Die Umkehr des Augenblicks

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Die Umkehr des Augenblicks


Die Umkehr des Augenblicks 23. Ausstellung in der Galerie per-seh Kantplatz 3 30625 Hannover www.per-seh.de 18. Januar - 17. März 2012

Herausgegeben von Frank Buchholz, Hannover

Textbeiträge von Frank Buchholz Sabrina Buchholz H. N. Semjon

Fotos von Bernd Borchardt Frank Buchholz Katrin Hammer Barbara Hofeditz

Gestaltung + Produktion typo.text.trix. Frank Buchholz, Garbsen Feinbuchbinderei Vehse, Hannover

1. Auflage 2012: 150 Exemplare ISBN 978-3-940576-55-2

Textzitat: Jorge Luis Borges, Gesammelte Werke in zwölf Bänden herausgegeben von Gisbert Haefs, Fritz Arnold

© Carl Hanser Verlag München 2009


Ich hielt mich für fähig, den Kelch des Zornes bis zur Neige zu leeren, aber im Bodensatz fand ich eine unerwartete Würze, die geheimnisvolle und fast erschreckende Würze des Glücks. Jorge Luis Borges



Die Umkehr des Augenblicks Wie fühlt sich das windstille Auge eines Wirbelsturmes an, bevor der Sturm wieder losbricht? Wann schwingt das Pendel zurück? Können wir den Augenblick zwischen Ebbe und Flut körperlich erfassen? Wann verkehrt sich eine Sache in ihr Gegenteil? Wann erkennen wir im Abstrakten etwas Gegenständliches, und wie lange ist der Gegenstand in seiner Abstraktion noch erkennbar? Die Betrachtung dieses einen Sekundenbruchteils, den wir weder sehen noch begreifen können, von dem wir aber eine ganz genaue allgemeingültige Vorstellung haben, ermöglicht uns das Eintauchen in einen emotionalen Kosmos. Fern jeder physikalischen Erklärung haben wir eine Vorstellung vom immanenten Wesen der Dinge. Zwei künstlerische Positionen, die sich auf sehr unterschiedliche Weise des Stilmittels der Abstraktion bedienen. Zwei Seiten einer Medaille oder die Abstraktion, von zwei Seiten betrachtet und in einem Moment kongruent. Die Malerei von Susanne Knaack beginnt im Informellen, die Vorgehensweise nimmt sich gekonnt den Zufall zu Hilfe. Im Ergebnis entstehen beim Betrachter überraschend realistische Bilder mit häufig ambivalenter Suggestivkraft. Der richtige Moment ist von entscheidender Bedeutung, in dem der Ge-

genstand etwas Universelles, Allgemeingültiges erhält. Dabei ist es unerheblich, ob jeder Betrachter den gleichen Gegenstand erkennt. Je nach persönlicher Präferenz erscheinen Berge oder Wasser, Höhen oder Tiefen. Gemeinsam ist allen, dass eine Anmutung von Natur zu sehen ist. Karl F. Hofeditz hingegen extrahiert aus realen Motiven eine Formensprache, die das Spannungsfeld von Ruhe und Dynamik neu zu definieren scheint. Verharrte er zu sehr im Gegenständlichen, entstünde der besondere Zauber nicht, der die Ahnung einer Vollkommenheit in uns keimen lässt. Ist der Gegenstand jedoch seiner realen Größe beraubt, wird er in eine andere Dimension überführt, lässt er unserer Phantasie freien Lauf, wir beginnen zu assoziieren. Und je nach eigenem Kontext kommen wir zu dem einen oder anderen Ergebnis, ohne dass es auch hier eine allgemeingültige zutreffende Aussage gibt. Innerhalb beider Positionen ist der Augenblick von entscheidender Wichtigkeit. Ein Zuviel würde ebenso zerstören wie ein Zuwenig. Im Austarieren unter Einbeziehung des Betrachters liegt die eigentliche Kunst, uns eine Empathie zu ermöglichen, um die Dinge auf einer anderen Ebene, einer abstrakten, wahrzunehmen. Sabrina und Frank Buchholz



