No Robots Magazine #2: Früchte des Zorns

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Titelthema Aber er war es wohl. Abgezuckle mit Holzschwertern in die unbekümmerte Kindheit zurück. Unbekümmert ist die Leben wohl nicht mehr. Ich war ohne Angst als Kind. Als wir im Westen noch im Auge des Orkans saßen und nicht mit der Wimper zuckten. Alles Schlechte passierte irgendwo anders. Und heute sterben in dem Meer, in dem ich schwimmen lernte, jeden Tag Tausende. Vielleicht lebte ich im Schlaraffenland und das hier ist die Realität. Vielleicht geht es nicht mehr ohne. Vielleicht müssen sie in dieser Welt leben. Ich wünschte als Mutter, das wäre nicht so. An München hatten sie gar kein großes Interesse. Das hat mich erstaunt. Obwohl sie in dieser Stadt geboren wurden und das sehr wohl wissen. Jeder nimmt die Welt halt anders wahr. Für sie war der Lastwagen näher dran an ihrer Welt als Schüsse am OEZ. Ich habe nicht nachgebohrt. Ich habe sie gelassen. Nicht mit der Nase in die Scheiße tunken, sozusagen. Trotzdem beobachte ich sie, wenn sie zuhören. Vielleicht sollte ich bei nächsten Nachrichtengucken auf all die positiven Aspekte eingehen. Schau, da ist gleich ein Sanitäter da. Schau, überall Polizei. Die machen jetzt alles sicher. Denn eines ist klar: Hätte ich keine Zuversicht, hätten sie keine Kindheit.

mache ich das. Bei einem verschlafenem Kind im Pyjama mit der Anklage „Durst!“ lasse ich nicht den Zombie-Film weiter laufen und hole das verlangte Glas Wasser. Da schalte ich aus und flüstere das Kind zurück ins Bett. Aber bei Nachrichten habe ich eine Hemmung. Ich kann nicht weg schalten. Ich komme mir unfair vor. So ist die Welt. Nicht überall hört man nur Kuhglocken. Und dann ist dieser Laster da. Etwas, dass sie mit kindlichem Interesse an Bagger, Müllautos und Lokomotiven von vornherein ganz großartig finden könnten. Und dann ist da der Tod. Als erstes haben Kinder ein Interesse am Bericht. Was, wann, wo genau. Mehr als jeder Erwachsene wollen sie ganz genau den Bericht haben. Fast emotionslos. Einem Ermittlungsteam ähnlich. Als zweites folgt der Bezug zum eigenen Leben. Kann das hier passieren? Kann das mir passieren? Ja, das kann es, aber das ist sehr unwahrscheinlich. Wenn es normal wäre, wäre es nicht in den Nachrichten. Die reden immer von den besonderen Sachen. Und das ist so besonders, deswegen reden die so lange da drüber. Selbst, wenn man die ersten beiden Punkte mit Sanftheit weitestgehend aus dem Weg räumen hat können, folgt dann die Frage, die ein ganzer Lebensabschnitt begleitet. Die Frage lautet: Warum? Ja, was sagt ihr euren Kindern zu dem Warum? Warum ist die Banane krumm? Weil sie krumm gewachsen ist. Was wissen wir denn zu dem Warum schon groß zu sagen. Der Mann war krank. Ein im Kopf kranker Mann. Das passiert. Man kann im Kopf krank werden. Warum? Er war böse. Warum? Er hatte sich in wirklich böse Gedanken verrannt und ist dadurch so krank geworden, dass er das gemacht hat. Warum? Ich weiß auch nicht mehr, mein Engelchen, ich weiß es wirklich auch nicht. Ich weiß nicht, warum er so krank war.

Sabine, *1981, ist Mutter von Zwillingen. Als Fadenvogel bloggt sie auf fadenvogel.de über den Vogel in ihrem Kopf, dem Spatz in der Hand, ihren Augenblicken dazwischen.

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