VECTURA #13

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ein entsprechendes Uhrwerk. Es war dann die längst legendäre Mark 11 von 1948, welche erstmals echten Rundumschutz durch Werkhaltering, Innenboden und Zifferblatt aus ferromagnetischem Weicheisen gewährleistete. 1955 beglückte die «International Watch Company» dann Kraftwerkstechniker, Cockpit-Besatzungen und Ingenieure mit den sagenhaften, 36,6 Millimeter grossen «Ingenieur»-Referenzen 666 A sowie 666 AD. Erstere beseelte das hauseigene Automatik­kali­ ber  852, Letztere das um ein Fensterdatum erweiterte 8521. Der Magnetfeldschutz reichte bis 80 000 Ampère pro Meter (A/m). Mehr ist mit konventionellen Weicheisen-Innengehäusen schlichtweg nicht möglich. Abtauchen konnte man damit bis 100 Meter. Ab 1959 stattete IWC eine neue «Ingenieur» mit den optimierten Automatikkalibern 853 bzw. 8531 aus; an den Referenznummern änderte sich derweil nichts. Die 1967 eingeführte, insgesamt rund 13 Millimeter dicke und um einen halben Millimeter vergrösserte Referenz 866 brachte neben dem etwas sportlicheren Look die Automatikkaliber 854 ohne und 8541 mit Fensterdatum. Der ab 1972 erstaunliche Erfolg der stählernen «Royal Oak» von Audemars Piguet sprach sich natürlich auch bis nach Schaff­ hausen herum. Und er setzte IWC bei der inzwischen leicht angegrauten «Ingenieur» unter Zugzwang, was Gérald Genta an Deck brachte: Der erfolgreiche Designer kreierte daraufhin die völlig neue, sportlich-elegant gestylte «Ingenieur SL». Die grosse Version mit 40 Millimeter Gehäusedurchmesser, auch «Jumbo Ingenieur» tituliert, trug die Referenznummer 1832. Gummisegmente bewahrten das weiterhin bis 1000 Gauss Feldstärke gegen Magnetfelder geschützte Manufakturkaliber 8541ES vor heftigen Stössen. Der Kaliberzusatz E signalisierte die Verwendung von amagnetischem Material für Anker, Ankerrad und Hebelscheibe. S wies auf den Sekundenstopp hin. Retrospektiv kann man zur Referenz 1832 sagen, dass es die an sich richtige Uhr zur falschen Zeit war, denn IWC verkaufte damals weniger als 1000 Einheiten. Von der massiv­ goldenen Referenz 9232 verliessen einige Duzend Exemplare die Fabrik. Auch die mit Eta-Quarzwerken ausgestatteten Referenzen 3003 (Stahl) und 9503 (Gold) hatten kleine Auflagen von einigen hundert bzw. unter hundert Stück Vier exklusive Exemplare fertigte IWC von der Referenz 9720 mit Brillantlünette. Weitere Forschung gefragt In den 1980er-Jahren gab es eine Vielzahl unterschiedlich neuer «Ingenieur»-Referenzen, darunter auch solche explizit für Damen. Markenfans sind besonders die flachen und deshalb salopp «Skinny» getauften Versionen in Erinnerung. Damals kämpften die Uhrmacher verbissen gegen die begrenzte Leistungsfähigkeit klassischer Nivarox-Spiralen: Die Deutsche Marine hatte in Schaffhausen wegen einer SpezialArmbanduhr für Minentaucher angeklopft. Ziel war ein aus möglichst wenig magnetisierbaren und so kaum mit Magnetfeldern interferierenden Metallen gefertigter Zeitmesser. Intensive Be­ mühungen über mehrere Jahre hinweg, welche weitreichende Erfahrungen aus der IWC-Kompass-Uhr (Ref. 3510) einbezogen, mündeten in der «Ocean Bund»-Referenz 3519 AMAG. Beim verbauten Automatikkaliber Eta 2892-A2 hatten alle ausgetauschten Bauteile bezüglich ihrer Härte, Ausdauer und Leistungsfähigkeit den gleichen Qualitätsstandards zu genügen wie die Originale. Andererseits mussten sie aber den vorgegebenen militärischen Spezifika hinsichtlich der amagnetischen Eigenschaften genügen und zu diesem Zweck kreierten die Techniker eine neuartige NiobZirkonium-Unruhspirale. Weichen mussten auch die stählernen