Susanne Knaack


Februar, 100 x 80 cm, Acryl auf Leinwand, 2007

Seestück, 100 x 80 cm, Acryl auf Leinwand, 2010

Nicht nur ein Augenblick Susanne Knaack bezeichnet ihre Werke zunächst nur als „Seestücke“. Die Arbeitstitel, so könnte man meinen, lassen bereits erahnen, was einen erwartet. So scheint man doch zuerst Schwarz-Weiß-Fotografien von bewegter See zu erkennen. Beim näheren Betrachten aber erkennt man die Bilder als Malerei, als virtuos vollzogene Malerei: Wie ist die tosende See, die spritzende Gischt, das atemberaubende Auf und Ab der Wellenlandschaft so überzeugend und realitätsnah gemeistert? Warum ist dennoch in ihnen eine so große kontemplative Stille enthalten, die an die „Seascapes“ des Fotografen Hiroshi Sugimoto denken lassen? Susanne Knaacks Arbeiten sind als konzeptuelle Malereien zu fassen:

Nicht nur die Reihung oder das Tableau deuten als ein wichtiges Merkmal darauf hin, sondern die Titelgebung birgt bereits einen wichtigen Hinweis: Sind es „Seestücke“ oder „Sehstücke“? Der Schaffensprozeß jedoch ist der wesentlichste Indikator: Susanne Knaacks „Seestücke“ sind Schüttbilder. Die Farbe wird nicht mit dem Pinsel in klassischer Manier aufgetragen, sondern gezielt geschüttet und durch gelenkte Bewegung des Bildträgers seinem Lauf, der Durchmischung, des Aufeinanderprallens und der Abstoßung überlassen. Parallelen zu Jackson Pollocks gelenktem Zufall der „Drip-Paintings“, auch „Action Paintings“ genannt, tun sich auf. So auch

der Hinweis auf das „Allover Painting“ der amerikanischen Nachkriegsmoderne durch das zum Ausschnitthaften mutierende Hochformat, das die Künstlerin anstatt eines traditionellen landschaftstypischen Querformats nutzt. Susanne Knaacks verschieden große Malereien konstruieren eine Wirklichkeit, die per se nicht existiert, die uns dennoch im Detail so bekannt scheint, dass wir sie als Abbild der Realität begreifen. Diese Arbeiten lehren uns das Sehen, nicht nur im physiologischen Sinne, sondern auch im übertragenen. Die „Seestücke“ werden zu „Sehstücken“. H. N. Semjon


Nicht von hier, 100 x 80 cm, Acryl auf Leinwand, 2008

Strudel, 100 x 80 cm, Acryl auf Leinwand, 2008


o.T. 50 x 40 cm Acryl auf Leinwand 2010


Vorfr端hling 240 x 160 cm Dispersion auf Leinwand 2006


GroĂ&#x;e Welle 240 x 160 cm Dispersion auf Leinwand 2005


o.T., 150 x 100 cm, Acryl auf Leinwand, 2011


Tableau je 39 x 29 cm Acryl auf Hartfaser 2005-2012



Stratos-Satellitenbild, 150 x 100 cm, Acryl auf Leinwand, 2005


o.T., 150 x 100 cm, Acryl auf Leinwand, 2011


Seest端ck 40 x 30 cm Acryl auf Leinwand 2010

Seest端ck 40 x 30 cm Acryl auf Leinwand 2010

Seest端ck 40 x 30 cm Acryl auf Leinwand 2009


Seest端ck 40 x 30 cm Acryl auf Leinwand 2009

Seest端ck 40 x 30 cm Acryl auf Leinwand 2010


Einzelausstellungen: 1998 „Seestücke“, Kunststiftung Poll, Berlin 1999 „Malerei und Zeichnung“, Kunststiftung Poll, Berlin 2001 „Neue Arbeiten“, Kunststiftung Poll 2003 Galerie der Druckerei Conrad, Berlin 2004

