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Es war relativ leicht“

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Bild des Monats

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Jürgen Seegerer (58) aus Dornbirn ist viel unterwegs. Zu Fuß. Meist allein. Das klingt im ersten Moment nicht wirklich spannend. Aber wenn man weiß, dass seine längste Reise fünf Monate, drei Wochen und zwei Tage gedauert hat, dann wird man hellhörig und bleibt am Ende staunend zurück.

Text: Frank Andres, Fotos: Jürgen Seegerer

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+++Heute auf dem Cobenzl, Kahlenberg und natürlich triumphaler und durstiger Einzug in Grinzing. Es muss nicht immer das große Abenteuer sein. Großartig. Wien wohl bald umlaufen.+++ Wir treffen uns in einem Café am Bahnhof Dornbirn. Es sind noch vier Tage bis Jürgen Seegerer zu seiner nächsten Wanderung aufbricht. „Frag mich bitte nicht, wohin es geht. Ich habe noch keine Ahnung. Es kann die Türkei, aber genau so gut der Spreewald sein. Es kommt ein bisschen auf die Großwetterlage an“, sagt er. Was er aber weiß, ist, dass er im Zelt schlafen will. „Es ist altersbedingt aber auch möglich, dass ich dazwischen eine Nacht im Hotel verbringe“ betont der 58-Jährige. Unterwegs ist er allein. „Ich möchte ungern, dass mich jemand begleitet“, gibt er offen zu. Es gehe ihm ums Laufen. Um das Naturerlebnis. „Der Weg ist das Ziel. Aber es ist natürlich besser, wenn der Weg schön ist“. Jürgen Seegerer ist aufgeregt und etwas nervös, wie er selbst zugibt. „Wenn ich nach zwei, drei Tagen spüre, dass es funktioniert, ich keine Blase habe und auch das Wetter mitspielt, werde ich immer entspannter.“ Und was passiert, wenn die zehntägige Wanderung vorbei ist? „Dann werde ich traurig sein.“ Übermäßig hart trainiert hat Jürgen Seegerer für seine Wanderung nicht. „Meine einzige Vorbereitung waren 10.000 Schritte pro Tag. Dafür brauche es aber Zeit, mindestens zwei Stunden. „Eine Strecke von umgerechnet 7,5 Kilometer in der Ebene machst du nicht, wenn du einkaufen oder auf einen Kaffee gehst. Das geht nur, wenn du die Strecke bewusst läufst“, ist der 58-Jährige überzeugt. Übrigens: Vier Tage nach unserem Treffen meldet sich Jürgen Seegerer samt Beweisfoto per E-Mail vom Startpunkt seiner Wanderung. Es ist aber weder die Türkei

+++ Von Bratislava nach Hainburg, die Frisur hält. +++

noch der Spreewald. „Heute auf dem Cobenzl, Kahlenberg und natürlich triumphaler und durstiger Einzug in Grinzing. Es muss nicht immer das große Abenteuer sein. Großartig. Wien wohl bald umlaufen.“ Und einen Tag später schreibt er: „Von Bratislava nach Hainburg, die Frisur hält.“

Zuerst war die Reiselust

Doch zurück zu unserem Gespräch. Denn noch ist völlig unklar, wie Jürgen Seegerer die Lust am Wandern entdeckt hat. „Es ging bei mir am Anfang nicht ums Wandern, sondern ums Reisen“, erzählt er. Das komme von seinem Vater, für den immer der Weg das Ziel gewesen sei. Der heute 58-Jährige erinnert sich: „Ich bin als Kind gemeinsam mit meinem Vater und meinem Bruder in die Türkei gefahren. Am Anfang der Reise habe ich das aber gar nicht gewusst.“ Es habe nur geheißen, dass wir die Mama zuhause zwei Wochen zur Ruhe kommen lassen. Tatsächlich fuhr man nach Wien und mein Vater sagte: „Jetzt fängt es an, richtig interessant zu werden.“ Dann ging es über Ungarn, Bulgarien und Griechenland in die Türkei. Sein Vater sei auch immer enttäuscht gewesen, wenn er oder sein Bruder im Auto gelesen oder geschlafen hätten. „Schaut‘s lieber zum Fenster raus“, rief er ihnen zu. Rückblickend betrachtet sei das Reisen mit seinem Vater immer ein großes Abenteuer gewesen. „Daher kommt sicherlich mein Reisefieber“, ist Jürgen Seegerer überzeugt. Als dann Jürgen Seegerer mit 15,16 Jahren gemeinsam mit seinem Bruder allein auf Reisen ging, fand das der Vater allerdings weniger lustig. „Er ist fürchterlich erschrocken, als wir ohne ihn per Zug und Autostopp nach Griechenland oder in die Türkei gereist sind. Insgeheim glaube ich aber, dass unser Vater enttäuscht war, dass er nicht mitfahren konnte“, mutmaßt er heute. Jürgen Seegerer sucht das Abenteuer. Zwei Mal fährt er mit der Vespa nach Griechenland. Und immer wieder ist er auch zu Fuß unterwegs. Einmal läuft er von Patras nach Athen. Das sind 250 Kilometer. Aus Jürgen Seegerer dem Reisenden wird ein Wanderer.

