Geschichte Husum | Friesenanzeiger
Beeindruckene Husumer Industrie: Die alte Eisengießerei In der „Oberen Neustadt Nr. 70“ sind schon längst die Hammerschläge der Schmiede verklungen. Die rege Betriebsamkeit des Handwerks in der alten Eisengießerei ist nahezu in Vergessenheit geraten. Heute durchfahren unablässig Drahtesel und vierrädrige „Blechkarossen“ die Straße. Eine fast unvergängliche Erinnerung an einen einst blühenden Industriezweig der Stadt sind die vereinzelten Kanaldeckel, die mit dem Husumer Stadtwappen geziert sind: Sie sind fast ein Souvenir für Touristen – wenn sie nicht so schwergewichtig wären… In dem langgezogenen Rotsteingebäude der Straße sind als Zeitzeugen noch große Fenster mit eisernen Rahmen mit Halbbögen im Obergeschoss zu erblicken. Die zum hinteren Teil des Gebäudes führende – vergitterte – breite Hofeinfahrt lässt den Betrachter vermuten: „Da steckt etwas dahinter.“ Die Eisengießerei Christiansen & Möller begann hier im Jahre 1852 mit ihrer Tätigkeit. Die Gießerei war das Kernstück der Anlage, die vielen Arbeitern eine Anstellung bot. In unterschiedlichen Werkstätten wurden Öfen, Fenster, Kochgeschirre und Herde (die „Hexe“) für die Einwohner Husums und Umgebung
48 | www.friesenanzeiger.de
gefertigt. Ein Industriezweig in der Region hatte hier seinen Ursprung. Zur Herstellung benötigte Rohstoffe, wie Roheisen, Schmiedeeisen, Koks zum Schmelzen des Eisens sowie Steinkohle zum Heizen
ihr Auskommen. Hugo Hamkens, ein Großbauernsohn von Eiderstedt, übernahm nach seiner Ausbildung im Jahre 1884 die Gießerei. Hamkens war Techniker mit „künstlerischen Ambitionen“. Er erwei-
Die alte Eisengießerei wird von schönen Fenstern geziert
des Dampfkessels und der Schmiede mussten importiert werden. Die Hafenerneuerung und der Viehtransport sorgten dafür, dass die Produktion der Gießerei wuchs, ebenso der Baubeginn der Eisenbahnlinie Flensburg-Husum-Tönning. Bald kam auch die Fertigung von landwirtschaftlichen Geräten hinzu. Facharbeiter wie Gießer, Former, Maschinisten und Metallarbeiter kamen von weit her und fanden in Husum eine Anstellung und
Text und Fotos: M. Funke
terte die Fertigung und stellte weitere landwirtschaftliche Geräte her: Quetschmühlen, Maschinen zum Reinigen des Getreides von Staub, Rübenschneidemaschinen, Eggen und vieles mehr. Er ließ auch seiner künstlerischen Ader freien Lauf und verfertigte gusseiserne Grabkreuze, Roste, Gartenbänke, Säulen – und die berühmten Husumer Gullydeckel. Doch wirtschaftliche Schwierigkeiten beutelten auch die Eisengie-
ßerei und machten es nicht immer leicht, alle Arbeiter zu beschäftigen. Peter William Matz, ein Stellmacher und Wagenbauer von Eiderstedt, ersteigerte im Jahre 1896 die Fabrik. Seine drei Söhne wurden nach der Ausbildung und den Wanderjahren ebenfalls in der Gießerei und im Wagenbau beschäftigt. Während des Ersten Weltkriegs bestellte das Kriegsministerium Berlin fahrbare Feldküchen. Hugo Matz, der dritte Sohn von Peter William Matz, übernahm die Firma und war dann auch ihr letzter Inhaber. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es wirtschaftlich endgültig schwierig: Konkurrenz siedelte sich zudem in Husum und auch in Mildstedt an. Der Betrieb erlosch nach genau 102 Jahren im Jahre 1954. Damit ging eine Ära zu Ende, die aber bei Spaziergängen durch die „Obere Neustadt“ immer noch zu entdecken ist.
Die Husumer Stadtgeschichte wird Ihnen präsentiert von