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Mit Drachen tanzen, Träume bauen

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Das Lustenauer BaukollektivProjekt „GeWo im Brand“ nimmt Fahrt auf: Vier Familien und eine Studentin haben sich gefunden und an einem Juni-Wochenende ihre Vision für ein gemeinschaftliches Wohnprojekt formuliert. Nun kann die ganz konkrete Planung beginnen.

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Text: Simone Fürnschuß-Hofer Fotos: privat, Rupert Pessl Vielleicht erinnern Sie sich: In der Februar-marie dieses Jahres erzählten uns Martina und Thomas von ihrem mutigen und ungewöhnlichen Bauvorhaben. Von ihrer Vision, mit Gleichgesinnten ein Gemeinschafts-Wohnprojekt in Lustenau auf die Beine zu stellen und dafür ihre 1800 Quadratmeter Grund ins Rennen zu werfen. Menschen zu finden, die ähnliche Wertehaltungen teilen, um gemeinsame Wohnideen zu entwickeln und den Sukkus daraus im wahrsten Sinne des Wortes auf den Boden zu bringen. Noch mitten im Lockdown wagten sie den Schritt nach draußen und machten auf ihr Vorhaben aufmerksam. Was ist seitdem passiert? Martina Unterkofler-Türtscher: „Es haben sich einige Menschen gemeldet, manche haben sich wieder verabschiedet, geblieben sind vier junge Familien mit Kleinkindern und eine Studentin.“ Diese Gruppe ist nun seit dem Frühjahr miteinander auf dem Weg.

Gemeinschafts- und Freiräume

Nach vielen ZOOM-Treffen und ersten gemeinsamen Unternehmungen ging es Mitte Juni in einem Wochenend-Workshop ans Eingemachte: an die „Zähmung der Drachen und Befreiung der Träume“. Martina: „Dragon Dreaming ist eine super Workshop-Methode, um mögliche Erwartungen, die unweigerlich in Enttäuschungen münden, zu erkennen und Träume in Worte zu fassen.“ Durch die zwei Tage geführt hat die Gruppe der gebürtige Vorarlberger Heinz Feldmann, Experte im Bereich Gemeinschafts-Wohnprojekte und seit langem in Wien beheimatet. Auch er ist zufrieden mit dem Ergebnis: „Aus allen Einzelvisionen der Akteur:innen gelang es uns, eine gemeinsame kraftvolle Vision zu kondensieren.“ Martina nickt: „Allein die Fragestellung: ‚Stell dir einen Tag im GeWo vor – was erträumst du dir?‘ hat das Projekt sofort mit Kraft und Lebendigkeit gefüllt. Vieles dreht sich bei uns natürlich um unser Elterndasein mit Kleinkindern und den Wunsch nach Entlastung. Eine Wohngemeinschaft, wie wir sie im Blick haben, kann einander gegenseitig Freiräume schaffen.“ Allen läge auch eine ökologische Bauweise am Herzen, aber sie dürfe sich nicht an der Prämisse nach leistbarem Wohnen spießen. Hundertprozent Übereinstimmung findet auch das Konzept gemeinschaftlich geteilter Flächen – drinnen wie draußen. Ideen dazu gibt es viele. Sehr viele. „Einerseits sind da diese 1800 Quadratmeter und andrerseits ist es gar nicht so einfach, alles unterzubringen“, sieht sich

Die GeWo-Gruppe an ihrem ersten gemeinsamen Wochenende im Lustenauer W*ort. Dabei ging es nicht nur um Visionen, auch ein konkreter Zeit- und Projektplan konnte verabschiedet werden.

Martina schon jetzt mit einem „Drachen“ konfrontiert. Die Drachen stehen für Ängste. Sich ihnen zu stellen, mehr noch, mit ihnen tanzen zu lernen, ist Herausforderung und Chance zugleich. „Es allen recht machen zu wollen, ist wohl einer meiner Drachen“, gibt sie nachdenklich schmunzelnd zu.

