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30.7.2016 9

Oft geht‘s ums reine Überleben OFFENBURG HILFT: Martin Vogt kümmert sich um die Organisation von Hilfsgütern / Junge Ehrenamtliche gesucht Für Martin Vogt gilt das Motto: Nicht über Flüchtlinge, sondern mit ihnen reden. Der Einrichter und Programmierer hat sich als einer der Ansprechpartner in Sachen Organisation von Hilfsgütern und Umzügen bei der Flüchtlingshilfe Rebland ein genaueres Bild machen können von der Situation vieler Hilfesuchender: „Da geht es in erster Linie ums reine Überleben.“ Es sei ihm ein Bedürfnis, die Menschen dort abzuholen, wo sie sich befinden. Ein Blick in seine akribisch geführten Unterlagen zu den Umzügen macht deutlich, dass diese Redewendung für den 42-Jährigen keine Floskel ist. „Ich will es wie eine Geschichte aufschreiben.“ Jeder Umzug wird im

Besucherzimmer top Detail festgehalten, Anzahl der Familienmitglieder, wie viele Räume, welche Einrichtungsgegenstände wo gebraucht werden und vieles mehr. Dabei habe er auch kulturelle Lernerfahrungen machen können: Nicht selten werde das größte und schönste Zimmer für Besucher reserviert. Der Umzug ín die eigenen vier Wände ist ein besonderer Lebensabschnitt für die Flüchtlinge, sie

sollen sich später noch gut und gern daran erinnern können. Da könne dann Integration stattfinden, meint Vogt. Die Lage der Flüchtlinge zu verstehen, dafür brauche es viel Empathie: „Oft sind die Leute tief traumatisiert, sie haben Freunde und Verwandte verloren, haben in Angst und Schrecken gelebt und mussten um das eigene Leben bangen.“ Viele von ihnen waren Jahre auf der Flucht. Wenn sie hier bei uns ankommen, möchten sie einfach nur, dass Ruhe in ihr Leben einkehrt, erläutert Vogt. Die Neuankömmlinge brauchten aber auch eine Aufgabe und werden daher bei anderen Umzügen eingebunden: Wem selbst geholfen wurde, bringt sich bei anderen Umzügen ein – nach dem Prinzip: Sie bekommen Hilfe und helfen anderen. Wer ein wenig Englisch kann, unterstützt bei der Verständigung. Bei Sprachhürden gelinge die nonverbale Kommunikation. Der Mann aus Rammersweier betont, dass das Engagement des einzelnen nur im Team effektiv sein kann. Er lobt das gute Zusammenspiel vieler Helfer bei der Reblandhilfe: „ Unsere Gesamtstärke ist das Netzwerk.“ Gleich beim ersten Treffen habe er sich für die Mitarbeit entschieden. „Ich war

wir bekommen viele Anrufe, ich habe rund 800 Bilder auf meinem Handy“, erklärt Vogt. Die Möbel werden aus Offenburg und den umliegenden Gemeinden wie Schutterwald oder Windschläg abgeholt. Der Transport ist dann gar nicht so aufwändig, vorher finden viele Telefonate statt, ob die Möbel noch in gutem

Noch viele Ideen Im Team effektiv. Martin Vogt von der Flüchtlingshilfe. Foto: Tebbel

beeindruckt von der selbstverständlichen Hilfsbereitschaft und dem fraglosen Engagement.“ Erfahrung aus erster Hand, das möchte Vogt all jenen ans Herz legen, die ihre Bedenken in den sozialen Medien verbreiten. „Uns geht es doch gut, wir können es uns leisten zu helfen.“ Er wünscht sich, dass noch mehr junge Leute mitmachen. Die meisten Ehrenamtlichen seien älter, noch von Krieg und Vertreibung geprägt, sie hätten am eigenen Schicksal erfahren, wie dankbar jegliche Hilfe in Notsituationen angenommen wird. Und woher kommen die Möbel für die Wohnungen? „Das sind Spenden,

Zustand sind, ob die Größe passt oder wie ein Möbelstück abgebaut werden kann: „Beim ersten Umzug habe ich fast 100 Telefongespräche geführt.“ Künftig will er Einzelhändler ansprechen, oft gebe es ja gute gebrauchte Elektrogeräte, die bei einer neuen Anschaffung in Zahlung gegeben wurden. Vogt hat noch viele Ideen, wie den Flüchtlingen bei der Integration geholfen werden kann. Was motiviert ihn dazu? „Als Jugendlicher wurde ich im Judozentrum Offenburg auch dort abgeholt, wo ich mich gerade befand.“ Der Trainer kam aus dem früheren Jugoslawien, er habe sich sehr gut um die jungen Leute gekümmert. Martin Vogt: „Ich habe Hilfe bekommen, als ich sie brauchte, und ich bin jetzt in der Lage, auch anderen helfen zu können.“


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