die er vor 70 Jahren auf die Beine stellte, ist heute identisch mit den Betrieben der Unternehmensgruppe Prinz von Hessen. Die Ruine Rumpenheim wurde an die Stadt Offenbach verkauft. Anstatt sein privates Wohnhaus in der Nähe des Frankfurter Messegeländes wieder aufzubauen, errichtete er dort das Hotel Hessischer Hof. Als Schloss Friedrichshof von den Amerikanern geräumt wurde, machten die Brüder daraus das Schlosshotel Kronberg und aus dem Park einen Golfplatz.
In Panker und Schmoel, den holsteinischen Gütern der Hausstiftung, wurden Trakehnerpferde aus Gestüten aufgenommen, die aus Ostpreußen vertrieben worden waren. Nach und nach wurde die Milchviehwirtschaft auf Feldwirtschaft umgestellt. Sie zählt heute zu den verlässlichsten Einnahmequellen der Stiftung. Mit dem Erlös privaten Waldbesitzes, der als Bauland an die Stadt Offenbach verkauft wurde, erwarben die Brüder unter anderem das Johannisberg-Weingut im Rheingau.

Der 80. Geburtstag von Landgraf Philipp und Prinz Wolfgangin der Bibliothek des Schlosshotels am 6.11.1976
Als die Hotels und das Weingut, die zum Privateigentum der Familie gehörten, sich als solide Einnahmequellen erwiesen, überzeugte Wolfgang die Brüder davon, sie als Schenkung auf die Stiftung zu übertragen. So war deren Überleben mittelfristig gesichert.
In seiner Arbeit wurde Wolfgang von seiner zweiten Frau unterstützt. Die gebürtige Frankfurterin Otti Möller (1903-1991) hatte vor dem Krieg ein Modegeschäft in der Kaiserstraße besessen. Sie kümmerte sich um die Inneneneinrichtung der Gästezimmer in den Hotels, während die Repräsentativräume und Säle ihr Schwager Philipp ausgestaltete. Wolfgangs erste Frau war 1944 bei einem Luftangriff ums Leben gekommen. Beide Ehen blieben kinderlos.
Im Gegensatz zu seinem entschiedenen Führungsstil waren Wolfgangs Lebensführung und Auftreten bescheiden. Für die Tätigkeit als Geschäftsführer nahm er kein Gehalt. Den Großteil seines Vermögens, darunter die Fasanerie bei Hanau mit Golfplatz und Restaurant, übermachte er zu Lebzeiten der Hausstiftung.
Aus Kurhessische wird Hessische Hausstiftung
1986 löste den 90-Jährigen sein Neffe Moritz in der Geschäftsführung ab. Landgraf Moritz (1926-2013), der seinem Vater Philipp 1980 als Familienoberhaupt nachgefolgt war, hatte bereits seit längerer Zeit in der Geschäftsleitung mitgearbeitet. Im selben Jahr (1986) wurde aus der Kurhessischen die Hessische Hausstiftung, infolge der Zustiftung des darmstädtischen Kulturbesitzes durch die kinderlose Witwe des letzten großherzoglichen Erben, Margaret Prinzessin von Hessen und bei Rhein (1913-1997). Seit der Landesteilung durch Landgraf Philipp den Großmütigen 1567 war nun das Kulturerbe der kurfürstlichen und der großherzoglichen Linien wieder vereint. Damit kamen auf Landgraf Moritz und die Hausstiftung neue Herausforderungen zu, die in einem weiteren Kapitel der Familiengeschichte erzählt werden.