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Geschichten aus der Uhrzeit

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© Bildlexikon TECHNIK (Deutsch-Italienisch DDR, 1959 / Montage Stefan Krause

Geschichten aus der Uhrzeit

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Ein bisschen verhält es sich mit den Arbeitszeiten im Synchron wie mit dem Klimawandel: Zuerst merkte man nichts… Nach den vergleichsweise gemütlichen Zeiten der 50er, 60er und 70er Jahre, in denen sich das Pensum von 100 Takes auf 160 -180 Takes* pro Tag erhöhte, ging die Zahl durch den Übergang zum digitalen Arbeiten (über U-matic-Cassetten, DAT-Recorder, Harddisc-Recording) in den darauffolgenden Jahren weiter nach oben.

Mit der Einführung von Abend- und Wochenendschichten erhöhte sich die theoretisch mögliche wöchentliche Arbeitszeit fast um das Doppelte. Ging die Arbeitszeit vorher von 9 -17.30 Uhr (an fünf Tagen) kam man auf 42,5 Stunden. Durch die Abendschichten und die Wochenenden (öfter samstags, zuweilen aber auch sonntags) ergaben sich plötzlich ganz neue Möglichkeiten der Studio-Ausnutzung und der Verfügbarkeit von SchauspielerInnen und der anderen Gewerke. Und gab es anfangs noch ein „Entweder – Oder“ zwischen Tages- oder Nachtarbeit, ist es heute gang und gäbe, irgendwann zwischen 9.00 und 22.00 Uhr (oder später) disponiert zu werden. Und das Thema „Doppelschicht“, heute für viele (aus sehr unterschiedlichen Gründen!) schon fast normal, war ein Tabu, dessen schneller Fall jedoch schon in einer fernen Vergangenheit liegt.

Von „Nine to five“ bis „beliebig verfügbar“

Natürlich hat diese Flexibilität der Arbeitszeiten Vor- und Nachteile für alle Beschäftigten. Das ist nicht anders als in vielen industriellen oder post-industriellen Produktionsbereichen und das individuelle „pro & contra“ soll hier nicht noch einmal aufgezählt werden.

Problematisch ist dabei jedoch die Frage: Wer bestimmt, wer wann und wo arbeitet? Und wer kann es sich leisten, eigene Bedingungen zu stellen? Beginnen wir bei der heute üblichen Vorgehensweise eines Großteils der Synchronproduzenten: Die zu bearbeitenden Produktionen werden in das Raster von Terminen, verfügbaren Studios und vorhandenem „Personal“ eingesetzt und dann als Tag- oder Abendschicht eingeordnet, wobei auch mal ein Kinofilm mit Priorität in die Tagschicht geht und dafür eine weniger wichtige, untergeordnete Serien-Staffel in den Abend „verschoben“ wird. Für die SchauspielerInnen beeinflusst das oft schon ihre Entscheidung, ob sie ein Rollenangebot annehmen können. Beziehungsweise, wenn sie bisher schon eine Rolle hatten und die gewohnte Schicht kurzfristig geändert wird, ohne dass sie da mitzureden hätten.

Es hängt natürlich vom Status und vom „Standing“ jedes/jeder Einzelnen ab, das mit zu machen oder nicht. SchauspielerInnen haben immer häufiger eigene Arbeitszeit-Vorgaben (nicht vor 10.00 Uhr am Tag, Abendjobs nicht länger als 22.00 Uhr, Samstag nur nach Absprache oder: sonntags nie!), was dann die gestressten AufnahmeleiterInnen vor noch größere Dispositionsprobleme stellt. Wer es sich jedoch nicht leisten kann wählerisch zu sein und jeden Job annehmen muss, kann nur darauf hoffen, dass die jeweiligen Arbeitszeiten mit Leben, Familie, Partnerschaft und Freizeit kompatibel sind! Man kann es auch noch schärfer formulieren: Die Schwächeren müssen in die „Lücken“ auf der Dispo gehen, die die Stärkeren ihnen übrig gelassen haben. Problematisch sind Abendschichten auch für freie Cutter- und TonmeisterInnen (auf Stundenbasis), weil in 4-5 Stunden weniger verdient wird als in den 8 Stunden einer Tagschicht

Bleibt die Frage: Wer profitiert von dieser Situation? Ist es tatsächlich eine „win–win- Situation“, wie es häufig dargestellt wird?

Langfristig optionieren – kurzfristig disponieren

Es gehört schon fast ins Reich der Legenden, dass in der 80er Jahren oft schon viele Wochen vor Drehbeginn die Termine feststanden und die Dispo-Listen fertig in der Schublade lagen. Das war natürlich vor den „schnelllebigen Zeiten“, als Kino-Starts und TV-Sendetermine ebenfalls weit im voraus geplant und nicht kurzfristig geändert wurden.

