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Die Omarthrose des älteren Patienten

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Experten-Talk

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Prof. Dr. med.

Mathias Wellmann

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Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Zertifizierter Schulter- und Ellenbogenchirurg

Foto: RFBSIP - stock.adobe.com

Anatomische oder inverse Prothese?

Die Behandlung der Arthrose-Schulter weist auf den ersten Blick einen relativ eingleisigen Therapiealgorithmus auf. Bei entsprechendem Leidensdruck und nach Ausschöpfung der konservativen Maßnahmen besteht die typische Versorgung in der Implantation einer anatomischen Schulterprothese. Der idealtypische Patient für diese Operation ist zwischen 60 und 65 Jahren alt, hat röntgenologisch einen aufgehobenen Gelenkspalt ohne posteriore Dezentrierung des Gelenks, weist klinisch eine moderate Kontraktur der Schulter auf und hat die typischen Symptome wie Ruhe- und Nachtschmerz. In diesem Patientenkollektiv funktionieren die mittlerweile überwiegend schaftfreien anatomischen Implantate sehr zuverlässig und mit sehr guten Ergebnissen in der postoperativen Patientenzufriedenheit6 .

Auch eine Rückkehr zu Sport (Schwimmen, Golf, Tennis) ist hier in der Vielzahl der Fälle möglich. Bei optimalem Verlauf ist eine nahezu physiologische Funktionen des Gelenks möglich (»forgotten shoulder«).

Aufgrund der vorrangigen Weichteilführung der Schulter sind die Ergebnisse der anatomischen Schulterprothese abseits ihrer Kernindikation allerdings weniger konstant als in der Knie- und Hüftendoprothetik. Die Ursachen hierfür sind sowohl weichteiliger als auch knöcherner Natur. Mittlerweile ist bekannt, dass eine vermehrte knöcherne Erosion des Glenoids auch mit weichteiligen Veränderungen der Rotatorenmanschette einhergeht. In diesen Fällen ist sowohl bei der Indikationsstellung als auch bei der operativen Umsetzung

Abb. 1: Röntgenbefund einer (sportlichen) 81-jährigen Patientin mit Aufhebung des Gelenkspalts und ovaler Deformierung der Humeruskopfes. Das MRT zeigte eine intakte Rotatorenmanschette ohne Atrophie-Zeichen. Im CT zeigte sich keine exzentrische Erosion des Glenoids. Die Versorgung erfolgte daher mittels anatomischer metaphysär verankerter Prothese und teilzementiertem PE-Glenoid.

Vorsicht geboten. Der Abwägung des anatomischen versus inversen Vorgehens gebührt hier ein besonderes Augenmerk. Insbesondere bei Patienten mit einem Alter von mehr als 70 Jahren schwebt vielfach die Frage im Raum, inwiefern

Glenoiderosion und Langzeithaltbarkeit Die Langlebigkeit eines Implantats ist in der Medizin limitiert durch die Haltbarkeit des schwächsten Partners. Dies ist bei der anatomischen Schulterprothese die Pfannenkomponente (Glenoid). Die Problematik einer frühzeitigen Lockerung des Glenoidkomponente konnte insbesondere bei Patienten mit fortgeschrittenem knöchernem Verschleiß der Gelenkpfanne beobachtet werden. Tritt dieser Verschleiß exzentrisch, d. h. vermehrt im Bereich des posterioren Pfannenrandes, auf, ist die Gefahr einer frühzeitigen Pfannenunmittelbare Konsequenzen. Zunächst sollte der Zeitpunkt In diesem Zusammenhang hat die präoperative Planung einen ganz neuen Stellenwert erhalten. Sie erfolgt dreidimensional auf der Basis eines präoperativ durchgeführten alter von über 70 Jahren nur noch inverse Schulterprothesen implantiert werden sollten, kann auf der Basis der

