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in Darmstadt 16
boten werden. So lässt sich jüdisches Leben ganz nebenbei beim Mittagstisch erkunden. Darüber hinaus gibt es wichtige Ideen, die im Rahmen der Veranstaltungsreihe entstehen beziehungsweise präsentiert werden. Zum einen hat der Film „1700 Jahre später. Junge Darmstädter Juden über ihr Leben in Deutschland“ vom bekannten Darmstädter Filmemacher Christian Gropper und seiner Kollegin und Frau Barbara Struif Premiere (22.11., Centralstation). Darin werden fünf junge Darmstädter Jüdinnen und Juden in ihren Lebenswelten gezeigt, die aus ihrer Perspektive erzählen, was für sie „jüdisch sein“ bedeutet. Es ist zu hoffen, dass der Film nach der Vorstellung nicht im Archiv verschwindet, sondern als Lehrmaterial in den städtischen Schulen eingesetzt wird. Eine weitere spannende Premiere feiert der Comic-Sammelband „Nächstes Jahr in“, der auf rund 120 Seiten einen besonderen Einblick in die jüdische Geschichte zeigen soll (26.10., Centralstation). Antje Herden, Buchautorin und ehemalige P-Autorin, ist als Mit-Herausgeberin daran beteiligt. Jedem Comic sind zwei redaktionelle Texte vorangestellt, die die Zeichnungen historisch verorten und viele Details und Informationen zum Judentum vermitteln. „Die Anthologie soll einen möglichst großen Zeitraum jüdischer Geschichte in und um Darmstadt abdecken. Sie beginnt mit der Erzählung der 500 Jahre alten Haggadah, die im Landesmuseum liegt, und endet in der heutigen Zeit, die einerseits noch immer von Antisemitismus geprägt ist, in der andererseits das jüdische Leben in Frankfurt eine große Rolle im Stadtgeschehen spielt“, umreißt Herden den Inhalt. Für sie als Nicht-Jüdin sei es oft sehr schmerzhaft gewesen, sich in ihren Recherchen mit der gewaltvollen jüdischen Geschichte zu beschäftigen. Aber sie habe viel durch die Arbeiten für den Band gelernt: „Meine Sicht hat sich geschärft und ich versuche, noch offener und respektvoller zu sein als zuvor, ohne dabei befindlich zu werden.“
Der Judenhass, der im vergangenen Jahr im Zuge der Querdenker wieder fröhliche Urstände feierte, wird durch die Veranstaltungsreihe sicherlich nicht zurückgedrängt. Aber es ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass Jüdinnen und Juden Heiner wie Du und ich sind und somit ein selbstverständlicher Teil dieser Stadt. Es bleibt zu hoffen, dass die Veranstaltungsreihe keine Eintagsfliege war und fortgesetzt wird. Denn jüdisches Leben in Deutschland 1700 Jahre nach der ersten urkundlichen Erwähnung ist unglaublich vielfältig, spannend – und normal. ❉
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Kulturoase

Auf dem geschichtsträchtigen Jugendhof Bessunger Forst herrscht Aufbruchstimmung. Neue Köpfe wollen mit vielversprechenden Ideen wieder an das rege Kulturleben vergangener Tage anschließen.
TEXT: PIT STEINERT | FOTOS: NOUKI EHLERS, NOUKI.CO
Zwei Hühner spazieren über eine große Wiese mit Zelten. Vorbei an bunten Schildern, Bierbänken und einem Lagerfeuer – bis zu einem Bauwagen mit Außenküche, um dort nach etwas Essbarem auf dem Boden zu suchen. Sie laufen über eine der ältesten selbstverwaltenden Bildungs- und Jugendstätten Hessens – wenn nicht sogar Deutschlands. Heute kommen an diesem idyllischen Ort Jugendgruppen zusammen, Gäste jeglichen Alters besuchen Seminare, Konzerte oder das sonntägliche Forstlove Café. Doch die Geschichte des Jugendhofes Bessunger Forst zwischen Roßdorf und Darmstadt reicht bis zu 100 Jahre in die Vergangenheit.
