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Deutschland

Die Wirtschaft wird 2023 voraussichtlich stagnieren und 2024 um 1,3 % wachsen. Die hohe Inflation schmälert die Realeinkommen und Ersparnisse, wodurch der private Konsum gedämpft wird. Die Exporte dürften sich 2023 aber erholen, weil die Lieferkettenengpässe nachlassen und sich ein Rekordauftragsbestand angestaut hat. Außerdem haben sich das Investitions- und das Konsumklima dank deutlicher Energiepreisentlastungen, einer raschen Substitution russischer Energieimporte und sinkender Energiepreise aufgehellt. Die Investitionstätigkeit wird trotz steigender Zinsen weiter zunehmen. Vor allem die hohe Ersparnisbildung im Unternehmenssektor wird für eine Belebung sorgen, ebenso wie der beträchtliche Investitionsbedarf für die Verlagerung der Lieferketten und den Ausbau der erneuerbaren Energien. Zudem wird der Staat selbst mehr investieren und deutliche Steueranreize für grüne Investitionen setzen.

Das Haushaltsdefizit wird sowohl 2023 als auch im Folgejahr zurückgehen. Um die inflationären Spannungen einzudämmen, muss ein expansiv ausgerichteter fiskalpolitischer Kurs vermieden werden. Bessere Verfahren und höhere Kapazitäten für die Planung und Genehmigung von Infrastrukturmaßnahmen, insbesondere auf kommunaler Ebene, würden die Energiewende und die Digitalisierung beschleunigen. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, sollten die Erwerbsbeteiligung von Frauen sowie älteren und geringqualifizierten Arbeitskräften erhöht und die Aus- und Weiterbildung verbessert werden. Außerdem sollte die Anerkennung der Qualifikationen von Migrant*innen und Geflüchteten erleichtert werden.

Germany 1

StatLink2 https://stat.link/ivl7jw

 1 OECD-WIRTSCHAFTSAUSBLICK,
DEUTSCHLAND
AUSGABE 2023/1: LÄNDERNOTIZ
© OECD 2023
Source: Federal Statistical Office; ifo business surveys; and GfK.

Germany: Demand, output and prices

1. Contributions to changes in real GDP, actual amount in the first column.

2. Harmonised index of consumer prices excluding food, energy, alcohol and tobacco.

3. The Maastricht definition of general government debt includes only loans, debt securities, and currency and deposits, with debt at face value rather than market value.

Source: OECD Economic Outlook 113 database.

Germany 2

1. Harmonised index of consumer prices.

2. Harmonised index of consumer prices excluding food, energy, alcohol, and tobacco. Source: Federal Statistical Office; and Eurostat.

2  OECD-WIRTSCHAFTSAUSBLICK,
DEUTSCHLAND
AUSGABE 2023/1: LÄNDERNOTIZ
© OECD 2023
StatLink2 https://stat.link/f0spvu
StatLink2 https://stat.link/p8efqt 2019 2020 2021 2022 2023 2024 Germany Current prices EUR billion GDP at market prices 3 479.4 -4.1 2.6 1.9 0.0 1.3 Private consumption 1 807.4 -5.9 0.4 4.9 -1.4 1.6 Government consumption 703.2 4.0 3.8 1.2 -3.9 1.4 Gross fixed capital formation 745.4 -3.0 1.0 0.5 0.8 0.6 Final domestic demand 3 256.0 -3.1 1.3 3.0 -1.4 1.3 Stockbuilding¹ 24.9 -0.2 0.5 0.4 0.6 0.0 Total domestic demand 3 280.9 -3.2 2.0 3.4 -0.8 1.3 Exports of goods and services 1 627.6 -10.1 9.5 3.5 1.1 2.4 Imports of goods and services 1 429.1 -9.1 8.9 7.0 -0.5 2.5 Net exports¹ 198.5 -1.0 0.8 -1.3 0.8 0.1 Memorandum items GDP without working day adjustments 3473.3 -3.7 2.6 1.8 -0.1 1.2 GDP deflator _ 1.8 3.1 5.5 5.8 3.0 Harmonised index of consumer prices _ 0.4 3.2 8.7 6.3 3.0 Harmonised index of core inflation² _ 0.7 2.2 3.9 5.5 3.4 Unemployment rate (% of labour force) _ 3.7 3.6 3.1 2.9 2.8 Household saving ratio, net (% of disposable income) _ 16.4 15.1 11.2 11.9 11.0 General government financial balance (% of GDP) _ -4.3 -3.7 -2.6 -1.8 -0.8 General government gross debt (% of GDP) _ 81.7 79.8 65.4 65.0 64.7 General government debt, Maastricht definition³ (% of GDP) 68.9 69.4 66.3 65.9 65.6 Current account balance (% of GDP) _ 6.8 7.4 3.7 5.4 5.9 Percentage changes, volume (2015 prices)

