Vorschau Frühjahr & Sommer 2023
Nikola Richter Verlegerin mikrotextLiebe Leserinnen und Leser, liebe Freunde des Verlags,


die Krabbe, die auf dem Vorschaucover tänzelt, nennen wir liebevoll »Schrimpi«. Sie tummelt sich hoffentlich in großen Schwärmen im hoffentlich nicht allzu verschmutzten Meereswasser. In einigen asiatischen Ländern ist sie ein Symbol für ein langes Leben und Erneuerung. Das passt doch gut zu unserer Verlagsgeschichte, denn Anfang 2023 wird mikrotext zehn Jahre alt! Wir werden das feiern, feiern Sie mit uns! Alle Details auf mikrotext.de.

Die Texte, die wir im Frühjahr veröffentlichen, stellen auch ein Miteinander ins Zentrum. Der Essay von Pulad Mohammadi möchte das künstlerische Schaffen wieder in die Mitte der Gesellschaft rücken. Der Debütroman von Elfi Conrad schaut mit den Augen einer älteren Erzählerin auf ihr Teenager-Ich in den westdeutschen 1960ern, auf die sexuelle Sehnsucht zwischen autoritären Körpern. Und Undine Materni beschließt ihre Reihe von Erzählungen über Frauenleben in der DDR – eine Autorin, die sich zu entdecken lohnt.
Ihre

NEU IM MÄRZ
Diese Vorschau wurde auf Recyclingpapier gedruckt.
»Am besten wäre wahrscheinlich jetzt Gruppentherapie für alle.« Puneh AnsariFoto: Sarah Eick (li.), privat (re.) Umschlag: Mohammadi (Krabbe), Lydia Salzer (Gestaltung)
Pulad Mohammadi

Strategien gegen die Kunst Essay Erscheint im März 2023

E-Book 2,99 EUR ISBN 978-3-948631-34-5
› Kunst
› Sinnhaftigkeit
Wenn die Kunst keinen relevanten Einfluss mehr auf das Leben habe, dann müsse der Sinn der Kunst in Frage gestellt werden – so argumentierte einmal Beuys. Dieser Zustand ist laut Pulad Mohammadi längst erreicht. Sein Essay beschreibt die Missstände der Kunstbranche aus der Perspektive der Künstlerinnen und Künstler und setzt diese in einen gesellschaftlichen Zusammenhang. Eine neue Form von Gemeinschaftlichkeit und das Ziel, sich wieder mit dem Gemeinwohl zu verbinden, könne das künstlerische Schaffen wieder in die Mitte des Lebens bringen.
Pulad Mohammadi, geboren 1981 in Teheran, studierte zunächst Volkswirtschaftslehre und dann klassische Malerei in Florenz und Düsseldorf. Zeitgleich besuchte er Lyrikseminare bei Durs Grünbein. Als ihn 2017 ein Burnout dazu zwang, die Malerei zu pausieren, fand er im Schreiben ein neues Ausdrucksmittel. Er gründete eine Familie und entschied sich gegen eine Rückkehr ins Künstlerleben.
»Wo verschlungene Wege und Bäche einander streiften, verbanden Kanäle den Park und führten meine Augen. Wie gepflegt hier alles war. Wie viel tägliche Mühe es brauchen musste, den Ort zu kultivieren.«
Es ist Sommer.
Ich trage hohe spitze Stöckelschuhe (man sagt nicht High Heels), ein enges geripptes Oberteil mit kurzen Ärmeln (es gibt noch keine Tops mit Spaghettiträgern), einen breiten, die Luft abschnürenden Ledergürtel und einen schwingenden Rock mit großen blauen Blumen. Der Rock reicht über die Knie, aber durch den Tüllpetticoat steht er hoch. Es ist kalt. Die Kälte kriecht vom Boden meine nackten Beine herauf und nur an dieser Nacktheit kann ich erkennen, dass es Sommer sein muss. Im Oberharz, in den es meine Eltern nach der Vertreibung aus Niederschlesien verschlagen hat, ist es auch in den Sommermonaten kalt.
Mein Heimatort liegt sechshundert Meter über dem Meeresspiegel. Die technische Universität, die damals noch Bergakademie heißt, wird scherzhaft als die einzige Uni mit zwei Wintersemestern bezeichnet. Im Winter liegt der Schnee meterhoch, ergibt auch in der Stadt eine feste Eisdecke, die mit Sand bestreut wird. Auf dieser Decke spazieren wir mit Stöckelschuhen und Nylonstrümpfen, die an Strumpfhaltern gehalten werden, zu Partys und Klassenfesten statt in unseren Stiefeln.
Mir ist nur so lange kalt, bis mich der erste Junge zum Tanzen auffordert. Come on let's twist again, like we did last summer. Die Klassenkameraden tanzen Foxtrot dazu. Den neuen Tanz Twist tanzt man getrennt, ohne sich anzufassen. Er ist in dem Bergstädtchen noch nicht angekommen.


