LEADER Mai 2020

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Wirtschaft

Nur vier Personen pro Tisch: Das Öffnungskonzept des Bundesrats für Gastrobetriebe schreibt strenge Regeln vor.

Der LEADER-Faktencheck: Versicherungsbedingungen Viele Gastrobetriebe haben zwar eine Epidemieversicherung abgeschlossen. Trotzdem werden sie von ihren Versicherungen nicht entschädigt, weil die WHO die Ausbreitung des Coronavirus – wenige Tage vor dem bundesrätlichen Lockdown – als Pandemie eingestuft hat. Dies führte zu Kritik an der Versicherungsbranche, so etwa an der Helvetia mit Hauptsitz in St.Gallen. Zu Recht?

Eine Epidemie ist zeitlich und örtlich begrenzt. Typisches Beispiel ist ein Salmonellenausbruch in einem Restaurant. Pandemien hingegen treten global auf und sind daher nur sehr beschränkt versicherbare Ereignisse. Die Risiken einer Pandemie sind kaum kalkulierbar und können enorme Folgen nach sich ziehen. Wichtige Grundmechanismen für Versicherungen wie etwa der Ausgleich im Kollektiv funktionieren bei einer Pandemie nicht, da nicht mehr nur einzelne Kunden betroffen sind, sondern nahezu alle. Schutz von Versicherung und Versicherten Jetzt sind viele Gastrobetriebe zwar gegen Epidemien versichert, nicht aber gegen Pandemien. Dieser Ausschluss ist von Versicherungsseite wohlüberlegt, da Pandemien eben nur sehr beschränkt versicherbar sind. Ausschlüsse sind für Versicherungen ein wichtiges Instrument zum Schutz der Versicherung vor existenzgefährdenden Grossrisiken. Dies ist einerseits im Interesse aller Prämienzahler und andererseits auch im Interesse der Zielgruppe. Denn ohne diesen Ausschluss wäre die Prämie einer solchen Versicherung kaum zahlbar. Eine Versicherung ist nämlich verpflichtet, im Sinne aller Versicherten zu handeln. Versicherungen hätten auch mit negativen Reaktionen von «normalen» Versicherten rechnen müssen, wenn sie die Ausfälle der Gastronomie übernommen und damit zu einer Prämienerhöhung von allen anderen beigetragen hätten.

Die Helvetia «spart» mit ihrem Vorgehen allerdings nicht direkt Geld: Für Schadenfälle, für die gemäss den Versicherungsbestimmungen keine Deckung besteht, wurden ja auch keine Prämien erhoben. Reputation vs. Kalkulation Doch es geht auch anders: Die Mobiliar etwa unterscheidet nicht zwischen Epidemie und Pandemie. Sie deckt diese Risiken in der Sachversicherung über ein Zusatzangebot ab. 2020 werden dadurch ausserordentliche Kosten von bis zu 400 Millionen Franken auf die Versicherung zukommen – und das bei einem Jahresgewinn von knapp 500 Millionen. Böse Zungen aus der Versicherungsbranche lästern, die Helvetia hätte einfach die besseren Anwälte bei der Ausgestaltung der Vertragsbedingungen gehabt. Deshalb sei die Unterscheidung zwischen Pan- und Epidemie ausformuliert worden, während das die Mobiliar übersehen hätte. Ob gewollt oder ungewollt – für das Image der Mobiliar dürfte ihre Grosszügigkeit Gold wert sein. Das hat nun auch die Helvetia gemerkt: Anfang Mai machte die St.Galler Versicherung «ihren» Wirten doch noch ein Angebot. Sie will den betroffenen Versicherungsnehmern die Hälfte der ungedeckten Kosten und des Gewinnausfalls von Mitte März bis Ende Mai vergüten. Text: Stephan Ziegler Bild: zVg

LEADER | Mai 2020

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