Boston Consulting Group (D)

Page 1


Dem Gegenwind trotzen

Die Offshore-Windbranche steht derzeit stark unter Druck. Gestiegene Kosten, Engpässe in der Lieferkette und geopolitische Spannungen machen dem Sektor zu schaffen. Doch es gibt auch Anzeichen für eine Erholung. Gefragt sind neue Konzepte.

Das hatte es noch nie gegeben: Dänemark und Grossbritannien wollten Offshore-Windparkflächen meistbietend versteigern. Womit allerdings niemand gerechnet hatte: Nicht ein einziger Interessent meldete sich. Die gleiche Erfahrung machte vor wenigen Wochen die Bundesnetzagentur in Deutschland. Für die Versteigerung von zwei Arealen in der Nordsee gingen null Gebote ein. Das Erstaunen war auch hier gross. Vor zwei Jahren noch wären bei solchen Auktionen Milliardensummen geflossen. Doch der Wind hat sich gedreht. Immer mehr Investoren scheuen inzwischen das Risiko, sie werden wählerischer und lassen von neuen, unkalkulierbaren Windparkprojekten im Zweifel lieber die Finger. Jetzt sind es zunehmend die Regierungen, die um Anleger und Projektentwickler buhlen müssen, und nicht mehr umgekehrt.

Offshore-Wind gilt zwar nach wie vor als zentrale Säule der Energiewende –doch die seit 2022 um 30 bis 40 Prozent gestiegenen Kosten, volatile Rohstoffpreise, geopolitische Unsicherheiten und fragile Lieferketten gefährden die Wirtschaftlichkeit vieler Projekte. Sie gelten als nicht mehr rentabel genug. Das neue Überangebot an Projekten und zögerliche Käufer drücken die Bewertungen und erschweren die Finanzierungsund Ausstiegsmöglichkeiten. Darüber hinaus sinkt der Wert von Stromanlagen aufgrund fallender Stromverkaufspreise und zunehmender Kannibalisierungseffekte, vor allem in reiferen Märkten.

Ehrgeizige Ziele

Für die Windenergiebranche ist dies eine neue Erfahrung: Nach einem Jahrzehnt rascher Fortschritte, in dem die Kosten um mehr als 60 Prozent gesunken waren, steht sie heute enorm unter Druck. Gleichzeitig treiben die Regierungen weiterhin ehrgeizige Offshore-Windkraftziele voran. Allein die Europäische Union hat ihr Ziel von 300 Gigawatt installierter Offshore-Windkraftkapazität bis 2050 auf 360 Gigawatt erhöht – das entspricht fast einer Verzehnfachung des heute vorhandenen Volumens. In erster Linie geht es um ein drastisches Absenken der CO2Emissionen – Stichwort «Netto-Null» –und um Energiesicherheit.

Hintergrund ist, dass sich die Elektrifizierung heute weltweit beschleunigt, angetrieben durch die steigende Nachfrage aus Verkehr, Industrie und zunehmend auch aus Rechenzentren und KI. Offshore-Windkraft bietet hierfür skalierbare Lösungen in der Nähe der Nachfragezentren. Sie erzeugt mehr als 90 Prozent des Jahres umweltfreundlichen Strom und gilt damit als höchst verlässlicher Energieerzeuger. Bei der Produktion des Stroms durch Windenergie wird – im Unterschied zur Nutzung fossiler Energieträger wie Erdöl, Erdgas sowie Kohle –kein klimaschädliches CO2 freigesetzt. «Wir sind fest vom grossen Potenzial der Offshore-Windindustrie überzeugt», betont Jeremy Merz, Managing Director and Partner bei der Boston Consulting Group (BCG) in Zürich. Offshore-Windenergie sei eine Notwendigkeit, um eine «erschwingliche und reichlich vorhandene lokale Energieversorgung zu gewährleisten und den steigenden Verbrauch zu decken». Der Branchenexperte sieht darin eine grosse Chance für all jene Unternehmen, die in der Lage sind, Offshore-Projekte trotz des derzeitigen Gegenwinds rentabel zu realisieren. «Sie könnten einen erheblichen Vorteil erzielen und von einem Markt mit starken Fundamentaldaten für die zukünftige Stromnachfrage profitieren.»

Handelt es sich dabei um Wunschdenken oder Zweckoptimismus? Keineswegs. Nach Auffassung des auf Offshore-Windenergie spezialisierten BCGTeams lassen sich die derzeitigen Herausforderungen durchaus mit Erfolg bewältigen. Wie dabei vorzugehen ist, erläutern die Unternehmensberater in einem neuen Leitfaden. Dreh- und Angelpunkt ist eine Methodik, die dabei helfen soll, die Wirtschaftlichkeit der Branche zu optimieren: der Win-CostAnsatz. Konkret geht es darum, Stromgestehungskosten (Levelized Cost of Energy, LCOE) zu erreichen, die wirklich wettbewerbsfähig sind, angepasst an die jeweiligen Marktgegebenheiten. LCOE bezeichnet die durchschnittlichen Gesamtkosten für die Erzeugung einer Kilowattstunde Strom über die gesamte Lebensdauer einer Energieerzeugungsanlage, etwa einer Windkraftanlage, einschliesslich aller Investitions-, Betriebs- und Wartungskosten. Anstatt «nur» nach Einsparpotenzialen zu fahn-

den und die Kosten schrittweise zu senken, sind die Entwickler herausgefordert, umzudenken und die entscheidende Frage neu zu stellen: Wie muss die Kostenbasis aussehen, um im Offshore-Markt erfolgreich zu sein? «Es geht um einen grundlegenden Wandel von einer Machbarkeitsdenkweise hin zu einer Wettbewerbsdenkweise», betont Malte Hippe, Partner and Associate Director bei BCG in Hamburg.

