PRESTIGE Switzerland Volume 33

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FINANCE

«Die hohe Geschwindigkeit, in der die Anpassungen in der Finanzbranche erbracht werden müssen, gleicht der aus der IT-Branche.» Kommen wir nochmals zum schwierigen volkswirtschaftlichen Umfeld in Europa. Trotz niedrigster Zinsen sitzen die Leute auf dem Geld. Investiert wird kaum. Obwohl einige volkswirtschaftliche Daten in Europa seit einigen Jahren wieder deutlich nach oben zeigen. Wie lässt sich die Situation aus Ihrer Sicht skizzieren? Das ist eine schwierige Situation. Fast alle Banken haben gehofft, dass wenn die Märkte wieder robuster, auch die Kunden wieder aktiver werden würden. Das würde dann auch die Erträge wieder erhöhen. Dieses positive Szenario ist so nicht eingetreten. Bei vielen Anlegern sitzt der Schock der Finanzkrise immer noch tief. Viele haben daher auch die positiven Entwicklungen an den Börsen, die in den letz­ ten zwei Jahren zu beobachten waren, verpasst und er­ warten jetzt wieder einen Rückschlag. Für viele sind die Bewertungen schon wieder zu hoch. Die konservativen Handlungsoptionen prägen immer noch das Gesamtbild. Aber auch die Bankverantwortlichen agieren bisher kaum. Sie reagieren nur. «Die Hoffnung stirbt zuletzt» scheint das Motto zu sein. Ich habe den Eindruck, viele Verantwortliche agieren wie das Kaninchen vor der Schlange. Trifft das zu und, wenn ja, was steckt da­ hinter? Es ist einfach, von aussen dieses passive Verhalten zu kri­ tisieren. Es ist aber richtig, dass passive Verhaltensweisen die Situation prägen. Viele Banken reagieren nur und kommen kaum in einen aktiven Modus. Es gibt aber auch Verant­ wortliche, die sich der schwierigen Situation stellen und versuchen, neue Modelle zu entwickeln.

Situation, in der man als Bank weit entfernt von dem Punkt ist, an dem man eigentlich sein sollte. Das Ausmass der Veränderung ist aber gross, da das gefahrene Modell noch vor wenigen Jahren sehr erfolgreich war. Eine Herausforderung wurde hier noch nicht thematisiert. Das betrifft die neuen Kommunikationstechnologien und veränderte Formen der Kommunikation, insbesondere mit jüngeren Generationen. Eine der letzten Ausgaben der «Handels­ zeitung» hat hier unter dem Stichwort Digital Finance folgenden Titel gewählt: «Ende der Behaglichkeit». Verstärkt das die bisher geschilderten Trends? Das ist ein wichtiger Punkt und kumuliert in der folgenden Frage: Auf welche Inhalte, Fragen und Antworten hat der Kunde in welcher Form Zugriff. Hier gibt es ganz neue ­Potenziale, um Kunden zu beraten. Aber dazu braucht man auch eine entsprechende ­IT-Landschaft und eine Plattform, die den Kommunikationsanforderungen genügt. Da gibt es inzwischen hervorragende Tools. Sie können heute beispielsweise interaktiv mit dem Kunden an seinem Bildschirm arbeiten. Der Kunde bekommt so bessere Dienstleistungen und Produkte angeboten, die auf ihn angepasst sind. Oftmals sind diese neuen Techno­logien und die dazugehörende Firmenkultur jedoch eher Theorie als Praxis. Banken mit alten ­IT-Plattformen sind gar nicht in der Lage, viele dieser Möglichkeiten zu nutzen. Die Branche braucht auch einen verlässlichen politischen Rahmen. In Bern, so mein Eindruck, hat man in den letzten Jahren auch eher reagiert als agiert. Täuscht dieses Bild? Das Stichwort der unklaren Rahmenbedingungen kulminiert in einem Vorwurf, den man von einigen Bankenvertretern gerne hört. Wenn Sie das Bankgeheimnis nehmen, hat es dynamische Veränderungen gegeben, übrigens nicht nur in der Schweiz, deren Wucht unterschiedliche gesellschaftliche Akteure getroffen hat. Spielen die Banken hier nur einen Schwarzen Peter weiter? Die Politik war hier sicher nicht nur unterstützend. Auf der anderen Seite haben wir ­ge­sehen, dass Banken sehr unterschiedlich auf die neuen Vorgaben reagiert haben. Einige haben reagiert und die anderen haben ihr klassisches Geschäftsmodell weitergefahren. Die erste Verfahrensweise war sicher erfolgreicher.

Können Sie da ein positives Beispiel verraten? Die erhöhten regulatorischen Anforderungen werden in die gesamten Prozesse integriert. Es gilt, die Dienstleistungen spezifisch auf die Kundenbedürfnisse auszurichten. Die Frage, welche Kundensegmente eine Bank wirklich pro­ fessionell und wettbewerbsfähig bearbeiten kann, gilt es zu beantworten. Hier ist eine Fokussierung und Differen­ zierung zwingend. An diesem Punkt ist es wichtig zu er­ wähnen, dass es auch einige kleine Banken gibt, die sehr erfolgreich sind, da sie in ihrer Marktnische erfolgreich agieren. Die hohe Geschwindigkeit, mit der die Anpassungen in der Finanzbranche erbracht werden müssen, gleicht der aus der IT-Branche. Von aussen sieht das schnell nach passiven Handlungsmustern aus. Jedoch kommt man schnell in eine

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Christian Hintermann ist Partner M & A Financial Services bei KPMG Schweiz.


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