politikorange "Eingebrannt"

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ir beginnen unsere Suche ohne jedes Vorbereitung. Wir wissen nichts übereinander, außer unsere vollständigen Namen und wie wir aussehen. Den Rest versuchen wir nun allein über sämtliche uns bekannte Suchmaschinen herauszufinden, angefangen bei Google. Die Zeit läuft, los geht´s! Ruth: Du kommst aus Dresden! Hat dein Amazon-Konto mir verraten. Stefanie: Hmm, mir zeigt es hier erst mal eine Ruth Herberg an, die ein Profil bei Facebook hat, aber schon über 60 ist. Tja, ich glaube, das bist du nicht. Schade. Aber dafür hab ich was anderes: du arbeitest bei Chilly, einem Jugendmagazin, und der Saarbrücker Zeitung. Okay, das geht ja ziemlich fix … schau mal hier , ich bin gerade bei einem deutsch-russischen Jugendportal, „To4ka“, bei dem du Autorin bist. Ich weiß jetzt, dass du Romanistik in Dresden studierst und wie alt du bist. Also, ich geh jetzt mal davon aus, dass du das bist. Ja, das muss wohl ich sein. Ich hab‘ hier auch was Schönes gefunden. (lacht) Ein Foto bei Twitter, das eindeutig zweideutig ist. Du stehst doch nicht etwa auf Sado-Maso? Naja, ich glaube nicht, dass du das bist. (Lacht immer noch.) Da steht aber auch nur ‚Ruth‘. (Lacht ebenfalls) Tja, und ich hab mich gerade mal bei Facebook eingeloggt und dich gesucht; allerdings finde ich sechs Leute mit deinem Namen … obwohl, hey, das hier bist du! In fünf von den sechs Profilen sind Wohnorte angegeben, Dresden ist aber nicht dabei. Also muss dein Profil ja das sechste sein … und ja, das Foto passt. Nur leider sehe ich keinerlei Profilinformationen, Bilder oder Pinnwandeinträge … Mist! Sehr gut. Ich versuche auch gerade dein Profil zu finden. Da du ja aber nicht

unter deinem richtigen Namen angemeldet bist, finde ich dich nicht. Gut so. Aber ich hab‘ gerade deine Email-Adresse gefunden. Damit hast du bestimmt nicht gerechnet, oder? Ach echt? Krass, wie ist das denn möglich? Die hab ich eigentlich nirgends öffentlich angegeben. Keine Ahnung, die wird mir von der Suchmaschine angezeigt. Im Moment verläuft meine Suche ziemlich schleppend. Es gibt so viele Stefanie Eisenreichs, dass ich mir oft nicht sicher bin, ob die gefundenen Informationen nun zu dir gehören oder nicht. Ja, geht mir genauso. Es ist doch sehr mühsam. Keine der hier angezeigten Ruth Herbergs passt auf dich. Aha, ich hab’ einen weiteren Treffer gelandet. Und zwar das „UmunduFestival“ in Dresden. Ich weiß zwar noch nicht genau, was das ist, aber daran hast du wohl mal teilgenommen oder mitgearbeitet. Und jetzt rate mal, woher ich DAS weiß. Von Facebook! Und das, obwohl ich dein Profil nicht aufrufen kann. Ich muss ehrlich zugeben, das find ich jetzt ein bisschen beunruhigend… Ähm, ja, doch, das ist komisch. Sicher von einem Link, oder? Oder dem ‚Gefällt-mir-Button‘... Ja, genau. Ich weiß jetzt auch, was es ist: ein Festival, das über nachhaltigen Konsum aufklären will. Außerdem geht´s um fairen Handel, Klimaschutz und solche Sachen … interessant! Ich trag‘ jetzt immer mehr Mosaikstückchen zusammen. Du bist in diesem Jahr mit der Uni fertig geworden und ich kann auf der Seite der TU Dresden nachlesen, dass du deine Abschlussarbeit über Musik und Identität der Kreolen auf La Réunion geschrieben hast. Puh! Mir qualmt ganz schön der Kopf. Es ist gar nicht so einfach, etwas