Damals, ab 1920, als Erholungsort von der Stadt Darmstadt gebaut, wurde das Gelände ab 1936 zuerst zu einem Schulungslager der Hitlerjugend (geführt von der SS) umfunktioniert, um später als Lebensmittellager im Krieg und danach als Unterkunft für Geflüchtete zu dienen. Nach einigen Jahren als städtisches Kinderheim unterhielt schließlich ab 1966 der Bund Deutscher Jugendschaften (BDJ) eine Bildungsstätte auf dem Gelände. Etwas koordinierter wurde es 1977, als sich die Leute des BDJ mit anderen Jugendgruppen zusammenschlossen und den Jugendhof Bessunger Forst e. V. gründeten. Das Gelände gehörte zwar, wie heute immer noch, der Stadt Darmstadt, allerdings wollte man schon damals vollkommen autonom sein und die Ideen zu Jugend- und Bildungsarbeit selbst umsetzen.
Und diese Prämisse hat sich bis heute gehalten. Zwar gab es in der Zeit Höhen und Tiefen für den Verein, doch in jüngster Vergangenheit steckt wieder neues Leben im Jugendhof. „Das ist schon etwas Besonderes für eine Stadt, so einen Ort in unmittelbarer Nähe zu haben – der immer noch betrieben wird und das Ziel verfolgt, Menschen unterschiedlichen Alters zu den Themen Bildung, Kultur und Freizeit zusammenzubringen“, sagt Torsten Jahr vom Jugendhof-Verein. Seit 2019 ist
im Wald

er im Vorstand aktiv und damit Teil des Teams, das dem Projekt neue Aufbruchsstimmung brachte. Schon als Jugendlicher vor 25 Jahren war er auf dem Hof unterwegs.
Bildung, Kultur und Freizeit
Nachdem bis Anfang 2018 etwa 40 unbegleitete minderjährige Geflüchtete auf dem Gelände untergebracht und versorgt wurden, herrschte erst einmal Stille auf dem Jugendhof. Der Verein war etwas überfordert mit der Situation: Es gab Investitionsstau, Sanierungsarbeiten stockten, vieles auf dem Gelände lag brach, Mitglieder stiegen aus. Mit dem neuen Team aber kam schließlich auch wieder neue Begeisterung. „Da wurde uns noch mal klar, was hier alles möglich ist und was der Ort eigentlich für ein Alleinstellungsmerkmal im Rhein-Main-Gebiet hat“, erklärt Torsten und spielt dabei auf die große Outdoor-Fläche und die gute Anbindung und Nähe zur Stadt trotz der naturnahen Lage an. Man wollte an die früheren Jahre anknüpfen und wieder einen lebendigen und kulturellen Begegnungsort für Jugendgruppen schaffen. Allerdings kam dann erst mal die Pandemie.
Gerade während der zweiten und dritten Welle habe das dazu geführt, dass man so gut wie keine Gäste oder Jugendgruppen mehr willkommen heißen durfte. „Immerhin hatten wir dann mal richtig Zeit zum Bauen“, lacht Torsten. „Wir haben im Prinzip nur gebaut. Wie die Verrückten. Ab und zu kamen dann mal Gäste, wenn es wieder erlaubt war, und als die wieder weg waren, haben wir weitergebaut. So sah quasi unser Jahr 2020 aus.“
Bau-Jahr 2020
Man hat schließlich auch noch viel vor. Zum Beispiel möchte der Verein in Zukunft nicht nur die Räume für Gruppen zur Verfügung stellen, sondern auch seine eigenen Angebote auf dem Gelände weiter ausbauen. „Wir wollen auch selbst Bildungsprogramme auf die Beine stellen – wie zum Beispiel die Ferienspiele, die wir dieses Jahr das zweite Mal veranstaltet haben“, erzählt Andi Lösch. Der gelernte Maurer und Fachwerkrestaurator ist seit 2019 im Team und kümmert sich inzwischen hauptamtlich vor allem um Koordination, Büroarbeit und Sanierungen auf dem Gelände. So ist auch die Einrichtung eines Waldkindergartens sowie eine inklusive Multifunktionswerkstatt für Siebdruck und Fotoentwicklung in Planung. Auch will man langfristig noch mehr Stellen schaffen. „Allein die Geländegröße von 18.000 Quadratmeter benötigt viel Aufmerksamkeit und bedeutet viel Arbeit. Dazu kommt noch die Betreuung der Gäste, der Bürokram und so weiter“, erklärt Torsten. Fast 80 Schlafplätze biete das Gelände für Kinderfreizeiten, Pfadfindergruppen, Fridays for Future, Vielbunt, IG Metall und >