auch bei der Arthrose-Schulter die Rotatorenmanschette noch belastbar ist und ggf. ein sekundäres Versagen prog-

lockerung am ehesten relevant2. Für die Praxis hat dies nostiziert werden kann. für die Implantation einer anatomischen Prothese korrekt gewählt werden. Ein »möglichst langes Hinauszögern« ist hier kontraproduktiv. Des Weiteren sollte die Pfannenverankerung technisch bestmöglich realisiert werden. Die besten Ergebnisse in der aktuellen Literatur weisen schlanke, hochvernetzte PE-Komponenten auf, die zusätzlich zur Primärstabilität eine ossäre Integration erlauben6. Sollte dennoch bereits eine fortgeschittene Glenoiderosion vorliegen (CT), sollte diese präoperativ mittels CT-Bildgebung quantifiziert werden und ggf. auf eine inverse Prothese mit gleichzeitigem

3D-Planung: »Spielerei« oder echte Verbesserung?

Aufbau des Glenoids umgeschwenkt werden (Abb. 2). CTs und sollte auch bei vermeintlich einfachen Fällen durch-

Entscheidungskriterium: Patienten-Alter oder MRT-Befund?

Die klassische Lehrmeinung, dass ab einem Patientengeführt werden, um das OP-Ergebnis zu optimieren (Abb. 3). verfügbaren Studien nicht gehalten werden. Entscheidend sollte in erster Linie die Beurteilung der Rotatorenmaschtette im MRT sein. Hierbei werden sowohl die Integrität und

Abb. 2: 70-jähriger Patient mit Omarthrose und fortgeschrittener Glenoiderosion. Die operative Therapie erfolgte mittels knöchernem Glenoidaufbau durch das humerale Resektat und Implantation einer inversen Schulterprothese. Die Implantation einer anatomischen Schulterprothese ist bei Verlust der physiologischen Gelenklinie nicht möglich.

Abb. 3: Präoperative Prothesenplanung eines Patienten mit Omarthrose und exzentrischer posteriorer Glenoiderosion. Die axiale Schichtung (rechts, oben) zeigt, dass ohne posteriore Augmentation des Glenoids, d. h. bei Verwendung eines Standardimplantates, keine befriedigende Platzierung der Glenoidkomponente realisierbar ist.

Tab. 1: Differentialindikation Anatomische vs. Inverse Prothese.

Anatomische Prothese

Zentrische moderate Pfannenarthrose

MRT: Rotatorenmanschette intakt, keine Atrophie der Muskulatur von Supraspinatus und Infraspinatus

Sportlich ambitionierter Patient, gute präoperative ROM, insbesondere Innenrotation

Hohe Compliance bzgl. der postoperativen Rehabilitation

Keine Vor-Operation im Bereich der Schulter

(Alter < 70 Jahre)

Inverse Prothese

Exzentrische fortgeschrittene Pfannenarthrose

MRT: 1) Rotatorenmanschette dünn oder ggf. partial rupturiert (»at risk«) 2) Rotatorenmanschette intakt aber fortgeschrittene Atrophie der Muskulatur

Weniger sportlich ambitionierter Patient, ausgeprägte Kontraktur der Schulter

Geringere Compliance bzgl. der postoperativen Rehabilitation bzw. schlechte häusliche Versorgung, Maxime: Zügige Eigenversorgung wichtig

Vor-Operationen im Bereich der Schulter, insbesondere Frakturversorgung

(Alter >70 Jahre)

