IMAGINE 02/17 Volume 26

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Doch für Hummerfans besteht trotz Saisonende kein Grund, in Torschlusspanik zu verfallen: Wenn die Fischer im Süden der Atlantikprovinz Ende Mai ihre Fallen einholen, versenken ihre Kollegen im Norden sie pünktlich zum ersten Juni wieder im Ozean, denn die Fangsaison rotiert mit den ­Jahreszeiten um Nova Scotias und Neufundlands Küsten herum. Trotzdem war und ist die Hummerfischerei bis heute ein hartes und gefährliches Geschäft. Fast jeder hier in der Gegend hat schon Angehörige auf See verloren. Dabei soll es vor den Küsten Nova Scotias und Neuenglands einst so viele Hummer gegeben haben, dass die Fischer nicht einmal hinausfahren oder Fallen stellen mussten, sondern die Tiere wurden von den Gezeiten an Land gespült und mussten nur noch eingesammelt werden. Viele Schalentiere landeten damals allerdings eher als Dünger auf den Feldern als im Kochtopf, galt Hummer bis mindestens Ende des 19. Jahrhunderts doch als Armeleute­ essen, und man mutete ihn deshalb allenfalls Gefängnisinsassen zu.

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Nicht nur gekocht, gedämpft, vom Grill, als Frikassee, Burger, Lobstercake, Bisque, Salat oder Topping für Macaroni and Cheese, sondern auch als Maskottchen, das Socken und Sneakers, Einkaufs­tüten und Kaffeetassen, >

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«Auch mein Vater», erinnert sich Pam Wamback, «hat sich als Kind geschämt, wenn er mit Hummer belegte Pausenbrote von zu Hause mitbekam – in der Schule hat er dann versucht, sie gegen Peanutbutter and Jelly Sandwiches einzutauschen.» Heute ist eine Hummerlizenz dagegen so einträglich, dass sie beim Verkauf mehrere Hunderttausend Dollar einbringt, wird aber normalerweise von Generation zu Generation weitervererbt. Und so begegnen Touristen dem Lobster in Nova Scotia auch abseits der Küste praktisch auf Schritt und Tritt.

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Wie ihre europäischen Vettern erreichen kanadische Hummer ein Alter von bis zu 50 Jahren. Mit bis zu 20 Kilo Lebendgewicht und maximal 60 Zentimetern Länge werden sie allerdings bedeutend grösser. Die mit Bojen markierten Fallen – rund 200 bis 300 pro Fischer  – werden täglich kontrolliert, trotzdem entkommen rund 94 Prozent aller Tiere, die der verführerische Duft der vermodernden Fischköder in die Fallen gelockt hat, wieder. Nur die, die nicht schnell genug sind, haben Pech gehabt. Satt am Meeresboden stapeln sich Zehntausende Hummerkäfige, die die Fischer in den letzten Tagen an Land gebracht haben, jetzt also entlang des Hafens und in den Vorgärten. Daneben liegen bergeweise kunterbunte Taue und Stricke aufgetürmt, mit denen die bis zu 300 Kilogramm schweren Fallen aus Nylon, Stahldraht oder Kunststoff an den Bojen befestigt werden. Der Käfig, den Skipper Ken während unserer Harbour-Tour ansteuert, dient aber ohnehin nur Show­ zwecken. Das monströse Schalentier, das der Captain aus dem eiskalten Wasser fischt und welches schlicht zu gross ist, um sich von selbst wieder befreien zu können, hat also vorläufig Glück gehabt, denn nach einer ausgiebigen Fotosession wird es wieder in den Fluten versenkt bis zur nächsten Tour. Schonzeit eben. «Die Fischereiaufsicht hat ihre Augen überall», flüstert Ken dazu verschwörerisch. Weil Fallen auch immer wieder mal verloren gehen – etwa bei Stürmen –, haben diese an beiden ­Enden Notausgänge. «Diese Fluchttüren sind mit Materialien verkleidet, die sich im Meerwasser nach maxi-

mal sechs Monaten von selbst auflösen, sodass darin gefangene Hummer dann automatisch freikommen. Dank des nährstoffreichen Wassers können sie in den Fallen nämlich theoretisch bis zu 300 Tage und länger überleben», erzählt Ken.

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am Wamback (43) sitzt auf dem Oberdeck der «Brown Eyed Girl» und zeigt auf ein unscheinbares kleines Häuschen am Ufer. «Dort lebt mein Bruder Rob. Er ist Hummerfischer, genau wie mein Onkel Paul, mein Cousin Corey und vor ihnen mein Grossvater Clarence. Eigentlich leben die meisten Leute entlang des South Shore bis heute vom Fischfang», erzählt Pam. Wenige Minuten später erreicht unser Ausflugsboot, das zwischen Juni und September Gäste durch die Shelburne Bay befördert, den kleinen Fischereihafen Gunning Cove. Viel Betrieb herrscht hier Anfang Juni allerdings nicht mehr. Die Lobster-Saison an der Südküste Nova Scotias ist gerade zu Ende gegangen. Sie dauert normalerweise von November bis Mai. In der Hochsaison wimmelt es in der Bucht und vor der Küste dagegen von Hummerschiffen.

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