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Der Selbstversucher
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Der Mann wird international gefeiert, in Vorarlberg ist aber trotzdem vielen nicht so ganz klar, was er eigentlich tut. Dabei arbeitet der Schlinser Lehmbaupionier Martin Rauch (62) seit Jahrzehnten mit Leidenschaft am Puls der Zeit. Mit der marie sprach er über seinen persönlichen Werdegang, die Bedeutung von Schönheit, Sinn und Ökologie beim Bauen und warum am ältesten Baustoff der Welt in Zukunft kein Weg vorbeiführen wird.
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Text: Brigitta Soraperra Fotos: Laurenz Feinig
Vor mehr als vier Jahrzehnten ist er als 15-Jähriger nach fast zwölf Stunden Zug- und fünf Stunden Busfahrt vom äußersten Westen in den äußersten Osten Österreichs im burgenländischen Ort Stoob angekommen. Und dann als erstes gleich in eine riesige Lehmpfütze getreten, erzählt Martin Rauch lachend. Damit sei sein Schicksal besiegelt gewesen. Wir sitzen im Garten seines Ateliers in Schlins und haben es uns in einer kleinen, komplett aus Stampflehmwänden gefertigten Gartenlaube gemütlich gemacht. Er sei ein miserabler und unglücklicher Schüler gewesen, erzählt er weiter, der „zur falschen Zeit am falschen Ort das Falsche“ habe lernen müssen. „Ich habe das nur ausgehalten, weil ich daneben zeichnen, modellieren, spielen und ‚hüsla‘ konnte“. Martin Rauch galt in seiner Familie als „Träumer, der schon könnte, wenn er nur wollte“. Er wuchs als zweitjüngstes von acht Kindern auf einem kleinen Bauernhof in der sonnigen Walgaugemeinde Schlins auf. Sein Vater war der Maler und spätere Bürgermeister Albert Rauch, seine Mutter hieß Paula, vielen noch in Erinnerung als „Erdbeer-Paula“. Prägend war das Atelier des Vaters, der bereits zu Lebzeiten ein regional anerkannter Künstler war, und die Erdbeerplantagen der Mutter, die nach dem unerwartet frühen Tod ihres Mannes damit das Familieneinkommen sicherte. „Wir waren quasi Selbstversorger, es gab zwei Kühe, ein eigenes Gemüsefeld und immer viel zu tun.“ Da habe er das Zupacken gelernt, „ich habe nie Zweifel gehabt, dass ich etwas nicht schaffen kann, ich habe genauso Obst geerntet, Maschinen repariert, Kühe gemolken und aufgeräumt.“ Einzig die Schule habe ihn zur Verzweiflung gebracht und in der 5. Klasse Gymnasium hörte er mitten im Schuljahr auf.
Lehrjahre und Inspirationen

Sein Traum wäre eine Schule gewesen, in der man „nur zeichnen und modellieren“ hätte können „und sonst nichts“, sagt er heute, und sein Glück sei gewesen, dass ein mit der Familie befreundeter Keramiker die „Fachschule für Keramik und Ofenbau“ in Stoob kannte. Nach seinem abrupten Schulabgang habe man dort angerufen und zufällig war gerade ein Platz frei geworden. So landete der junge Martin Rauch im Zug, in der Pfütze und im tiefsten Mittelburgenland, wo er zum ersten Mal gerne in die Schule ging. Nach vier Jahren, in denen er in sämtlichen Ferien jeweils 17 Stunden nach Schlins zum „Schaffen“ gefahren war, schloss er mit den drei Berufen Keramiker, Fliesenleger und Ofenbauer ab. Seine Künstlerseele war damit allerdings noch nicht befriedigt. Die Ausbildung ermöglichte es ihm aber nun, ohne Matura an der Wiener Akademie für Angewandte Künste zu studieren, wo er die Keramikklasse von Maria Bilger und die Designklasse von Matteo Thun besuchte. „Dort habe ich angefangen, Bilder aus Lehm zu stampfen, mit verschiedenen Farben, Ornamenten und Einstreuungen“. Während