LEADER Mai 2020

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Corona

«Flucht, Erstarrung oder Kampf» Das Corona-Virus bestimmt derzeit den Alltag der Bevölkerung, der Politik und der Wirtschaft. In dieser Situation lancierten die IHK St.Gallen-Appenzell und die IHK Thurgau bisher drei Umfragen bei über 2000 Mitgliedunternehmen, um sich ein genaueres Bild zur Verfassung der Ostschweizer Wirtschaft zu machen und die Risiken und Zukunftsperspektiven besser einschätzen zu können. Die jüngste Umfrage war Ende April. Im Gespräch schätzt Alessandro Sgro, Chefökonom der IHK St.Gallen-Appenzell, die Wirtschaftslage in der Ostschweiz ein.

Alessandro Sgro, wie geht es den Unternehmen in der Ostschweiz derzeit? Sie sind mehrheitlich gut ins neue Geschäftsjahr gestartet. Das hat sich spätestens ab Anfang März stark verändert: Auch die Ostschweizer Wirtschaft hat die Corona-Pandemie mit voller Wucht getroffen. Neun von zehn Unternehmen haben deutliche Erschwernisse in der aktuellen Geschäftsentwicklung.

«Zwei Drittel der Umfrageteilnehmer gehen davon aus, in den nächsten vier Wochen keine Kündigungen aussprechen zu müssen.» Was sind die grössten Herausforderungen? Über zwei Drittel der befragten Unternehmen verzeichnen eine deutlich tiefere Nachfrage nach ihren Dienstleistungen und Produkten und rechnen nicht mit einer baldigen Besserung. Es gehen viel weniger Bestellungen ein, Aufträge werden storniert. Dieses Bild hat sich vom Zeitpunkt unserer ersten Umfrage bis zur dritten Ende April 2020 stets bestätigt. Eine weitere Erschwernis ergibt sich in Bezug auf Grenzschliessungen und bei den Lieferketten: Hier bestehen Verzögerungen oder gar Unterbrüche. Eine zentrale Herausforderung für die Exportwirtschaft ist die faktische Aufhebung der Personenfreizügigkeit. Welche Branchen in der Ostschweiz trifft die Coronakrise am meisten? Beim Rückgang der Nachfrage sind der Industrie- sowie der Dienstleistungssektor gleichermassen betroffen. Akzentuiert LEADER | Mai 2020

haben sich die Erschwernisse in Bezug auf die Grenzschlies sungen. Im Maschinenbau, der besonders stark auf Fachkräfte aus dem Ausland sowie auf internationale Reisetätigkeit für Produktdemonstrationen, -montage und -abnahme angewiesen ist, verzeichneten im April gar 58 Prozent der Unternehmen Schwierigkeiten. Gerade für den stark exportorientierten Ostschweizer Industriesektor sind offene Grenzen für Fachkräfte entscheidend. Viele Unternehmen beklagen deutliche Umsatzeinbussen. Was bedeutet das für ihre Existenz? Fehlt der Umsatz, fehlt Geld im Unternehmen. Dennoch stehen viele Unternehmen finanziellen Verpflichtungen gegenüber. Zahlreiche Umfrageteilnehmer rechnen mit Liquiditätsproblemen. Je kleiner ein Unternehmen ist, desto akuter ist das Problem. Grössere Unternehmen verfügen über mehr Reserven. Als Sofortmassnahme ging es darum, die Unternehmen mit dem nötigen «Sauerstoff Liquidität» zu versorgen. Diese hat mit den Überbrückungskrediten des Bundes sofort und in der Breite funktioniert. Sie sind neben der Möglichkeit der Kurzarbeit ein wichtiger fiskalpolitischer Stabilisator, um die Existenz der Arbeitsplätze zu sichern und die im Grundsatz funktionierende wirtschaftliche Struktur für die Zeit nach der Krise aufrechtzuerhalten. Der Bund stellt für die Wirtschaft insgesamt über 60 Milliarden Franken bereit, die Kantone haben ebenfalls ergänzende Massnahmenpakete geschnürt. Reicht das? Wir sind in einem engen Austausch mit den Volkswirtschaftsdepartementen der Ostschweizer Kantone, Branchenverbänden sowie vielen Unternehmen. Was man sagen kann: Die Sofortmassnahmen des Bundes zeigen grösstenteils unmittelbar Wirkung, und zwar am richtigen Ort. Wir sind überzeugt: Wenn mehr Liquidität erforderlich ist, wird der Bundesrat Anpassungen machen. Bis jetzt ist das aber nicht der Fall.


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