Die hohe Inflation drückt den privaten Konsum

Die Wirtschaft ist im Winter in eine Rezession gerutscht. Das BIP hat im vierten Quartal 2022 um 2,1 % (saisonbereinigte Jahresrate) und im Folgequartal 2023 um 1,2 % nachgegeben, vor allem aufgrund eines Rückgangs des privaten Konsums. Die hohe Inflation hat die Reallöhne im letzten Jahresviertel 2022 im Vorjahresvergleich um 5,4 % gesenkt. Eine gestiegene Unsicherheit, hohe Energiepreise und Materialengpässe beeinträchtigten das Verarbeitende Gewerbe und die Investitionstätigkeit. Seit Anfang 2023 lassen die Lieferkettenengpässe aber nach und dank eines hohen Bestands an Exportaufträgen steigen die Industrieproduktion, Investitionen und Ausfuhren. Im ersten Quartal 2023 erhöhten sich die Unternehmensinvestitionen um 12,7 % (saisonbereinigte Jahresrate). Energie wurde wieder billiger, was besonders den energieintensiven Industriezweigen zugutekam, die ihre Produktion von Januar bis März um 3,3 % steigern konnten. Im Exportgeschäft brachen die Auftragszahlen im März nach deutlichen Zuwächsen im Januar und Februar ein, doch die Reichweite des Auftragsbestands bei voller Kapazitätsauslastung liegt immer noch bei rd. 7,4 Monaten. Investitions- und Konsumklima haben sich gegenüber Ende 2022 aufgehellt, während sich die Unternehmenserwartungen im Mai eingetrübt haben. Allerdings konnten die realen Einzelhandelsumsätze im April gegenüber dem Vormonat um 0,8 % gesteigert werden. Im Mai lag die Gesamtinflation bei 6,3 %, ein Rückgang nicht nur im Vorjahresvergleich, sondern auch gegenüber April (7,6 %). Die Kerninflation steigt aber weiter an. Die Arbeitslosenquote ging im März auf 2,8 % zurück. Vor Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine war Deutschland stark von Gas, Öl und Kohle aus Russland abhängig; etwa ein Drittel des Primärenergieverbrauchs stammte aus Russland. Mittlerweile haben das Kohle- und Ölembargo der EU, die Zerstörung russischer Gaspipelines und eine rasche Diversifizierung der Energielieferanten einen deutlichen Rückgang dieser Energieeinfuhren bewirkt. Im Februar 2023 betrug der russische Anteil an den deutschen Energieimporten weniger als 1 %. Die Gasspeicher sind gut gefüllt und seit Dezember 2022 wurden drei LNG-Terminals in Betrieb genommen. Trotzdem wird der Gasverbrauch um rd. 20 % gesenkt werden müssen, um zu verhindern, dass selbst bei unterdurchschnittlichen Temperaturen im nächsten Winter die Gaspreise deutlich anziehen oder Versorgungsengpässe entstehen. Der Krieg verursachte bis Februar 2023 einen Nettozustrom von rund einer Million Geflüchteten aus der Ukraine (1,3 % der Bevölkerung).

Energiepreismaßnahmen und öffentliche Investitionen werden die Konjunkturerholung stützen

Preisbremsen für Strom und Gas unter Wahrung von Energiesparanreizen sowie schnell gebaute LNGTerminals haben zu niedrigeren Großhandelspreisen auf dem Energiemarkt und zu einem besseren Investitions- und Konsumklima beigetragen. Drei Entlastungspakete in Höhe von insgesamt 95 Mrd. EUR (2,6 % des BIP) und ein Abwehrschirm in Höhe von 200 Mrd. EUR (5,5 % des BIP) wurden verabschiedet. Neben einigen dauerhaften und von der Regierung schon länger angekündigten politischen Weichenstellungen sehen die Entlastungspakete auch eine Reihe von befristeten Maßnahmen zur Stützung der Realeinkommen vor. Bis Dezember 2023 können Liquiditätshilfen, Eigenkapitalhilfen und Zuschüsse für Unternehmen sowie die Strom- und Gaspreisentlastungen aus dem schuldenfinanzierten Abwehrschirm bestritten werden, mit Verlängerungsoption bis April 2024. Geplant war, dass die Energiepreisentlastungen – langfristige Maßnahmen ohne Bezug zur Energiekrise sowie Eigenkapitalhilfen nicht inbegriffen – 2023 mit rd. 2,4 % und 2024 mit 0,6 % zu Buche schlagen. Aufgrund niedrigerer Großhandelspreise am Energiemarkt wurde allerdings ab Dezember 2022 auch ein Rückgang der Endkundenpreise verzeichnet, was die fiskalischen Kosten 2023 um rd. 1 % und im Folgejahr um rd. 0,5 % senken dürfte. In beiden Jahren wird dies einen kontraktiv ausgerichteten fiskalpolitischen Kurs zur Folge haben. Um ihre ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen, sieht die Bundesregierung bis 2026 Ausgaben in Höhe von rd. 200 Mrd. EUR (5,5 % des BIP) vor. Steueranreize zur Mobilisierung privater Investitionen spielen dabei eine große Rolle. Außerdem plant die Regierung in den nächsten Jahren einen deutlichen Anstieg der