seiner Studienzeit nahm er auch regelmäßig an den interdisziplinären Bildhauersymposien in St. Margarethen im Burgenland teil, die er bis heute zu seinen wichtigsten Inspirationsquellen zählt. Mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus ganz Europa und aus den verschiedenen Disziplinen Bildhauerei, Keramik, Malerei, Architektur einen ganzen Sommer lang gemeinsam leben, diskutieren und an einer Sache arbeiten sei sehr befruchtend gewesen. „Ich habe dort als junger Student in Eigenverantwortung riesige Holzbrennöfen gebaut, und durch die Auseinandersetzung mit der Landschaft habe ich angefangen, Schlammziegel herzustellen. Dort hat sozusagen mein Lehmbauen begonnen und mich bis heute nicht mehr losgelassen.“
Lehm-Ton-Erde
Seine Diplomarbeit war dann auch kein klassisches Teeservice, wie vom Professor eigentlich gefordert, sondern ein Projekt namens „Lehm Ton Erde“, für das er nicht nur den „Würdigungspreis des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung“ erhielt, sondern auch den Grundstein für seine heutige Arbeit und sein Unternehmen legte. „Diese drei Wörter haben für mich eine tiefe symbolische Bedeutung“, erklärt Martin Rauch. „Lehm ist das Symbol für das Handwerk und die technische Umsetzung, der Ton beinhaltet die Form, die Architektur und Schönheit, und Erde steht für Ökologie und den Kreislauf. Jedes Bauprojekt sollte das beinhalten: handwerklich sauber ausgeführt, schön gestaltet und nachhaltig in Material und Umsetzung.“ Nach einem Jahr als Gaststudent in der Architektur-Meisterklasse bei Wilhelm Holzbauer und dem Zivildienst in Wien, zog es ihn – mittlerweile glücklicher Familienvater – Ende der 1980er Jahre zurück nach Schlins, wo er bereits eine Werkstatt hatte und erste Aufträge erledigte. „Das waren am Anfang Kachelöfen, kleinere und größere Lehmarbeiten und das Haus meines Bruders“, erzählt er. Die Realisierung der Lehmwände in der pionierhaften, von Architekt Rudolf Wäger gestalteten Wohnsiedlung im Waldrain in Schlins war sein erster nichtfamiliärer Großauftrag. Auftraggeber war damals das renommierte Atelier Gassner, und Grafik-Koryphäe Reinhard Gassner trug wesentlich zur Bekanntheit von Martin Rauchs Arbeit bei. Gemeinsam gestalteten sie nicht nur eine Einzelausstellung im Feldkircher Palais Liechtenstein im Jahr 1988, in der Rauchs Diplomarbeit und Dokumentationen von den ersten Lehmarbeiten in Vorarlberg präsentiert wurden, sondern im Laufe der Zeit auch „meine vier wichtigsten Bücher, mit denen die Lehm-Idee ästhetisch und inhaltlich ansprechend vermittelt werden konnte“, erzählt der Schlinser Lehmbaupionier und Künstler. >> „Jedes Bauprojekt
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42 | Kalkuliertes Risiko

Spektakulär und wegweisend war dann die Umsetzung einer riesigen Lehmwand im Krankenhaus in Feldkirch im Jahr 1989, mit der Martin Rauch als Sieger aus einem „Kunst am Bau“-Wettbewerb hervorgegangen war. „Ich habe schon davor Wettbewerbe mit Bezug auf Lehm gewonnen, aber sie wurden nie realisiert, weil alle Angst hatten“. Denn noch war wenig bekannt, wie sich Lehm aufgrund der natürlichen Erosion als Baumaterial in unseren Breitengraden verhält und Forschungen und ziviltechnische Gutachten dazu gab es damals nicht. Sogar er selbst gibt zu: „Für mich war das Krankenhausprojekt schon ein wichtiges Projekt, weil es damals in Vorarlberg durchaus ein mutiger Schritt war, den Lehm dort hinein zu bauen.