politikorange weitstirnig

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WEITSTIRNIG MÄRZ 2018

UNABHÄNGIGES MAGAZIN ZUM THEMENSCHWERPUNKT „RASSISMUS“ DER JUGENDPRESSE DEUTSCHLAND E.V.


Foto, Titelfoto: Julian Kugoth, Lennart Glaser, Jonas Lerch

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EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, Rassismus und Diskriminierung gehören nach wie vor zu unserem Alltag. Sei es in der Politik, beim Sport oder in der Sprache – Menschen werden wegen ihrer Herkunft, ihres Geschlechts und ihrer Religion ausgegrenzt. Anlässlich der Internationalen Aktionswochen gegen Rassismus hat die Jugendpresse Deutschland mit dem Verein Gesicht zeigen! einen Workshop rund um die Themen Rassismus und Identität organisiert. Mehr als 20 junge Journalistinnen und Journalisten haben teilgenommen. Sie haben recherchiert, geforscht und immer wieder nachgefragt: zum Beispiel bei der Sozialpsychologin Barbara Krahé und dem Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby. Um zu lernen, wie man rassistische Parolen kontern kann, haben sich zwei unserer Journalistinnen zu „Stammtischkämpferinnen“ ausbilden lassen. Dabei haben wir gelernt: Rassismus gibt es nur, wenn wir ihn zulassen. Und: Jeder kann All-

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tagsrassimus die Stirn bieten. Dazu braucht es Respekt. Toleranz. Offenheit für andere Denk-

«Sprache«

Über diskriminierende Wörter im alltäglichen Sprachgebrauch. Seite 5

weisen. Weit- statt Engstirnigkeit. „Weitstirnig“ haben wir zum Titel der politikorange gemacht. Wir wollen damit zeigen, dass es Einfühlungsvermögen braucht, um die verschiedenen Formen von Rassismus und Diskriminierung zu erkennen und zu verstehen, dass selbst scheinbar harmlose Sprüche Menschen

»Politik« Bildung hilft beim Kampf gegen Rassismus, sagt Karamba Diaby. Seite 6

verletzen können. Wir wollen zeigen, dass man seine eigene Identität nicht dadurch bestimmen muss, dass man andere ausgrenzt. Wir wollen euch dazu ermutigen, eure Stimme gegen

»Sport«

Rassismus zu erheben.

Fußballverbände zeigen Rassismus die rote Karte. Seite 12

Werdet so laut, dass ihn niemand mehr hört.

»Ausland« Wie Politiker mit Diskriminierungen auf Wählerfang gehen. Seite 13

Viel Spaß beim Lesen wünscht euch Eure Chefredaktion

«Nachbarschaft« P.S.: Innerhalb dieser Ausgabe hat unsere Redaktion entsprechend unseres Glossars auf Seite 18 versucht die Texte möglichst diskriminierungssensibel zu schreiben und auf Eigenbezeichnungen zu achten.

Christina Mikalo 25, Lüneburg

Wie kann man auf rassistische Parolen antworten? Seite 16

Jonas Lerch 25, Heidelberg … finden, dass „weitstirnig“ in den Duden aufgenommen werden sollte.

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ÜBER DEN GANG DER DINGE REFLEKTIEREN

BARBARA KRAHÉ LEHRT SOZIALPSYCHOLOGIE AN DER UNI POTSDAM UND FORSCHT AKTUELL ZU AGGRESSION IM MENSCHLICHEN MITEINANDER. EIN GESPRÄCH VON GABRIEL PRITZ ÜBER IDENTITÄT, VORURTEILE UND RASSISMUS.

WAS MEINEN WIR MIT „IDENTITÄT“ ÜBERHAUPT? Identität ist im Prinzip das Selbstkonzept – die Gesamtheit dessen, was wir über uns selbst denken. Sie wird in der Auseinandersetzung mit unserer Umwelt erworben, ist also größtenteils nicht angeboren. Es gibt jedoch auch Aspekte unseres Selbst, die unsere Identität von Geburt an bestimmen, wie zum Beispiel das Geschlecht und die Hautfarbe. Das fließt dann in die Selbstkonstruktion ein. Aber was wir sonst über uns denken, was wir über uns fühlen, entsteht im Laufe der Entwicklung. Worüber man unterschiedlicher Meinung sein kann, ist die Frage, wie hoch genau jeweils der Anteil von Umwelteinflüssen und angeborenen Elementen ist.

WIR SEHEN UNS NICHT ALS EINSAMES INDIVIDUUM, SONDERN FÜHLEN UNS GRUPPEN ZUGEHÖRIG UND GRENZEN UNS VON ANDEREN AB. HAT DIESES SCHUBLADENDENKEN AUCH VORTEILE? Unser Selbst hat mindestens zwei wesentliche Komponenten: erstens das personale Selbst – das, was eine Person als Individuum ausmacht und welche Eigenschaften sie sich zuschreibt. Ist sie intelligent, schön, faul oder sportlich? Die zweite wichtige Komponente ist das soziale Selbst oder die soziale Identität. Wir definieren uns auch über unsere Zugehörigkeit zu verschiedenen Gruppen, zum Beispiel über das Geschlecht, die Nationalität oder einen Sportklub. Wenn ich jemand Neuem begegne, ist es eine Möglichkeit, mühsam Daten über diese Person zu sammeln, bis ich einen Eindruck von ihr gewonnen habe. Es ist aber wesentlich effizienter, wenn ich fremde Menschen schon in vorgefertigte Kategorien einsortieren kann. Das machen wir ständig. Wenn ich mit einem schweren Koffer unten an der Treppe stehe und mir überlegen muss „Wer von den anderen S-Bahngästen hilft mir jetzt, den hochzutragen?“, dann frage ich einen großen, starken Mann und nicht eine kleine, hutzelige Oma. Dieses Denken in Vorurteilen unter dem Aspekt der Informationsbewältigung ist so nützlich, dass es eigentlich jeder macht.

AN WELCHER STELLE SPRECHEN WIR DANN VON DISKRIMINIERUNG UND RASSISMUS? Mit dem Denken in Vorurteilen gelangt man schnell zu unzulässigen Generalisierungen. Wir sehen dann einen

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Schwarzen Menschen und haben vielleicht vorher gelernt, ihn als nicht so intelligent einzustufen. Dann denke ich vielleicht, platt ausgedrückt: „Diesen Schüler empfehle ich jetzt mal nicht für‘s Gymnasium“. Alle Menschen denken in sozialen Kategorien, trotzdem stimmen nicht alle Vorurteilen gleich stark zu. Wir können schließlich über den Gang der Dinge reflektieren. Kinder gehen erst einmal davon aus, dass zum Beispiel LKWs nur von Männern gefahren werden können. Dann machen sie Erfahrungen, lernen Ausnahmen kennen, die Grenzen der Kategorien werden lockerer. Dabei spielt eine große Rolle, wie die Kinder aufwachsen. Wenn sie nur das rassistische Gerede von Leuten in ihrer Umwelt hören, bleiben sie bei ihren Vorurteilen. Warum aber neigen wir überhaupt dazu, Fremdgruppen abzuwerten? Die einflussreiche Theorie der sozialen Identität sagt dazu: Wenn ich mich in meiner Gruppenzugehörigkeit gut fühlen will, erreiche ich das am einfachsten, wenn ich andere schlechtmache. Das funktioniert auch, wenn ich die „Anderen“ weder persönlich kenne noch irgendwelche Interessenkonflikte mit ihnen habe.

WÄHLERINNEN UND WÄHLER­ DER ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND GEBEN HÄUFIG AN, SICH VON NEU ANKOMMENDEN MENSCHEN BEDROHT ZU FÜHLEN. BERUHT DIESES GEFÜHL, AUS DEM OFFENSICHTLICH VIEL ABLEHNUNG UND HASS ENTSTEHT, AUF TATSACHEN, MIT DENEN DIE MENSCHEN LEBEN? Sagen wir mal so: Das ist auf jeden Fall ein Mechanismus. Es ist ja schon interessant, dass vor allem Leute rassistisch denken, die sich in der Gesellschaft zu kurz gekommen fühlen. Zu einem kleinen Teil basiert Rassismus mit Sicherheit auf real existierenden Gruppenkonflikten. Wenn ich als Sozialhilfeempfänger sehe, wie zunehmend Menschen aus anderen Ländern mit mir in der Schlange vor der Suppenküche stehen, dann kommt es schnell zu ablehnendem, aggressivem Verhalten. Besonders, wenn am Ende nicht alle etwas abbekommen. Viele Leute sind allerdings rassistisch eingestellt, ohne je ein Mitglied aus der „Fremdgruppe“ gesehen zu haben. Da gibt es überhaupt keine realen Interessenkonflikte.

PROF. DR. KRAHÉ GEHÖRT ZU DEN FÜHRENDEN VERTRETERINNEN DER SOZIALPSYCHOLOGISCHEN AGGRESSIONSFORSCHUNG.

Foto: Privat

WIE KÖNNEN UNZULÄSSIGE GENERALISIERUNGEN VON VERSCHIEDENEN SOZIALEN GRUPPEN ABGEBAUT WERDEN? Da ist an erster Stelle der Kontakt zu nennen, aber nur unter bestimmten Bedingungen. Wenn Kontakt freiwillig und gleichberechtigt ist, das heißt, wenn er in möglichst vielen Lebensbereichen und positiven Kontexten und nicht in einem Wettbewerbskontext stattfindet, dann bekommt man die Gelegenheit, über einzelne Leute festzustellen: „Aha, die sind ja vielleicht doch gar nicht alle gleich“. Es gibt auch die Idee, von zweigeteilten Kategorisierungen wegzukommen: Man könnte zum Beispiel von „Deutschen“ und „Migranten“ behaupten, dass sie Gemeinsamkeiten haben: von Frau zu Frau, von Mann zu Mann, von jungem Mensch zu jungem Mensch. Das ist keine schlechte Idee, funktioniert aber nur, wenn die Kategorien für alle einigermaßen gleich wichtig sind. Wenn ich mich stark über meine nationale Zugehörigkeit definiere, dann ist es mir wurscht, dass der Ausländer, der mir gegenüber sitzt, das gleiche Geschlecht wie ich hat.

Gabriel Pritz 18, Göttingen ... findet, dass die Wissenschaft im Journalismus viel häufiger zu Wort kommen sollte.


