marie 57/ Februar 2021

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Mittendrin in V

Ausbruch aus der Endlosschleife Der Titel darf durchaus als Wunsch in Richtung Pandemie-Politik verstanden werden und verweist gleichzeitig auf das Prinzip Pubertät. Jenes Prinzip also, das gegen das konservierte Gestrige rebelliert und uns so vor dem ewig Gleichen bewahrt. Was aber, wenn dessen Protagonistinnen und Protagonisten „eingesperrt“ sind? Eine Betrachtung unter dem Eindruck persönlicher Erfahrungen. Text: Simone Fürnschuß-Hofer, Foto: iStock

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Symbolbild

ährend des ersten Lockdowns habe ich es noch als Luxusproblem abgetan und stirnrunzelnd die Solidaritätsfrage gestellt, wenn sich meine Teenager-Kinder über mangelnden Kontakt mit ihrer Peergroup beschwert haben. Auch das Homeschooling versuchte ich betont optimistisch als ein Experiment zu sehen, das die Selbstständigkeit fördern und bestenfalls sogar mehr „Lernen nach Interessen“ ermöglichen würde. Wohl der Zweckoptimismus einer kritischen Schulsystem-Beobachterin, aber um eine Bildungsdiskussion geht es mir an dieser Stelle nicht. Viel eher möchte ich eine Lanze brechen für eine Gruppe, die Gefahr läuft, in dieser „unendlichen (Pandemie-)Geschichte“ vergessen bzw. übersehen zu werden: die Gruppe der Jugendlichen. Ihre Zermürbung, ihr Missmut und ihre Unsicherheit wachsen und das darf uns als Gesellschaft nicht egal sein. Ich möchte eine Lanze bre-

chen explizit für jene Jungen – und das sind viele –, die weder Corona-Partys feiern noch sich ansonsten den Maßnahmen groß entgegenstellen. Für jene also, die in ihren Zimmern hocken – wenn sie denn ein eigenes haben – und dort im digitalen Dauermodus ihr Dasein fristen. Nein, ich empfinde es längst nicht mehr als

ein Luxusproblem oder Hysterie, wenn meine eigentlich aufgestellte, sehr selbstständige aber im virtuellen Homeschooling-Socialmedia-und-Netflix-Gemenge unterzugehen drohende Tochter unter Tränen gesteht, sie sei innerlich komplett leer. Wundert das? Nach 21 Wochen Distance Learning – seit Mitte März 2020 gerechnet? 21 unstrukturierten Wochen mit Lernstoff-Bandagen, die eigentlich nicht „einfach mal so“ von der Tafel aus via Kamera herunterdoziert werden können? Potenzen, Wurzeln und Logarithmen: Das klingt nicht nach einem Wohlfühl-Webinar for Beginners, das ich mir gemütlich auf der Couch reinziehen kann. Mehr nach „friss oder stirb“. Viele Lehrer*innen geben bestimmt ihr Bestes, manche auch nicht. Aber wie dem auch sei, nach fünf,

sechs, sieben Stunden Bildschirmunterricht kann der Lehrer die Eulersche Zahl purzelbaumschlagend im plüschenen Einhornkostüm erläutern und es bleibt dunkel im gezoomten Klassenzimmer.

Manch einer mag an dieser Stelle einwerfen: Sie – die Jugendlichen – müssen eben raus, einen Ausgleich schaffen, Sport machen, sich gesund ernähren, Strukturen aufbauen ... Ja, mein Gott, sich halt ein bisschen am Riemen reißen. Stimmt alles – ein bisschen – und habe ich auch schon so oder so ähnlich meinen Teenagern ans Herz gelegt. Die Gegenargumentation ist mächtig und lässt sich unter einem Begriff subsumieren: Pubertät. Pubertät ist kein Honiglecken. Pubertät ist vielmehr: Smoothie denken, Schokolade essen – am besten schon zum Frühstück. Pubertät ist auch: beim Blick in den Spiegel den Mut verlieren. Die Freundin mehr mögen als sich selbst. Den Weg des geringsten Widerstands gehen. (Da kommt zwischen Bett und WC manchmal nicht viel an gelaufenen Metern zusammen.) Pubertät ist Liebeskummer, Weltschmerz,

Übertreibung oder auch: Meinung, Rebellion, Unverfälschtheit. Die große Suche nach der eigenen Identi-


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