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SPORT KOMPAKT
1. Ausgabe Dezember | 2016
Die kleinen blauen Pillen und deren schreckliche Folgen Ute Krieger-Krause. Foto: erpopress
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ch wusste nicht mehr, was mit mir los ist.“ Es ist einer jener leisen Sätze, die Ute KriegerKrause sagt, wenn sie über ihre Vergangenheit als Opfer des DDR-Dopingsystems spricht. Ein Satz, der auf den ersten Blick belanglos daherkommt. Doch er steht für einen jahrzehntelangen Kampf gegen die Folgen der Einnahme leistungsfördernder Mittel. Er steht für unsägliche Leiden, für psychische Störungen, für Depressionen. Und dahinter steht eine ganze Lebensgeschichte, die die heute 54-jährige einstige Spitzenschwimmerin des SC Magdeburg jetzt erstmals so ausführlich erzählt. Zumindest erstmals in ihrer Heimatstadt Magdeburg. Und dazu öffentlich. Aber warum nicht früher? „Ich hatte den Eindruck“, so die nüchterne Antwort, „dass das Interesse an einer Aufarbeitung der DDR-Dopingvergangenheit in Sachsen-Anhalt nicht besonders ausgeprägt ist.“ Ute Krieger-Krause gehört in der Bundesrepublik zu den 194 staatlich anerkannten Opfern des Staatsdopings in der DDR. Zusammen mit ihrem Mann Andreas Krieger – vor seiner Geschlechtsumwandlung als Heidi Krieger in den 80er Jahren eine sehr erfolgreiche DDR-Kugelstoßerin – setzt sie sich als Vorstandsmitglied des DopingopferHilfevereins dafür ein, begangenes Unrecht aufzuarbeiten, die Geschädigten nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und ihnen zumindest punktuell materiell zu helfen. Alles, was die Geisel Doping so verwerflich macht, was sie insbesondere bei Kindern und Jugendlichen anzurichten vermag – Krieger-Krause hat es am eigenen Leib erfahren. Als sie 1973 auf
Die Geisel Doping und kein Ende. Die einstige Spitzenschwimmerin Ute Krieger-Krause aus Magdeburg berichtet, wie sie Opfer des DDR-Dopingsystems wurde. Von Rudi Bartlitz die Kinder- und Jugendsportschule (KJS) Magdeburg kam, da schien die Welt noch in Ordnung. Die sportlichen Erfolge ließen bei der jungen Rükkenschwimmerin nicht auf sich warten, und die von den Trainern verabreichten sogenannten Vitamintabletten nahm man eben hin. „Zumal ein Nachfragen stets sanktioniert wurde.“ Und was hätte eine Elfjährige auch schon fragen können … „Es war ein geschlossenes System. Selbst unseren Eltern gegenüber sollten wir nicht darüber reden.“ Der Druck zum Schweigen wurde noch größer, als später das berüchtigte Dopingmittel Oral-Turinabol, ein Testosteronpräparat, hinzukam. Die
junge Frau ahnte damals noch nicht, was es mit den kleinen blauen Pillen auf sich hatte. 1977 geht ihr Traum in Erfüllung, sie wird in den Olympiakader berufen. Doch Utes Körper verändert sich plötzlich sichtbar. Die Muskeln wachsen, Schultern, Arme, Hals werden mächtiger. Vom Frühjahr bis Sommer nimmt sie fünfzehn Kilo zu. Ute wird ihr eigener Körper fremd. „In jener Zeit begannen auch die psychischen Probleme und Depressionen“, berichtet sie. Schwimmen wurde immer mehr zur Last, wurde unerträglich. Ihr Innerstes streikte, im Kopf wurde sie dieser eintönigen Tortur im Becken müde. In Ute Krause regte sich Ablehnung, Widerstand. Was viele nicht wagten: Sie begehrte auf. Aber sie war eingespannt in die Medaillenfabrik DDRSport. „Ich empfand das wie ein Gefängnis. Ich wollte raus.“ Bis sie eines Tages im Trainingslager der Olympiakandidaten in Lindow alles hinwarf. „Aus Protest bin ich so lange quer durchs Becken geschwommen, bis sie mich rausgenommen haben. Meinem Trainer Joachim Vorpagel habe ich zugerufen: ‚Ich kann nicht mehr, ich gehe da nie mehr rein.‘“. Sie ließ sich auch später nicht umstimmen, nicht durch gute Worte, nicht durch Druck. Krieger-Krause heute: „Ich habe alle Kontakte abgebrochen und wurde vom System regelrecht ausgestoßen.“ Sie fiel in ein tiefes Loch. Stichworte: Bulimie, psychische Störungen, Depressionen. Es folgte ein Klinikaufenthalt mit psychiatrischer Therapie. Ein Lehrerstudium brach sie nach zwei Jahren ab. Erst als sie eine Ausbildung zur Altenpflege aufnahm, traten erste Besserungen ein. „Als ich