SPRACHE SCHWARZ WEISS

RASSISMUS ÄUSSERT SICH AUCH IM ALLTÄGLICHEN SPRACHGEBRAUCH. PROBLEMATISCH SIND DABEI VOR ALLEM UNBEWUSSTE ÄUSSERUNGEN, DIE SICH FEST IN UNSERER SPRACHE VERANKERT HABEN. VON KATHARINA PETRY UND LUISA RINGER

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urch Sprache drücken wir uns aus. Wir können bewusst provozieren, schmeicheln, beleidigen, überzeugen. Wir

benutzen Wörter wie „Affe“ und haben ein genaues Bild vor Augen, eine genaue Wirkung: Affe, das Tier. Affe, der ulkige Clown.

AUF G E PA S S T I M S PR A C HGE B R A UC H Könnten die folgenden Wörter auch aus Deinem Mund stammen? Dann überdenk sie das nächste Mal doch, bevor sie über Deine Lippen kommen. (Einen alternativen Vorschlag haben wir schon für Dich vorbereitet):

wobei das Aussehen bzw. die Nation­ alität ausschlaggebend für Polizeikontrollen sind. Eine eindeutig rassistische Praktik. Wie bei ‚Afrikaner‘ besser auf die Nationalität verweisen, sofern relevant.

‚PASSDEUTSCH‘ – Menschen mit Mi- ‚RASSE‘ – gibt es nicht, der Begriff ist ein menschliches Konstrukt. grationshintergrund, die den deutschen Pass besitzen. Also ganz normale Deutsche. Das Wort Pass grenzt ab und ‚EINGEBORENE/-HEIMISCHE‘ – vor zeigt, dass diese Menschen irgendwie dem Hintergrund von Versklavung und Kolonialismus die Bezeichnung für durch nicht richtig deutsch sind. Aber wer ist weiße Europäer (als politischer Begriff) denn richtig deutsch? unterworfene Gesellschaften; beinhaltet das Absprechen von „Zivilisation“. Wei‚AFRIKANERIN ODER AFRIKANER‘ – ße sind nirgendwo „Eingeborene“, was Menschen, die aus einem der 53 Länder den Begriff rassistisch konnotiert. des afrikanischen Kontinents stammen, teilweise auch als Synonym für ‚Schwarze‘ als politischer Begriff verwendet. Die wohl beste Alternative im Umgang ‚Schwarz‘ ist eine der Selbstbezeich- mit Sprache und Rassismus: Respektnungen, die wir in diesem Heft verwenden. voll (!) nachfragen, mit welchen BegrifMit der Bezeichnung als Afrikaner oder fen man sich identifizieren und wohlfühAfrikanerinnen werden Menschen auf- len kann. grund ihrer Hautfarbe einem Kontinent zugeordnet – der in sich viele Nationalitäten WELCHE SPRACHLICHEN FEINund Lebenswirklichkeiten beherbergt. ‚NAFRI‘ – eine polizeiinterne Abkürzung für Nordafrikaner oder Nordafrikanerin,

HEITEN WIR ALS REDAKTION BEACHTEN, LEST IHR IN UNSEREM GLOSSAR AUF SEITE 18.

Affe, die rassistische Beleidigung. Wir ha- Noch immer sind Begriffe wie „Schwarzben die Macht zu entscheiden, wie wir die afrikaner“, „Starkpigmentierte“ oder Worte benutzen. „Farbige“ weit verbreitete Begriffe für „Rassist? „Rassistin“? Ich? – Nein!“ Schwarze Menschen. Sie drücken eine AbEine typische Reaktion. Dass rassistische weichung zum als normal konstruierten Worte und Formulierungen jedoch Teil des „Weiß sein“ aus. Wichtig für eine politisch deutschen Sprachgebrauches sind, macht korrekte, diskriminierungssensible Bedie Autorin und Aktivistin Noah Sow in ih- zeichnung ist, dass diese von Schwarzen rem Buch „Deutschland Schwarz weiß. Der Menschen selbst gewählt wurde. Für Sow alltägliche Rassismus“ deutlich. ist Schwarz sein vielmehr eine autonome Was assoziierst Du mit dem Wort Identitätszuschreibung als eine biologische „schwarz“? Vielleicht Schwarzmalen, Tatsache. Auch People of Colour (PoC) ist Schwarzer Peter, Schwarzmarkt oder eine verbreitete selbstgewählte BezeichSchwarzfahren? Der Unruhestifter der Fami- nung für Menschen, die nicht weiß sind. lie wird gern als schwarzes Schaf bezeich- Alle anderen Beschreibungen sind Fremdnet, und im Schulsport haben Kinder zwar zuschreibungen und deshalb kritisch oder keine Angst vorm schwarzen Mann, rennen sogar rassistisch. aber trotzdem, wenn er kommt. Schwarz ist Sich sensibel und nicht-rassistisch auszudüster, das Böse und Dunkle, die Farbe, die drücken, hat nichts mit eingeschränkter man als unfreundlich und bedrohlich wahr- Meinungsfreiheit oder sprachpolizeilicher nimmt. Kurzum, in der deutschen Sprache Gewalt zu tun. Es geht um einen Dialog auf wird die Farbe schwarz negativ verwendet. Augenhöhe und darum, Bewusstsein über Im Gegensatz dazu symbolisiert weiß die eigene Ausdrucksweise zu entwickeln. die Unschuld, die Farbe des Friedens. Wer „helle“ ist, ist klug – unterbelichtet möchte dagegen niemand sein. Ist das wirklich rassistisch? Noah Sow schreibt dazu, dass „Kultur und Machtverhältnisse durch Sprache weitergegeben und verfestigt werden“. Luisa Ringer Rassismus in der Alltagssprache drückt sich 19, Göttingen auch durch die Vielfalt an Benennungen für Katharina Petry Schwarze aus. 20, Mainz

WORTWAHL, DISKRIMINIERUNGSSENSIBEL

…sehen die Begriffe Schwarz und Weiß nun auch in einem politischen Kontext.

FRUCHTFLEISCH WOMIT IDENTIFIZIERST DU DICH?

MATTIS DICKE 22 JAHRE, BERLIN ICH IDENTIFIZIERE MICH MIT MENSCHENRECHTEN, ALSO DAMIT, DASS JEDER MENSCH GLEICH IST.

»KULTURVIELFALT«

FERNANDO BERNSTEIN 16 JAHRE, BERLIN ICH IDENTIFIZIERE MICH MIT MEINER FAMILIE.

Foto: Neneh Sanneh

»FAMILIE«

Foto: Thea-Helene Gieroska

Umfrage: Maria John Sánchez, Foto: Neneh Sanneh

»MENSCHENRECHTE«

AGNES KELM 22 JAHRE, BERLIN-KREUZBERG ALS TEIL EINER OFFENEN GESELLSCHAFT. ICH BIN IN KREUZBERG AUFGEWACHSEN UND FAND’S IMMER SCHÖN, DASS ES HIER SO EINE GROSSE VIELFALT AN KULTUREN GIBT.

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Z UR PERS O N K ARAM B A DIA BY wurde 1961 im Senegal geboren. Mit Mitte 20 kam er durch ein Stipendium in die damalige DDR. 2008 ist er in die SPD eingetreten und wurde 2013 als erster Schwarzer Mensch in den Deutschen Bundestag gewählt.

Foto: Mirco Malik

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»ES FUNKTIONIERT NICHT, DEN RECHTS­ POPULISTEN NACH DEM MUND ZU REDEN.« RASSISMUS SCHADET UNS ALLEN

KARAMBA DIABY IST BUNDESTAGSABGEORDNETER DER SPD UND EINER DER ERSTEN AFRODEUTSCHEN POLITIKER IM DEUTSCHEN BUNDESTAG. DENNOCH STRÄUBT ER SICH DAGEGEN, ALS „INTEGRATIONSFACHMANN“ ZU GELTEN. EIN GESPRÄCH ÜBER BILDUNG, DISKRIMINIERUNG UND LÖSUNGSANSÄTZE. EIN INTERVIEW VON MAJA HERZOG UND MIRCO MALIK WIE UND WANN BEGEGNET IHNEN DENN RASSISMUS IN IHREM ALLTAG? Ich habe in den letzten Jahren regelmäßig rassistische Hetze und Hassbotschaften erhalten. Vor allem im Internet, über meine Facebookseite und in anderen sozialen Medien. Im Wahlkampf im Herbst lief beispielsweise eine Kampagne der NPD gegen mich, die meine Plakate mit den Worten „Deutsche‘ Volksvertreter nach heutigem SPD-Verständnis. Wie heißt es doch: ‚Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!‘“ gepostet hat. 2016 habe ich eine Karte von der rechtsextremistischen Partei „Der Dritte Weg“ bekommen, die mich aufgefordert hat, Deutschland zu verlassen.

WIE HAT SICH DAS VERÄNDERT, SEIT SIE BUNDESTAGSABGEORDNETER SIND? Als ich auf die Äußerungen von Sarrazin reagiert habe, erhielt ich Morddrohungen aus unterschiedlichen Quellen. Da war ich noch nicht Bundestagsabgeordneter. Ich habe festgestellt, dass die negativen Kommentare, Hassbotschaften und Hetze insbesondere in den letzten zwei Jahren zugenommen haben. Mittlerweile hetzen die Menschen in sozialen Medien unter ihren Klarnamen, nicht mehr unter Pseudonymen. Ihre Äußerungen sehen sie durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Die Meinungsfreiheit ist ein sehr wichtiges Gut in unserer Gesellschaft. Im Artikel 1 unseres Grundgesetzes steht aber: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und das muss beides in Einklang gehen. Die sozialen Medien sind ein freier, aber kein rechtsfreier Raum, den wir immer wieder verteidigen müssen.

WÜRDEN SIE SAGEN, DASS SICH DER UMGANG MIT MIGRANTINNEN UND MIGRANTEN IN DEUTSCHLAND DURCH DAS ERSTARKEN DER AFD UND DEN GLOBAL STÄRKER WERDENDEN POPULISMUS VERÄNDERT HAT? Ich denke, wir brauchen gesellschaftlichen Zusammenhalt statt weiterer Spaltung. Sowohl die CDU als auch die CSU versuchen, Argumente der Rechtspopulisten zu übernehmen. Wenn der neue Innenminister Horst Seehofer sagt: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, dann spaltet er. Wir haben aber gesehen, dass es im Wahlkampf nichts genutzt hat, ein Burkaverbot einzuführen oder gegen eine doppelte

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Staatsbürgerschaft zu argumentieren. Die Mehrheit der Menschen kamen von der Union. Das heißt, es funktioniert nicht, den Rechtspopulisten nach dem Mund zu reden.