Susanne Knaack 1962 geboren in Berlin 1982-1985 Studium der Kunstgeschichte und Germanistik in Berlin 1985-1989 Studium der Malerei bei Georg Baselitz an der Hochschule der Künste Berlin 1984-1986 Mitglied der Gruppe Gras Fressen um die gleichnamige Selbsthilfegalerie in Berlin, dort mehrere Ausstellungsbeteiligungen 1989-1995 gemeinsame Publikationen (Werkstatthefte) zusammen mit H.H. Zwanzig, Atelierausstellungen, Ausstellungsbeteiligungen u.a. FBK (Freie Berliner Kunstausstellung) seit 1989 Nositiv Atelier zusammen mit H. H. Zwanzig

„Susanne Knaack“, Galerie Norbert Ebert, Darmstadt „Seestücke“, Galerie Magdalena Kaiser, Siegen 2005 „Malerei“, Kunststiftung Poll, Berlin „Computerbögen“, Galerie Pillango, Berlin 2006 „Paysages“, Galerie Lavignes-Bastille, Paris „Malerei und Zeichnung“, BerenbergGossler-Haus, Hamburg 2007 „Neue Arbeiten“, Galerie Hermeyer, München Kommunale Galerie CharlottenburgWilmersdorf, Berlin 2009 „Meer. Wasser. Seen.“, Galerie Riddagshausen, Braunschweig 2010 „Susanne Knaack“, Kunsthalle Zellingen Gruppenausstellungen (Auswahl): 1996 „Normal Null oder: Was ist Glück?“, Kunststiftung Poll, zusammen mit H.H. Zwanzig 1997 „Landunter“, Kunststiftung Poll, zusammen mit H.H. Zwanzig 2004 „Intermezzo“, Galerie Eva Poll, Berlin, zusammen mit Seung-Kyu Cho „H2O“, Galerie Michael Schmalfuß, Marburg

„Intervention Nr. 8“, KioskShop Berlin, zusammen mit N.H. Semjon 2005 Baruther Salon 2005, Kulturverein Alte Schule Baruth e.V. 2006 „Irritation und Verfremdung“, Kunstsammlung Neubrandenburg Arbeiten von 1986 - 2006, Salon Gras Fressen, Berlin „20 Jahre Galerie Pillango“, Berlin 2007 „Récits d’eaux / Geschichten vom Wasser“, Ausstellung der Delegation Wallonie-Bruxelles in Berlin, Köln, Aachen und Düsseldorf „Seestücke. Von Max Beckmann bis Gerhard Richter“, Hamburger Kunsthalle „Les découvertes 2007“, 52ème Salon d’art contemporain de Montrouge, Frankreich 2008 Kunstraum Heiddorf, zusammen mit Georg Zey „Von Blumen und Vögeln“, Salon Gras Fressen, Berlin, zusammen mit H.H. Zwanzig „WasserWerke“, Galerie per-seh, Barsinghausen bei Hannover „Wasser, Aqua, Eau“, Rathaus Hondschoote (Nordfrankreich), Kathedrale Veurne (Belgien) „Energy I“, Zeche Zollverein, Essen 2009 „Mehr als Gegenwart. Auf Papier. 1929 - 2009“, Galerie Poll, Berlin „... alles gut“, Heidrichs Kunsthandlung, Berlin „Energy II“, Kommunale Galerie Berlin „Sieben malerische Positionen aus Deutschland“, Akademie der Künste, Baku, Aserbaidschan Susanne Knaack, E.A. Langenberg, Axel Schenk Galerie Magdalena Kaiser, Siegen „Ludwig Wilding u.a.“, Heidrichs Kunsthandlung, Berlin


