OECD Economic Outlook – December 2021: Germany - German version

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Deutschland Den Projektionen zufolge wird die Wirtschaft 2021 um 2,9 %, 2022 um 4,1 % und 2023 um 2,4 % expandieren. Die Erholung wird durch Engpässe bei wichtigen Vorleistungen im Verarbeitenden Gewerbe beeinträchtigt. Angesichts des hohen Auftragsbestands könnte es jedoch zu einer kräftigen Belebung kommen, wenn die Angebotsknappheit abnimmt. Der private Verbrauch wird sich 2022 beschleunigen, wenn sich das Konsumklima aufhellt. Die niedrigen Zinssätze und der zunehmende Kapazitätsdruck fördern eine kräftige Investitionstätigkeit. Der Preisauftrieb dürfte 2022 nachgeben, aber auf einem erhöhten Niveau bleiben. Die Zunahme der COVID-19-Fälle und die anhaltenden Angebotsengpässe in wichtigen Wirtschaftszweigen könnten die Konjunkturerholung verlangsamen. Von der Fiskalpolitik werden nach und nach weniger konjunkturstützende Impulse ausgehen, auch wenn die Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand steigen dürfte und eine größere Rolle spielen könnte, wenn die bestehenden Engpässe überwunden werden können. Höhere Infrastrukturinvestitionen und eine Stärkung der Planungskapazitäten würden die Energiewende und die Digitalisierung beschleunigen. Durch eine Verbesserung der aktiven Arbeitsmarktpolitik, vor allem der Weiterbildung, ließe sich der Wechsel in stark nachgefragte Berufe erleichtern. Die Erholung wird durch anhaltende Lieferengpässe beeinträchtigt Die Pandemie belastet die Wirtschaftstätigkeit weiterhin, da die Infektionszahlen seit Mitte Oktober stark steigen, vor allem in Regionen mit niedrigen Impfquoten. Stand Mitte November sind etwa 67 % der Bevölkerung vollständig geimpft, das Impftempo hat sich jedoch verlangsamt und die Impfquote ist in Deutschland niedriger als in vielen anderen europäischen Ländern. Dank des höheren Verbrauchs der privaten Haushalte wuchs das BIP im dritten Quartal 2021 im Verhältnis zum Vorquartal um 1,7 %. Aufgrund der Lieferschwierigkeiten bleibt die gesamtwirtschaftliche Produktion deutlich hinter der starken Nachfrage zurück. Während die Exportaufträge im Verarbeitenden Gewerbe dank der kräftigen globalen Nachfrage ein Rekordniveau erreichten, ging die Industrieproduktion aufgrund des Mangels an Rohstoffen und Vorprodukten zurück. Insbesondere die Automobilproduktion leidet unter Engpässen bei Halbleitern. Der ifoGeschäftsklimaindex sank daher fünf Monate in Folge, da die Unternehmen mit der aktuellen Geschäftslage weniger zufrieden sind, skeptischer auf die kommenden Monate blicken und im Durchschnitt erst für das dritte Quartal 2022 mit einer Beseitigung der Angebotsengpässe rechnen. Im Dienstleistungssektor haben sich die Erwartungen jedoch verbessert. Das Beschäftigungswachstum entwickelt sich seit Juni dynamisch und belief sich im dritten Quartal 2021 auf 0,4 %. Gleichzeitig erreichte die Vakanzquote wieder das hohe Vorkrisenniveau, und die Arbeitslosenquote sank im September auf 3,4 %. Mehrere Faktoren führten dazu, dass die Verbraucherpreise in den zwölf Monaten bis Oktober um 4,5 % stiegen. Hierzu zählten Energiepreiserhöhungen (wobei sich Heizöl und Kraftstoffe um 44 % verteuerten), die Weitergabe steigender Erzeugerpreise infolge der Angebotsengpässe und das Auslaufen der auf das zweite Halbjahr 2020 befristeten Mehrwertsteuersenkung. Die Inflationserwartungen von Privatpersonen für die kommenden 12 Monate sind im Oktober auf durchschnittlich 4,2 % gestiegen. Wichtige Gewerkschaften haben auf die Preisanstiege mit höheren Lohnforderungen reagiert, aber im Rahmen der jüngsten Tarifabschlüsse im Baugewerbe sowie im Einzel- und Großhandel wurden die Lohnsteigerungen für die kommenden beiden Jahre im Durchschnitt auf etwa 2½ % begrenzt.