WAS KANN MAN POLITISCH GEGEN RASSISMUS TUN? Es ist die Aufgabe der Politik, gegen institutionellen Rassismus vorzugehen. Wir haben das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), aber offensichtlich reicht das noch nicht. In der letzten Wahlperiode habe ich mich zum Beispiel gegen Racial Profiling engagiert. Diese „verdachtsunabhängigen Kontrollen“ sind aus meiner Sicht institutioneller Rassismus und das muss bekämpft werden. Natürlich müssen wir auch sehen, dass rassistisches Verhalten aus den Köpfen der Leute kommt. Da hilft Aufklärung und politische Bildung. Außerdem muss die Mehrheitsgesellschaft begreifen, dass Rassismus uns allen schadet. Denn rassistische Vorfälle führen dazu, dass die Gesellschaft gespalten wird.

GIBT ES DA SCHON ERFOLGE ZU VERZEICHNEN? Maßnahmen gegen Rassismus, Rechtsextremismus und demokratiefeindliche Tendenzen wurden in der letzten Wahlperiode viel stärker unterstützt. Wir haben im Familienministerium die Mittel für „Demokratie leben!“ von 50 auf 100 Millionen Euro aufgestockt. Natürlich schafft man mit Geld nicht alle Probleme ab, aber man hat mit diesem Geld Strukturen aufgebaut.

WO SEHEN SIE DIE BILDUNGSPOLITISCHEN HERAUSFORDERUNGEN EINER MIGRATIONSGESELLSCHAFT? Allgemein ist es wichtig, die Teilhabe aller Menschen im Bereich Bildung zu fördern. Migrantenkinder müssen Zugang zu Kitas haben und die Integrationsmaßnahmen in den Kitas müssen gefördert werden. Das ist essentiell für die Teilhabe an der Gesellschaft. Auch der Zugang zu schulischer Bildung muss wirklich ernst genommen werden. Zurzeit ist Bildung immer noch die Aufgabe der Länder, das wollen wir aber demnächst ändern. Um die Integration im Bereich Bildung optimal zu gewährleisten, brauchen wir mehr Lehrkräfte mit Migrationshintergrund. Das wird eine große bildungspolitische Herausforderung in den nächsten Jahren.

ES GIBT JA SEIT EINIGEN JAHREN DIE FRAUENQUOTE. SOLLTE MAN EINE SOLCHE QUOTE AUCH FÜR ANDERE GESELLSCHAFTSGRUPPEN WIE MENSCHEN MIT

MIGRATIONS­H INTERGRUND ODER NICHTAKADEMIKERINNEN UND NICHTAKADEMIKER EINFÜHREN? Ich bin der festen Überzeugung, dass die Chancengleichheit und Diversität in allen Bereichen gewährleistet sein muss und wir dafür Maßnahmen schaffen müssen. Bei der Quote konkret bin ich etwas vorsichtiger. Denn manchmal wird Betroffenen unterstellt, sie seien nur durch die Quote zu ihrer Position gekommen. Das ist auch eine Diskussion, die nicht immer fördernd ist. Nichtsdestotrotz ist es mir wichtig, dass man die Teilhabechancen von allen Menschen fördert. Wo es Ungleichheiten gibt, muss der Paragraf 5 des AGG greifen. Ich stehe für positive Maßnahmen, also die Bevorzugung langfristig Benachteiligter. In Südafrika hat man das nach der Apartheid eingeführt und es förderte die Partizipation der Schwarzen.

WELCHE FRAGE ZUM THEMA RASSISMUS WOLLEN SIE NIE WIEDER HÖREN? Das ist eine sehr schwierige Frage. Mich irritiert, dass ich oft nach dem Motto konfrontiert werde: „Sie kommen aus dem Osten, das muss doch dort unmöglich für Sie sein, dort zu leben“. Das will ich nicht hören, denn circa 32000 Hallenserinnen und Hallenser haben mich 2013 und auch letztes Jahr wieder in den Bundestag gewählt – trotz eines Migrantenanteils von vier, fünf Prozent.

WAS MUSS IHRER MEINUNG NACH DENN GETAN WERDEN, DAMIT WIR IRGENDWANN IN EINER GESELLSCHAFT KOMPLETT OHNE RASSISMUS LEBEN? Politische Bildung muss als Querschnittsaufgabe betrachtet werden. Wenn Vielfalt Normalität ist, leben wir zwar nicht in einer sorglosen Gesellschaft, aber die Herausforderungen, die diesbezüglich bestehen, können wir durch stärkere Förderung der Bildung und politischen Bildung bewältigen. So können wir Rassismus nachhaltig bekämpfen.

Maja Herzog 19, Berlin Mirco Malik 25, Berlin ...haben beide zum ersten Mal mit einem Bundestagsabgeordneten gesprochen.

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SCHWARZSEIN IN BERLIN − DAMALS UND HEUTE

GRUPPENDENKEN UND DIE ABWERTUNG DES „FREMDEN“ SIND WOHL SO ALT WIE DIE MENSCHHEIT. IN DEUTSCHLAND FÜHREN RASSISMUS GEGEN SCHWARZE MENSCHEN UND RASSISTISCHE STRUKTUREN AUF KOLONIALGESCHICHTE* ZURÜCK. VON EVI MILZ, LUISA RINGER UND THEA-HELENE GIEROSKA

V

iel Platz gibt es nicht gerade bei Each One Teach One (EOTO), einem Bildungs- und Empowerment-Projekt, das Schwarze Menschen für Schwarze Menschen betreiben. Noch dazu ist der kleine Raum im Paul-Gerhart-Stift ziemlich spartanisch möbliert. „Wir ziehen gerade um“, entschuldigt sich Karen Taylor, die bei EOTO für die politische Kommunikation zuständig ist, mit einem Lächeln. Zahlreiche Zuhörerinnen und Zuhörer, die auf Stühlen, Sofas und Sitzkissen Platz genommen haben, sorgen aber trotzdem dafür, dass das Zimmer gut gefüllt ist. Als Taylor dann mit ihrem Vortrag „Black in Berlin“ beginnt und von den Leben und Leiden Schwarzer Menschen in der Hauptstadt berichtet, hängen alle an ihren Lippen...

INSZENIERTE „PRIMITIVITÄT“ Im Jahr 1896 fand in Berlin die erste Kolonialausstellung statt. 108 Afrikanerinnen und Afrikaner aus deutschen Kolonien KAREN TAYLOR VON ‚EACH ONE TEACH ONE‘ WÄHREND IHRES VORTRAGS ‚BLACK IN BERLIN‘. Foto: Thea-Helene Gieroska mussten in Käfigen für weiße Menschen als Schauobjekte herhalten. braucht. Zugleich hatten sie einen groß- Inspiriert von Ayims Buch bildeten sich beiten, wurde dieser übergangen. Es ist in ganz Deutschland Gruppen Schwarzer höchste Zeit, dass sich das ändert, finGegen Ende des 19. Jahrhunderts en Einfluss auf die Berliner Musikszene Menschen, die sich in Cafés und Woh- det Taylor . hatte Deutschland mehrere Kolonien, da- der 1920er Jahre, was jedoch bis heute runter Deutsch-Südwestafrika, das heu- in der Öffentlichkeit unerwähnt bleibt. nungen trafen und sich über ihre ErfahAuf die Frage, welche Zukunftsvisitige Namibia. Die besetzten Länder wur- „Schwarze kann man sich in unserer Ge- rungen in der Gesellschaft austauschten. on sie für Schwarze Menschen hat, die in den systematisch ausgebeutet, was damit sellschaft nicht wegdenken“, sagt Taylor. Das Bedürfnis nach einer organisierten Deutschland leben, antwortet sie: „mehr Form einer Schwarzen Bewegung wurde begründet wurde, dass weiße Menschen „Es wird aber trotzdem gemacht.“ Repräsentation im politischen und öffentSchwarzen überlegen seien und sie diese Der Aufstieg des Nationalsozialis- bei diesen Treffen deutlich, was später lichen Leben.“ Dann macht sie eine Pause deshalb beherrschen könnten. Um diese mus vor dem Hintergrund der „Rassen- zur Gründung der „Initiative Schwarzer und ergänzt: „Aber das ist weniger eine erfundene Legitimation zu belegen, wur- ideologie“ bereitete Schwarzen Menschen Menschen in Deutschland“ (ISD) geführt Vision als eine Frage der Zeit.“ den Schwarze Menschen bei sogenannten in Deutschland weitere Probleme. Zwar hat. Völkerschauen als „primitiv“ inszeniert: verfolgten die Nationalsozialisten sie Sie mussten in stereotypen Darstellungen nicht aktiv wie beispielsweise die Juden, UND HEUTE? *Das Wort „Kolonialgeschichte“ wird hier – beispielsweise barfuß und halbnackt Sinti und Roma – sie hofften, das deutohne den Artikel „die“ verwendet, um da– vor weißen Zuschauerinnen und Zu- sche Kolonialreich wieder aufleben zu Die ISD half dabei, die Bedürfnisse rauf aufmerksam zu machen, dass es im Schwarzer Menschen an die Öffentlich- Laufe der Geschichte mehrere „Kolonialschauern posieren. lassen und wollten sich deshalb ein gutes Einige verweigerten sich dieser Zur- „Image“ bei den Menschen aus den ehe- keit zu tragen. Das hatte weitreichende geschichten“ gegeben hat. politische Folgen: Im Juni 2016 wurde schaustellung. So bestand der Herero maligen Kolonien bewahren – dennoch Friedrich Maharero darauf, in Militärklei- trafen sie Maßnahmen, die Schwarzen nach Drängen von Organisationen und dung auf einem Pferd gezeigt zu werden, Menschen das Leben in Deutschland er- Zusammenschlüssen die „Internationale Dekade für Menschen Afrikanischer und hatte damit auch Erfolg. Das sei nur heblich erschwerten: So wurden ihnen ein Beispiel für den Widerstand Schwar- unter anderem Pässe entzogen und An- Abstammung“ in Berlin eröffnet. Sie fordert und fördert die Anerkennung, zer Menschen, sagt Taylor. stellungen verweigert. Unter der Ausgrenzung seitens der Rechte und öffentliche Sichtbarmaweißen Bevölkerung litten Schwarze chung Schwarzer Menschen. RassiMISSBRAUCH UND Menschen. Viele von ihnen lebten zu- stische Diskriminierung und institutiMARGINAL SIERUNG rückgezogen und hatten kaum Chancen oneller Rassismus sollen während der Das Überlegenheitsgefühl der weißen auf gesellschaftliche Anerkennung. Laufzeit der Dekade bekämpft werden. Deutschen als Kolonialherren gipfelte in Noch in diesem Jahr sollen ExpertinnenNEUES SELBSTBEWUSSTSEIN den Völkermorden an den Herero und oder Expertengruppen entstehen, die Nama Anfang des 20. Jahrhunderts. Erst den Berliner Senat über die Umsetzung Das änderte sich, als May Aymin und an- der Forderungen beraten. 2019 wird es durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg verlor Deutschland seine Kolonien – nicht dere Schwarze Wissenschaftlerinnen und dann voraussichtlich erste Programme Thea-Helene Gieroska jedoch seinen Herrschaftsanspruch über Aktivistinnen 1986 ein Buch namens „Farbe für Menschen Afrikanischer Abstam24, Magdeburg Schwarze Menschen. Aus den ehema- bekennen: Afro-deutsche Frauen auf den mung geben. Evi Milz Spuren ihrer Geschichte“ veröffentlichten. Zum Punkt der „Sichtbarmachung“ ligen besetzten Gebieten kamen viele 20, Berlin Menschen nach Deutschland. Soldaten, Das Werk leistete einen großen Beitrag zur zählt die Benennung von „anti-SchwarLuisa Ringer Musizierende und Sprachdozierende, Selbstidentifikation Schwarzer Menschen: zem-Rassismus“, dem Rassismus gegen 19, Göttingen die damals der Oberschicht angehörten, Erstmals verbreitete sich unter ihnen der Schwarze Menschen. Bei dem Versuch, … merken, dass Rassismus nicht ohne Geschichte zu wurden von den Deutschen als billige Ar- Begriff „Schwarz“ als emanzipatorische den Antisemitismus in Deutschland denken ist. beitskräfte und Forschungsobjekte miss- Selbstbezeichnung. nach dem Zweiten Weltkrieg aufzuar-