Video zum Thema ↓

6-Wochen und 3-Monats- Funktionsergebnis nach Implantation einer anatomischen und inversen Schulterprothese. Zum Aufruf des Videos scannen Sie den QR-Code mit ihrer Handy-Kamera und klicken auf die Verknüpfung (kein QR-Scanner erforderlich). das Kaliber der Sehnen am knöchernen Ansatz als auch die zugehörige Muskulatur bzgl. Atrophie und fettiger Infiltration beurteilt werden. Häufig kommt es bei länger dauernder Kontraktur des Gelenks im Rahmen der Arthrose zu einer relevanten Atrophie der betroffenen Muskulatur. In aktuellen Untersuchungen konnte auch gezeigt werden, dass die Rotatorenmanschettenmuskulatur bei Fortschreiten der Pfannenarthrose unabhängig vom Alter atrophiert3. Ursachen hierfür bestehen in einem Längenverlust der Muskulatur und in einer schmerzbedingten Inaktivität. Die Einbeziehung aller relevanten Kriterien in die Planung bedingt, dass in einigen Fällen neben dem Röntgen-Bild und der klinischen Untersuchung auch ein präoperatives MRT und CT erforderlich sein können.

Patientenzufriedenheit: Ist die Inverse Prothese noch unterlegen?

Weist die inverse Prothese beim älteren Patienten mit Omarthrose überhaupt noch schlechtere Ergebnisse auf als die anatomische Versorgung? Diese Frage scheint angesichts des Planungsaufwands und der vielen Einflussfaktoren auf das Ergebnis nach anatomischer Schulterprothese berechtigt. Allerdings existieren nur wenige »saubere« Studien, die einen fairen Vergleich im Bezug auf die gleiche Indikation (Omarthrose, Patientenalter >70 Jahre) zulassen. Die zwei aktuell verfügbaren Studien zu dieser Thematik weisen keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der (subjektiven) Patientenzufriedenheit nach1,7. Bzgl. der aktiven Beweglichkeit wurde ein Bewegungsausmaß mit

vollständiger Elevationsfähigkeit bei 100% der Patienten mit inverser Prothese und 98% der Patienten mit anatomischer Prothese beobachtet. Auch bzgl. der bei der inversen Versorgung kritischen Innenrotation ergaben sich nur leichte Vorteile für die anatomische Prothese. Wird der knöcherne Verlust am Glenoid durch das Pfannenimplantat ausgeglichen (augmentierte Implantate), ergeben sich ebenfalls nahezu gleiche Ergebnisse für die anatomische und inverse Versorgung4,5 .

Im Zweifel kann also bei Patienten mit einem Lebensalter von mehr als 70 Jahren und einer Omarthrose eine inverse Prothese implantiert werden, ohne wesentliche Funktionseinbußen gegenüber der anatomischen Versorgung zu riskieren.

Bezogen auf die Optimierung des Operationsergebnisses im individuellen Fall (z. B. sportlicher Patient mit Omarthrose, 75 Jahre: Tennis, Golf, Schwimmen) besteht der Schlüssel zum Erfolg in einer exakten präoperativen Planung und Indikationsstellung.

KNOCHENERHALTENDES DESIGN

Literaturangaben

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2.

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7. Virk M, Yip M, Liuzza L, Abdelshahed M, Paoli A, Grey S, et al. Clinical and radiographic outcomes with a posteriorly augmented glenoid for Walch B2, B3, and C glenoids in reverse total shoulder arthroplasty. J. Shoulder Elbow Surg. 2019 Dec;S1058274619306585. doi:10.1016/j. jse.2019.09.031 Wijeratna M, Taylor DM, Lee S, Hoy G, Evans MC. Clinical and Radiographic Results of an All-Polyethylene Pegged Bone-Ingrowth Glenoid Component: J. Bone Jt. Surg. 2016 Jul;98(13):1090–1096. doi:10.2106/JBJS.15.00475 Wright MA, Keener JD, Chamberlain AM. Comparison of Clinical Outcomes After Anatomic Total Shoulder Arthroplasty and Reverse Shoulder Arthroplasty in Patients 70 Years and Older With Glenohumeral Osteoarthritis and an Intact Rotator Cuff: J. Am. Acad. Orthop. Surg. 2020 Mar;28(5):e222–e229. doi:10.5435/JAAOS-D-19–00166

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