OECD-WIRTSCHAFTSAUSBLICK, AUSGABE 2021/2: LÄNDERNOTIZ DEUTSCHLAND © OECD 2021


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Germany 1 The vaccination rate is lower than in some other European countries

New orders signal a strong future rebound Manufacturing sector, volumes, 3-month moving average

Share of population fully vaccinated % of total population 110 100 90

As of May 31 2021

Production index

As of November 15 2021

New export orders

Index Jan 2020 = 100 120 110

80

100

70 60

90

50 40

80

30 20

70

10 0

OECD

DEU

EU¹

ITA

DNK

ESP

PRT

0

0 60 Jan 20 Apr 20 Jul 20 Oct 20 Jan 21 Apr 21 Jul 21 Oct 21

1. OECD members only. Source: OECD calculations based on Our World in Data; and Refinitiv. StatLink 2 https://stat.link/3msel7

Germany: Demand, output and prices 2018

2019

GDP at market prices Private consumption Government consumption Gross fixed capital formation Final domestic demand Stockbuilding¹ Total domestic demand Exports of goods and services Imports of goods and services Net exports¹ Memorandum items GDP without working day adjustments GDP deflator Harmonised index of consumer prices Harmonised index of core inflation² Unemployment rate (% of labour force) Household saving ratio, net (% of disposable income) General government financial balance (% of GDP) General government gross debt (% of GDP) General government debt, Maastricht definition³ (% of GDP) Current account balance (% of GDP)

2021

2022

2023

Percentage changes, volume (2015 prices)

Current prices EUR billion

Germany

2020

3 372.3 1 753.2 670.4 711.6

1.1 1.6 3.0 1.9

-4.9 -6.1 3.5 -3.0

2.9 0.8 3.0 1.8

4.1 6.8 0.7 3.6

2.4 2.3 0.8 3.4

3 135.2 27.6

2.0 -0.1

-3.3 -0.9

1.6 1.1

4.6 -0.2

2.2 0.0

3 162.8 1 598.9 1 389.3 209.6

1.8 1.1 2.9 -0.7

-4.2 -10.1 -9.2 -1.0

2.8 7.4 7.7 0.3

4.4 4.1 4.9 -0.1

2.2 4.0 3.8 0.3

3367.9 _ _ _ _ _ _ _ _ _

1.1 2.1 1.4 1.3 3.2

-4.6 1.6 0.4 0.7 3.9

2.8 3.0 3.1 2.1 3.6

3.9 3.2 2.8 2.4 3.2

2.2 2.1 2.2 2.2 3.1

11.1 1.5 67.4 58.8 7.6

16.3 -4.3 78.8 68.9 6.8

15.0 -4.9 82.8 72.8 6.8

10.0 -2.3 82.0 72.0 6.1

9.3 -1.3 81.7 71.8 6.2

1. Contributions to changes in real GDP, actual amount in the first column. 2. Harmonised index of consumer prices excluding food, energy, alcohol and tobacco. 3. The Maastricht definition of general government debt includes only loans, debt securities, and currency and deposits, with debt at face value rather than market value. Source: OECD Economic Outlook 110 database.

StatLink 2 https://stat.link/3x64k8

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Germany 2 A strong recovery is on its way

Inflation will ease

Index 2019Q4 = 100 115

Y-o-y % changes 6

Real GDP

Inflation¹

Real investment

Wage rate²

110

4

105 2 100 0 95 -2

90 85

2020

2021

2022

2023

0

0

2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023

-4

1. Harmonised index of consumer prices. 2. Average nominal wage per employee. Source: OECD Economic Outlook 110 database. StatLink 2 https://stat.link/0lve7x

Die Fiskalpolitik normalisiert sich allmählich Die Fiskalpolitik stützte 2021 die Konjunktur durch Zahlungen an die von den Eindämmungsmaßnahmen betroffenen Unternehmen, finanzielle Hilfen für Familien, erweiterte Kurzarbeitsregelungen und höhere öffentliche Investitionen. Wie bereits 2020 dürften die Staatsausgaben die in der Haushaltsplanung eingestellten Beträge erheblich unterschreiten. So belief sich das Defizit im Bundeshaushalt von Januar bis September 2021 auf 133 Mrd. EUR, während die für das Gesamtjahr gebilligte Nettokreditaufnahme 240 Mrd. EUR (6,9 % des BIP) beträgt. Die wichtigsten fiskalischen Unterstützungsmaßnahmen zur Bewältigung der Coronakrise, darunter die erweiterte Kurzarbeitsregelung, laufen Ende 2021 aus; der Fokus der Wirtschaftspolitik verlagert sich stattdessen auf die Gestaltung der Erholung. Die Schuldenbremse wird voraussichtlich 2023 wieder in Kraft gesetzt. Das strukturelle Defizit im Primärhaushalt wird den Projektionen zufolge zwischen 2021 und 2023 um 1,4 % des BIP sinken. Die überaus akkommodierende Geldpolitik der Europäischen Zentralbank stützt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage weiterhin. Die Zuschüsse aus dem Wiederaufbauprogramm Next Generation EU werden genutzt, um den Klimawandel zu bekämpfen, die Digitalisierung zu fördern, das Gesundheitswesen zu stärken und Investitionshemmnisse abzubauen. Rund die Hälfte der Zuschüsse dürfte bis 2023 ausgegeben werden. Anfang 2021 wurde für die Bereiche Verkehr und Gebäudewärme ein CO 2-Preis von 25 EUR je Tonne eingeführt, was 2021 etwa 0,3 Prozentpunkte zur Inflation beitrug. 2022 und 2023 wird der CO 2-Preis schrittweise weiter angehoben.

