Lokale Stadtausgabe September 2011

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stadtausgabe september 2011

• Hans-im-Glück 2.0 •

Hier kommt „Generation Tausch“

Schafft den Euro ab! Als Schülerin habe ich permanente Euronot. Mein Taschengeld reicht für meinen Shopping- und Feierkonsum nie aus und regelmäßig ist am Ende des Geldes noch verdammt viel vom Monat übrig.

A

lso krame ich eine rosa Büroklammer aus meinem Schreibtisch und ziehe los. Weil Büroklammern leider noch nicht als Zahlungsmittel anerkannt sind, auch nicht die in rosa, habe ich eben vor, anstelle mir etwas zu kaufen, halt etwas schönes zu tauschen. Erste Anlaufstation ist Listmann am Höfchen. Die nennen sich nämlich: „Das Haus für Kreative“. Dementsprechend geht es mit Wonne rein. Bei Listmann gibt’s allerlei Kleinkram und bestimmt können die auch meine Büroklammer gebrauchen. Also frage ich mich durch zu „Herrn Listmann“, der, wie sich herausstellt gar nicht Herr Listmann heißt, aber Geschäftsleiter ist. Der schaut erst mal verdrießlich, als ich den Kopf in sein Büro strecke, ihm einen wunderschönen Tag wünsche und sage, dass ich eine Büroklammer tauschen möchte.

Nur nicht abbügeln lassen „Herr Listmann“ macht prompt die Schotten dicht: „Nee, hier kommen Sie damit nicht weiter“, protestiert er. Aber so schnell lasse ich mich nicht abbügeln. Also wird der treuherzigste Rehblick unter der ganzen Sonne aufgezogen. Ganz spontan kiekst es aus mir heraus: „Und wenn ich ihnen sage, dass es für meine erste Zeitungsmagazingeschichte ist… ?“ Nun hab ich ihn. Einen Seufzer und ein Kopfschütteln später fragt er mich, was ich denn für „das Ding“ haben möchte. „Wie wäre es mit einem Stift? Einem Buntstift“, versucht er es. Ich gebe mich wählerisch: „Aber der ist ja blau, haben sie nicht etwas für Mädchen?“ Schließlich möchte ich nichts, was mir nicht gefällt, auch wenn ich meinen neuen, lila Buntstift nicht lange behalten will. Also direkt weiter und ab in die Drogerie Müller hinein. In der Kosmetikabteilung fühle

ich mich sofort sehr wohl und frage „Frau Müller“ ob sie etwas zum Tausch gegen meinen lila Buntstift hätte. „Frau Müller“ zeigt sich cool vorbereitet auf ein solches Handelsgeschäft. Scheinbar bin ich nicht die einzige mit chronischer Euronot. Frau Müller bietet trotzdem ganz lieb eine Probe von „Flora by Gucci Perfumed Body Lotion“. Natürlich schnupper ich zur Sicherheit vorher. Aber der Duft gefällt mir und Frau Müller bekommt ihren lila Buntstift zu ihrem lila Lidschatten. „Ein lila-langes Leben – pardon – alles Gute, Frau Müller, wünsche ich!“.

Eine ganze Kerlefront Nun ganz Frau spaziere ich in den nächsten „Ich fühl mich wohl“-Laden und ergattere im „Body Shop“ in der Schusterstraße die reguläre Flasche des Duschgels „Love Etc...“. Mit dem Duschgel spaziere ich zu „Brettwerk“ in die Betzelsstraße. Zwei Kerle stehen hinter der Ladentheke. Seite an Seite. Eine ganze Kerlefront eben. Und um der Front das rosabunte Duschzeug anzudrehen muss ich jetzt Frontalattacke fahren. Also frage ich sie zum Gesprächseinstieg „spontan“, ob sie feste Freundinnen hätten. Und ernte darauf prompt zwei verdutzte Blicke. Merke: In jedem Kerl steckt doch eben ein Junge. Natürlich kommt es mir dann entgegen, dass sie tatsächlich eifrig versichern in guten Händen zu sein. Und deshalb bin ich die Plastikflasche „Rosa-machtdich-unter-der-Dusche-glücklich“ auch ratzfatz los. Allerdings gegen ein „Eyeland“-Riesenplastikungetüm des Designers Jethro Haynes. Angeblich stellt man sich so etwas in die Wohnung um es von Freunden bewundern zu lassen. Jedenfalls, als ich damit die Fußgängerzone entlang wackele, ziehe ich nur jede Menge verwunderte bis mitleidige Blicke auf mich.

