
3 minute read
Darf ich bitten?
Die Wiener Ballkultur hat so manche individuelle Eigenheit wie einen Mann für gewisse (Tanz)Stunden, imperiales Flair und ein bisschen anarchisches Chaos, wenn die „Hose“ auf das „Huhn“ trifft.
Zeugnis! Herr Billy Wilder war in unserem Hause vom 15. Oktober 1926 bis heute als Gesellschaftstänzer tätig. Herr Wilder hat es verstanden, in seiner Eigenschaft als Tänzer sich dem verwöhntesten Publikum in jeder Weise anzupassen. Er hat sich auf seinem Posten gut bewährt und die Interessen des Hauses stets wahrgenommen. – „Also habe ich es schwarz auf weiß, dass ich zwei Monate lang Tänzer, Gesellschaftstänzer, mit einem Wort: Eintänzer gewesen bin… Es kam so und war wie hier folgt: Es ging mir schlecht. Meine Hosen sind ungebügelt, mein Gesicht mangelhaft rasiert, der Kragen schmierig, die Hemdmanschetten gewendet. Bitter schmeckt die Zunge, bleischwer die Beine, der Magen schmerzt vor Leere, und die Nerven sind kaputt. Hinter jedem Türklopfen das giftige Gesicht der Wirtin, kreischend und die Rechnung in den Fingern. Die Straße besteht für mich aus Delikatessgeschäften, Restaurants und Konditoreien, und ich halbiere meine Zigaretten, damit sie länger währen. Es geht mir schlecht. Heute werde ich im Bahnwartesaal schlafen“, so der Auszug aus der legendären vierteiligen Reportage von Billy Wilder, die im Jänner 1927 in der BZ veröffentlicht wurde. Notgedrungen und mühsam verdiente sich Wilder auf seinem Zwischenstopp im Berlin der Zwanzigerjahre allabendlich 5 Mark als Eintänzer im noblen Hotel Adlon am Pariser Platz – noch weit weg von Hollywood und Oscar-Nominierungen, aber schon damals mit einem ungeheuren Gespür für den Wahnwitz des Lebens, feinsinnige Pointen und zwischenmenschliche Konstellationen.

Warum diese kleine Zeitreise in die Vergangenheit? – Was wie aus einer anderen Ära anmutet, hat bis heute in der Bundeshauptstadt Tradition. Auf Wiens Bällen schwofen vor allem junge Männer, seltener Frauen, über das Parkett, die dafür gebucht wurden und sich als Eintänzer, pardon heute lautet die Bezeichnung etwas unverfänglicher „Taxitänzer“, ein Zubrot verdienen. Sichere Schritte, tadellose Manieren, elegante Kleidung – so lautet das Anforderungsprofil eines Miettänzers. Auf manchen Bällen wie dem Philharmoniker Ball gibt es gar einen eigenen Taxistand. So können sich Tanzbegeisterte auch solo oder in Begleitung eines Tanzmuffels auf einen Ball wagen, ohne am Ende das Dasein als Mauerblümchen am Rande des Parketts oder an der Bar zu fristen oder auf die Aufforderungsqualitäten des starken Geschlechts zu hoffen: Selbst ist eben die Frau!
„Aufmascherln“. Wiens Balltradition ist weltberühmt. Kein Wunder, öffnen die schönsten imperialen Bauten doch ihre Pforten: Ob Hofburg, Rathaus, Staatsoper oder Musikverein – hier kann man den Luxus nachempfinden, der noch vor hundert Jahren ausschließlich der Hocharistokratie vorbehalten war. Pünktlich zu Faschingsbeginn am 11. 11. startet die Ballsaison mit einem öffentlichen Walzer-Tanzen in der Innenstadt. Mehr als 450 Bälle finden jedes Jahr in Wien statt. Sie beginnen traditionell um 22 Uhr und dauern, je nach Kondition, bis in die frühen Morgenstunden.
Doch zunächst muss man sich „Aufmascherln“, um später zu brillieren. So sind ein (boden)langes Abendkleid sowie
Tradition. Wiens Balltradition ist weltberühmt. Kein Wunder, öffnen die schönsten imperialen Bauten doch ihre Pforten: Ob Hofburg, Rathaus oder Musikverein – hier kann man den Luxus nachempfinden, der noch vor hundert Jahren der Hocharistokratie vorbehalten war.
Smoking, Frack oder Gala-Uniform mit Masche auf Bällen wie etwa dem bereits erwähnten Philharmoniker oder Concordia Ball Pflicht – der Einlass im Falle der Missachtung dieses Dresscodes wird dann auch knallhart verweigert. Da hilft kein Betteln: Tradition ist eben Tradition! Die entsprechende Robe muss allerdings nicht gekauft, sondern kann auch praktischerweise geliehen werden. Zahlreiche Adressen bieten diesen Service, inklusive fachkundiger Schneiderinnen, die den gewünschten textilen Traum für den einen Abend den jeweiligen Rundungen geschickt anpassen.


Anarchisches Chaos. Ein Crashkurs, um die eingerosteten Tanzschritte in einem Blitzkurs aufzufrischen, vermittelt (trügerische) Sicherheit. Im Fokus stehen, neben den Standardtänzen, klar der Walzer sowie die Quadrille – also jener Gemeinschaftstanz, der zu mitternächtlicher Stunde vollführt wird und mit Figuren wie der Hose und dem Huhn die belustigte Gesellschaft in ein anarchisches Chaos stürzt. Gerade beim
Walzer ist es eine Herausforderung, in der Rempelei zwischen schnell drehenden Tanzwütigen irgendwie die Spur und vor allem das Tempo zu halten. „Auf dem Parkett drängen sich die Paare, treten einander auf die Füße, keuchen und boxen. Eine einzige Fleischmasse, im Rhythmus wie Sülze zitternd“, hatte Billy Wilder einst geschrieben, doch ganz so schlimm ist es nicht, wobei einem von der schnellen Dreherei und dem Gedränge schon ab und an schwummrig werden kann: Umfallen ist in der Masse an Tanzwütigen aber praktisch unmöglich. Wer Abwechslung zum Dreivierteltakt braucht, kann in den Nebenräumen zu Discobeats den Körper rhythmisch schütteln.

Traditionell wird jeder Ball von den Debütant(inn)en mit einer Polonaise eröffnet, erst nach den Worten „Alles Walzer“ dürfen alle Besucher(innen) aufs Tanzparkett. Die Wiener Ballsaison hat ihren Höhepunkt im Jänner und Februar, wobei einer der schönsten Bälle im Sommer stattfindet. Der Concordia Ball ist aber nicht nur einer der stimmungsvollsten, sondern auch ältesten und gehobensten Tanzveranstaltungen der Bundeshauptstadt. Das war schon in Zeiten der Monarchie so, als Kronprinz Rudolf regelmäßig hier gesichtet wurde. Erstmals arrangiert wurde er am 19. Jänner 1863. Seit vielen Jahren findet der Concordia Ball allerdings im Sommer im Rathaus an der Ring-