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DEB AT T E

KARTOFFEL-KONTROVERSE

KÖNNEN „KARTOFFELN“ ANGEMESSEN ÜBER RASSISMUS BERICHTEN? ODER ANDERS GESAGT: SPIELT MEINE IDENTITÄT EINE ROLLE, WENN ICH ÜBER RASSISMUS SCHREIBE? THEA-HELENE GIEROSKA UND JACOB SCHUSTER ZWISCHEN JA UND NEIN.

Collage: Jacob Schuster

WORAUS SETZT SICH IDENTITÄT ZUSAMMEN?

PRO

Natürlich spielt meine Identität eine Rolle, wenn ich mich mit Rassismus auseinandersetze. Denn ich bin mehr oder weniger eine richtige „Kartoffel“ – eine typische Deutsche eben. Ich warte an roten Ampeln und rege mich auf, wenn auf der falschen Straßenseite Fahrrad gefahren wird. Deutsch zu sein ist Teil meiner Identität, bewusst geworden ist mir das in einem längeren Auslandsaufenthalt. Doch auch weiß zu sein ist Teil meiner Identität. Anders als mein „Deutschsein“ fällt mir das aber nur sehr selten auf. Als weiße Person kann ich faktisch nicht von Rassismus betroffen sein. Ich trage zwar einen polnischen Nachnamen, habe deshalb aber noch keine diskriminierenden Erfahrungen gemacht. Nachdem ich Leuten meinen Nachnamen buchstabiert habe, kommen meist keine Fragen mehr nach meiner Herkunft. Mit Polen verbindet mich ohnehin nicht mehr als der Urlaub, den ich dort verbringe. Meine Verwandten haben sich Ende des 19. Jahrhunderts in Mecklenburg-Vorpommern niedergelassen. Dort bin ich aufgewachsen. Diskriminiert wurde ich vor allem als Frau, doch baut Diskriminierung weniger auf Hass als auf Unwissenheit auf. Eine rassistische Äußerung geht dagegen davon aus, dass weiße Schwarzen Menschen überlegen seien. Wie kann ich mir also als weiße Deutsche anmaßen, über Rassismus zu schreiben? Ich kann diesen doch noch nicht einmal nachempfinden – anders als die Menschen, die ich als weiße Person leicht verletzen kann. Zum Beispiel mit der Sprache. Schon kleinste Nuancen können rassistisch sein. Manchmal bin ich mir nicht einmal bewusst, dass ich je-

CONTRA

Als wir Samsmanden mit einer Aussage verletze. Mentagmorgen in schen, die schon einmal rassistisch beleidigt wurden, können dagegen konkret der Redaktion zusammenkommen und und sensibel an die Thematik herantreten. beginnen, die konkreten Themen für das Trotzdem ist der größte Anteil am Heft zu besprechen, entflammt schnell Diskurs über den Rassismus in Deutsch- eine hitzige Diskussion: Können wir als land von weißen Menschen geprägt. Wir Redaktion, die kaum persönliche Erfahsind die Mehrheit: Wenn ich über die rungen mit Rassismus hat, angemessen Straßen laufe, sehe ich zwar oft bunte über das Thema berichten? Unsere Diskussion führt zu keiHaare, aber selten „bunte“ Leute. Doch genau für diese Menschen set- nem Konsens. Daher einigen wir uns, zen wir uns gern ein. Wir tragen rosarote die Debatte im Heft weiter zu verfolBrillen und plädieren für Weltoffenheit – gen. Durch einen Mehrheitsentscheid zumindest so lange, bis sich einmal eine beschließen wir, die Frage so zu formuwirklich von Rassismus betroffene Person lieren, wie sie hier über dem Text steht zu Wort meldet. Skandal! Damit kommen – also die Frage nach der Rolle der Idenwir nicht zurecht. Immerhin sind wir es, tität generell zu stellen. Ich stelle unseren Entscheidungsdie die Begriffe festlegen und den Diskurs über Rassismus bestimmen. Als rassi- findungsprozess so ausführlich dar, stisch bezeichnen würden wir uns selbst weil er zeigt, dass viele der Identität aber nie, vielleicht höchstens als ein biss- durchaus eine Rolle beim Schreiben chen fremdenfeindlich. Wer aber von uns über Rassismus zusprechen. Das halte ist bereit, sich einzugestehen, dass unse- ich für einen Irrtum. Doch um diesen re gesamte Gesellschaft ein rassistisches aufzudecken, müssten wir erst einmal definieren, was „Identität“ überhaupt Problem hat? Eben. Ich denke: Wir sollten endlich auf- ist. Ist es die Herkunft? Die Hautfarbe? hören, über Leute zu reden und anfangen, Machen persönliche Erfahrungen die Identität aus? ihnen zuzuhören. Teilweise sicher schon. Wie ich aufwachse, bestimmt mit, wie ich denke. Trotzdem wäre es ein Fehler, die Identität mit der Sozialisierung gleichzusetzen. Ebenso falsch wäre es, sie über die Hautfarbe oder Herkunft zu bestimmen. Wer glaubt, dass Identität sich dadurch Thea-Helene Gieroska definiert, ob jemand Schwarz oder weiß 24, Magdeburg ist, reproduziert rassistische Denkweisen. Jemand, der so denkt, vereinfacht … findet es gut, aus der und festigt Kategorisierungen, anstatt eignen Filterblase rauszukommen und neue diese zu hinterfragen und zu kritisieren. Erfahrungen zu sammeln. Wir sollten bedenken, dass „Identität“ nichts Festes ist. Sie ist wandelbar. Unsere Entscheidungen,

Handlungen und Erfahrungen bestimmen mit, wer wir waren, sind und sein werden. Wenn wir uns entscheiden, Diskriminierung und Rassismus zu bekämpfen, wird eben dieses Engagement zu einem Teil unserer Identität. Darauf bezogen spielt es keine Rolle, ob wir in Berlin oder Istanbul geboren worden sind, Kenianerin oder Kenianer oder Deutsche oder Deutscher sind, wenn wir uns für Gerechtigkeit und Weltoffenheit einsetzen. Am besten wäre es deshalb, wir würden ganz aufhören, nach der Identität zu fragen. Antirassistisch zu handeln bedeutet für mich, Solidarität mit Unterdrückten zu zeigen und diskriminierende Strukturen abzuschaffen – und zu letzterem gehört auch die Annahme einer festen oder zu simpel gedachten Identität. Nur, wenn wir uns von diesem Denkmuster lösen, können wir vielleicht irgendwann eine Gesellschaft schaffen, in der Hautfarbe und Herkunft keine Rolle mehr spielen.

Jacob Schuster 18, Berlin … hofft, dass die Menschheit bald in einen wahrfhaft menschlichen Zustand übergeht.

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US

SSISM A R N E G E TIV G

AK

WAS KANNST DU IM ALLTAG TUN UM RASSISMUS UND DISKRIMINIERUNG ENTGEGENZUWIRKEN?

SO O SO KEEB OK EE_ ERLIN QU ING

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DATTELTAETER

ENGAGIER

DICH!

Neneh Sanneh 20, Berlin … glaubt an bunte Vielfalt.

NENEH SANNEH TR AF MENSCHEN, DIE SICH GEGEN DISKRIMINIERUNG UND ALLTAGSR ASSISMUS EINSETZEN.

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WIE ZEIGT DER FUSSBALL DEM RASSISMUS DIE ROTE KARTE?