Gummibärchen und BH Also damit zum Ganzschnellwegtauschen hinein ins „Svendsen“. Allerdings wollen „Svendsens“ mir für meine Designerskulptur lediglich Kleiderbügel andrehen. Für immerhin eine Designerskulptur. Darüber ziemlich entrüstet

wechsele ich sofort zu „Peoples Place“. Bekanntlich gehören ja Svendsen und Peoples Place zusammen. Und siehe da, für mein Plastikmonster erhalte ich dort eine „Converse-Box“. Tja, Svendsen … und ihr wolltet ihr mir eure ollen Kleiderbügel andrehen. Weiter geht’s. Im „PiecesAccessoires“ in der Römerpassage gibt es für die Box eine Einkaufstasche. Plus Gummibärchen und Yogurette. Und obendrauf bei Hussel-Confiserie nicht nur eine Pralinenschachtel sondern noch eine ganze Lufttüte voller Zuversicht, dass ich es bestimmt irgendwann mit meinem Tauschehrgeiz bis zum „superduper“ Auto schaffe. Kurz vor ihrem Feierabend nimmt am Leichhof „Frau Potpourri“ dann liebend gerne meinen „SüßkrempelkramPotpourri“ an. Ihr Angebot, ein „Danke-Herz“, muss ich allerdings entschieden ablehnen. Stattdessen entscheide ich mich für ein KaffeekassenSparschwein. Das kann ich bestimmt gut weitertauschen, denn schließlich sollte jedes ordentliche, ordentlichgeführte Ladengeschäft eine Kaffeekasse brauchen. Allerdings erweist sich schon bald, wie sehr ich mich mit meiner Vorstellung zum Kaffeekassennotstand verkalkuliert habe. In meinen nächsten Läden, überall das gleiche Bild. Sozusagen eine hausgemachte Schweinerei. Und auch im „Mainzer Socken Eck“ in der Augustinerstraße sitzt

schon ein Schweinchen ganz frech neben der Kasse. Dazu ist „Frau Sockeneck“ nicht gerade begeistert von meiner Tauschstory. Nachdem ich sie überzeugt habe, nicht zu den bösen Schmierfinken zu gehören, fragt sie mich, ob ich mein Schweinchen gegen einen BH tauschen möchte. Doch muss ich sie enttäuschen, obwohl ich Allerweltsgröße habe, erscheint mir ein euroschweres Nackenkissen besser geeignet zu sein für meine weitere rosarote Tauschgeschäftzukunft.

Mannsbild braucht Schneidebrett Ich peile unverzüglich das „Cookmal! Erlebniswelt des Kochens“ in der Römerpassage an. Und werde dort prompt selbst „abgekocht“. Beim Nachgoogeln stellt sich heraus, dass der Preis des Zassenhaus-Schneidebretts, das mir „Frau Cookmal“ angetauscht hat, genauso ist, wie dessen hervorragende Eigenschaft, nämlich flexibel. Im Preis. Und das strikt nach unten. Zähneknirschen. Aber Kompliment an Frau Cookmal. Für mich, gegenüber meinem schönen, rotzteuren Nackenkissen, leider ein herber Rückschlag. Als ich im „ErgoSum“ stehe, um schnellstmöglich das Pleitebrett loszuwerden und „Herrn ErgoSum“ vor mir sehe, droht mir mein Herzilein tatsächlich in die Jeans zu rutschen. Was in aller Welt kann ein Mannsbild mit einem Schneidebrett anfangen? Doch etwa so viel wie ich mit

einem Schluck Rasierwasser. Und muss mich prompt eines Besseren belehren lassen. Mannsbild – braucht sehr wohl Schneidebrett. Weil begeisterter Koch. Und so geht eine Apple-Fernbedienung in mein Eigentum über. Dazu wird mir wird „ganz lieb“ nahe gelegt, meinem Lieblingsclub-DJ doch mal damit seine DJ-Mac-Performance etwas durcheinander zu bringen. Uuups … Kurz vor Geschäftsschluss. Schon auf den Heimweg, laufe ich noch schnell in der Gaustraße ins „Coffee & Clothes“ rein. Anfangs ein wenig skeptisch, halte ich nach inzwischen routinierter Überzeugungsarbeit einen Designer-Ledergürtel im Wert von 70 Euro in den Händen. Und falls es in Mainz nix wird, werde ich nach Wiesbaden wechseln, wo ja bekanntlich Überfluss herrscht. In einigen Dingen zumindest. Und das Spiel damit von vorn beginnen kann. „Ich möchte einen Dünkel tauschen“, lautet dann mein Startgebot. Und wenn dann die übliche Wiesbadener Antwort kommt: „Danke, wir haben schon zwei“, ist der Idealmoment gekommen, die spezielle Büroklammer zu zücken: „Und was bekomm’ ich dafür… ?“ Eins habe ich mir felsenfest vorgenommen: nicht im rosa Audi-TT-Cabrio nach Mainz zurückzukehren. Die Autorin besucht ein Mainzer Gymnasium


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