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Militärausgaben um 100 Mrd. EUR für die Modernisierung der Militärausrüstung. Ein Großteil dieser Investitionen wird ebenso wie der Abwehrschirm aus Sondervermögen finanziert. Diese Ausgaben sind damit von der Schuldenbremse ausgenommen, die 2023 wieder in Kraft treten soll. Kapazitätsengpässe im Bausektor sowie lange und komplexe Planungs- und Genehmigungsverfahren werden die Verausgabung der Mittel jedoch wahrscheinlich verlangsamen.

Die Wirtschaft wird sich langsam erholen

Die Wirtschaft wird 2023 voraussichtlich stagnieren und 2024 um 1,3 % wachsen. Das schwache BIPWachstum im Jahr 2023 geht auf die hohe Inflation zurück, die die Realeinkommen und Ersparnisse schmälert und den privaten Konsum dämpft. Entscheidende Impulse für die Konjunkturbelebung wird das Exportgeschäft liefern: Die Lieferketten entspannen sich und der Auftragsbestand ist hoch. Steigende Zinsen sowie die Unsicherheit angesichts schwankender Energiepreise werden die Investitionstätigkeit insbesondere auf dem Immobilienmarkt beeinträchtigen, doch entschlossene staatliche Unterstützung und sinkende Energiepreise werden das Vertrauen der Investoren weiter stärken. Die hohe Ersparnisbildung im Unternehmenssektor und der hohe Investitionsbedarf für die Verlagerung der Lieferketten und den Ausbau der erneuerbaren Energien werden die Investitionsdynamik beleben. Zudem wird der Staat selbst mehr investieren und Steueranreize für grüne Investitionen setzen. Da der Anstieg der Energie- und Erzeugerpreise an die Verbraucher*innen weitergegeben wird und der Lohndruck zunimmt, dürfte die Inflation 2023 hoch bleiben. Im Folgejahr werden restriktivere geldpolitische Bedingungen, ein nachlassender Preisdruck auf den Energiemärkten und eine Straffung der Fiskalpolitik dazu beitragen, die Inflation auf 3,0 % zu senken. Die Reallöhne werden 2024 steigen und eine Erholung des privaten Verbrauchs begünstigen.

Ein erhebliches Abwärtsrisiko bergen die Gaspreise und eine potenzielle Gasrationierung im kommenden Winter: Wenn die preislichen Anreize zur Einsparung von Gas wegen der geplanten fiskalischen Unterstützungsmaßnahmen nicht ausreichen, ungünstige Wetterbedingungen eintreten und sich der Ausbau der LNG-Infrastruktur verzögert, drohen schwere Produktionsstörungen. Geopolitische Spannungen könnten weitere Handelsstörungen nach sich ziehen und die Verlagerung von Lieferketten erforderlich machen. Darüber hinaus könnten steigende Zinssätze deutliche Korrekturen an den Wohnimmobilienmärkten mit Auswirkungen auf die Finanzmärkte verursachen und die Exportnachfrage nach Investitionsgütern schwächen. Ein schnelleres Ende des Kriegs in der Ukraine könnte dagegen das Anleger- und Verbrauchervertrauen wieder festigen und die Energiepreise senken.

Erneuerbare Energien ausbauen, um die Versorgungssicherheit zu erhöhen

Um die erneuerbaren Energien auszubauen, müssen die komplexen Planungs- und Genehmigungsverfahren auf Gemeinde- und Länderebene weiter beschleunigt werden. Eine schnellere Digitalisierung der Wirtschaft erfordert mehr Investitionen in die digitale Infrastruktur, eine raschere Modernisierung des öffentlichen Sektors und eine bessere Koordinierung der Maßnahmen und Verwaltungsverfahren zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen. Wenn die Effizienz staatlicher Ausgaben durch den effektiven Einsatz von Spending Reviews, den Abbau regressiver und umweltschädlicher Subventionen und Steuerbefreiungen und eine Verbesserung des Steuervollzugs gesteigert wird, könnten zusätzliche Mittel für notwendige öffentliche Investitionen freigesetzt werden. Der zunehmende Arbeitskräftemangel, der auch private und öffentliche Investitionen in erneuerbare Energien gefährdet, sollte behoben werden, indem die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen sowie geringqualifizierten und älteren Arbeitskräften durch angemessene Steueranreize und eine Verbesserung der Aus- und Weiterbildung erhöht wird. Eine Reform der Einkommensteuerveranlagung von Ehegatt*innen würde dazu beitragen, das Arbeitsangebot von Frauen zu erhöhen und die Ungleichgewichte zwischen den Geschlechtern zu reduzieren.

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