RECHTE GRUPPEN BESUCHEN STADIEN NICHT NUR AUS SPASS. DURCH HASSPAROLEN DEMONSTRIEREN SIE IHRE POLITISCHEN STANDPUNKTE. VON FELIX SEYFERT

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PROFIS ZEIGEN HUMOR UND WIDERSTAND Bei einem Spiel des FC Barcelona bewirft ein Zuschauer den Spieler Dani Alves – eine Banane segelt neben den Brasilianer zu Boden. Alves bückt sich, schält die Schale ab, nimmt einen Bissen und wirft den Rest lässig über seine Schulter. Im Anschluss bedankt er sich für die dazugewonnen Kohlenhydrate. Diese Aktion zeigt, wie Rassistinnen und Rassisten ironisch das Handwerk gelegt werden kann. Fußballstar Neymar solidarisiert sich mit seinem Kollegen auf Instagram: Humorvoll postet der Brasilianer ein Foto mit einer Banane im Mund – der Titel: „Wir sind alle Affen!“. Eine Galionsfigur im Kampf gegen Rassismus ist der Spieler KevinPrince Boateng. Der Ghanaer ging einst sogar eigenmächtig vom Spielfeld, weil er beleidigt wurde. Solidarisch folgte ihm seine Mannschaft in die Kabine. In einer Ansprache vor den Vereinten Nationen forderte Boateng mehr Konsequenz von der UEFA: „Zu glauben, man könnte den Rassismus besiegen, indem man ihn ignoriert, ist der größte Fehler.“

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SPIELABBRUCH – WARUM EIGENTLICH NICHT? Fußball soll Kulturen verbinden. Egal, welche Herkunft man hat – die Sprache Fußball versteht jeder. Es braucht nur ein Paar Schuhe, einen Ball und ein Tor. In deutschen Vereinen haben dank der inzwischen professionellen Jugendarbeit auch mehr Migranten die Chance, entdeckt zu werden. Kevin Kyei ist ein Scout, der ein gutes Auge für Nachwuchsspieler im Herrenfußball hat. Gegenüber der politikorange sagt er: „Es macht Spaß, mit Jugendlichen zu arbeiten. Auf dem Spielfeld agieren sie als eine geschlossene Einheit. Das baut Brücken und Beziehungen auf.“ Der Scout versteht sich als Betreuer seiner Schützlinge: „Wenn sie beleidigt werden, habe ich ein offenes Ohr. Schließlich brauchen Heranwachsende jemanden, der ihnen wieder Mut gibt.“ Zu den Klienten von Kyeis Agentur zählt auch der Nationalspieler Antonio Rüdiger, dessen Mutter aus Sierra Leone stammt. Er fühlte sich oft durch Affenrufe beleidigt und meint, dass weiße Menschen nicht wüssten, wie es sich anfühlt, rassistisch beleidigt zu werden. Sein Vorschlag: Sofortiger Spielabbruch bei Affenlauten von der Tribüne. Theoretisch ginge das. Schließlich werden auch beim Einsatz von Pyrotechnik Spiele abgebrochen.

TÄTER ODER TÄTERIN PER VIDEOÜBERWACHUNG IDENTIFIZIEREN Um gegen rassistische Gruppen vorzugehen, ist das Strafmaß für die Tätergruppen ein entscheidender Punkt. Einige Vereine verhängen Geldstrafen, andere Vereine verschärfen ihre Kontrolle bei der Ticketvergabe. Wenn es nach Eintracht Frankfurts Präsident Peter Fischer ginge, hätten AfD-Miglieder keinen Zutritt mehr in Frankfurts Stadion. Doch nicht jeder Vereins-Funktionär ist so mutig: Schließlich verliert der Verein durch Stadionverbote auch zahlende Fans. Kevin Kyei sieht Handlungsbedarf: „Rassismus hat im Stadion nichts verloren. Wenn Fans im Stadion Hass-Parolen singen, müssen sie per Kamera-Überwachung identifiziert und angezeigt werden.“ Bundesliga-Stadien sind mit Tausenden von Kameras ausgestattet. Das Problem ist: Sie filmen nur das Geschehen auf dem Spielfeld.

PRÄVENTION IST DER SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG

Foto: Michael Romacker, Adidas Tango League

iebe Fußballfans: Wusstet Ihr, dass unsere Herren-Nationalelf immer mindestens bis ins Halbfinale bei großen Turnieren einzog, wenn sie einen Moslem im Team hatte? Spieler wie Mesut Özil, Emre Can, Shkodran Mustafi und Sami Khedira sind Teil der erfolgreichen Integrationsarbeit des deutschen Fußballs. Aufgrund der Historie unserer Bundesrepublik kam die Offenheit für andere Kulturen und Religionen jedoch schwer in Gang: Zu Zeiten des Nationalsozialismus war der Fußballsport lediglich ein Propaganda-Mittel. Das Fachamt für Reichsfußball befolgte die Antihaltung der NS-Politik, dass „andersartige“ Spieler im deutschen Team nicht auflaufen durften. Erst im Zuge der Migrationsbewegung der 1960erJahre wurde die Nationalelf vielfältiger. Auch wenn die NS-Zeit lange vorbei ist, findet sich Rassismus auch heute in der Fankultur wieder. Dabei wird häufig die Banane instrumentalisiert: Schwarze Menschen seien wie Affen, daher könne man ihnen eine Banane vor die Füße werfen – so die Logik rassistischer Fans. Ob Schwarze, Araberinnen und Araber, Asiatinnen oder Asiaten – ihr Hass richtet sich gegen alle, die nicht in ihr Weltbild passen.

IN DEN FARBEN GETRENNT, IN DER LEIDENSCHAFT VERBUNDEN: BEI EINEM ADIDAS-TURNIER IN BERLIN SPIELEN JUNGE TALENTE GEMEINSAM IM DEUTSCHEN DRESS.

Seit Jahren wirbt die UEFA mit AntiDiskriminierungs-Spots im Fernsehen, bei denen Fußballstars in ihrer Landessprache den Satz „Nein zu Rassismus“ sprechen. Trotz hoher Marketingausgaben bleibt die Frage offen, wie erfolgreich eine solche Kampagne auf die Fans wirkt. politikorange hat einen Experten gefragt, in welchen Strukturen die Vereine mehr Initiative leisten müssten. Robert Claus ist Gremium-Mitglied der AG Vielfalt des DFB und berät Bundesligisten im Engagement gegen Rechtsextremismus. Prävention ist ihm wichtig: „Vereine leisten viel Öffentlichkeitsarbeit, doch das allein reichtt nicht. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen intern geschult werden, damit sie Rassismus erkennen. Zudem muss man Ordnungsdienste für den Einsatz im Stadion kompetent schulen.“ Bei der Aktion Strich durch Vorurteile engagieren sich Bundesligisten mit einem sozialen Projekt aus ihrer Region. Ein Klub, der konkrete Maßnahmen umsetzt, ist Borussia Dortmund: Der BVB hat ein Lernzentrum und bietet Fortbildungen an. Für die Zukunft erhofft sich Experte Robert Claus eine Bewegung innerhalb der Fankultur: „Gerade Proficlubs brauchen eine Strategie und Ziele in der Frage, wo sie mit ihren Fanszenen in fünf bis zehn Jahren stehen wollen.

Hierzu müssen die Selbstreinigungskräfte innerhalb der Szenen und Fans, die sich gegen Rassismus engagieren, gestärkt werden.“ Vereine, Sportlerinnen und Sportler zeigen dem Rassismus auf unterschiedliche Weise die Rote Karte. Sie werben für Vielfalt – und gegen Rassismus. Dabei sollten sie auf ihre eigene Vielfältigkeit achten: Robert Claus zufolge könne die Personalstruktur der Klubs überdacht werden. Der Anteil von Beschäftigten mit Migrationshintergrund in Bundesliga-Vereinen jenseits der Teams ist gering. Schulungen zum Thema Antidiskriminierung in den Personalabteilungen gibt es bislang kaum.

Felix Seyfert 23, Berlin … hat neben den spannenden Themen besonders das gute Essen in der PO-Redaktion gefallen.


LAUTER WERDEN

DER VEREIN GESICHT ZEIGEN! ARBEITET SEIT 18 JAHREN FÜR EINE WELTOFFENE GESELLSCHAFT. WIE DAS GENAU FUNKTIONIERT, ERKLÄRT DIE GESCHÄFTSFÜHRERIN REBECCA WEIS IM INTERVIEW MIT HELENE FUCHS, KATHARINA PETRY UND MAJA HERZOG WIE SIEHT EUER ENGAGEMENT GEGEN RASSISMUS AUS?

Wir haben uns im Jahr 2000 mit zwei Leuten gegründet und erst einmal nur Kampagnenarbeit gemacht. Damals dachten wir, mit ein bisschen Aufklärung ist es getan. Dann haben wir aber festgestellt, dass in Deutschland Rassismus nicht als gesamtgesellschaftliches Problem anerkannt wird: So hat man ihn zum Beispiel in Südafrika verortet, aber nie bei sich selbst. Wir haben dann angefangen, Menschen in unsere Projekte einzubeziehen, die selbst Erfahrungen mit rassistischen Diskriminierungen gemacht haben. In diesem Moment prallt etwas aufeinander und man muss beginnen, sich mit der eigenen Haltung auseinanderzusetzen.

KANN MAN DIE POLITISCHE SITUATION DER GRÜNDUNGSZEIT MIT HEUTE VERGLEICHEN ODER IST DAS KLIMA RAUER GEWORDEN? Damals war ganz klar, wer „die Bösen“ waren: isolierte, offen erkennbare Nazis, die vorwiegend in Ostdeutschland ganze Plätze beherrscht haben. Wir dachten, indem man diese Minderheit angeht und

die Mehrheit auffordert, aktiv zu werden und sich zu engagieren, löst man das Problem. Heute ist das Klima viel aufgeheizter. Der große Unterschied ist, dass offener Rassismus sehr viel gesellschaftsfähiger und rechte Parolen viel sagbarer geworden sind. Es bricht sich etwas Bahn, das, wie ich glaube, immer schon da war. Jetzt kommt das Gefühl hinzu, in der Mehrheit zu sein und endlich mal wieder etwas sagen zu dürfen.

WIE KANN MAN DAGEGEN VORGEHEN? Die Mehrheit sind wir, aber die Mehrheit ist nach wie vor zu leise. Deshalb arbeiten wir daran, sie lauter zu machen, argumentationsstärker. Wir müssen wieder mehr in Diskussionen reingehen und viel mehr Stellung beziehen. Wir müssen zeigen, dass es auch noch andere Sichtweisen gibt. Eine andere Möglichkeit ist, dass man immer wieder nachfragt. Es gibt unglaublich viele Parolen, die sehr einfach klingen. Beispiel: „Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg“. Da gilt es, nachzuhaken und Fragen zu stellen: Auf wen genau beziehst Du Dich? Wo genau hast Du das gehört? Wo kommen die Zahlen her? Ist davon überhaupt etwas haltbar?

SCHILDER ZEIGEN REICHT NICHT. DIE GESELLSCHAFT MUSS SICH LAUTSTARK GEGEN RASSISMUS ENGAGIEREN, FINDET REBECCA WEIS.

Ich glaube, dass es viele Leute gibt, die unsicher sind. Die können wir durchaus noch erreichen. Dafür müssen sie aber wissen, dass es uns andere gibt und dass sie nicht allein sind.

Foto: Helene Fuchs

Helene Fuchs 19, Hamburg Katharina Petry 20, Mainz Maja Herzog 19, Berlin ... zeigen mit dieser Ausgabe Gesicht.