“ Schmunzelnd ergänzt er: „Ich habe den Entwurf eher als Jux abgegeben, nun musste ich überlegen, wie man das realisieren kann“. Sein Glück sei gewesen, dass bei einem „Kunst am Bau“-Projekt größere Freiheiten gegeben waren, „wir mussten kein statisches Gutachten abgeben, heute wäre so etwas undenkbar“. Und nun kommt ins Spiel, was den Erfolg der langjährigen Tätigkeit von Martin Rauch und seiner mittlerweile auf 26 Mitarbeiter*innen herangewachsenen Firma „Lehm Ton Erde Baukunst GmbH“ ausmacht: „Alle unsere Projekte beinhalten in irgendeiner Form einen Selbstversuch“, erklärt der 62-Jährige, „ich nenne das: kalkuliertes Risiko. Sozusagen sich ein bisschen aus dem Fenster lehnen, ohne dass man hinausfällt.“ Diese Herangehensweise beinhalte seiner Meinung nach etwas ganz Wesentliches für ein Unternehmen: „Sie sichert Innovation. Wenn ich alles auf 100 Prozent Sicherheit mache, dann gibt es keine Innovation.“
Die dritte Haut
„Kalkuliertes Risiko“ heißt für Martin Rauch aber auch, dass er einige entscheidende Projekte nicht im Auftrag für andere Bauherren gemacht hat, sondern zunächst für sich selber ausprobierte. Das betrifft beispielsweise sein Atelier, sein privates Wohnhaus und aktuell die neue Produktionshalle im Gewerbegebiet von Schlins. „Wenn es zunächst nicht so wird wie gedacht, dann lässt sich das durch Mehrarbeit ausgleichen. Das ist das Gute an der Arbeit mit Lehm, das Projekt ist deshalb nicht gefährdet.“ Selbstversuche haben für ihn „nichts mit Selbstüberschätzung zu tun, sondern einfach damit, gelassen etwas auszuprobieren und notfalls mittels Mehrarbeit zu kompensieren.“ Ein paar Beispiele: „Beim Atelier haben wir die Lehmwände außen ohne Isolation gemacht, weil es ja vor allem eine Werkstatt ist. Ich habe damals auch das erste Mal mit Kasein (Topfen als Kalkbindemittel) gearbeitet und auch mit dem Grasdach waren wir unserer Zeit voraus.“ Bei seinem eigenen Wohnhaus baute er so konsequent wie möglich ein Stampflehmhaus für unsere Breitengrade, „eine afrikanische Lehmhütte mit europäischem Standard“ sagt er scherzend, „mit der kalkulierten Erosion, zehn Meter hoch und voll dem Wetter ausgesetzt. Die Lehmwände sind auch erstmals statisch tragend, beim Atelier sind noch Stützpfeiler eingebaut.“ Ihm sei es wichtig gewesen, nur jene Materialien zu verwenden, die am Ende das Grundwasser nicht belasten. Man könne das Haus in der Fundamentgrube entsorgen, sagt Martin Rauch nicht ohne Stolz, „es ist keine Farbe im Spiel, nur Kasein und Ton, lauter natürliche Materialien, es ist nichts dabei, das auf eine Abfalldeponie müsste“. Diesen ökologischen Aspekt schätzt er genauso wie den dazugehörigen Wohlfühlfaktor, „es ist wie ein Organismus. Ein Haus ist ja auch die dritte Haut des Menschen, und da sollte man sich wohlfühlen.“
Weltweit einzigartig
Wohlfühlen sollte man sich aber auch in Arbeitsräumen, davon ist Martin Rauch überzeugt. „Ein schöner Arbeitsplatz ist wichtig, denn er ist werthaltiger, man geht lieber zur Arbeit, schaut besser auf die Dinge.“ Nicht zuletzt aus diesem Grund und auch, um die Lehmbauproduktion in größere Dimensionen überzuführen, hat er vor zwei Jahren mit einem weiteren spektakulären Selbstversuch begonnen: der neuen ERDEN Werkhalle in Schlins. „Die Halle entstand aus dem Bedürfnis heraus, dass meine Arbeit auch unabhängig von mir wird“, so der zurückhaltende Pionier. „Um die Zukunft des Lehmbaus zu sichern, braucht es ein Werkzeug, in „Alle unsere Projekte beinhal-
ten in irgendeiner Form einen
Selbstversuch. Das sichert
Innovation.“
