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Komplexversorgung – die neue Form für schwer psychisch Kranke

PSYCHOTHERAPIE Komplexversorgung – die neue Form für schwer psychisch Kranke

Im Rahmen des Gesetzes zur Reform der Psychotherapeutenausbildung wurde der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) aufgefordert, Regelungen für eine berufsgruppenüber-greifende, koordinierende und strukturierte Versorgung für schwer psychisch kranke Versicherte mit einem komplexen psychiatrischen oder psychotherapeutischen Behandlungsbedarf zu beschließen. Hierzu hat der G-BA jetzt eine entsprechende Richtlinie verabschiedet. Nach Prüfung durch das Bundesministerium für Gesundheit und nachfolgenden Anpassungen im Einheitlichen Bewertungsmaßstab könnten erste Verbünde von Praxen vermutlich zum 1. Juli 2022 ihre gemeinsame Tätigkeit aufnehmen.

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Koordinierte Hilfe in Netzverbünden Das neue Versorgungsprogramm soll zunächst nur für Versicherte ab dem 18. Lebensjahr zur Verfügung stehen. Zentrales Element der Versorgungsform sind Netzverbünde, in denen Ärzte und Psychotherapeuten zur gemeinsamen Behandlung an schwer psychisch erkrankten Versicherten zusammengeschlossen sind. Um den Übergang zwischen ambulanter und stationärer Versorgung einfacher und kooperativer zu gestalten, ist außerdem eine enge Zusammenarbeit mit Kliniken zu gewährleisten. Hierzu muss mit mindestens einem psychiatrischen Krankenhaus ein Kooperationsvertrag geschlossen worden sein. Auch sollen Ergo-therapeuten und Soziotherapeuten künftig fest eingebunden sein und Behandlungselemente übernehmen. Es bedarf mindestens zehn Akteure aus den verschiedenen Gesundheitsberufen für einen Netzverbund. Das Vertragswerk der Kooperationspartner ist der jeweils zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung zur Prüfung und Genehmigung vorzulegen. Nach Genehmigung können dann die entsprechenden Leistungen erbracht und abgerechnet werden. Die genauen Leistungen, wie auch deren Vergütung, hat der Bewertungsausschuss noch festzulegen.

Schnelle Eingangsdiagnostik und bessere Versorgung Gesetzgeber wie der G-BA stellen in den Raum, dass die Versorgung von schwer psychisch kranken Versicherten schneller und besser erfolgen muss. Eine fundierte Erhebung über den Istzustand der Versorgung ist diesem Ansinnen nicht vorausgegangen. Tatsächliche Notwendigkeit und Machbarkeit wurden nicht erkundet. Weitgehend ließ man sich von Mutmaßungen und Gerüchten leiten. Nun sollen entsprechende Versicherte im Netzverbund innerhalb von sieben Tagen eine Eingangsdiagnostik gleich bei mehreren Behandlern erfahren. Grundsätzlich teilnahmeberechtigt sind nur Praxen mit vollem Versorgungsauftrag. Die Zahl der am Netz Teilnehmenden ist mit zehn verhältnismäßig hoch. Auch der Einbezug von Soziotherapeuten, Ergotherapeuten und psychiatrischer häuslicher Krankenpflege könnte sich als problematisch erweisen, ist jedoch ein Muss.

Idee und Konzept nicht ausgereift Schon bei der Gesetzgebung ist man davon ausgegangen, dass psychiatrische und psychotherapeutische Versorgungskapazitäten in Deutschland brachliegen. Dabei gibt es in ganzen Landstrichen, so auch in Regionen in Schleswig-Holstein, eben keine freien Aufnahmekapazitäten bei Psychotherapeuten und Psychiatern. Auch fehlt es an Soziotherapeuten und Akteuren der häuslich psychiatrischen Krankenpflege. Unabhängig davon sind die Patienten im Konzept dieser Komplexversorgung regelhaft Doppeluntersuchungen ausgesetzt. „Die Komplexversorgung sollte schwer psychisch kranken Patienten eine vernetzte interdisziplinäre Therapie ermöglichen. Für die Patienten jedoch sorgen enge, vorgeschriebene Zeitfenster, in denen mehrere Praxen aufgesucht werden müssen, für zusätzlichen Stress. Wer mit psychisch schwer erkrankten Menschen arbeitet, weiß, dass dies nicht selten zu frühzeitigen Behandlungsabbrüchen führt“, warnt der Bundesvorsitzende der Deutschen PsychotherapeutenVereinigung Gebhard Hentschel. So ist das Echo auf diese zusätzliche Richtlinie zur psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgung bei den betroffenen Behandlern auch eher verhalten. Auch haben die Berufsgruppen selbst diese Richtlinie nie gefordert und gewollt. Sie gehört eher in die Kategorie einer aus dem Ärmel geschossenen Idee eines Bundesgesundheitsministers.

HEIKO BORCHERS, PSYCHOLOGISCHER PSYCHOTHERAPEUT, KINDER- UND JUGENDLICHENPSYCHOTHERAPEUT, KIEL

Weitere Informationen: www.kbv.de Praxisnachrichten  Vernetzte Hilfen für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen – So soll das neue Versorgungsprogramm laufen

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