Bothfeld hat alles

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Schon vor dem Zweiten Weltkrieg war der Gehaplatz eine geschäftige Ecke. An der Kreuzung von Podbielski- und Sutelstraße – die unter dem Namen „Noltemeyer“ bekannt war – betrieb der Gastwirt August Noltemeyer eine Wirtschaft.

„Früher machten die Kutscher auf dem Weg nach Hamburg und Celle bei ‚Noltemeyer’ Halt, um die Pferde zu wechseln, später hielt vor der Tür auch die Pferdebahn“, weiß Hannelore Haase aus Erzählungen ihrer Großeltern. Irgendwann baute man hinter dem Haus Tische und Stühle auf – und der ‚Bier- und Caffeegarten’ von August Noltemeyer wurde zu einem geschätzten Ausflugslokal, in dem sich Gäste aus ganz Hannover beim Gugelhupf zum Kännchen Kaffee vergnügten. „Für den Topfkuchen musste ich als kleines Mädchen bis ins alte Dorf zu Bäcker Wemjes laufen“, erinnert sich die heute 80-Jährige. Anfang der dreißiger Jahre hatten nämlich Hannelore Haases Eltern Hedwig und Hermann Hellmann das Lokal übernommen. Für das Sülzkotelett mit Bratkartoffeln ließen die Straßenbahner vom benachbarten Depot schon mal die mitgebrachte Stulle liegen. Das kühle Helle wurde bis zum Zweiten Weltkrieg vom Fass in große, grüne Glaskrüge mit Porzellandeckel gefüllt und auch außer Haus verkauft. „Oft wurden die Kinder geschickt, um zum Abendbrot einen Ein-Liter-Krug Bier zu holen“, erzählt Hannelore Haase. „Und ich musste dann zu Fuß die leeren Bierkrüge wieder abholen.“ Als junge Frau übernahm sie 1952 zusammen mit ihrem Mann Hermann die Gaststätte, die längst zur Institution geworden war, baute das Lokal um und verpachtete die Traditionsgaststätte weiter. Nur sechs Jahre später musste das Backsteinhaus für die Verbreiterung der Podbi Platz machen. Der Name ist bis heute erhalten geblieben, denn nach Haases Großvater sind nicht nur die Brücke über den Mittellandkanal und die Apotheke an der Ecke benannt, auch Hannovers Taxifahrer rufen noch heute „Halteplatz Noltemeyer“.

Wenn der Besitzer einer bekannten Bothfelder Eisdiele Kai Oertelt von weitem kommen sieht, füllt er schon den Becher mit Stracciatella-Eis. In Carlos Martins Eiscafé ist Kai Oertelt ein gern gesehener Stammgast. Der 43-Jährige ist in Bothfeld angekommen, dort, wo er 1999 in der GiBWohngruppe für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung sein neues Zuhause fand. Auf dem Gelände der ehemaligen Prinz-Albrecht-Kaserne leben 45 Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderungen in sechs Wohngruppen. Das Leben in der Gemeinschaft bedeutet dort: Bei der Gestaltung des eigenen Lebens Selbstbestimmung und Selbstverantwortung zu erfahren und am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben. Individuelle Entfaltungsmöglichkeiten und soziale Einbindung stehen dabei im Mittelpunkt, ganz dem persönlichen Bedarf entsprechend. Diese Werte verbindet die Einrichtung der gemeinnützigen Gesellschaft für integrative Behindertenarbeit (GiB) mit den allgemeinen Prinzipien der Eingliederungshilfe. Eingliederungshilfe öffnet sich derzeit immer mehr dahin, Menschen mit Behinderung die Wahl zwischen Angeboten zu bieten, so Einrichtungsleiterin Jutta Blume. Die GiB bietet in Hannover-Bothfeld neben den langjährig bestehenden Wohngruppen nun auch ambulante Unterstützung in der eigenen Wohnung an. Kai Oertelt hat das Angebot der Wohngruppen in den vergangenen Jahren intensiv für sich genutzt. Nach seinem Autounfall und anschließender Reha zog Kai Oertelt in die WG. Mit Unterstützung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tastete er sich Schritt für Schritt ins Leben zurück. Starke Orientierungsprobleme waren eine Folge des Unfalls, daher habe er langsam mit Unterstützung der Mitarbeiter seinen Lebensraum neu erkunden müssen. Anfangs musste er den Fahrdienst nutzen. Doch durch intensives Training hat er gelernt, sich selbstständig mit Bus und Bahn zu bewegen und auch Fahrrad zu fahren, erinnert er sich an die Anfänge. „Ich habe mir meine Selbstständigkeit hart erarbeitet und Foto: Michael Winterberg

Mit der Pferdebahn in den Kaffeegarten

Die Pferdebahn gibt es am Gehaplatz heute zwar nicht mehr, von einem belebten Zentrum darf man an der Kreuzung von Podbielski- und Sutelstraße dennoch sprechen. Am Tor zu Bothfeld haben sich im Laufe der Jahre viele Geschäfte angesiedelt. Und dort, wo das Gastwirtsehepaar Helene und August Noltemeyer 1897 die Ausspannwirtschaft „Klein Buchholzer Turm“ eröffneten, wird auch heute noch gegessen und getrunken. Standen zu Noltemeyers Zeiten noch Sülzkotelett und Schlachteplatte auf der Karte, serviert Georgios Ignatidis in seinem Bistro Spesso heute Pizza und Pasta.

Mehr als integriert Bothfeld hat für Kai Oertelt fast alles die möchte ich auch ausfüllen“, betont er. Deshalb plant Oertelt nun den nächsten großen Schritt. Er möchte die GiB-WG verlassen und eine eigene Wohnung beziehen – am liebsten vis-à-vis zu den Wohngruppen. Dafür wünscht er sich die Unterstützung durch das neue GiB-Angebot des ambulant betreuten Wohnens für Menschen mit Körperund Mehrfachbehinderung. „Wir freuen uns, Menschen auf ihrem Weg begleiten zu können – so wie es ihrem Bedarf entspricht“, sagt Jutta Blume. Es gibt noch einen Anreiz für ihn, in dem Stadtteil zu bleiben, der ihm so vertraut ist. In Bothfeld wird er als Mensch wahrgenommen, nicht als „der Behinderte von denen da drüben“. Das ist ihm wichtig. „Ich möchte voll inkludiert sein“, betont er. „Die im Stadtteil stetig wachsende Selbstverständlichkeit des Miteinanders zwischen Menschen mit und ohne Behinderung ist, so Blume, eine gute Voraussetzung auf dem Weg zur Inklusion. Wir freuen uns darüber für Bothfeld und als Anbieter der Eingliederungshilfe für die Menschen, die sich für eines unserer Angebote hier am Ort entschieden haben.“

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Einrichtungsleiterin Jutta Blume und der Gruppenleiter Bernd Köhne (links) planen mit Kai Oertelt seinen Auszug aus der Wohngruppe für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung und die ambulante Betreuung in einer eigenen Wohnung.

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