WAHLERFOLG DANK DISKRIMINIERUNG

IN MANCHEN LÄNDERN EUROPAS GEHEN POLITIKERINNEN UND POLITIKER MIT BELEIDIGUNGEN GEGEN BESTIMMTE GRUPPEN AUF STIMMENFANG BEIM VOLK. BESONDERS DEUTLICH WIRD DAS AN DEN BEISPIELEN RUSSLAND UND FRANKREICH. VON MARIA JOHN SÁNCHEZ UND JULIAN LESNIEWSKI

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aut Umfragen ist Wladimir Wolfowitsch Schirinowski zurzeit der drittbeliebteste Politiker Russlands. Sein Verständnis von gelungener Politik ist, gelinde ausgedrückt, rabiat: Während einer Präsidentschaftsdebatte im russischen Fernsehen beleidigte Schirinowski Xenia Sobtschak, die einzige weibliche Kandidatin für das Amt, mit den tabuisierten „Mat“-Begriff*. Bei einer anderen politischen Debatte wurde Sobtschak so stark angegriffen, dass sie unter Tränen das Fernsehstudio verließ. Auch an dieser Demütigung war Schirinowski beteiligt.

SCHIRINOWSKI DRITTBESTER KANDIDAT Bei den russischen Präsidentschaftswahlen 2018 hat der Parteivorsitzende der nationalistischen Liberal-Demokrati-

schen Partei Russlands (LDPR) das drittbeste Ergebnis eingefahren. Seine Schmähungen in den russischen Medien sind Kalkül: Schirinowski setzt sie ein, um an Stimmen von Wählerinnen und Wählern zu gelangen. Mit seinen Angriffen gegen Xenia Sobtschak versucht er, beim Volk stereotype Vorstellungen von Frauen zu bestätigen, indem er behauptet, dass diese unfähig seien, das Land zu regieren und lieber zu Hause bleiben sollten. In Frankreich steht eine Frau mit ähnlicher Gesinnung an der Spitze der rechtspopulistischen Partei Front National (FN): Marine Le Pen. Sie ist die Tochter von JeanMarie Le Pen, der vor ihr den Vorsitz der Partei innehatte. Seit Marine Le Pen den FN von der rechtsradikalen Protestgruppe ihrer Vaters zu einer nationalistischen Volkspartei umgebaut hat, wird er unter den Franzö-

sinnen und Franzosen immer beliebter. So kampf-Instrument nationalistischer und erhielt der FN bei der Stichwahl der Präsi- rechtspopulistischer Parteien. Von so dentschaftswahl 2017 ein Drittel aller Wäh- etwas wie Anstand ist bei Politikerinnen lerinnen- und Wählerstimmen. und Politikern wie Schirinowski und Le In den letzten Jahren haben Gewalt- Pen nichts zu sehen. taten gegen Musliminnen und Muslime in Frankreich zugenommen. Le Pen macht sich die antimuslimische Stimmung für *„Mat“ steht im Russischen für eine Anihren Wahlkampf zunutze: Sie behauptet sammlung besonders derber, expressiver beispielsweise, dass die fortschreitende Is- und vulgärer Schimpfwörter. lamisierung Frankreichs das Überleben der Zivilisation infrage stelle. An der ausländerfeindlichen AusrichMaria John Sánchez tung des FN hat sich unter Marine Le Pen 18, Oldenburg kaum etwas geändert. Und auch in Sachen Frauenrechte hat sich praktisch nichts getan, Julian Lesniewski seit die studierte Juristin im Jahr 2011 den 18, Bremen Vorsitz der Partei übernommen hat. ...fühlen sich Diskriminierung und Rassismus europäischer denn je. sind sowohl in Ost- als auch in Westeuropa ein zunehmend beliebtes Wahl-

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JETZT REDET DIE POLITISCHE JUGEND

FÜNF VERTRETERINNEN UND VERTRETER DER JUGENDORGANISATIONEN VON CDU, SPD, LINKEN, GRÜNEN, FDP UND UND IDENTITÄT. VON LISA-MARIE WERNER UND INGA GLÖKLER G RÜN E J UG EN D

DAVI D EC KERT 26 JAHRE

Die industrielle Entwicklung – was machen wir politisch aus der Globalisierung und der Digitalisierung? – oder der Kulturkampf zwischen Menschenrechten und Rechtsextremen.

Eine alternde Gesellschaft, in der sich viele Menschen nicht mehr sicher fühlen. Dabei spielt die Politik der offenen Grenzen eine große Rolle.

Ich könnte mir jetzt Etiketten wie „Mann“ und „Jurist“ aufkleben. Damit grenze ich mich aber auch automatisch von anderen ab. Man kann Menschen nicht in verschiedene Schubladen stecken, da jeder anders ist.

Es geht hier um die Fragen: Womit identifiziere ich mich? Mit wem fühle ich mich verbunden? Aber weil Identität etwas so Individuelles ist, sollte die Politik da nicht reinreden und den Menschen eine Leitkultur oder Ähnliches aufzwingen.

Ein große. Werte alleine reichen mir als gemeinschaftsstiftendes Element nicht aus – Identität braucht konkrete Symbole wie Flaggen und eine Hymne, auf die jeder stolz ist. Anstatt die aktuelle Laissez-faire-Politik zu unterstützen, wo jeder macht, was er will, sollte mehr Wert auf Patriotismus gelegt werden.

Leute kommen nicht als Rassisten auf die Welt. Das geschieht durch gesellschaftliche Prägung. Rassismus ist menschengemacht und wandelt sich – er ist überwindbar.

Wenn ein „Wir“ erzeugt wird und das gegen ein „Ihr“ ausgespielt wird, dann trägt das zu Rassismus bei. Deshalb geben die Rechten keine politischen Antworten, sondern spaltende Scheinlösungen.

Rassismus entsteht durch Unterschiede zwischen Gruppen. Vorurteile sind natürlich, doch müssen im Einzelfall geprüft werden.

Wir tauschen uns mit verschiedenen Menschen aus. Wir haben auch viele Mitglieder mit Migrationshintergrund. Heute gibt es weniger Rassismus als früher.

Wir gehen auf Demos, in Bündnisse und dorthin, wo es weh tut. Wir zeigen, dass Ausgrenzung keine Lösung für echte Probleme ist und wir stehen gegen den Rechtsruck der politischen Mitte auf!

Um den Rassismus gegen Zuwanderer kümmern sich genügend andere Jugendorganisationen. Ich glaube, dass das größere Problem der wachsende Rassismus gegen Deutsche ist – den schweigen andere Parteien tot.

Seid offen und schaut euch die Welt an. Die Auseinandersetzung mit Menschen & Ländern erweitert den Horizont. Tauscht euch mit Menschen aus, die in ganz anderen Lebensrealitäten stecken als ihr. Je mehr Menschen ihr kennt, desto weniger denkt ihr in Schubladen. Wir sind alle einfach nur Menschen.

Steht gegen Rechts auf, widersprecht dort, wo ihr Rassismus begegnet. Macht euch und anderen bewusst, dass man Sorgen niemals lösen kann, indem man andere ausgrenzt.

Wir alle sind Menschen. Bei einem Gläschen Bier können Vorbehalte meist schnell abgebaut werden.

3.

WIE ENTSTEHT RASSISMUS?

2.

WELCHE ROLLE SPIELT IDENTITÄT FÜR DICH?

1.

WAS SIND DIE PROBLEME UNSERER ZEIT?

5.

WAS WILLST DU UNSEREN LESERINNEN UND LESERN ZUM THEMA IDENTITÄT UND RASSISMUS NOCH MITGEBEN?

4.

WAS TUT DEINE JUGENDORGANISATION GEGEN RASSISMUS?

Inga Glökler 22, Jena Lisa-Marie Werner 19, Leimen ... führten interessante und auch überraschende Gespräche.

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FÜR UNS

RASSISMUS-

Demographischer Wandel, Digitalisierung und Migration.

R O LLE VO N

Landesvorsitzender der Jungen Alternative Berlin

ENT­

Bundessprecher der Grünen Jugend

PR O -

M AX LUCK S 20 J AHRE

Foto: David Eckert

Stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungen Union

J UN G E A LTER NATI VE

Foto: Erik Marquardt

BA S TIA N S C HN E IDE R 2 7 J A HR E

Foto: Bastian Schneider

JUNG E U NI ON


... WEITERLESEN!

FRAGEN, SECHS PARTEIEN, SECHS PERSPEKTIVEN. AFD SCHILDERN IHRE SICHT AUF DIE THEMEN RASSISMUS

AN N IK A K LO S E 25 J AHRE

FLORIAN PHILIPP OTT 30 JA HR E

Landesvorsitzende der Jusos Berlin

Stellvertretender Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen

B LEME

Der globalisierte Kapitalismus, soziale Ungleichheit und bestehende Unterdrückungsverhältnisse.

Es gibt viele Probleme: demografische Entwicklung, (Kinder-)Armut, Einhaltung der Menschenrechte, internationale Konflikte, Terror, Bildung und Digitalisierung.

Identität ist ein schwieriger Begriff, in dem viel Negatives mitschwingt. Negativ ist Identität dann, wenn man sich über Dinge wie Herkunft identifiziert, die Zufall sind. Positiv ist Identität, wenn dadurch ein Raum der Befreiung geschaffen wird. So ist das beispielsweise beim Feminismus, wenn sich Frauen darüber identifizieren, Frauen zu sein, die für mehr Teilhabe und Gerechtigkeit einstehen.

Identität bedeutet auch Individualität. Wenn es gemeinsame Unterdrückungsmechanismen gibt, müssen diese solidarisch bekämpft werden. Das Konzept der Individualität ist sozial konstruiert.

Für mich persönlich ist die lokale Identität eine wichtige Kategorie. Eine Gesellschaft sollte inklusive Identitäten gestalten.

Rassismus beginnt schon, wenn man in Rassen und ähnlichen Kategorien denkt und damit Trennungen und Unterschiede schafft. Man muss bereits Kindern erklären, warum wir alle gleich sind.

Für uns ist politische Bildungsarbeit sehr wichtig. Wir engagieren uns in mehreren Bündnissen und leben Diversität im Verband.

Einen einzelnen Grund kann man dafür nicht nennen. Ein zentraler Punkt ist sicherlich, dass man einander fremd ist und keinen Kontakt hat.

Wir stellen uns Nazis und anderen rechten Spinnern auf der Straße entgegen und sind in vielen Bündnissen gegen Rechts aktiv. Außerdem fordern wir eine Migrationspolitik, die Menschen nicht in illegal und legal einteilt und Grenzen abbaut.

Rassismus ist eine alte gesellschaftliche Struktur. Es wird versucht, einfache Antworten auf komplexe Fragen zu finden und sich selbst über andere zu stellen.

In unserer Grundhaltung als Liberale drücken wir die Gleichwertigkeit aller Menschen aus, egal, wo sie herkommen.