Kugeln des Rotorlagers: An ihre Stelle traten aus Rubinen her­ gestellte Pendants. IWC fertigte nur wenige Dutzend dieser kostspieligen Militär-Armbanduhren, um die sich immer noch viele Geheimnisse ranken. Sicher ist, dass sie unter der Wasseroberfläche keinesfalls Magnet-Minenzünder auslösen durften. Legendär ist ferner die Resistenz gegen Magnetfelder bis 400 000 A/m oder umgerechnet 5000 Gauss. Das war und ist der fünffache Wert von Armbanduhren mit Weicheisenmantel rund ums Werk.

Bereits 1888 entwickelte man in Schaffhausen zwei Palladium-Uhrwerke mit nichtmagnetischen Eigenschaften

Auf die Spitze getrieben Gross waren sie nicht, die 1989 vorgestellten Referenzen 3508, 3518, 9238 und 9258 (Letztere in Massivgold); ihr Gehäuse mass nur 34 Millimeter. Ungeachtet dessen leisteten diese «Inges» Grossartiges. Ihre Widerstands­ fähigkeit gegen Magnetfelder reichte nämlich bis zu 500 000 A/m. Gleichwohl verliessen ca. 1500 Exemplare mit dem Automatik­kaliber 37590 die Ateliers. Hinter dieser Bezeichnung verbarg sich erneut das Eta 2892-A2 als Plattform. Allerdings hatte das Unternehmen magnetisch sensible Komponenten des Assortiments einem rigorosen Tauschprogramm unterworfen – Glucydur ersetzte Stahl und auch tragende Teile wurden substituiert. Ebenso interessant ist die Geschichte rund um die Unruhspirale: Die Zusammensetzung des überaus kostspieligen Materials scheint verloren gegangen zu sein; weder IWC noch der Produzent Nivarox-FAR besitzen einschlägige Dokumente. Jedenfalls führte der exorbitante Spiralenpreis 1992 zum defini­ tiven Aus für die extrem «schlanke», von Sammlern gesuchte und recht teuer bezahlte «Ingenieur SL», welche sogar in einem Kernspintomographen bei 3,9 Millionen A/m oder knapp 50 000 Gauss unverdrossen tickte. Die «Ingenieur»-Zukunft gehörte bei den 1993 vorgestellten Automatik-Referenzen 3521, 3522 und 9239 (Gold) wieder dem preiswerteren und deutlich leichter beherrschbaren Weicheisen-Innengehäuse. Es schützte das Automatikkaliber 889 der Schwester Jaeger-LeCoultre. 2005 wartete IWC dann mit der 42,5 Millimeter grossen «Ingenieur Automatik» auf, welche mit Eta-basierten Kalibern ausgestattet war. In der opulenten Linie «Big Ingenieur» tickten ab 2008 echte Manufakturkaliber. Sie liessen sich zulasten des angestammten Magnetfeldschutzes durch einen Sichtboden bei der Arbeit beo­ bachten. Gegenwart und Zukunft Der Genfer Uhrensalon 2013 brachte schliesslich eine vollständig überarbeitete und teilweise auch mit herausragenden Komplikationen ausgestattete «Ingenieur». Gross geschrieben wird seither auch eine Kooperation mit dem Mercedes AMG Petronas Formula One Team; entsprechende Uhren lancierte IWC (man ist auch offizieller Zeitnehmer beim Volvo Ocean Race, siehe S. 042 ff.) im September des gleichen Jahres. Die Pole Position gehört in diesem Zusammenhang zweifellos einem komplexen Tourbillon mit Konstantkraft-Antrieb. Den aufwendigen Mechanismus, welcher das kontinuierlich sinkende Drehmoment der beiden Zugfedern kompensiert, haben die WINTER 2014 / 15 143


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