Großes Abenteuer

2009 bricht Jürgen Seegerer dann zu seinem wohl größten Abenteuer auf. Alleine. Zu Fuß. Streckenlänge: 3000 Kilometer. Fünf Monate, drei Wochen und zwei Tage ist er unterwegs. Die Route führt von Bregenz nach Donaueschingen, der Quelle der Donau und weiter entlang des Flusses bis zu ihrer Einmündung ins Schwarze Meer. Aber wie kommt man auf so eine wahnwitzige Idee, will ich wissen. „Ich bin damals auf Anraten meines Arztes täglich spazieren gegangen. Zuerst von Bregenz nach Lochau, dann weiter nach Lindau und Wasserburg.“ Den Entschluss, die gesamte Donau entlangzulaufen, habe er innerhalb von drei, vier Tagen gefasst. „Der Jakobsweg kam für mich nicht in Frage. Ich bin nicht spirituell und war damals auch nicht auf Sinnsuche. Ich hatte im Kopf, etwas Besonderes zu machen“, erzählt er. Zuerst habe er sich überlegt, mit dem Fahrrad entlang der Donau zu fahren. Er hat aber festgestellt, dass er technisch nicht so versiert sei und auch etwas Angst gehabt hätte. Deshalb habe er sich schließlich entschieden, zu Fuß zu gehen. Und es war eine Zeit des beruflichen und privaten Umbruchs. Jürgen Seegerer hatte die Zeit, einfach für ein paar Monate abzuhauen. Getreu dem Motto von Hape Kerkeling: „Ich bin dann mal weg.“ >>

„Heute bin ich froh, wenn ich ein kleines Gasthaus finde, wo ich gut essen und mich bequem in die Badewanne legen kann.“

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„Ich komme mit mir am besten klar. Und das endlos.“

Spaß da, Ballast weg

Doch die Mission drohte bereits nach ein paar Tagen zu scheitern. „Die erste Woche war brutal. Da denkst du dir nur: „Jetzt bin ich seit drei Tagen unterwegs und noch immer nicht in Donaueschingen. Ab Friedrichshafen habe ich mir gedacht. Das schaffe ich nie.“ Er erfährt schmerzvoll, welche Schuhe die richtigen sind, welche Unterhosen er tragen soll und welche Blasenpflaster wirklich helfen. Und er starrt am Anfang permanent auf sein Handy. Aber es ruft ihn niemand an. Die mögliche Schmach, zuhause erklären zu müssen, warum er schon wieder retour sei, hält ihn schließlich davon ab, einfach umzukehren. Er geht weiter. Nach drei, vier Wochen kommt er langsam ins Laufen. Wird entspannter. Es beginnt Spaß zu machen. Und er wirft Ballast ab. Am Beginn seiner Reise hat er 13 Kilogramm mit im Gepäck. „Irgendwann kapierst du, dass der Rucksack leichter werden muss.“ Noch vor seiner Ankunft in Wien verschenkt er sein Zelt. Und er trennt sich von seinen Büchern. Am Ende seiner Reise hat sein Rucksack nur mehr sechs Kilo. „Anders hätte die Wanderung nicht funktioniert“, ist Jürgen Seegerer überzeugt.

Wetterglück und ein Bad im Fluss

Jürgen Seegerer hat während seiner monatelangen Wanderung entlang des Europäischen Radwanderweges großes Glück mit dem Wetter. Meist ist es trocken. Er übernachtet entlang des Flusses im Freien. Wäscht sich und badet im Fluss. Ganz selten gönnt er sich ein Hotel. Nicht zuletzt auch deshalb, weil er nur ein monatliches Budget von 500 Euro zur Verfügung hat. Er fühlt sich, abgesehen von der holprigen Startphase, auf seiner Wanderung pudelwohl. Nach fast sechs Monaten erreicht er sein Ziel, das Schwarze Meer. „Es war alles relativ leicht. Ich weiß gar nicht, woran mein Vorhaben hätte groß scheitern können.“ Einen Luxus leistet er sich dann aber doch. Er fährt, völlig unspektakulär, mit dem Zug wieder nach Vorarlberg zurück. Heute, mit 58 Jahren, würde er die Reise etwas anders, weniger abenteuerlich angehen, gibt er zu. „Ich möchte heute nicht mehr wochenlang im Freien übernachten müssen. Jetzt würde ich mich altersmäßig anpassen. Heute bin ich froh, wenn ich ein kleines Gasthaus finde, wo ich gut essen und mich bequem in die Badewanne legen kann.“

Lieben, allein zu sein

Die Begegnungen mit anderen Menschen sind ihm auch bei späteren Wanderungen, zum Beispiel quer durch Ungarn oder rund um Transsilvanien, nie besonders wichtig, betont Jürgen Seegerer. „Ich bin sprachlich nicht wahnsinnig talentiert. Ich bin froh, wenn ich mich mit meinem bescheidenen Englisch verständigen kann.“ Aber auch abgesehen von den sprachlichen Barrieren liebt er es allein zu sein. „Beim Wandern bin ich sehr mit mir beschäftigt, auch weil ich manchmal an meine körperlichen Grenzen komme. Ich laufe 20, 30 Kilometer pro Tag und da denkst nur mehr an eine passende Unterkunft für den Abend, ein gutes Essen oder ein entspannendes Bad. Da hast du keine Lust auf touristische Besichtigungstouren.“ Er wisse auch niemanden, mit dem er seine Wanderungen gemeinsam machen möchte. „Ich komme mit mir am besten klar. Und das endlos.“

Das Bedürfnis, bei seinen Wanderungen Rekorde zu brechen, habe er überhaupt nicht. Aber er sei konsequent in seinen Entscheidungen. „Ich nehme mir zum Beispiel vor, gänzlich auf öffentliche Verkehrsmittel zu verzichten. Dann ziehe ich das durch. Da stehe ich am Bahnhof, sehe dort Züge stehen und steige nicht ein.“ Jürgen Seegerer, ein sympathischer Sturschädel.

Noch ist Jürgen Seegerer, der inzwischen auch ein passionierter Radfahrer ist, von seiner aktuellen Wanderung nicht zurück. Aber eines ist sicher: Fortsetzung folgt!

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