Die heutige Situation ist meist (d.h. von „Edel-Produktionen“ abgesehen) umgekehrt: Es wird zwar lange vor Drehbeginn optioniert, aber oft genug „ins Blaue“, d.h. ohne genauere Kenntnis der Produktion, des Materials, Art und Umfang der der Rollen und des künftigen Teams. Eine Option für eine Serien-Staffel von beispielsweise 2 Wochen kann eine Rolle mit 3 oder 50 Takes pro Folge „bringen“. Hauptsache: erst mal besetzt! Wer sich als SchauspielerIn die Mühe macht, nicht auf entsprechende Nachricht zu warten, kann zumindest kurz vor dem 1. Termin telefonisch recherchieren, wie viel Takes es konkret sind, wann, wo und mit wem. Aber man muss sich eben selbst in die Planung „einklinken“.

Dass SynchronschauspielerInnen nicht nur ein paar wenige Optionen pro Woche haben, sondern auch schon mal 10 und mehr, ist üblich geworden und macht die Arbeit der Aufnahmeleitungen immer komplizierter. Hier trifft das Prinzip „Erst mal optionieren“ auf die Reaktion „Erst mal alles annehmen!“. Dass diese Vorgehensweisen in der Praxis dann oft kollidieren, ist kein großes Geheimnis. Aber einen Versuch, dieses Problem zu lösen, sucht man vergeblich…

Zeitdiebe – Opfer und Täter

Wer ist nun verantwortlich für den wachsenden Stress, die kurzfristigen Termine und die noch kurzfristigen Änderungen oder Absagen? Natürlich in erster Linie die Auftraggeber, d.h. Sender, Verleiher und Streaming-Portale, die ihre Produktionen an die Synchronfirmen vergeben. Und die sind bemüht, auch die ausgefallensten Terminwünsche für die Kunden möglich zu machen. Es verdichtet sich nur der Eindruck, dass es anscheinend auch selbst dann kein „Nein“ bei der Akquise geben darf, wenn die jeweiligen Firmenkapazitäten im Prinzip ausgebucht sind. Das Rad dreht sich immer schneller, weil der aktuelle Boom nicht an Schwung verlieren soll. Denn schließlich profitieren ja sowohl die Firmen als auch die (freien & festen) Beschäftigten und Kreativen davon – so die allgemein gängige Meinung.

Die Synchronfirmen könnten hier den Auftraggebern konsequenter eigene Bedingungen stellen, was z.B. Zeitvorgaben, Material und Planungssicherheit angeht. Aber ein spürbares Aufbegehren ist nicht zu vernehmen.

Bekannte Tricks

Wie kann man in dieser Situation trotzdem noch Zeit sparen, an welchen Stellschrauben lässt sich noch ein bisschen drehen? Da sind in erster Linie natürlich Dispos, deren Takezahl nach Bedarf gesteigert wird. Nicht Jede/r zählt diese nach. Kurze „Startbänder“ erhöhen zwar die Schlagzahl, aber dafür fehlt dadurch oft die Zeit, in diesen wenigen Sekunden mit Regie, CutterIn oder TonmeisterIn ein paar klärende Worte zu wechseln. Der Wunsch, das Startband zu verlängern, ist hingegen manchmal schlicht nicht erfüllbar oder ruft ein mitleidiges „Also, wenn Du es länger brauchst…“ hervor. Auch die gute alte Mittagspause (MP=45 Min.) wird schon mal auf die notwendige Zeit zur Nahrungsaufnahme reduziert – natürlich nur bei allgemeinem Einverständnis der Atelier-Belegschaft.

Im Gegensatz zu dieser Realität eines Großteils unserer Arbeit gelten diese Tricks für die seltenen Edel-Produkte nicht, weil hier ganz andere (Zeit-) Budgets zur Verfügung stehen. Das sind dann auch die Filme, über deren aufwändige Synchronisation dann zum Beispiel in den einschlägigen Kino-Werbe-Sendungen berichtet wird. Das Bild, das dort so gern vermittelt wird, entspricht aber nicht dem Regelfall, sondern zeigt die Ausnahme davon.

Fazit

Beim derzeitigen durchschnittlichen Tempo die gewünschte hohe Qualität beizubehalten, wird immer schwieriger. Nicht zuletzt, weil viele neue KollegInnen diese Geschwindigkeit als normal betrachten und ein mögliches „Tempolimit“ gar nicht in Betracht ziehen. Es ist nicht realistisch, hier eine Vollbremsung vorzuschlagen, aber es sollte doch wenigstens versucht werden, den Betrieb zu „entschleunigen“, statt die Schlagzahl noch weiter zu erhöhen!

Perspektive?

Dafür braucht es jedoch verbindliche Absprachen und den Mut, höhere Kosten/Preise für vernünftige Arbeitsund Produktionsbedingungen auch bei den Auftraggebern durchzusetzen. Das ist nicht zuletzt ein Argument, endlich einen Branchen-Tarifvertrag zu entwickeln und abzuschließen, der nicht nur Gagen & Gehälter, sondern auch das Thema Zeit regelt…

Stefan Krause

* im analogen Schleifenbetrieb mit 35mm- (Kino) bzw. 16mm-Kopien (TV)