Rassismus kann niemals die Antwort auf ein Problem sein. Junge Menschen sollten sich überlegen, woher Unterschiede zwischen ihnen und anderen kommen. Man kann vor allem dann etwas Positives für die Gesellschaft erreichen, wenn man Solidarität lebt.

Man sollte vorgefertigte Urteile nicht akzeptieren, sondern sich mit Argumenten genau auseinandersetzen. Macht euch Gedanken über das, was ihr vertretet und wer ihr sein wollt!

­M ITGEGEBEN PRÄVENTION STEHUNG

Die Erstarkung nationaler Kräfte in Europa und weltweit, Klimawandel, Hunger, Armut und Krieg.

I DENTI TÄT

Bundessprecher der Linksjugend Solid

J UN G E LI BER A LE

Foto: James Zabel

Foto: Lisa-Marie Werner

PA UL GR UB E R 2 0 J A HR E

J US O S Foto (bearbeitet): Jusos Berlin

LINKS JU G E ND S OL ID

D I E AU S F Ü H R L I CH E N I NTE R V I E W S F I ND E S T D U I M NE TZ : #IWGR AUF POLITIKORANGE.DE

Ich möchte ihnen ans Herz legen, dass sie reagieren, wenn ihnen Rassismus im Alltag und im Netz begegnet. Das Wichtigste ist, zu Rassismus niemals zu schweigen.

FRUCHTFLEISCH WAS IST DEIN REZEPT GEGEN RASSISMUS?

KAHN OLGONER 47 JAHRE, BERLIN HUMANISMUS. JEDER SOLLTE ÜBERLEGEN, DASS ES REINER ZUFALL IST, AUS WELCHER GEBÄRMUTTER MAN KOMMT.

»AUFKLÄRUNG«

Foto: Vivienne Fey

ANN-CHRISTIN HERBOLD 21 JAHRE, WANFRIED DEN MENSCHEN AUF AUGENHÖHE BEGEGNEN UND MIT IHNEN REDEN – STATT ÜBER SIE. NUR SO KANN MAN VORURTEILE ABBAUEN.

»HUMANISMUS«

Foto: Vivienne Fey

Umfrage: Vivienne Fey, Foto: Privat

»AUGENHÖHE«

KATHALINA BERGER 48 JAHRE, BONN BEISPIELE ANBRINGEN, WIE MENSCHEN IN ANDEREN LÄNDERN LEBEN, WARUM SIE VERSUCHEN HIERHER ZU KOMMEN UND WARUM MAN DIE LEUTE NICHT DISKRIMINIEREN SOLLTE.

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EINFACH DAGEGEN HALTEN

UNSERE

AUTORINNEN HABEN SICH IN BERLIN ZU STAMMTISCHKÄMPFERINNEN AUSBILDEN LASSEN, UM HERAUSZUFINDEN, WIE MAN AM BESTEN AUF RASSISTISCHE ÄUSSERUNGEN REAGIERT. VON HELENE FUCHS UND MAJA HERZOG

Foto: Helene Fuchs

GERADE AUFGESCHNAPPT: WAS NUN?

S

prüche, die man von Nazi-Demos oder AfD-Ortsgruppen kennt: „A  usländer raus!“ oder „Die nehmen uns doch eh nur unsere Arbeitsplätze weg!“ Dagegen werden oft Fahnen geschwenkt und Sätze wie „Nationalismus raus aus den Köpfen!“ skandiert. Was aber machst Du, wenn Aussagen wie „Es kommen schon ganz schön viele zu uns“ oder „Die meisten, die hier ankommen, sind doch eigentlich Wirtschaftsflüchtlinge...“ am Familientisch oder im Bekanntenkreis auftauchen? Die ersten Gefühle sind oft: Ohnmacht, diffuses Unwohlsein, Wut. Konkrete Zahlen, Selbstbewusstsein und Schlagfertigkeit fehlen. Wie erklärt man jemandem Mitgefühl und Verantwortung? Wie kann man deeskalierend wirken, wenn man vollkommen geschockt und enttäuscht ist? Um Antworten auf diese Fragen zu bekommen, machen wir uns an einem Sonntagmorgen in Berlin dazu auf, uns in einer alten Fabrik zu Stammtischkämpferinnen ausbilden zu lassen.

LOS GEHT’S! Als wir 15 Minuten zu früh ankommen, sind die meisten Sitzplätze noch leer. Auf dem Tisch hinter uns liegen Sticker gegen Nazis, es gibt eine Spielecke für Kinder. Normalerweise ist der Raum ein

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Foto: Helene Fuchs

Nachbarschaftscafé, heute aber haben ihn die Betreiberinnen und Betreiber dem Bündnis Aufstehen gegen Rassismus überlassen, das den Workshop anbietet. In den nächsten sechs Stunden wollen wir Strategien erlernen, um besser auf extreme und rassistische Äußerungen – von Witzen bis zu Parolen – zu reagieren. 2017 hat des Bündnis im Durchschnitt jeden Tag ein solches Seminar angeboten. Auslöser dafür war das Wiedererstarken rechter Positionen nach der Grenzöffnung für Geflüchtete. Die Nachfrage ist weiterhin groß: Auch unser Workshop war weit im Voraus ausgebucht. Wir beginnen mit einer kurzen Vorstellungsrunde. Die Altersspanne im Raum reicht von 19 bis 53 Jahren, ungewöhnlich viele der 20 hier Versammelten arbeiten im Bildungsbereich. Sie sind aus unterschiedlichen Gründen hierher gekommen: Einige berichten von konkreten Situationen, in denen sie gern souveräner reagiert hätten, andere wollen ihre Familie sensibilisieren. Alle jedoch erhoffen sich von dem Tag, im Einsatz gegen Rassismus gestärkt zu werden, egal ob dieser ihnen in der UBahn oder auf der Arbeit begegnet. Unsere Teamenden Julius und Jule machen uns Hoffnung, dass genau das heute möglich ist.

IHR SEID NICHT DIE MEHRHEIT!

RASSISMUS IST EINFACH

Wir beginnen in zwei kleineren Ge- Genau um diese paar Sekunden Mut sprächsrunden, in denen wir uns da- dreht sich die nächste Übung, für die rüber austauschen, was es braucht, wir unsere Plätze verlassen und uns in um die eigene Stimme zu erheben und die Mitte des Raumes stellen. Um Hemwas uns bis jetzt davon abhält. Auch mungen abzubauen, liest eine Hälfte der hier zeigen sich Gefühle der Entmu- Gruppe rechte Parolen vor, auf die die tigung und Verunsicherung. Wir alle Anderen innerhalb von 30 Sekunden rehaben das Gefühl, gegen eine Über- agieren sollen. Danach werden die Rolmacht der beiläufig geäußerten Ras- len getauscht. Julius und Jule ermutigen sismen anzureden, die plötzlich und uns, mit verschiedenen Strategien von in den nettesten Gesprächen geäußert „Nachfragen“ bis zu „Emotionalität“ zu werden. antworten. Es fällt uns zunächst schwer, Dabei wird eine grundlegende unsere zugeteilten Aussagen vorzutragen Frage aufgeworfen: „Was ist mein ei- und dabei ernst zu bleiben. Zu groß ist gentliches Ziel, wenn ich Rassismus die Scheu, diese Behauptungen selbst in offen konfrontiere?“ Langsam begin- den Mund zu nehmen. Als wir mit Nachnen Teilnehmende, von Situationen zu fragen konfrontiert werden, fällt uns etberichten, in denen es ihnen gelungen was Schockierendes auf: Selbst extreme ist, Rassismus ein Stück weit zu be- Positionen wie Rechtfertigungen für das kämpfen. Anzünden von Geflüchteten-UnterkünfGemeinsam halten wir Strategien ten wurden inzwischen so oft öffentlich fest, wie das besser funktionieren geäußert, dass es simpel ist, sie zu verkann. Dazu gehören: ein Gespräch in teidigen. Es ist leicht, die Welt in „Gut“ Ruhe, die Besinnung auf gemeinsame und „Böse“ zu teilen. Entsprechend heWerte und vor allem – Ausdauer. rausfordernd ist die Rolle derjenigen, die Die Meinung des Gegenüber zu auf die rassistische Parole reagieren müsändern, ist schwierig, vor allem, wenn sen: Im ersten Moment geht das oft nur dafür nur bis zur nächsten Haltestel- mit Empörung. Jemand mit bloßer Gele Zeit bleibt. Im öffentlichen Raum genrede umzustimmen ist schwer – doch braucht es vor allem den Mut, zu wi- es ist wichtig dagegen zu halten, damit dersprechen, um aufzuzeigen, dass sich Rassismus nicht unwidersprochen man nicht alles toleriert. im öffentlichen Raum ausbreiten kann.


Am Ende der Übung ist der Sinn dennoch erfüllt. Mit jeder Parole wird schneller reagiert, das Dagegenhalten wird leichter.

AUF DIE UNENTSCHLOSSENEN KONZENTRIEREN!

beenden. So könne man sich selbst schützen und den Betreffenden keine Plattform bieten, sich argumentativ auszubreiten. Das eigentliche Ziel der Stammtischkämpfer*innen-Ausbildung sei ohnehin nicht, Menschen mit einem geschlossenen rechten Weltbild anzusprechen. Es geht darum, die Mitlaufenden und die Unentschlossenen darauf hinzuweisen, dass Menschenverachtung nicht in Ordnung ist. Und um „wieder eine rote Linie zu ziehen, zwischen dem, was gesagt werden kann und menschenfeindlichen Äußerungen“, fasst es Julius zusammen.

zeigt sich der Rassismus hier nicht offen, was den Umgang mit ihm umso schwerer macht. Interessant ist, wie die andere Gruppe mit der Situation umgeht: In der Schlange Wartende werden aktiviert und gezielt angesprochen, die Geschehnisse werden gefilmt. Dadurch wird die Anonymität der Täterinnen und Täter durchbrochen. Je lauter und konfrontativer die Eingreifenden werden, desto unwohler fühlen sich deren Gegenüber. Nach einer Weile wollen die Aggressorinnen und Aggressoren die Situation auflösen. Außerdem kümmern sich Wartende um die Diskriminierte, um zu zeigen, dass sie den Rassismus sehen und nicht tolerieren. Später erzählt die Darstellerin der diskriminierten Person, wie sehr ihr das Solidarisieren der anderen geholfen hat:„Das hat einen riesigen Unterschied gemacht, ich hab mich direkt viel besser und weniger allein gefühlt!“

