IRGENDWO – ZWISCHEN DEN WEGEN

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Ausklänge 64

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ie Universität bringt uns bei, den Verstand, das Wissen und Strategien zu nutzen. In der Psychologie wird Neutralität besonders hoch geschätzt. Manchmal aber genügen diese Werkzeuge nicht und dieses Projekt gab mir die Möglichkeit, diesen Ansatz zu erweitern. Um das in dieser Zeit Erlebte zusammenzufassen ist das Wort, an welches ich denke Emotion. Emotion wird symbolisch dem Element Wasser zugesprochen und ich kann sie mir vorstellen als flüssig, durchsickernd duch kleine Ritzen, Besitzer unglaublicher Kraft. Diese Arbeit hatte die Herausforderung mit Jugendlichen zu arbeiten die damit konfrontiert wurden was es bedeutet zu leben oder zu sterben, alles hintersichzulassen und nochmal von vorne anzufangen. Es war ein Kontakt mit dem Wasser welches überfluten oder abschrecken kann. Allerdings, inmitten von Emsigkeit und Intensität, Drama, Traurigkeit, Angst, Liebe, Zweifel, manchmal von ihnen, manchmal von mir, entdeckten wir, wie die Emotion sich entwickelte. Anfangs war die Emotion das, was das Geplante verspätete und sie entwickelte sich mittendrin in gruppale Transformationen und Bewegung in Richtung der gesteckten Ziele. Es war also das Wasser selbst, welches das Feld bewässert und Orte durch sein Fliessen miteinander verbindet. Zum Glück konnte ich Zeit verbringen mit einer Lehrerin, die über ihr Fach hinausgeht und sich der intensiven Freude und dem intensiven Schmerz aussetzt, indem sie Bezugsperson ist inmitten dieser Wege voller Ungewissheit. Ich vertraue darauf, dass dadurch, dass wir uns zeitweise unsere Schutzhülle abstreifen und uns aus dem Zuhören und dem Begleiten heraus nähern, uns erlauben wird, gefährliche Situationen zu erkennen. Meine Einladung ist „Farbe zu bekennen“ und meine Hoffnung ist, dass Lehrerinnen wie sie nicht in diesem Ozean Schiffbruch erleiden und dass sie institutionelle Unterstützung bekommen, wenn es nötig ist. Ich nehme hin, dass ich nicht alles beschreiben kann was ich erlebt habe, das Wasser hat keine Form und es entrinnt zwischen den Fingern ... ich danke diesen Jugendlichen, mich in Kontakt mit dem Fliessen, dem Humor und einem Meer von bedeutsamen Anderen gebracht zu haben. Danke für das frische Wasser, dass ihr bringt.

Marvi Méndez

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rgendwie hat diese Arbeit in diesem Projekt eine Erfahrung fortgeführt die ich schon zweimal gemacht hatte, das erste Mal als ich nach Frankreich kam und das zweite Mal als ich nach Deutschland kam. Auch wenn ich dieses Mal nicht die Neuangekommende war, so hatte ich doch bei jedem Treffen das Gefühl, als hätte ich etwas Neues über mich gelernt. Die Workshops führten wir in einem typischen berliner Klassenzimmer durch, im Klassenzimmer der Willkommensklassen. Und dort, zwischen Landkarten, Tafeln und Pausenklingeln hatte ich immer das Gefühl in einen anderen Raum und in eine andere Zeit einzutreten, ausserhalb des alltäglichen Rhythmus meines Berufes. Oft kam ich mit einem Vorschlag für eine Tätigkeit von der ich glaubte, sie sei einfach und die dann zu der Herausforderung des Tages wurde. Andere Male, ganz im Gegenteil, konnten schwierige Aufgaben ganz einfach bewältigt werden. Für mich war es mit dieser jugendlichen Energie zu arbeiten (oder dionysischen Energie wie Marvi Mendez sie nennt) und die mich ständig dazu einlud während des Workshops die Organisation der geplanten Aktivitäten neu zu entwerfen oder mich selbst neu zu orientieren. An sich selbst zu zweifeln, und auch, sich den Raum von Flexibilität und Meinungsänderungen zu geben sind keine Eigenschaften zu denen geraten wird wenn man Tätigkeiten anleitet. In einer Grundhaltung der Offenheit dem anderen gegenüber existiert das Risiko die eigentlichen Rollen zu schwächen. Wir als Team wollten dieses Risiko eingehen und ein offenes Ohr für die Schülerinnen und Schüler haben. Wir beschlossen, nicht mit vorgegebenen Antworten zu kommen und sie auch nicht zu erwarten. Es schien uns interessanter uns zu bemühen einen Dialog zu öffnen, einen Raum des gemeinsamen menschlichen Daseins, mit all den Einschränkungen, Abwesenheiten und einer bewusst wahrgenommenen Gegenwärtigkeit. Unsere Herausforderung bestand darin all dies irgendwann irgendwo – zwischen den Wegen anzunehmen.

Karina Villavicencio


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