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THEMA

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Hören

„Was man singen kann, hört man auch!“ Von Andrea Knecht, KSWO

Beat Wälti ist Musiklehrer an der Kanti Wohlen. Er erzählt, wie er das Klavierspiel lernte, dass Musikalität nicht nur angeboren ist und wie jede Generation Komponisten neu entdeckt. Ich habe zwei Schwestern. Die ältere spielte Geige, die zweite Klavier. Ich hätte immer gern Klavier gespielt, doch die Eltern wollten keine Konkurrenz zwischen mir und meiner Schwester. So musste ich Blockflöte spielen. Anfangs kam ich gut mit der Flöte zurecht – bis der Ringfinger ins Spiel kam. Ich konnte diesen einfach nicht unabhängig bewegen. Ich durfte eine anderes Instrument lernen, die Familie schlug Oboe vor, Klarinette. Doch ich begann, mir das Klavierspielen selber beizubringen. Meine Fingerstellung war katastrophal. Meine Eltern merkten, dass es mir ernst war. Als meine Schwester schliesslich für längere Zeit krank war, durfte ich ihre Klavierstunden haben. Seither spiele ich Klavier. Das Gefühl für die Musik Musikalität ist schwer zu definieren. Der ganze kognitive Teil ist jedenfalls nicht Musikalität: Strukturen erkennen, Musikgeschichte oder technische Fähigkeiten auf dem Instrument. Auch flinkes Klavierspiel kann man lernen. Musikalität ist das Gefühl für Rhythmus, Harmonie und Melodik. Wer sensibel mit Formalem umgehen kann und erkennt, was Musik ausdrücken will, ist musikalisch.

Musikalität ist sowohl angeboren als auch anerzogen. Das absolute Gehör beispielsweise ist angeboren. Gleichzeitig können Instrumentalisten lernen, Töne auf ihrem eigenen Instrument zu identifizieren. So erkennt ein Geiger einen Ton auf seiner Violine – nicht aber auf einem Klavier. Ich persönlich erkenne Töne auf Klavieren, die ich sehr gut kenne.

Schüler machen Fortschritte Ich hatte Schüler aller Gattungen, auch solche, die gar nichts hörten. Noch nie hatte ich aber einen, der keine Fortschritte gemacht hätte. Zum Beispiel Louis, ein Austauschschüler, der in den Chor kam und nur einen einzigen hohen Ton singen konnte. Ich übte mit ihm. Er kam mehrmals pro Woche für zehn Minuten zu mir, wir machten Gesangsübungen. Ende Jahr konnte er tatsächlich einigermas-

sen singen. Was man singen kann, hört man auch. Singen ist ein wichtiger Bestandteil meines Unterrichts. Musik im Laufe der Zeit Die Kriterien für Ästhetik ändern sich mit der Zeit, doch es gibt auch Musik, die zeitlos ist. Bach in der Klassik beeinflusst seit seinem Tod 1750 alle S ti l r i chtung en. Ausserdem kann jede Generation einen Komponisten auf ihre Art entdecken und wahrnehmen. So galt Brahms (18331897) in seiner Generation als konservativer und eher r ückwärtsg e r i ch t e t e r Komponist. Die nächste Generation jedoch sah ihn als Innovator. Schönberg und Webern beriefen sich in den 1920ern auf Brahms. Es ist grosses Glück, wenn man sein grösstes und liebstes Hobby zum Beruf machen kann. Musik ist ein sehr wichtiger Faktor in meinem Leben. Musik ist wie eine Sprache, die mein Innerstes berührt, vielleicht mehr, als alles andere. Ich muss sagen, dass ich Musik brauche und sie mir fehlt, wenn ich für längere Zeit weder Musik hören noch machen kann.


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