Wie kann man aber in einem längeren, konstruktiven Gespräch, in dem rassistische Äußerungen fallen, argumentieren? Um Parolen zu zerlegen, analysieren wir mit Jule sprachliche Strukturen und rhetorische Mittel, die in Diskussionen oft auftauchen. Sie erklärt uns, dass es meist schwer ist, auf gegenläufige Meinungen zu reagieren, weil unterschiedlichste The- „MIT SOLCHEN WIE DIR HATTEN men in einer Aussage gemixt werden – es WIR SCHON ÖFTER PROBLEME“ kommt zu einem „Flickenteppich“ von Der letzte Teil des Seminars gibt uns die Argumenten. Ergänzt wird dieser häufig noch durch Verschwörungstheorien und Möglichkeit zur kreativen Entfaltung: In einer Gruppe stellen wir Szenen in einem Pauschalisierungen. Wie darauf reagieren? Nachfragen Rollenspiel dar, in denen Menschen disund Sortieren, meint Jule. Dadurch kä- kriminiert werden. Eine andere Gruppe hat dann die Möglichkeit, einzugreifen. men viele schon ins Stolpern. Auch in Plötzlich bauen also sechs Leute in „MAN KANN ETWAS DAGEGEN „Flickenteppich“-Situationen sei es aber wichtig, sich bewusst zu machen, wer einem Saal einen Clubeingang und versu- TUN! DAS IST WICHTIG ZU einem gegenüber steht, fährt Jule fort und chen, mit holprigen Dialogen die Atmo- WISSEN.“ fügt hinzu: „Ihr braucht nicht anfangen, sphäre einer Alltagssituation zu kreieren: mit Funktionärinnen und Funktionären Einer Person wird aufgrund ihrer Haut- Mit einer Feedbackrunde endet unser von der AfD zu diskutieren.“ Da sei es farbe der Einlass in den „Club“ verwehrt. Tag. Wir haben gelernt: Ein Patentrezept, auch völlig legitim, die Debatte einfach zu Anders als in den vorherigen Situationen um auf rassistische Parolen zu reagieren,

gibt es nicht. Trotzdem haben alle Anwesenden das Gefühl, etwas Wichtiges aus der Stammtischkämpfer*innen-Ausbildung mitzunehmen. Sei es die Notwendigkeit, sich selbst und die eigenen Ziele ständig zu reflektieren, oder der Wunsch nach weiterer Übung „vielleicht sogar schon in der U-Bahn auf dem Weg nach Hause“. Andere sind überrascht darüber, wie sinnvoll es sein kann, einfach nur Position zu beziehen. Statistiken und rhetorische Meisterleistungen braucht es dazu nicht. Manchmal reicht schon das Gefühl, das am Ende dieses Tages alle haben: weniger allein zu sein.

Maja Herzog 19, Berlin Helene Fuchs 19, Hamburg ... fahren jetzt selbstbewusster U-Bahn.

HANDBUCH FÜR STAMMTISCH-DISKUSSIONEN

EGAL OB IN DER KNEIPE, AM FAMILIENTISCH ODER UNTER FREUNDEN: ÜBERALL KANN MAN MIT EXTREMEN AUSSAGEN KONFRONTIERT WERDEN. DAMIT DU DAS NÄCHSTE MAL DEINE MEINUNG KLAR ARTIKULIEREN KANNST, HABEN MAJA HERZOG UND VIVIENNE FEY IHRE TIPPS FÜR DICH GESAMMELT.

W

erde Dir bereits vor Beginn der Diskussion über einige Sachen klar.

CHECKLISTE FÜR

STAMMTISCHKÄMPER*INNEN

Begegnung auf Augenhöhe; Ängste und Sorgen des Gegenübers ernst nehmen.    Selbstschutz bedenken und eigene Grenzen kennen.    Rational bleiben und nicht auf eine emotionale Ebene ziehen lassen.

1. IN WELCHER SITUATION BEFINDE ICH MICH?

Unklare Begriffe genau definieren, um Missverständnisse vorzubeugen.

Verdeutliche Dir die Situation, in der Du Dich befindest und Deine Interessen und Möglichkeiten darin. Sei Dir außerdem darüber bewusst, welche Rolle Du in der Gruppe einnimmst und welche Wirkung Du dadurch auf die Anderen hast. Schließlich unterscheidet sich Deine Wir-kung als Tochter deutlich von der als Bekannte oder gar Fremde.

Mach Dir zu Beginn die Position Deines Gegenübers klar, indem Du Fragen stellst. Danach kannst Du Dich entweder nur positionieren oder eine Diskussion beginnen.

WICHTIG: Du hast jederzeit die Möglich-

Schwache Behauptungen mit Fakten widerlegen.

keit, die Diskussion – im Idealfall begründet – zu beenden. Es gibt wohl oder übel kein Geheimre2. WER IST MEIN GEGENÜBER? zept gegen extreme Äußerungen. Probiere Es hat wenig Sinn, sich an überzeugten einfach aus, was in welcher Situation hilft Rechtsextremen abzuarbeiten, konzentrie- und verzweifle nicht. Oft reicht es schon, re Deine Energie lieber auf die Unentschlos- wenn Du klar machst, dass nicht alle die senen und Mitläuferinnen und Mitläufer. Meinung Deines Gegenübers teilen!

Aussage und Person klar trennen.

3. WIE SIEHT MEIN UMFELD AUS?

Position des Gegenübers hinterfragen.

Überlege dir, ob Du Unterstützung auf Deiner Seite haben wirst oder ob die Unterstützung eher Deinem Gegenüber gehört.

Ausreichend Zeit nehmen.

4. WELCHE HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN HABE ICH?

Vivienne Fey 18, Röhrda Maja Herzog 19, Berlin ... geben keine Garantie für‘s Gelingen.

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* Das Glossar wurde u.a. mithilfe des Sachbuchs „Deutschland Schwarz weiß“ (2009, München) von Noah Sow und der Broschüre „Willst du mit mir gehen? Gender_Sexualitäten_Begehren in der machtkritischen und entwicklungspolitischen Bildungsarbeit“ (2016, Wien) des quix–kollektivs für kritische Bildungsarbeit erstellt.

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Grafik: Vecteezy // Anpassung: Judith Köhler


F R I S CH , F R UC HTIG, S E L BS TGE P R ES S T – M IT M ACHEN @PO LIT IK O RAN G E.DE

I MPR ESSUM Diese Ausgabe von politikorange entstand während der Internationalen Wochen gegen Rassismus in Berlin. Die Redaktion tagte vom 16. bis 21. März 2018. Herausgeber und Redaktion: politikorange Jugendpresse Deutschland e.V. Alt-Moabit 89, 10559 Berlin www.politikorange.de Chefredaktion (V.i.S.d.P.): Christina Mikalo (c.mikalo@posteo.de)

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rintmagazine, Blog und Videos: politikorange erreicht sein Publikum über viele Kanäle und steht neuen Wegen offen gegenüber. Junge, kreative Köpfe berichten in wechselnden Redaktionsteams aus einer frischen Perspektive. Ob aktuelle Themen aus Politik und Gesellschaft oder die kritische Begleitung von Veranstaltungen – politikorange ist mittendrin.

POLITIKORANGE – DAS MULTIMEDIUM politikorange wurde 2002 als Veranstaltungszeitung ins Leben gerufen. Rund 130 Ausgaben wurden seither produziert. Seit Anfang an gehören Kongresse, Festivals, Parteitage und Events zum Programm. 2004 kamen Themenhefte hinzu, die aktuelle Fragen aus einer jugendlichen Sichtweise betrachten. 2009 nahm politikorange Video und Blog ins Portfolio auf und präsentiert spannende Beiträge unter den Labels politikorange TV und politikorange.de.

WO KANN ICH POLITIKORANGE LESEN?

cher Perspektive. Frei nach dem Motto: frisch, fruchtig, selbstgepresst.

Gedruckte Ausgaben werden direkt auf Veranstaltungen und über die Landes- WER MACHT POLITIKORANGE? verbände der Jugendpresse Deutschland e.V. verteilt. Im Online-Archiv auf poli- Junge Journalistinnen und Journalisten tikorange.de können digitalisierte Ma- – sie recherchieren, berichten und komgazine durchgeblättert und Videos auf- mentieren. Wer neugierig und engagiert gerufen werden. Printausgaben können in Richtung Journalismus gehen will, kostenlos nachbestellt werden – natür- ist bei politikorange an der richtigen lich nur, solange der Vorrat reicht. Für Adresse. Genauso willkommen sind bedas Stöbern auf dem Blog genügt der geisterte Fotografen und Fotografinnen, Videoredakteurinnen und -redakteure Aufruf von blog.politikorange.de. sowie kreative Köpfe fürs Layout. politikorange funktioniert als Lehrredaktion: WARUM EIGENTLICH Die Teilnahme ist kostenlos und wird POLITIKORANGE? für jede Ausgabe neu ausgeschrieben – Welchen Blick haben Jugendliche auf der Einstieg ist damit ganz einfach. Den Politik und gesellschaftliche Verände- Rahmen für Organisation und Vertrieb rungen? politikorange bietet jungen stellt die Jugendpresse Deutschland. Menschen zwischen 16 und 26 Jahren Du willst dabei sein? Infos zum eine Plattform für Meinungsaustausch Mitmachen gibt es unter politikorange.de­, und den Ausbau eigener Fähigkeiten. in unserem Newsletter und via Facebook Engagement und Begeisterung sind und Twitter. die Grundpfeiler für journalistisch anspruchsvolle Ergebnisse aus jugendli- mitmachen@politikorange.de

Redaktionsleitung: Jonas Lerch (jonas.lerch@jpbw.de) Bildredaktion: Neneh Sanneh, Vivienne Fey, Maria John Sánchez Layout: Maximilian Gens (m.gens@jugendpresse.de) Judith Köhler (koehler.j@posteo.de) Redaktion: Gabriel Pritz, Maja Herzog, Jacob Schuster, Julian Lesniewski, Lisa-Marie Werner, Katharina Petry, Helene Fuchs, Inga Glökler, Felix Seyfert, Maria John Sánchez, Luisa Ringer, Vivienne Fey, Thea-Helene Gieroska, Yannic Walther, Evi Milz, Henri Weis, Lennart Glaser Betreuender Bundesvorstand: Julian Kugoth (j.kugoth@jugendpresse.de) Projektleitung: Lennart Glaser (l.glaser@jugendpresse.de), Gabriel Pritz (pritz@gesichtzeigen.de), Corinna von Bodisco (c.bodisco@jugendpresse.de) Druck: BVZ Berliner Zeitungsdruck GmbH Auflage: 15.000 Exemplare Ein Projekt der

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Foto: Julian Kugoth

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