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Der legendäre »Provino Club« geht im April wieder an den Start. Für unseren Redakteur Florian Kapfer wurde der Besuch bei den neuen Betreibern auch eine Reise in die Vergangenheit
Fotos: Chris Menkel
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Neuer Provino im alten Gemäuer
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er ein oder andere Augsburger kann sich vielleicht noch an die Gärtnerei Schreiber in der Provinostraße erinnern. Bevor die »Schleifenstraße« vor allem das bis dahin so idyllische Viertel geschleift hat, veranstaltete ab 1995 der Kulturverein »Provino cum cultura e.V.« Theateraufführungen, Workshops, Konzerte und Partys im jetzigen Niemandsland zwischen Citygalerie und Textilmuseum. An der früheren Einfahrt zur Gärtnerei steht seit gut hundert Jahren die Gaststätte »Turamichele«, die nicht zuletzt wegen ihrer Kegelbahn und dem kastanienumrahmten Biergarten einen festen Platz in den Herzen der älteren Augsburger hat. In der dazugehörigen Pilsstube betrieben wechselnde Pächter zwischen 1998 und 2006 den »Provino Live Club«, in dem lokale wie nationale Gäste von Nova International und Anajo bis Robocop Kraus und Egotronic reüssierten. Als die Location mit der Geschäftsaufgabe des Gaststättenbetreibers ihr Ende fand – über das Schicksal des TuramicheleWirts und seines Hundes kursiert so manches Gerücht, ein Punk aus dem Umfeld des Clubs soll das beeindruckende Tier einst aus einem Kanal gerettet haben, die Leine (des Hundes) hing bis zuletzt im Gastraum – senkte sich der Vorhang
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des Vergessens über die Traditionswirtschaft in der Provinostraße, die übrigens nichts mit Wein zu tun hat, sondern nach der Tabakfabrikantengattin Maria Anna Provino (gest. 1846) benannt wurde. Heute sind die Räumlichkeiten eine unfreiwillige Mischung aus Gastro-Museum und Lagerhalle, mit holzgetäfelten Wänden und Resten einer Fototapete. Die vier vollautomatischen Kegelbahnen, Marke Asbach Uralt, lassen nicht nur die Herzen von Nostalgikern höher schlagen, auch der ein oder andere Pilz nutzt die stellenweise etwas feuchten Dielen zu ungeahntem Wachstum. Das »Turamichele« beherbergte in den letzten Jahren immer wieder Zwischennutzer wie Bands oder Künstler, zwei Wohnungen über der Gaststätte sind noch vermietet. Seit letztem Jahr bemüht sich eine umtriebige Gruppe kreativer Augsburger um das Gebäude und hat auch deshalb Anfang 2015 den Verein »Raumpflegekultur e.V.« gegründet. Der Zusammenschluss von rund 130 Mitgliedern steht darüber hinaus hinter der Galerie »Die Metzgerei« in der Haunstetter Straße und veranstaltet private Wohnzimmerkonzerte unter dem Titel »Bedroom Disco«. Und was im Frühjahr 2014 mit ersten Begehungen und zwanglosen Grillabenden in der Provinostraße
begann, führte ein knappes Jahr und unzählige ehrenamtliche Arbeitsstunden später sogar in die Videocharts des Bayerischen Rundfunks. Die erste Veröffentlichung der Reihe »Kegelbahnkonzerte« mit der Augsburger Band We Destroy Disco schaffte es beim BR-Jugendsender »Puls« unter die zehn besten bayerischen Musikvideos des Monats Februar.
Der Besuch des alten Vorstands Dass im alten Provino wieder neues Leben eingekehrt ist, hat sich also bereits rumgesprochen, als mich Katrin vom »Raumpflegekultur e.V.« einlädt - und als ehemaliger erster Vorstand des Vereins »Provino cum cultura e.V.« biege ich mit leicht klopfendem Herzen am ersten warmen Frühlingssamstag im März um die Ecke der Provinostraße. Von der alten Gärtnerei ist nichts mehr übrig, das trotz deutlicher Altersspuren immer noch stattliche Gaststättengebäude wirkt zwischen den graubraunen 0815-Neubauten, dem Skelett der benachbarten Shed-Hallen und den Schallschutzwänden der Schleifenstraße wie ein gestrandeter Wal. Die rund zehnköpfige Gruppe, die hier die letzten Strahlen der Abendsonne genießt, sieht das
23.03.2015 11:49:43