Zielpläne und Tatendrang

„Neben all dem träumerischen, ‚weltverbesserischen‘ Anspruch schafften wir es auch, einen klaren Projektplan mit den wichtigsten Meilensteinen bis zum Einzug zu verabschieden“, so Heinz Feldmann. Martina Unterkofler-Türtscher dazu: „Da haben natürlich die Köpfe geraucht. Zahlen und Zeitpläne können etwas Ernüchterndes haben. Vor allem, wenn man sich so wie ich eingestehen muss, dass der ursprünglich geplante Einzugstermin nie und nimmer haltbar ist. Aber jetzt wissen wir wenigstens, was realistisch ist.“ Man rechne mit 2023. Dankbar ist Martina für die positive Aufbruchstimmung und die guten Gespräche während der zwei Tage: „Natürlich hätte dieser Workshop auch nochmals Anlass geben können, auszusteigen. Aber da war richtig viel Freude, Schwung und Tatendrang spürbar. Und das Projekt sehe ich nun auf viele Schultern verteilt.“ Als nächster wichtiger Schritt steht die Wahl der Eigentumsform an. Da steigt die Spannung bei Feldmann, dessen Gemeinwohl-Unternehmerherz fürs Gemeinschaftseigentum schlägt. Natürlich weiß er nur zu gut, dass das Ländle mehrheitlich anders tickt und plädiert deshalb vor allem für eines: Dass gemeinsam, gut überlegt und stimmig für alle entschieden wird – egal wie das Ergebnis schlussendlich ausfällt. Die Hausaufgaben bis zum nächsten Treffen sind indes verteilt, die Vereinsgründung wurde ebenso in die Wege geleitet und der nächste Meilenstein darf kommen. Wir bleiben dran.

„Kommunikationskultur das Um und Auf“

Nachgefragt...

...bei Heinz Feldmann, der im preisgekrönten und von ihm mitbegründeten „Wohnprojekt-Wien“ zu Hause ist und sich gerade nach sechs Jahren Leitung der „WoGen“-Wohnprojekte-Genossenschaft als selbstständiger „Lebens-Wandler“ (www.lebens-wandler.com) in die Beraterrolle zurückgezogen hat.

marie: Wenn sich Menschen, die sich nicht kennen, für so ein Projekt zusammentun: Was ist in diesem Anfangsstadium ganz wesentlich?

Heinz Feldmann: Das Wichtigste ist, von Anfang an eine Kultur der achtsamen Kommunikation zu kreieren. Sodass alle merken, hier hört man sich gegenseitig zu, hier gibt es Kommunikationsregeln und hier kommt nicht nur der Lauteste zu Wort. Das ist das Um und Auf und sollte so gleich zu Beginn wie in die DNA der Gruppe eintröpfeln.

Ist das bei der GeWo-Gruppe gelungen?

Ja, hier haben Martina und Thomas schon gute Vorarbeit geleistet. So sind wir gut vorangekommen, alle waren engagiert dabei und haben klare Jobs zum Weiterschaffen mitgenommen.

Wie nimmst du die Gruppe als solche wahr?

Es ist eine gute Konstellation, eine gute Gründergruppe. Was fehlt, ist die Altersdurchmischung. Das sollte noch gelingen. Menschen, die schon aus der „Brutpflegephase“ raus sind, können einen wichtigen Beitrag leisten. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen: Wenn wir in unserem Wohnprojekt in Wien die Pensionisten nicht hätten, würden wir vieles nicht stemmen.

Was kann solche Projekte zum Kippen bringen?

Um gewisse Entscheidungen darfst du dich nicht drücken, sonst zahlst du am Ende einen hohen Preis.

Wie zum Beispiel die Entscheidung der Form – Gemeinschaftseigentum versus Individualeigentum?

Zum Beispiel, ja. Wenn man sich für Letzteres entscheidet, ist die Gefahr groß, dass am Ende – nach 20, 30 Jahren – nur noch ein schlecht genützter Gemeinschaftsraum und der Rasenmäher geteilt werden. Bei der Form des Gemeinschafteigentums gehört mir die Wohnung nicht, sondern ich habe einen Anteil am Ganzen. Die Gemeinschaft entscheidet, wer die Wohnung bekommt, sollte ich ausziehen und ich bekomme meinen Anteil ausbezahlt. Bei dieser Form ist eher sichergestellt, dass die Gemeinschaftswerte überleben. Aber egal, wie sich die Gruppe entscheidet, Hauptsache ist, dass sie sich entscheidet – und das gemeinsam.

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