»Am Beispiel eines freien Falls in die Schulklassen und Beatkeller der sechziger Jahre, aus der Perspektive der alten wie der jungen Frau, scheint Phil Miras/Elfi Conrads in früheren Büchern bewiesene Fähigkeit auf, mitreißende Handlung, psychologische Analyse und Portrait einer Zeit zu verweben.«
Bodo MorshäuserElfi Conrad, geboren 1944, wuchs im Harz auf, studierte Musik und Deutsch in Hamburg und lebt jetzt in Karlsruhe. Mit Leib und Seele lehrte sie an Schulen und an einer Hochschule. Daneben vertiefte sie sich in die Fächer Kognitionswissenschaft und Semiotik, in denen sie promovierte. Sie veröffentlichte bisher Gedächtnis und Wissensrepräsentation (Olms-Verlag) und mehrere Romane unter ihrem Twitter-Namen Phil Mira, @philmira11.

Anfang der 1960er Jahre:
sexuelle Tabus, veraltete Frauenbilder, patriarchale Strukturen. Für die Erniedrigung, die sie jeden Tag erlebt, will sich die 17-jährige Dora rächen. Ihr Opfer ist der Musiklehrer, ihre Waffe ist ihre Weiblichkeit. Mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln möchte sie ihn verführen.
Der Verführer von Doras Mutter war Adolf Hitler. Als Vertriebene aus Niederschlesien hängt sie ihrer Heimat und dem NS-Regime nach. Die Erzählungen der Mutter und die Folgen des Zweiten Weltkriegs prägen Doras Leben. Sechzig Jahre später schaut die IchErzählerin auf ihre Jugend im Oberharz zurück, ordnet kritisch ein und verknüpft ihre Erinnerungen mit der Gegenwart.
Elfi Conrad Schneeflocken wie Feuer Roman Erscheint im Mai 2023 Hardcover

ca. 260 Seiten 26 EUR ISBN 978-3-948631-33-8
E-Book 14 EUR ISBN 978-3-948631-34-5
› BRD der 1960er
› Post-Nationalsozialismus
› Sexuelle Revolution
Undine Materni Sonnenblumen auf blauem Grund Zwei Erzählungen Erscheint im Juni 2023
E-Book 2,99 EUR ISBN 978-3-948631-35-2


Wie trauert man um eine Mutter, in deren Leben man selbst kaum Platz gefunden hat? Und wie wird man dann selbst von einer Frau zur Mutter?
Die Protagonistinnen in Undine Maternis zwei neuen Erzählungen Sonnenblumen auf blauem Grund und Flugzeuge kommen klar, auch wenn es kräftezehrend ist: Da muss die Wohnung der Verstorbenen leergeräumt werden, da muss ein Kind ohne Vater einen Namen bekommen. In einer genauen und doch auch einfühlsamen Sprache schreibt die Dresdner Autorin davon, was Verlust auslöst, und dass es nur einen Weg gibt, die Leere zu überwinden: das Leben mit Leben füllen.

»Ein Kind wird in die Geschichte geboren.
Es könnte Ernestina heißen, Henriette oder Ursula, Maik, Jonas oder Augustin. Aber das Kind schüttelt sich unter all den Namen, wirft sie ab wie eine Decke, die über die Haut scheuert.«Foto: Peter R. Fischer BISHER ERSCHIENEN
Endlich alle Erzählungen der Dresdner Autorin Undine Materni in einem Buch versammelt.
Vom Folgen und Bleiben verknüpft vier Generationen miteinander in der Frage, wie man als Frau in der Gesellschaft, die einen umgibt, ist, existiert, sich entwickelt: Da sind die Großeltern mit ihrem prächtigen Garten, die sich mit kleinen Gesten bei ihrer harten Arbeit beiseitestehen. Da ist die Mutter, die in der für Alleinstehende harten Gesellschaft verbittert. Die Tochter geht mit ihrem eigenen starken Willen weiter, und schließlich kommt ein Kind, das wieder vieles aufwühlt, aber auch Platz macht für Neues. Eine Suchbewegung durch die Zeit.
Undine Materni, geboren 1963 in Sangerhausen, lebt als Autorin, Literaturkritikerin und Lektorin in Dresden. 2000 erhielt sie den Literaturpreis des MDR und 2008 den Literaturförderpreis des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst.

Undine Materni Vom Folgen und Bleiben Erzählungen Erscheint im Juni 2023
Taschenbuch ca. 100 Seiten 18 EUR ISBN 978-3-948631-36-9

› Frausein › Ostdeutschland › Prosa zum Entdecken
»Wie lässt sich eine Sprache finden, um einem Leben gerecht zu werden? Wo die meisten von uns vergeblich darum ringen, benötigt Undine Materni nur eine Gardine, den Geruch von Weichspüler und die Erinnerung an Heringe, um ein ganzes Leben in all seiner Einzigartigkeit sichtbar zu machen.«
Christine Koschmieder Für Leserinnen und Leser von TOVE DITTLEVSEN, RACHEL CUSK UND ANNIE ERNAUX.»Ein Buch, das einen wie ein Blitzschlag trifft und einen mit einer anderen Sicht auf die Welt zurücklässt. Eine definitive Leseempfehlung.« — Denis Scheck, SWR Lesenswert
»Ein manchmal leises, sanftes, verletzliches Buch, oft aber ein ebenso wütendes, verletztes, aufbegehrendes Buch. Vor allem aber ist es ein virtuos komponiertes Sprachkunstwerk, dem man sich nicht entziehen kann.« — Gerrit Wustmann, Qantara »Flirrender, eigenwilliger Debütroman.« — Insa Wilke, Süddeutsche Zeitung