Dazu muss man wissen: OffshoreWindparkentwickler setzen seit langem auf klassische Bottom-up-Massnahmen zur Kostensenkung, indem sie beispielsweise günstigere Lieferverträge aushandeln, die Effizienz von Windkraftturbinen verbessern oder die Installation für ein bestimmtes Projekt rationalisieren. Diese Bemühungen haben massgeblich dazu beigetragen, dass die Branche in den letzten zehn Jahren eine Senkung der Stromgestehungskosten um mehr als 60 Prozent erzielen konnte.

Beispiel Autoindustrie

Auf dem heutigen Markt reicht eine solche schrittweise Optimierung nach Ansicht der Experten jedoch nicht mehr aus, um die Profitabilitätslücke zu schliessen. Worauf es heute mehr denn je ankomme, sei ein «step-change thinking». Bestehende Muster und Annahmen grundlegend zu hinterfragen und radikal neue Ansätze zu verfolgen, habe sich bereits in anderen, ebenfalls kapitalintensiven Industriezweigen bewährt, sei aber im Windenergiesektor nicht übernommen worden, heisst es bei BCG. Verwiesen wird da zum Beispiel auf die Automobilindustrie, die ebenfalls unter hohem Kostendruck steht. Hier ist der Design-to-Cost-Ansatz inzwischen Standard: Hersteller legen einen Zielpreis fest und entwickeln Produkte, die diesem

entsprechen, oft durch radikale Vereinfachung und strategische Lieferantenpartnerschaften. Das Beispiel macht deutlich, dass ein radikaler Wandel möglich ist, wenn Kosten zu einem strategischen Faktor werden und nicht nur ein Ergebnis sind.

Folgt man der BCG-Studie, lässt sich die Win-Cost-Philosophie bei OffshoreWindparks in einem klar definierten, dreistufigen Prozess umsetzen und verankern.

• Es beginnt mit dem Definieren eines marktorientierten Gewinnkostenziels, das in erster Linie darauf ausgerichtet ist, (wieder) Auktionen zu gewinnen und Investitionen anzuziehen. Hinzu kommt die «Festlegung von Teilzielen, die auf verschiedene Kostenbereiche wie Kapital-, Betriebs- und Entwicklungsausgaben verteilt sind». Im zweiten Schritt werden übergreifende Einsparungsmöglichkeiten für das gesamte Projektportfolio und die gesamte Wertschöpfungskette erarbeitet. Der Fokus verlagert sich dabei von einzelnen Projektoptimierungen auf umfassendere Veränderungen. Dazu gehören etwa die Standardisierung von Turbinenplattformen, neue Modelle der Zusammenarbeit mit Lieferanten, die Überarbeitung der Betriebs- und Wartungsstrategie oder auch erweiterte Konzepte zur Systemintegration.

• In einem dritten Schritt schliesslich werden, von unten nach oben («bottom-up»), konkrete Kostensenkungsmassnahmen in den einzelnen Geschäftsbereichen ermittelt, mit denen die angepeilten Einsparungen realisiert werden sollen.

Der Win-Cost-Ansatz ermöglicht laut Jeremy Merz eine «zweistellige Senkung der Stromgestehungskosten und stellt

die Weichen auf langfristigen Erfolg, indem er den Kostendruck in einen Wettbewerbsvorteil verwandelt».

2025 als Wendejahr?

Nach Einschätzung der Fachleute mehren sich inzwischen die Anzeichen, dass der Offshore-Windmarkt zu neuer Dynamik gelangen wird. Dazu zählen eine verbesserte Umsatzsicherheit aufgrund stärkerer Fördermechanismen in manchen Ländern, eine allmähliche Verringerung der Kostenbasis in der Lieferkette – auch dank sinkender Zinssätze –und eine weitere Konsolidierung der Branche.

Eine nachhaltige Erholung des Sektors wird allerdings nicht von alleine eintreten – und auch nicht sofort. Eher ist davon auszugehen, dass die notwendige Neuausrichtung mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird. Jeremy Merz: «Wir erwarten eine langsame Erholung, beginnend mit einem Tiefpunkt 2025.»

Sustainable Switzerland ist die nationale Nachhaltigkeitsplattform des Unternehmens NZZ und von Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft. Gemeinsam beschleunigen wir die nachhaltige Entwicklung der Schweiz.

sustainableswitzerland.ch

Dieser Inhalt wurde von NZZ Content Creation und Sustainable Switzerland im Auftrag von BCG erstellt.

Offshore-Windkraftanlagen bilden eine zentrale Säule der Energiewende, doch Investoren halten sich bei neuen Projekten zurück.
Jeremy Merz, Managing Director and Partner bei BCG Zürich

Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.
Boston Consulting Group (D) by NZZ Content Creation - Issuu