über dich herauszufinden. Hatte ich mir leichter vorgestellt. Oh, warte hier. Ich stoße immer wieder auf dieselbe Internetseite. Was hast du denn damit zu tun? Ah hier, da bist du als Autorin genannt, unter anderem für einen ziemlich schlauen Aufsatz! Ich bin gerade noch auf ein Profil in einer Beachvolleyball-Community gestoßen … aber ob du das bist? Keine Ahnung. Ja (schmunzelt). Das ist schon Jahre her. Dass man mich da immer noch findet. Aber ich hab jetzt auf besagter Internetseite sehr viele Infos über dich entdeckt. Super! Da steht, dass du 19 bist, was du genau studierst und wo du wohnst. Die 30 Minuten sind gleich um und ich kenn‘ deine Heimatstadt noch nicht! Ha, ich glaub‘, ich hab deine gerade gefunden: Du kommst aus Beckingen? Was? Wie hast du das denn herausgefunden? Das hab‘ ich nirgendwo reingeschrieben! Ja, was Google da alles so ausspuckt! Unter anderem steht da auch, dass du im Sportverein aktiv warst. Ich nehme an, Leichtathletik, oder? Du hast mit 7 oder 8 Jahren mal bei einem Waldlauf mitgemacht. Wie süß! Ja das stimmt. Lustig, dass das da immer noch steht! Ich hab‘ dafür jetzt deine Heimatstadt gefunden – du kommst aus dem Vogtland. Na endlich! Da warst du wohl mit der Volleyball-Mannschaft ziemlich erfolgreich. Ah, und Theater hast du auch mal gespielt? Kann das sein? Ja, hey, das ist auch schon ewig her! Ich hab da eine Polizistin gespielt und die Nachrichtensprecherin. Okay, also ich fass‘ mal zusammen, was ich alles weiß: du bist 26 Jahre alt, wohnst in Dresden und kommst ursprünglich aus dem Vogtland. Du hast 2004 Abi gemacht, bist gerade mit dem

Studium fertig geworden, hast mal Volleyball und Theater gespielt und schreibst für To4ka. Ach, und nicht zu vergessen: Dein Facebook-Profil und deine EmailAdresse habe ich auch gefunden. Tja, und ich weiß, dass du 19 Jahre alt bist, in Mainz wohnst, ursprünglich aus dem Saarland kommst, dass du Politikwissenschaft studierst und für die Lokalzeitung und ein Jugendmagazin schreibst. Na das reicht ja fast, um einen kleinen Lebenslauf daraus zu machen. Aber ganz ehrlich: den Großteil der Sachen hab ich doch jetzt nur gefunden, weil du mir gegenüber sitzt. Ansonsten hätt‘ ich wahrscheinlich gar keine Verbindung zwischen dir und den Infos herstellen können. Es gibt ja auch nicht nur eine Ruth Herberg! Stimmt. Und so gesehen kamen ja auch keine großen Skandale heraus. Im Grunde sind das alles Informationen, die meinetwegen jeder wissen kann. Aber was wäre, wenn wir etwas rausgefunden hätten, was uns nicht gefällt? Stimmt. Aber das, was wir gefunden haben, ist okay. Also ich persönlich werd‘ nichts löschen, und mit meinen Daten weiterhin so umgehen, wie bisher: was zu persönlich ist, behalt‘ ich für mich, ansonsten kann das ruhig jeder wissen. Wie im „echten“ Leben eigentlich auch.

Stefanie Eisenreich & Ruth Herberg 26 und 19 Jahre Die beiden sind jetzt Profis im Stalken, mussten dafür aber mit viereckigen Augen nach Hause fahren.

FruchtflEisch Was möchtest Du gern vergessen? „Lehrjahre“

„Kein Verdrängen“ Foto: Raphael Hünerfauth

„Handyklau“

Miriam Röhl, 12 Jahre Schülerin aus Gommern „Wir wurden im Urlaub auf Mallorca ausgeraubt. Mein Handy, das ich vorher zum Geburtstag bekommen hatte, war weg. Ärgerlich!“

Bertholt Heist, 63 Jahre im Vorruhestand aus Freundstatt „Dinge von früher, die nicht gut waren. Meine Lehrzeit war zum Beispiel nicht schön. Wir haben immer Kloppe gekriegt.“

Helga Bender-Wolanski, 63 Jahre Lehrerin aus Kassel „Am liebsten nichts. Ich möchte von allem Erlebten nichts vergessen, denn das macht mich ja auch als Menschen aus.“

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