„7 malen am Meer“, 5. Kaiserbäderpleinair 2009, Usedom mit anschließenden Ausstellungen in Hamburg und Berlin „Update 09“, Galerie des Vereins Berliner Künstler „Bestandteile“, Galerie per-seh, Barsinghausen bei Hannover „Nach der Natur – aber nicht nur“, Galerie Pillango, Berlin, zusammen mit H.H. Zwanzig 2010 „Große Sommerausstellung 2010“, Galerie von Knobelsdorf, Haseldorf „Update 2010“, Galerie des Vereins Berliner Künstler „Wasser und Land“, Galerie des Vereins Berliner Künstler „Giftshop Serenade – Kunstkontakter & Friends“, Pavillon am Milchhof, Berlin „Parallelwelten – Experimente im Raum“, Temporäre Kunsthalle des vdek, Berlin Messebeteiligungen: 2000 + 2002 Art Forum Berlin, Kunststiftung Poll 2005 + 2006 Berliner Kunstsalon, Kunststiftung Poll 2007 Tease Art Fair, Köln, Kunststiftung Poll Berliner Kunstsalon, „Aaperto“, Agentur GoArt! 2008 + 2009 Art Karlsruhe, Galerie Eva Poll 2009 Contemporary Art Ruhr, Essen, Galerie per-seh Sammlungen: HSH Nordbank, Hamburg Euroimmun AG, Lübeck Artothek des NBK, Berlin Artothek der Kommunalen Galerie Berlin Archive: Morris-Trasov-Archive, Vancouver documenta-Archiv, Kassel Archiv des Künstlerhauses Stuttgart

Licht, 100 x 80 cm, Acryl auf Leinwand, 2007



Karl F. Hofeditz


Das Sein des Scheins Viele der Objekte von Karl F. Hofeditz stehen in Beziehung zu seiner ländlichen Heimat in Nordhessen. Auf der Suche nach klaren, reduzierten Formen dient ihm die heimische Landschaft als Quelle der Inspiration. Seine abstrakten Metallskulpturen erscheinen kraftvoll und zeichnen sich durch große optische Präsenz aus. Aufgrund der dichten und schwer wirkenden Materialität seiner Skulpturen würde man vermuten, dass sie in der Gusstechnik entstanden sind. Doch seine Arbeiten sind überraschend leicht – denn als ausgebildeter Silber-

schmied gießt er das Metall nicht etwa, sondern fertigt durch Erhitzen und Hämmern ein leichtes, hohl gearbeitetes Objekt. Seine Arbeiten bewegen sich im Spannungsfeld zwischen kraftvollem, erdigen Ausdruck und leichter, fast zarter Materialität. Diese Technik verwendet er auch für seine großformatigen Objekte, die er in die Architektur von Gebäuden integriert. Die Oberflächen des Metalls entwickeln durch das Bearbeiten eine naturähnliche Anmutung. Die schimmernde Optik seiner Arbeiten ist nicht etwa das Ergebnis eines

malerischen Prozesses, vielmehr bringt Karl F. Hofeditz durch eine Oxidationstechnik das Metall in verschiedenen Farben zum Leuchten. Oxidation und die Veränderungen der Patina sind keine abgeschlossenen Prozesse, sie wirken vielmehr auch nach Fertigstellung der Objekte nach – und verleihen somit seinen Arbeiten Lebendigkeit. Durch bewusst eingesetzte, stumpfe dunkelfarbige Oberflächen – bei den Wandobjekten auch in Verbindung mit Holz - kann der Künstler die Raumwirkung seiner Kunstwerke intensivieren.


o.T., Kupfer und Messing, 115 x 75 x 12 cm, 1996


o.T. Kupfer und Messing 123 x 15 x 13 cm 2011


o.T. Kupfer und Messing 60 x 22 x 10 cm 2011


o.T. Kupfer und Messing 60 x 60 x 15 cm 2012

o.T. Kupfer und Messing 70 x 23 x 15 cm 2011


o.T. Kupfer und Messing 54 x 28 x 16 cm 2011


Karl F. Hofeditz Karl F. Hofeditz hat nach einer Silberschmiedelehre bei Otto Weymann an der Zeichenakademie Hanau Gestaltung studiert. Seit 1971 arbeitet er als freischaffender K端nstler.


o.T. Kupfer und Messing 45 x 45 x 15 cm 2012


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