dem die nächste Generation mein Know-how und Wissen weiterführen kann.“ Und so steht nun in der kleinen Walgaugemeinde eines der schönsten Industriegebäude des Landes, mit der wahrscheinlich größten tragenden Stampflehmmauer der Welt: Sie ist 67 Meter lang und acht Meter hoch. „In Italien wäre so ein Bau nicht möglich, dort gab es 2005 einen parlamentarischen Beschluss, dass Lehmbau nicht mehr für tragende Konstruktionen verwendet werden darf, obwohl es dort ganz viele Lehmhäuser gibt“, bedauert Martin Rauch die internationalen Entwicklungen im Baugewerbe. Die Restriktionen betreffen auch andere Länder und laufen seinen Erfahrungen völlig zuwider. „Lehm beinhaltet den höchsten Sicherheitsfaktor, nämlich 1:7, bei Beton ist es nur 1:2.“ Seine Halle ist deshalb auch ein Manifest und zeigt als „Forschungsprojekt“ sehr eindrücklich, dass es möglich ist, acht Meter hohe Lehmhäuser auch in Europa zu bauen. Und genau das ist das Ziel: „Es geht darum, den 10.000 Jahre alten Lehmbau in eine zeitgemäße Form zu überführen, denn wir tragen eine große Verantwortung, wenn wir bauen. Der Lehmbau ist glücklicherweise immer mehr im Fokus, weil im Hinblick auf die Klimakrise dringend neue Lösungen gesucht werden müssen, um die Umwelt weniger zu belasten. Und da ist Lehm für viele auch eine Lösung“, freut sich Martin Rauch. Es gehe nun darum, eine leichtere und kostengünstigere Verarbeitung zu entwickeln, um Lehm als attraktiven und zutiefst ökologischen Baustoff massentauglich zu machen. Auch dazu diene seine Halle, deren Herzstück „Roberta“ heißt, eine von „Lehm Ton Erde Baukunst GmbH“ entwickelte, einzigartige Maschine, mit deren Hilfe großflächige Stampflehmwände maschinell gefertigt werden können.
Kaffee statt Krone
Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, hier noch auf die weltweit durchgeführten Projekte von Martin Rauch und seinem großartigen Team einzugehen. Seit Jahrzehnten leisten sie sowohl in den Bereichen Wohn- und Gewerbebau wie Kunst und Forschung in gleichem Maße Wegweisendes wie bestechend Schönes. Es lohnt sich, eine Internetrecherche durchzuführen. Martin Rauch hat unter anderem mit Stararchitekten wie Herzog/De Meuron und Snøhetta und Weltklasse-Künstlern wie Olafur Eliasson und Simon Starling zusammengearbeitet. Mit der preisgekrönten Architektin Anna Heringer verbindet ihn eine innige, jahrelange Kooperation und Freundschaft. Gemeinsam sind sie davon überzeugt, dass „Bauen mit Lehm die Welt verändern kann“. Wenn man Martin Rauch aber auf seine internationalen Erfolge anspricht, die ihm Ehrendoktorwürden, Gastprofessuren und zahlreiche Preise eingebracht haben, dann weicht er aus, geht lieber noch einen Kaffee holen und meint: „Es freut mich einfach, dass ich mit meiner Arbeit sehr viele Initiativen und Menschen, die in dem Metier arbeiten, inspiriert habe. Denn das Sichtbarmachen der Möglichkeiten setzt auch bei anderen Ideen frei. Der Erfolg ist für mich eher die Bestätigung für die Sinnhaftigkeit unseres Tuns und ich bin dankbar, dass ich das zufällig am richtigen Platz in der richtigen Zeit gemacht habe.“
Literaturhinweise:
Otto Kapfinger, Marko Sauer (Hrsg.): Martin Rauch: Gebaute Erde. Gestalten & Konstruieren mit Stampflehm. Edition Detail, München 2015 (ISBN: 9783955532703) Anna Heringer, Lindsay Blair Howe, Martin Rauch: Upscaling Earth. Material. Process, Catalyst (Sprache: Englisch), gta Verlag, 2019 (ISBN-13: 978-3856763930)
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