Eine kräftige Erholung bahnt sich an Der private Konsum wird sich den Projektionen zufolge aufgrund des Anstiegs der COVID-19-Infektionszahlen auf kurze Sicht verlangsamen, 2022 aber durch die aufgestaute Nachfrage, die gute Arbeitsmarktlage und die allmähliche Normalisierung der Wirtschaftstätigkeit im Dienstleistungssektor getragen werden. Wenn sich die Lieferengpässe allmählich verringern, werden die Ausfuhren im selben Tempo steigen wie die Auslandsnachfrage. Unter dem Einfluss der günstigen Finanzierungsbedingungen und der steigenden Kapazitätsauslastung werden die Unternehmensinvestitionen anziehen. Kurzfristig werden sie

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4 jedoch von den Auswirkungen der weltweiten Angebotsengpässe auf die Investitionsgüterproduktion gebremst. Die Teuerung dürfte 2022 nachgeben, da der Basiseffekt der Mehrwertsteuersenkung von 2020 endet. Allerdings wird die Inflation aufgrund der langsamen Weitergabe der Gaspreiserhöhungen an die Verbraucher auf höherem Niveau verharren. Das nominale Lohnwachstum wird sich in Reaktion auf das höhere Preisniveau und die erwartete Mindestlohnanhebung beschleunigen. Nachdem die Staatsschuldenquote während der Krise um 14 Prozentpunkte gestiegen war, wird sie aufgrund geringerer Defizite und eines höheren nominalen BIP-Wachstums ab 2022 sinken. Der Anstieg der Infektionszahlen könnte den privaten Verbrauch beträchtlich verlangsamen, vor allem wenn strenge Einschränkungen verhängt werden. Höhere Lohnforderungen in vielen Bereichen und größere Arbeitsmarktengpässe (bei zugleich begrenztem Arbeitsangebot aufgrund geringerer Zuwanderung) drohen eine Inflationsspirale in Gang zu setzen. Darüber hinaus könnte es nach Auslaufen der staatlichen Kreditförderung auch zu einer Insolvenzwelle kommen. Sollten die angebotsseitigen Engpässe jedoch früher nachlassen, könnten die Ausfuhren rascher expandieren, um die kräftige Nachfrage zu decken.

Infrastrukturinvestitionen erhöhen und Beschäftigungswechsel fördern Höhere Infrastrukturinvestitionen würden die Energiewende und die Digitalisierung beschleunigen und zugleich die Investitionstätigkeit des privaten Sektors fördern. Hierfür müssen die Infrastrukturplanungsverfahren gestrafft, die öffentliche Beschaffung durch bessere Datenerfassung gestärkt, die finanzielle Unterstützung für gute kommunale Investitionsvorhaben erhöht und Kosten-Nutzen-Analysen durch ein unabhängiges Infrastrukturberatungsgremium priorisiert werden. Dank der Ausweitung der Kurzarbeitsregelung während der Krise konnten Beschäftigungseinbußen großenteils verhindert werden. Dennoch haben auch Arbeitskräfte ihre Stellen verloren, vor allem Niedrigeinkommensbezieher, deren Beschäftigungsverhältnisse häufig nicht von der Kurzarbeitsregelung erfasst sind. Das Auslaufen der Kurzarbeitsregelung setzt Anreize für die notwendige Reallokation von Arbeit und Kapital, droht aber auch mehr private Haushalte in eine prekäre Lage zu bringen. Eine Verbesserung der aktiven Arbeitsmarktpolitik, vor allem der Weiterbildung, könnte den Wechsel in besser bezahlte Stellen erleichtern. Der ökologische Wandel ist ein zentraler Aspekt der Konjunkturmaßnahmen zur Überwindung der Coronakrise, Deutschland hat jedoch noch viele Möglichkeiten, seine Klimaschutzmaßnahmen kosteneffizienter zu gestalten. So könnte z. B. die Emissionsbepreisung stärker vereinheitlicht werden und die Nutzung von Strom aus erneuerbaren Energien im Verkehrs- und Gebäudesektor könnte durch eine Senkung der Stromsteuern und den Ausbau grüner Infrastrukturen gefördert werden.

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